Autark leben im Zirkuswagen


Heute war unser 5. Weltreisegeburtstag. Es ist also genau fünf Jahre her, seit wir von Postbauer-Heng aufgebrochen sind und wir sind nun gerade einmal noch vier Tagesetappen davon entfernt. Abgesehen von einem ungemütlichen, kalten Nieselregen und einer kurzen Stadtbesichtigung in Bayreuth gab es zunächst einmal nichts besonderes. Die Welt lag, wie am ersten Januar üblich, im Silvester-Kater-Koma. Auch die Straßen und Mülltonnen zeugten noch immer von den Feier- und Böller-Exzessen der letzten Nacht.
In einem Außenbezirk von Bayreuth kamen wir sogar an einer ausgebrannten Mülltonne vorbei, die wahrscheinlich von ein paar achtlosen Kindern in Brand gesteckt wurde. Wirklich erwähnenswert waren an diesem Tag jedoch nur zwei Dinge. Das erste war eine junge Familie, die wir im Park in Bayreuth trafen und bei der der Sohn vom Autark Leben träumte. Das zweite war ein Pärchen, das sich für ein Leben im Zirkuswagen entschieden hatte.

Als Wandermönch und Weltenbummler haben auch wir uns entschieden,autark zu leben.
Wie kann ich aus dem System aussteigen?
Die Mutter der Park-Familie machte nicht gerade einen sympathischen Eindruck und sorgte eher für das Gefühl, die Unterhaltung möglichst schnell wieder beenden zu wollen. Dass wir uns überhaupt auf ein Gespräch einließen, lag an einem einzigen Kommentar, das sie bewusst fallen ließ: „Das ist ja interessant! Mein Sohn hier spielt nämlich auch gerade mit dem Gedanken aus dem System auszusteigen und hat daher noch viele offene Fragen!“

Kann man in Bayreuth autark leben?
Die nächste Generation möchte autark leben
Schon waren wir dabei, denn wenn ein 15jähriger Junge, der normalerweise den ganzen Tag lang zockte, Interesse an einer Sache entwickelte, dann sollte man dies auch unterstützen. Vor allem, wo es eine Sache war, die uns am Herzen lag. Eine Sache zu der wir etwas sagen konnten und die zugleich so entscheidend wichtig für das ganze Leben war. Der Junge hatte sich über das Internet intensiv mit den Hintergründen unseres Systems beschäftigt. Dabei war er zu dem Schluss gekommen, dass es hier keinen Platz für ihn gab. Er konnte natürlich versuchen, sich anzupassen und irgendwie einzugliedern, aber er wusste bereits jetzt, dass ihn dies niemals glücklich oder zufrieden machen, sondern von Grund auf zerstören würde.

Ist eine Stadt wie Bayreuth wirklich das Richtige, wenn man als Systemaussteiger autark leben will?
Seine Mutter versetzte dies in einen unangenehmen Zwiespalt. Denn zum einen konnte sie ihren Sohn und seine Zweifel verstehen. Sie wusste ja, wie sehr sie selbst unter genau den Systempunkten litt, die ihr Sohn aufzeigte. Auf der anderen Seite kannte sie aber auch kein anderes System. Daher war sie überzeugt, dass ihr Junge wie jeder vernünftige Mensch irgendwo seinen Platz darin finden musste. Durch die Begegnung mit uns bekamen sie nun die Gelegenheit, herauszufinden, dass man genau dies nicht musste. So gaben wir ihm eine Art Check-Liste mit Fähigkeiten und Voraussetzungen, die er lernen und erfüllen sollte, wenn er bereit sein wollte, sein eigenes Ding durchzuziehen und autark zu leben.

Ein Junge im Schlosspark von Bayreuth träumt davon autark zu leben.
Wohnen auf dem Sportparkplatz
Wenige hundert Meter, nachdem wir die Autobahn unterquert hatten, wurde Heiko auf ein Wagengespann aufmerksam, das auf einem Parkplatz vor einem abgelegenen Sportheim parkte. Es bestand aus einem Unimog mit festem Aufbau hinter den ein Zirkusanhänger gespannt war. Den Abstand zwischen beiden Wagen hatte man mit einem Holzboden in eine Terrasse verwandelt auf der ein paar Blumen standen. Beide Aufbauten, also sowohl der auf dem Truck selbst als auch auf dem Hänger waren sehr gut gemacht und zeigten, dass ihr Erbauer sein Handwerk verstand. Heiko machte zunächst ein paar Bilder und schlug dann vor, anzuklopfen und zu fragen, ob wir mal einen Blick hinein werfen dürften. Vor allem auch deshalb, weil er wissen wollte, wie laut die Autobahn im Innern hörbar war. Wann bekam man schonmal die Möglichkeit, jemanden zu interviewen, der sich fürs Autark Leben im Zirkuswagen entschieden hatte?

Das deutsche Freimaurer Museum in Bayreuth

Die Freimaurer Loge in Bayreuth
Autark leben als Nomade im Zirkuswagen
Auf unser Klopfen hin öffnete ein recht beleibter und freundlicher Mann mit nacktem Oberkörper, der gerne bereit war uns Fragen zu beantworten und sein Reich zu zeigen. Im Inneren lernten wir dazu noch seine Frau kennen, mit der er zusammen hier lebte. Schon als junger Mann hatte er immer mal wieder in mobilen Heimen gelebt um sich Geld für die Uni zu sparen.
Nun war er auf das Konzept zurückgekommen, weil das Leben im Zirkuswagen für ihn einfach so viel besser funktionierte als in einem festes Haus. Zum einen, weil man so praktisch überall leben konnte und immer alles dabei hatte. Zum anderen, weil es einfach deutlich billiger war. So zahlte er für seinen Stellplatz am Sportheim eine freiwillige Spende von 6€ am Tag. Dafür durfte er sogar die sanitären Anlagen des Platzes nutzen.
Autark leben, aber beliebt bei den Einheimischen
Der Sportverein, dem der Platz gehörte, was dabei äußerst dankbar dafür, dass er hier in autark in seinem Zirkuswagen lebte. Denn seither war es nicht mehr zu Diebstählen gekommen, die sich zuvor gehäuft hatten. Dadurch waren die beiden zu einer Art Maskottchen geworden. Seither wurden sie von den Vereinsmitgliedern mit allerlei Lebensmitteln und anderen Nützlichkeiten versorgt.

In einem Zirkuswagen, der zu so einem luxuriösen Expeditionsmobil umgebaut wurde, lässt es sich gut leben.
Den Truck hatte der Mann selbst gebaut und dies aufgrund seiner Berufserfahrung als Ingenieur auch sehr professionell. Wir merkten ihn uns gleich einmal als Kontakt für die Zukunft vor.

Der ausgebaute Unimog zieht den Zirkusanhänger
Während wir uns unterhielten, stellten wir übrigens fest, dass man die Autobahn im Inneren tatsächlich deutlich weniger hörte, als dies in den meisten Häusern mit gleichem Abstand der Fall war. 15cm Wärmedämmung leisteten hier also offenbar ihren Beitrag. Sie waren auch der Grund, warum der Mann so locker halb nackt hier sitzen konnte. Denn zum ersten Mal seit langem war dies ein Ort, mit einer echten Wohlfühltemperatur. Obwohl die beiden hier ein autarkes Leben im Zirkuswagen führten, lebten sie besser als die meisten Menschen mit großen Häusern.
Spruch des Tages: Es gibt viel mehr Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten, als man denkt
Höhenmeter: 370 m / 290 m / 160 m / 250 m
Tagesetappe: 24 km / 33 km / 24 km / 8 km
Gesamtstrecke: 33.773,27 kmWetter: Kalt, windig gelegentlich leichter Sonnenschein
- Etappenziel Tag 1797: Pfarrhaus, Regnistzlosau, Deutschland
- Etappenziel Tag 1798: Pfarrgemeindehaus, Schwarzbach an der Saale, Deutschland
- Etappenziel Tag 1799: Saunahütte eines Harvenspielers, Gefrees, Deutschland
- Etappenziel Tag 1800: Pfarrgemeindehaus, Bad Berneck, Deutschland
