Tag 467: Wildes Europa

von Heiko Gärtner
14.04.2015 21:12 Uhr

Slowenien ist definitiv anders. Anders als jedes Land, durch das wir bislang gekommen sind. Noch immer bin ich unsicher, ob das etwas Gutes ist oder nicht, denn viele von unseren früheren Strategien scheinen hier nicht mehr aufzugehen. Es gibt so gut wie keine Ortschaften, die mehr als 50 Häuser haben. Kleine Lädchen und vor allem Fruchthändler gibt es sogar noch seltener. Sie sind so selten, dass wir ein bisschen Angst haben, darin nach etwas zu Essen zu fragen, denn wenn sie Nein sagen ist damit die Chance verspielt überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Die einzige Alternative sind dann lediglich die Privatpersonen und hier steht uns im Moment noch die riesige Sprachbarriere im Weg. Italienisch und Französisch waren am Anfang wirklich schwere Sprachen, doch Slowenisch toppt noch einmal alles. Es gibt hier Wörter die aus vier, fünf oder mehr Buchstaben bestehen, aber keinen einzigen Vokal enthalten.

Der Ort in dem Wir heute übernachten heißt Razdrto.Da sind immerhin noch zwei Vokale drin, aber ich habe trotzdem keine Ahnung, wie man das aussprechen soll. Bei meinen Versuchen, mich mit den Menschen zu unterhalten kam ich mir vor, wie ein dreijähriger, der gerade mit dem Sprechen beginnt und aus versehen seine Zunge verschluckt hat. Dafür muss man aber wiederum sagen, dass es sogar recht gut läuft. Bei der letzten Runde am Abend, bei der ich an einigen Privathäusern nach Essen gefragt habe, haben wir sogar überall eine Kleinigkeit bekommen. Es hat nicht unbedingt für ein delikates Essen gereicht, aber wir sind satt geworden. Und wir haben sogar einmal vier und einmal fünf Euro geschenkt bekommen, mit denen wir dann doch in einem der überteuerten Mini-Lädchen etwas dazukaufen konnten. Ein Kilo Reis kostet hier über drei Euro und eine kleine Packung Chips liegt bei 1,99€. Mit unserer Chips-Sucht, die wir in Italien so schön pflegen konnten, ist es dann wohl erst einmal vorbei. Dass die Einheimischen hier fast alles selbst anbauen, ist damit auch nur logisch. Ich habe zwar noch keine Ahnung, wie viel man in diesem Land im Schnitt verdient, aber mit den Preisen kann niemand zurecht kommen.

Die Sprachbarriere führt aber auch wieder zu einigen lustigen Auseinandersetzungen mit den Menschen. Eine kleine, niedliche Oma, die ich eigentlich am Vormittag nach etwas Obst fragen wollte, erzählte mir in allen Einzelheiten eine längere Familiengeschichte, die ich leider kaum verstand. Ich hatte sie lediglich gefragt, ob sie Englisch sprach und schon konnte ich sie nicht mehr stoppen. Vielleicht liege ich auch vollkommen falsch, aber wenn ich es richtig verstanden habe, dann lauteten ihre Erzählungen etwa folgendermaßen: „Englisch? Nein mit Engländern habe ich nichts am Hut. Meine Großtante, (vielleicht auch Ihre Schwester, ihre Enkelin, oder der Bruder ihres Neffen) hat mal eine Zeit in Österreich gelebt. Sie hatte da ein Restaurant und da kann man gut Essen. Aber Engländer sind dort nicht willkommen! Mit Engländern haben wir nichts am Hut!“

„Dann sprechen sie etwas Deutsch?“ fragte ich hoffnungsvoll, doch sie schüttelte nur den Kopf und fuhr mit ihrer Geschichte fort.

Das Gespräch ging noch eine ganze Weile so weiter und ich glaube, sie wollte mir wirklich etwas Spannendes mitteilen, doch es war einfach unmöglich. Am Ende grinsten wir uns beide an und entschieden einvernehmlich, dass wir so nicht weiter kamen. Ich glaube sie sagte zum Abschied noch so etwas wie: „Oh, Junge! Du verstehst ja kein Wort!“

Unser erster Eindruck von den Menschen hier ist, dass sie ein eher zurückhaltendes, stilles und vorsichtiges Völkchen sind. Von sich aus angesprochen wurden wir bislang nicht und wenn wir auf jemanden zugingen, dann begegnete man uns meist freundlich, aber zurückhaltend. Anders als in Italien, wo wir nach einiger Zeit jegliche Versuche aufgaben, wirklich in einen Kontakt zu kommen, kann man sich hier jedoch schon eher vorstellen, dass man mit dem Menschen auch in einen tieferen Austausch gehen kann, wenn sie einmal aufgetaut sind. So überschwänglich einladend wie in Frankreich, wo wir immer wieder von der Straße aufgepickt wurden, sind sie aber nicht. Aber wir sind ja auch erst zwei Tage hier und sprechen noch immer kein Wort der Landessprache, also kann sich da noch viel wandeln.

Das Land selbst ist ein absolutes Wanderparadies. Für uns Flachlandtiroler, die seit vierhundert Kilometern nur noch gerade Strecken gewohnt sind, ist es natürlich erst einmal anstrengend und gemeinsam mit der immer kräftiger werdenden Sonne treiben uns die Berge ordentlich den Schweiß auf die Stirn. Doch die Anstrengung lohnt sich. Endlich befinden wir uns wieder mitten in der Natur. Und diesmal ist es eine, die wirklich noch etwas wildes und ursprüngliches hat. Dass hier noch immer Wölfe, Bären, Luchse, Wildkatzen und Vielfraße leben, das verwundert kaum. Nach den letzten 9 Ländern hätten wir kaum noch geglaubt, dass es in Europa noch so ursprüngliche Flecken gibt. Natürlich wurden auch hier die Autobahnen durchgezogen und auch hier wird der Wald für die Forstwirtschaft genutzt, doch das weite, unübersichtliche und dichtbewaldete Hügelland gibt einem das Gefühl, in einer nahezu unberührten Wildnis zu sein. Ich freue mich schon darauf, wieder mehr Tiere zu sehen, die uns über den Weg laufen. Doch wenn ein Bär dabei ist, dann fürs erste mit etwas Abstand. A pros pros: Wir sind zwar noch keine Bären begegnet, dafür aber einem gigantischen Feld aus Bär-Lauch. Ok, der war vielleicht etwas stumpf, aber es ist wahr, es war wirklich der Grizzly unter den Bärlauchfeldern. Es duftete großartig und wir ernteten zwei große Hände voll für unser Abendessen. Leider schmeckte man ihn am Ende doch nicht so raus, wie wir gehofft hatten, aber das lag vor allem daran, dass wir nichts hatten, das irgendwie zu Bärlauch gepasst hätte.

Doch zurück zur Slowenischen Wildnis. Allen begeisterten Pilgern und Wanderern, die von Santiago langsam genug haben, können wir nur empfehlen, einmal durch Slowenien zu wandern. Nehmt euch aber eine gute Karte mit, denn die Wälder sind voll von kleinen unübersichtlichen Pfaden, auf denen man sich leicht verlaufen kann.

Kurz vor unserem Grenzübertritt haben wir nun auch unseren ersten echten Weltreiseurlaub geplant. Am kommenden Sonntag werden uns Heikos Eltern besuchen und dann werden wir eine Woche lang an einem Platz bleiben, unsere Wagen umbauen und die Gegend erkunden. Vor allem freuen wir uns jetzt schon auf die urbayrische Kost die uns dann erwartet. Nach einer fast viermonatigen Reis-mit-Tomatensaucen-Diät kommt uns ein saftiger Sauerbraten vor, wie das Paradies auf Erden.

Spruch des Tages: Ist es nicht sonderbar, daß eine wörtliche Übersetzung fast immer eine schlechte ist? Und doch läßt sich alles gut übersetzen. Man sieht hieraus, wie viel es sagen will, eine Sprache ganz verstehen; es heißt, das Volk ganz kennen, das sie spricht. (Georg Christoph Lichtenberg)

Höhenmeter: 240

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 8540,77 km

Wetter: sonnig und richtig warm

Etappenziel: Physiotherapieraum im Hotel Mirjam Rooms & Camp, Razdrto 19, 6225 Hruševje, Slowenien

 

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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