Tag 1127: Visionsträume

von Heiko Gärtner
17.02.2017 02:39 Uhr

Fortsetzung von Tag 1126:

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, denn nun kam eine Frau in einem weißen Gewand die Treppe herunter. Ihr Anblick ließ Heiko erschaudern, denn es war eine geisterhafte Gestalt, die aussah wie aus einem Horrorfilm. Das Kleid, das sie trug erinnerte an ein Hochzeitskleid, war jedoch zerfetzt und schemenhaft, so als wäre die Frau bereits vor langer Zeit damit beerdigt worden und nun aus dem Jenseits zurückgekehrt. Heiko wusste nun plötzlich, dass der Name der Frau Bernadette lautete und dass dieser Ort mit der Treppe ihr Platz war. Es war der Platz, an dem sie etwas erlebt hatte, eine Vision, nein eine Erscheinung, ähnlich wie es das Mädchen in Lourdes gehabt hatte. Oder ähnlich wie bei dem Platz mit dem Eremiten, den wir am Tag zuvor besucht hatten. Als Heiko mir am Morgen von seinem Traum erzählte, war es weder ihm noch mir präsent gewesen, dass der Name der jungen Frau von Lourdes tatsächlich Bernadette war. Später durchforsteten wir das Internet nach Bildern des Mädchens und ich erkannte bereits an Heikos plötzlich erblassendem Gesicht, dass er sie wieder erkannte. Bilder, Zeichnungen und Statuen der Marienerscheinung von Lourdes gibt es fast überall. Auch viele Darstellungen einer in Tücher gehüllten Frau, die vor der Erscheinung kniet. Aber das Gesicht von Bernadette hatten wir zuvor noch nicht gesehen. Dennoch gab es keinen Zweifel. Die Frau auf dem Bild war die Frau aus Heikos traum.

In ihrem Totenkleid starrte Heiko sie an und verhielt sich dabei auf eine Weise, die für Geister typisch zu sein scheint. Sie stieß seltsame Laute aus, wedelte mit den Armen und bewegte sich schwebend und tänzelnd fort. Heiko geriet in Panik und schreckte bei ihrem Anblick unvermittelt zurück. Eher er jedoch überlegen konnte, wie er mit der Frau umgehen sollte, wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf seine linke Klumphand gelenkt. Sie begann zu vibrieren und wandelte sich erneut. Dieses Mal war es jedoch, als würde sie ihre Form ganz verlieren. Sie löste sich auf und wurde von Masse zu Energie. Plötzlich wurde alles von dieser Veränderung ergriffen. Irgendetwas Großes passierte hier, das war Heiko klar, auch wenn er nicht verstand, was hier vor sich ging. Er spürte nur, dass er weg wollte. Er wollte die ganze Situation hinter sich lassen. Nur fort, nur raus! Ein seltsames Gefühl ließ ihn herumschrecken und sein Blick viel wieder auf die weißgewandete Geisterfrau, die sich nun hinter ihm befunden hatte. Er sah gerade noch, wie sie sich auflöste, so als würde sie zu Staub zerfallen. Dann sankt ihr Kleid leer zu Boden. Heiko ergriff die Flucht und stürmte in den Seminarraum zurück, in dem noch immer die Gruppe auf ihn wartete. „Verdammte Scheiße, ich brauche eure Hilfe!“ rief er „Ich bin total durch den Wind und habe keine Ahnung, was hier vor sich geht!“

Nun lief alles wie von selbst. Jeder in der Gruppe schien genau zu wissen, was er zu tun hatte, um das Ritual abzuhalten. Viele aus der Gruppe redeten nun auf Heiko ein und erklärten ihm, dass sie seine Lage verstehen konnten. „Wir wissen, dur wurdest von den Schlangen gebissen, wir wissen du hast nun Halluzinationen und wir wissen, dass du das Gefühl hast vollkommen am Ende zu sein!“ Dann begannen alle im Kreis um ihn herumzutanzen und dabei zu singen. Wieder kamen Erinnerungen aus einem Traum in ihm hoch und er wusste, dass es vier Hauptpersonen gab, also vier Menschen, die eine zentrale, wichtige Rolle bei diesem Ritual spielten. Sie waren die Stellvertreter der Kräfte aller vier Himmelsrichtungen und Heikos Aufgabe war es nun sie zu rufen, sie auszuwählen und ihnen ihren Platz zuzuweisen. Drei davon rief er beim Namen, doch bei der vierten konnte er sich an den Namen einfach nicht erinnern. Er wusste nicht warum und er wusste, dass diese Person eine wichtige Rolle spielte und eine mächtige Heilerin war, aber er konnte sie nicht rufen, da er ihren Namen nicht kannte. Doch es machte nichts, denn sie kam von ganz alleine und nahm ihren Platz ein, ohne dass Heiko einen Ton sagen musste. Erst später erkannte er, dass es sich bei ihr um Ulli handelte, eine Wildnisschülerin, mit der er Jahre zuvor wirklich in der wachen Welt die Ausbildung gemacht hatte. Die im Kreis tanzende Gruppe verzerrte nun wieder die Realität und es war plötzlich erneut, als wäre alles aus einer anderen Welt. Alles verschwamm und die Grenzen zwischen dem Sein und der Fiktion, zwischen Materie und Energie wurden weich. Alle Prophezeiungsträume, die Heiko zuvor gehabt hatte, kamen nun auf einen Schlag noch einmal hoch und er erkannte, wie und warum alles so geschehen war, wie es geschehen war. Er erkannte, dass alles einen Sinn hatte und das es stets darum gegangen war, in seinen Medizinkörper zu kommen. Alles zusammen, die Schlangenbisse, das Gift, die Erscheinung der Geisterfrau, die tanzende Gruppe, all dies führte nun dazu, dass die Welt verschwamm und er nur noch Zahlen rattern sah. Es war wie bei der Matrix. Er konnte nun den Code hinter dem Bildschirm der Wirklichkeit erkennen. Alles war Code, alles war Matrix. Alles war eine Illusion, hinter der es einen Sinn gab, den es zu verstehen galt.

Wieder verschwammen die Erinnerungen an den Traum und Heiko wusste nur noch, dass das Ritual nun irgendwie beendet wurde und er den Raum erneut verließ. Alle Teilnehmer der Gruppe rannten draußen herum und liefen wild durcheinander. Nur Ulli stand neben ihm und plötzlich wurde Heiko wieder bewusst, wer sie war. Voller Begeisterung und gleichzeitig Fassungslos rief er: „Ulli, wie ist das möglich? Ich weiß nicht warum, aber ich konnte ich nicht an deinen Namen erinnern. Ich konnte dich nicht rufen und doch wusstest du was zu tun ist und wann du eingreifen musstest. Woher konntest du das wissen? Das ist doch Wahnsinn!“ Eine weitere Teilnehmerin kam auf die beiden zu und Heiko erinnerte sich daran, dass es eine Frau mit Diabetes war. Sie hielt ein Kartenset in der Hand, eine Art Tarot-Karten, nur dass sie alle Heiligen, deren Verbindung untereinander und deren Bezug zum großen Ganzen zeigten und keine üblichen Tarot-Bilder. Als sie Heiko und Ulli erreichte, fiel eine Karte aus dem Stapel zu Boden. Sie landete mit der Bild-Seite nach oben und Heiko verschlug es den Atem, als er sah wen sie zeigte. Es war Bernadette, die Geisterfrau von der Treppe mit dem weißen Hochzeitskleid, die von einem hellen, weißen Licht durchstrahlt wurde. Sofort hatte sich die gesamte Gruppe um Heiko und die Karte versammelt. Und abermals drückten sie ihr Bedauern und ihr Mitleid aus. Bernadette war eine Heilige, die eine Vision von Maria erhalten hatte und die daraufhin bereits sehr früh verstorben war. Die anderen Teilnehmer sahen die Karte nun als ein Omen dafür, dass auch Heiko einen frühen Tod finden würde, und dass er eine gewaltige, schwere Aufgabe hatte. Er sollte das Licht der Heilung auf die Welt bringen, das diese Frau in sich getragen hatte, doch diese Aufgabe würde ihm das Leben kosten. „Oh mein Gott!“ riefen sie, „du musst früh sterben, wie schrecklich!“

Heiko hingegen wusste sofort, dass diese Karte keine Prophezeiungskarte war und auch kein Omen, dass seinen Tod voraussagte. Es war viel mehr eine Aufforderung, Kontakt mit der Frau aufzunehmen. Bernadette spielte eine Rolle für ihn und er für sie. Die Karte zeigte, dass es an der Zeit war, einander zu begegnen und sich gegenseitig zu unterstützen. Doch da war noch mehr. Es gab eine zweite Karte mit einer Art grünem Monstermädchen, das entfernt an Rumpelstilzchen erinnerte. Auch von ihr hatte Heiko bereits geträumt und auch sie war irgendwie in der Situation an der Treppe aufgetaucht. Wieder redeten die anderen auf ihn ein und riefen: „Auch das ist eine Kraft von dir! Wie schrecklich, es ist eine Dunkelheit die in dir steckt!“ Wieder wusste Heiko, dass dieses Gerede Blödsinn war, denn das Monstermädchen war eine Art Gegenspieler, eine Gegenpartei, die oft für Verwirrung sorgte, dadurch aber auch große Heilungsschritte ermöglichte. Auch sie war wichtig und spielte eine entscheidende Rolle, wenngleich er noch nicht wusste, welche das war. Doch obwohl er all dies wusste, machte ihm die Situation trotzdem Angst, da all diese Menschen auf ihn einredeten und versuchten ihn von der Gefährlichkeit zu überzeugen, die die Karten ihrer Meinung nach verkündeten. Schließlich wurde es ihm zu viel und er verließ die Situation, um wieder etwas Zeit für sich alleine zu haben. Vorsichtig, ganz vorsichtig ging er über eine Wiese, da er wusste, dass hier noch immer all die Schlangen aus dem Seminarraum herumfleuchten. Und dann, ganz unverhofft, kam Heidi um eine Ecke gebogen. Sie hatte lange, hellrote Rastalocken und sah so vollkommen anders aus, als es im Moment der Fall ist. Mit freudiger Überraschung rief er ihr entgegen: „Boa ist ja Wahnsinn, dass du hier bist! Aber Gottseidank kommst du jetzt erst, denn wenn du vorher da gewesen wärst, hätte es dich umgebracht! Das mit den Schlangen, das hättest du nicht gepackt! Oh und sei bitte ganz vorsichtig, dass du auf keine Schlange trittst.“

Heidi zu sehen fühlte sich für Heiko ein bisschen wie Ankommen an, so als wäre er nun zuhause. Er war nun in seinem Medizinkörper angekommen und konnte seine Heilkraft vollkommen nutzen. Er nahm sie mit hinauf in den Raum, in dem das Ritual stattgefunden hatte und kuschelte sich mit ihr in eine Ecke. Er hatte nun das Gefühl, sich gänzlich anlehnen und zur Ruhe kommen zu können, wenn gleich er noch immer spürte, dass es wichtig war, wachsam zu sein und Obacht zu geben. „Ich kann dir nicht erzählen, was hier alles passiert ist“, sagte er zu Heidi, „Vieles war zu krass und zu abgefahren, um es in Worte zu fassen. Ich weiß aber auf jeden Fall, das ich nun in meinem Medizinkörper bin und dass nun Heilung und Heilen möglich ist!“ Mit einem Mal wusste er auch, welche Verbindungspunkte es zwischen Ihm, Bernadette und Heidi gab. Bernadette war eine Heilige, die Licht gebracht hat, nachdem sie eine Erscheinung von Maria hatte. Sie selbst war in gewisser Weise mit Maria identisch, denn das worum es ging war, dass sie die weibliche Gottstimme wahrnehmen konnte. Sie selbst war also das zulassende, weibliche Prinzip der Schöpfung, die weibliche Seite des Allbewusstseins. Doch als sie versuchte, die weibliche Kraft zu leben und das heilende Licht zu werden, das sie in Wirklichkeit war und das sich über die Welt verbreiten sollte, wurde sie diskreditiert und verstoßen. Er wusste nicht, was damals passiert war, doch es hatte der Frau das Leben gekostet. Anstatt ihr zuzuhören und die weibliche Schöpferkraft anzunehmen, hatte man sie also getötet. Heidi ist nun gewissermaßen die Reincarnation der jungen Frau, die die gleiche Aufgabe in sich trägt. Sie ist die Muse, die Inspritaionsquelle, die es dem männlichen Schöpfer ermöglicht, seine Aufgabe zu erfüllen. Doch aus Angst vor einer erneuten Diskreditierung beschloss sie, nie wieder einer göttlichen Stimme zuzuhören und dabei gleichzeitig ihre Weiblichkeit abzulehnen, so dass sie nie wieder in die Verlegenheit kam, einer ähnlichen Situation ausgesetzt zu sein. Mit dieser Art des Lebens und der Aufgabe wollte sie nichts mehr zu tun haben. Doch das Verweigern führt natürlich nur dazu, dass der Druckkörper steigt und sie in einer Schleife gefangen ist. Das grüne Monstermädchen ist die Kehrseite der Medaille. Sie ist die verbitterte, lichtlose Version von Heidi, die Realität wird, wenn sie ihre Aufgabe nicht annehmen kann. Heikos Aufgabe ist es nun, sie ins Licht zu führen und ihr dabei zu helfen, ihre Aufgabe und ihre Weiblichkeit wieder anzunehmen. Wenn ihm dies gelingt, kommt auch er in seine Heilkraft und wird zu einem Seher. Die Zukunftsträume, die er im Traum hatte, könnten dann klarer und deutlicher werden und sich auf weitere Lebensbereiche ausdehnen, so dass er stets weiß, was passieren wird. Er spürte nun den sehnlichsten Wunsch, sich nur noch anzulehnen, unter Heidis Brust zu liegen, zu heilen, den Raum wahrzunehmen, in dem das Ritual stattgefunden hat und die Vibrationen zu spüren. Dann wachte er auf. Der Tag brachte uns weitaus weniger spektakuläre Ereignisse wenngleich es sehr angenehm war. Mehrfach bekamen wir ein erstklassiges Bergpanorama zu Gesicht und am Mittag wurden wir gleich in der ersten Ortschaft sehr herzlich von einem ausgewanderten Italiener und vom Bürgermeister eingeladen. Wir bekamen einen schmutzigen, löchrigen und fliegenverseuchten, dafür aber sehr warmen Raum und gleich drei große Essenslieferungen, die uns wahrscheinlich noch für die nächsten Tage versorgen werden.

Spruch des Tages: Alles ist Traum

Höhenmeter: 330 m Tagesetappe: 22 km Gesamtstrecke: 20.621,27 km Wetter: sonnig aber frisch Etappenziel: Mehrzweckraum der Gemeinde, 65130 Capvern, Frankreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare