Weltreise im Low Budget Wohnmobil

von Franz Bujor
28.05.2022 07:09 Uhr

Seit dem Sommer 2021 befinde ich mich auf einer Weltreise mit einem Low Budget Wohnmobil, das ich mir selbst aus einem alten LKW aufgebaut habe. Warum ich das mache, wie es zu dieser Entscheidung kam, welche Erfahrungen ich bisher sammeln konnte und was Sir Lanzelot zu all dem sagt, verrate ich euch hier in diesem Gastartikel bei den Lebensabenteurern.

 
Perfekte Aussicht: Mit Allrad Lada Taiga am Abgrund

Perfekte Aussicht: Mit Allrad Lada Taiga am Abgrund.

 

Ein Roadtrip im Low Budget Wohnmobil durch Südeuropa

Alles begann 2016 mit der Frage, wie lange man eigentlich bis nach Barcelona fahren würde. War es nah genug, um einfach mal einen Abstecher dorthin zu machen? Oder war dieser Gedanke utopisch?

Ein Blick auf die Karte brachte die Erkenntnis, dass man mit dem Auto in gerade einmal rund 20 Stunden dort sein würde, und so beschlossen mein Kumpel Michael und ich kurzerhand, mit meinem alten Lada Taiga und einem selbstgebauten Dachzelt einen Roadtrip durch Südeuropa zu machen.

Urlaub mit dem Lada Taiga nach Barcelona

Urlaub mit dem Lada Taiga nach Barcelona.

 

Unser Weg führte uns quer durch Österreich, Liechtenstein, die Schweiz, Frankreich, Andorra und Spanien bis nach Barcelona. Auf dem Rückweg ging es dann entlang der Südküste Frankreichs nach Italien und von dort wieder zurück nach Österreich. Die Reise war voller Abenteuer und machte uns mehr Spaß, als wir uns hätten träumen lassen. Sogar der Lada hielt durch und ließ uns nie im Stich.

Na gut, vielleicht einmal abgesehen von dieser einen Situation, bei der wir für ein paar Stunden in Barcelona am Strand feststeckten. Aber wegen genau solcher Abenteuer waren wir schließlich auch aufgebrochen. Und am Ende ist ja auch alles gut gegangen. Auch wenn viele das vielleicht anders sehen würden, gehört der Lada Taiga für mich seither ganz klar auf die die Liste der besten Geländewagen der Welt.

Nur am Strand kam die Offroad-Tauglichkeit des Lada Taiga einmal an seine Grenzen

Nur am Strand kam die Offroad-Tauglichkeit des Lada Taiga einmal an seine Grenzen.

 

Wo der Plan schiefgeht, fängt das Abenteuer an!

Gestärkt durch dieses positive Erlebnis wussten wir, so etwas müssen wir wieder machen! Das Jahr darauf war der Balkan dran. An der Küste ging es runter bis ans Schwarze Meer und über Moldawien, Polen und Tschechien wieder rauf nach Österreich. Bei dieser Reise war schon etwas mehr Abenteuer dabei, angefangen vom kaputten Kühler über Zündfehler des Motors bis hin zu extremen Offroadpisten bei ebenso extremen Wetter, mitten in der rumänischen Wildnis. Wenn du dann mitten im Nichts bei strömenden Regen dein Auto versenkst und dir dabei auch noch die Seilwinde abbrennt, dann hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst entweder total verzweifeln oder dich über die Situation freuen. Das klingt jetzt erst einmal merkwürdig, aber in diesem Moment konnte ich tatsächlich spüren, dass ich diese Entscheidung bewusst treffen musste. Gebe ich mich meinen Gedankenstimmen der Angst hin und verfalle in Panik, oder nehme ich die Herausforderung an und mache mich voller Tatendrang und Entdeckungsfreude auf die Suche nach einer Lösung.

Die Balkan-Reise: Mit dem Lada Taiga durchs Dickicht

Die Balkan-Reise: Mit dem Lada Taiga durchs Dickicht.

 

Ähnlich war es auch bei einer Fahrt durch die Pyrenäen, als uns plötzlich und vollkommen unerwartet die Lichtmaschine verreckte. Zum Glück waren wir vorbereitet und hatten für solche Fälle eine zweite als Ersatz dabei - Nur um dann festzustellen, dass diese ebenfalls nicht funktionierte. Also mussten wir improvisieren. Weil zu allem Überfluss draußen noch ein Unwetter tobte, zogen wir uns auf eine öffentliche Toilette zurück und bauten uns aus einem Gasbrenner und einem Taschenmesser einen MacGyver-Lötkolben, mit dessen Hilfe es uns gelang, die Bürsten so umzulöten, dass wir aus den zwei kaputten Lichtmaschinen eine funktionierende machen konnten.

Mit diesem improvisierten Lötkolben, ...

Mit diesem improvisierten Lötkolben, ...

... konnte der Lada wieder repariert werden.

... konnte der Lada wieder repariert werden.

 

Ich könnte jetzt noch unzählige solcher Situationen schildern, in denen ich vor der gleichen Entscheidung gestanden bin. Aber die Erkenntnis für mich war und ist immer wieder dieselbe:  In diesen Momenten zählt nur das Jetzt, alles Andere, alle Alltagssorgen sind egal. Das hat auch etwas unglaublich befreiendes! Mann muss sich nur um sein Auto und die Situationen kümmern, in die man sich damit bringt. Ob nun gewollt oder manchmal auch nicht.

 

Reisen als Lebenssinn

Es folgten mehrere Roadtrips mit meinem kleinen Low Budget Wohnmobil, zunächst wieder mit Michael, später dann mit Christian, einem anderen Freund. Dabei zog es uns ebenfalls wieder hauptsächlich nach Südeuropa und in den Balkan. Auch beim Pothole Rodeo sind wir zweimal gestartet. Insgesamt bereisten wir auf diese Weise rund 30 verschiedene Länder. Für mich wurde immer mehr klar, dass das für mich der Sinn des Lebens ist. Ich will kein Haus, keinen festen Job und keine zwei Kinder, wie es mir die Gesellschaft vorschreibt. Ich möchte die Freiheit spüren, indem ich einfach überall hin fahren kann, wo ich möchte. Ich will die Welt mit eigenen Augen sehen und fühlen und die Leute, Länder und Kulturen in echt und selbst erleben. Nicht, wie es in Film und Fernsehen gezeigt wird. Ich wusste schon immer, irgendwann mache ich eine Low Budget Weltreise und dafür möchte ich mir den Traum vom Allradwohnmobil erfüllen.

Die Trips in den Folgejahren mit dem Low Budget Mobil wurden noch um einiges abenteuerlicher

Die Trips in den Folgejahren mit dem Low Budget Mobil wurden noch um einiges abenteuerlicher.

 

Low Budget Weltreise mit dem LKW?

Der Lada Taiga wahr aufgrund seiner Einfachheit und Größe ein super Fahrzeug für Offroadtouren, aber für eine Weltreise wäre er mir dann doch zu klein gewesen. Und weil ich keine halben Sachen mache, entschloss ich mich, einen gleich einen richtigen Lkw zu kaufen und nicht erst einen Bus auszubauen. Für mich war es schon lange klar gewesen, dass ich einen Mercedes-Benz 1017 haben möchte. Wie ich das ganze finanzieren sollte, war mir noch unklar, aber ich glaubte an das Gute im Leben und an das Gesetz der Anziehung. Wenn mich das Schicksal in Situationen wie damals im Schlamm in Rumänien nicht im Stich gelassen hatte, dann würde es das auch jetzt nicht tun. Und so wusste ich, es wird alles gut gehen. Ich suchte im Internet schon einige Zeit nach passenden Modellen, doch nachdem der Entschluss einmal fest getroffen war, musste ich nicht mehr lange weiter suchen. Durch einen glücklichen Zufall lernte ich Oliver kennen, der mir mit seiner Erfahrung zu Seite stand. Dank seiner Hilfe war der passenden Lkw schnell gefunden und auch genau das, was ich wollte. Ich glaubte an mein Gefühl und habe den LKW noch in derselben Woche gekauft. 12000 € hatte ich gespart und der LKW kostet mich bereits 9990 €. Da blieb also nicht viel übrig, um ihn auszubauen, außer meiner eigenen Arbeitskraft. Aber ich glaubte dran, dass es schon alles irgendwie funktionieren würde.

Das neue Expeditionsmobil ist einsatzbereit!

Das neue Expeditionsmobil ist einsatzbereit!

 

Ein Expeditionsmobil aus einem LKW bauen

Die Heimreise von Deutschland mit dem LKW war gleich mal ein 16-stündiges Abenteuer, das ich gemeinsam mit meinem alten Freund Christian erlebte. Einen LKW-Führerschein habe ich mit 18 Jahren klugerweise gemacht, aber außer in der Fahrschule bin ich eigentlich mit keinem LKW mehr gefahren...

Nun baue ich seit 2019 an meinem LKW in dem ich seit Juni 2021 auch dauerhaft zusammen mit meinem Kater Sir Lanzelot lebe. Den LKW wahr ursprünglich ein Tanklöschfahrzeug mit Doppelkabine und einem 2500-Liter-Wasser-Tank. Anfangs hieß es zuerst einmal, alles Unnötige muss runter und das Fahrerhaus muss gekürzt werden. Ich bin gelernter Bauspengler und bin der Meinung das jeder alles schaffen kann, wenn er nur wirklich an sich glaubt. Den gesamten Umbau, mit allen anfallenden Arbeiten, über Schweißen bis zu Hydraulik, Tischlerarbeiten, Elektronik und Wasserinstallation, habe ich alles alleine oder gemeinsam mit meinem Vater bewältigt.

Das Expeditionsmobil ist nun permanenter Wohnsitz von Martin und Sir Lanzelot

Das Expeditionsmobil ist nun permanenter Wohnsitz von Martin und Sir Lanzelot.

 

Die Eckdaten zum LKW:

  • Gewicht: 10t
  • Leistung: 170Ps
    Unterwegs mit dem Expeditionsmobil

    Unterwegs mit dem Expeditionsmobil

  • Tankvolumen: 475 l Diesel, 400l Trinkwasser, 120 l Grauwasser, 10 l Warmwasser
  • Heizung: je 2 kW elektrische Standheizung für Fahrerkabine und Koffer + Split Klimaanlage + Holzofen
  • Stromspeicher: 200Ah LiFePo4-Akkus
  • Stromgewinnung: 1000 Wp Solaranlage
  • Ausstattung: Außendusche, Toilette, Trommelwaschmaschine, Bett mit 140 x 200, Couch in U Form 200x140x70, Esstisch für 2 Personen
  • Abmessungen: Koffer innen 2,11 x 4,25 und 2,10 m Stehhöhe.
  • Als Wohnkoffer dient ein Aufbau eines Trockenfrachttransporters.
Expeditionsmobil am Strand

Expeditionsmobil am Strand.

 

Leben im selbst gebauten Low Budget Allrad-Wohnmobil

Ich habe alles selbst geplant und umgesetzt, wobei “geplant” vielleicht etwas viel gesagt ist. Letztlich hatte ich ein paar Skizzen und Berechnungen zu Papier gebracht, und schon ging es los. Wichtig war mir vor allem, dass ich mich in der fertigen Kabine auch wohlfühle, daher wahr für mich klar, keine weißen Hochglanzschränke, sondern alles aus Holz und möglichst naturbelassen. Ich bin mit dem Ergebnis sehr glücklich und fühl mich sehr wohl auf meinen gut 7 m², die ich nun auch schon seit Juni 2021 auch dauerhaft mein Zuhause nenne. Besonders froh bzw. stolz bin ich darauf, dass ich die Dusche und das WC getrennt habe und auch das Bett mit der Seilzug Konstruktion ermöglichte es, eine große Liegefläche und zudem eine gemütliche Couch unterzubringen. So können auch mal 2 - 3 Leute zu Besuch kommen und man findet noch Platz. Ein Blickfang ist bestimmt auch der alte Holzofen, den ich nur durch Zufall geschenkt bekommen habe und der gleich perfekt gepasst hat. Er hatte tatsächlich genau die richtige Größe für den Bereich, den ich dafür freigelassen habe.

Man sieht also, alles fügte sich zusammen, auch wenn man sich nicht zuvor ewig den Kopf darüber zerbricht, sondern einfach nur mit positiver Energie an eine Sache herangeht. Man muss wissen, was man tut und darauf vertrauen können, dass es gelingt, dann wird es einem auch gelingen.

Die Küche im Expeditionsmobil

Die Küche im Expeditionsmobil.

 

Weltreise mit Katze

Zuletzt fügte ich noch ein sehr wichtiges Element zu meinem LKW-Home hinzu: Einen selbstgebauten Kratzbaum für meinen Kater Sir. Lanzelot, der ja auch wie ich zu einem permanenten Bewohner des Expeditionsmobils wurde. Auch er liebt das Reiseleben genauso wie ich und er fühlt sich richtig wohl im LKW. Das war auch schon während des Ausbaus so, wo er natürlich fast immer dabei wahr und  wo er sich bereits in der Roh-Kabine so verhielt, als wäre er hier zuhause. Er lief schnurrend durch die Gegend oder lag auf seiner Decke, vollkommen unbeeindruckt von Stichsäge, Bohrmaschine und Co.

Unterwegs mit Reisekatze Sir Lanzelot

Unterwegs mit Reisekatze Sir Lanzelot.

 

Wie finanziert man eine Weltreise im Low Budget Wohnmobil

Auf meiner Facebook Seite gibt es auch in Kürze eine detaillierte Auflistung aller Kosten und der Arbeitszeit, die ich in das Projekt hineingesteckt habe. Mittlerweile werden es ca. 55000 € sein, inkl. Kaufpreis des LKWs. Wenn ihr mich jetzt fragen würdet, ob ich mir das leisten kann, würde ich sagen nein! Doch wie es aussieht, konnte ich es am Ende doch irgendwie. Auch dafür spielte mir das Leben wieder in die Karten, auf verschiedene Art und Weise. So wechselte ich beispielsweise aus augenscheinlich zufälligen Gründen 2021 die Firma. Ich wusste es bei der Entscheidung nicht, aber es stellte sich heraus, dass ich dadurch einen riesigen Berg an angesammelten Überstunden plötzlich ausgezahlt bekam, die ich sonst nur hätte abbummeln dürfen. Dadurch hatte ich eigentlich immer genug Geld, um den Aufbau voranzutreiben und wenn mal kein Geld da wahr, dann gab es noch immer genug Arbeit, die "nur" Zeit kostete, sodass ich dennoch stets vorankam.

Wohnzimmer im Expeditionsmobil

Wohnzimmer im Expeditionsmobil.

 

Wie ist das Leben im Low Budget Wohnmobil?

Alles in allem bereichert das Wohnen und Reisen in meinem selbstgebauten Low Budget Wohnmobil und dessen Aufbau selbst, mein Leben ungemein. Ich konnte mir damit selbst beweisen, dass ich alles schaffen kann, wenn ich es möchte. Oft werde ich gefragt, ob das Leben im LKW mit wenig Geld nicht ein großer Verzicht auf Luxus und Komfort ist und eine Menge Entbehrungen mit sich bringt. Ich denke, das ist aber vor allem eine Frage der Perspektive. So wie es für einen Bürger aus der österreichischen Mittelschicht “Verzicht und Entbehrung” bedeutet, ist mein Low Budget Wohnmobil an vielen anderen Orten der Welt Hightech und Luxus pur. Ich selbst sehe es eher als eine Befreiung von so vielen alltäglichen Sachen, die rund um ein Haus oder Wohnung anfallen. Ich habe bei meinem Auszug aus der Wohnung nur einen kleinen Teil meiner Kleidung und zwei bis drei Erinnerungsstücke mitgenommen, der Rest liegt seither in der Garage meiner Eltern und wird verkauft oder verschenkt. Oft habe ich den Eindruck, dass ein Mensch umso glücklicher ist, je weniger er besitzt. Auf mich trifft das in jedem Fall zu, denn mit jedem Stück Ballast, das ich loswerden durfte, fühlte ich mich freier. Und wenn man alles, was man besitzt, ständig mit sich führen muss, bekommen die Dinge eine andere Bedeutung. Reichtum bedeutet dann nicht mehr, so viel Kram wie möglich anzusammeln, sondern optimal mit dem zurechtzukommen, was man bei sich hat.

Unterwegs mit Reisekatze Sir Lanzelot

Unterwegs mit Reisekatze Sir Lanzelot

 

Wo führt die Low Budget Weltreise hin?

Was meine Weltreise in dem Low Budget Wohnmobil anbelangt, halte ich es genauso, wie ich es auch schon beim Aufbau gemacht habe. Ich zerbreche mir nicht lange den Kopf mit einer Reiseplanung, sondern fahre dorthin, wo es mich gerade hinzieht. Das bedeutet es für mich, wirklich frei zu sein. Die Welt liegt offen vor mir und wenn ich Lust auf einen Ausflug ans Meer habe, dann fahre ich an irgendeinen schönen Strand. Oder es zieht mich in die Berge, in die Steppe oder wieder mal auf einen Roadtrip durch Europa. Es wird sich zeigen, und wenn ihr es mitverfolgen wollt, dann findet ihr alle Informationen darüber auf meiner Facebook-Seite!

Eine große Landkarte gehört in jedes Weltreise-Expeditionsmobil!

Eine große Landkarte gehört in jedes Weltreise-Expeditionsmobil!

 

Wir sehen uns!

Viel Spaß und Lebensfreude

Martin Strohmer

 

Bildergalerien

Hier bekommt ihr noch ein paar weitere Impressionen von meinen Reisen mit dem Lada Taiga:
Weltreise mit dem Auto

Für eine Weltreise mit dem Auto ist der Lada Taiga dann vielleicht doch etwas zu klein.

  Hier ist noch der Rest meiner Roomtour durch das große Expeditionsmobil:  
Ich liebe meinen Lada Taiga

Eine dicke Umarmung für einen treuen eisegefährten!

 

Andere Weltreisende:

Hier findet ihr noch spannende Artikel von anderen Reisenden, die auf ausgefallene Art unterwegs sind:  

Bildquellen:

© Martin Strohmer  

In der Nacht träumte ich immer wieder von meinem kaputten Wagen und davon, dass ich irgendwo in der Walachei damit liegen blieb. Es war, als würde der Wagen, der draußen noch immer unfertig auf dem Kopf lag, in meine Träume kriechen um mir ein schlechtes Gewissen zu machen, weil ich mich nicht bis zum Schluss um ihn gekümmert hatte.

Gleich am nächsten Morgen holte ich dieses Versäumnis nach. Das Problem war nur, dass ich nun neue Scheiben brauchte, mit denen ich die Räder fixieren konnte. Wir hatten zwar eigentlich alles an Material dabei, was wir zum reparieren brauchten, doch aus irgendeinem Grund schienen gerade die nötigen Beilagscheiben zu fehlen. Die einzigen, die ich finden konnte, hatten ein Loch, das zu klein für meine Achse war. Also machte ich mich auf in die nächste Ortschaft und suchte nach einem Anwohner mit einer Bohrmaschine, der bereit war, mir zu helfen. Gleich beim zweiten Haus wurde ich fündig. Der Mann sprach sogar deutsch, weil er lange Zeit in der Schweiz gelebt hatte und er stützte meine Theorie, dass fast alle Handwerker hierzulande einige ihrer Lebensjahre in deutschsprachigen Ländern verbracht hatten. Leider besaß er keinen passenden Bohrer und sein Schraubstock hatte etwa die Größe eines Fingerhutes, aber es war zumindest schon einmal eine Basis, mit der man arbeiten konnte. Mit Schraubstock und Rohrzange hielten wir die Scheibe fest, während immer einer von uns ein Loch hineinbohrte. Dabei musste man jedoch aufpassen, dass man die Bohrmaschine mit dem Griff zur Seite drehte, denn in jeder anderen Position setzte der Motor aus und sie tat keinen Mucks mehr.

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Nach einer guten Stunde und der Hilfe von verschiedenen Bohrern und Feilen gelang es uns dennoch vier brauchbare Scheiben herzustellen. Ich bedankte mich bei meinem Helfer und Kollegen und kehrte zu unserem Lager zurück. Als ich ankam wanderte gerade eine Kuhherde mitten durch unser Camp, ein Anblick über den ich mich bereits nicht einmal mehr wunderte. Früher hatten mir die großen Tiere mit ihren langen, spitzen Hörnen oft Angst gemacht, wenn sie mir zu nahe kamen und sich kein Zaun zwischen uns befand. Seit wir den Balkan erreicht hatten war ihre Anwesenheit so normal geworden, dass ich sie genauso behandelte, wie einen Hund oder eine Katze. Wenn sie einen störten, dann ging man auf sie zu und scheuchte sie ein Stückchen weiter, so wie man es in Großstädten auch mit Tauben macht. Ein Gefühl von Unbehagen war nun längst schon nicht mehr dabei.

Es war bereits kurz nach 12:00 Uhr am Mittag, als wir alles repariert und abgebaut hatten. Die Sonne verschwand immer mehr hinter dicken schwarzen Wolken und es war höchste Zeit aufzubrechen, wenn wir nicht mitten in einen heftigen Regenschauer geraten wollten. Unser Weg führte uns zunächst über eine schmale Schotterstraße noch ein Stück weiter den Berg hinauf und dann auf der anderen Seite wieder hinunter. Teilweise war die Straße komplett versperrt und verschüttet, so dass wir über Geröllfelder, umgestürzte Bäume und Haufen von Schutt und Kies hinwegsteigen mussten, um weiterzukommen. Am Himmel brauten sich die Wolken zu einer unheilvollen schwarzen Masse zusammen, die ohne jeden Zweifel bald in einen Gewittersturm übergehen würde. Wenn wir dabei nicht vollkommen im Schlamm versinken wollten, dann mussten wir diesen Teil der Wegstrecke hinter uns gelassen haben, bevor es soweit war.

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Als hätte das Wetter unsere Bitte erhört, wartete es mit dem Regen noch genau bis zu dem Moment, in dem wir wieder festen Asphalt unter den Füßen hatten. Dann fielen die ersten Tropfen. Vor uns lag nun die letzte Ortschaft vor der Grenze. Sollten wir also hier bleiben und unser Zelt aufschlagen? Wenn ja, dann mussten wir uns tierisch beeilen, denn wenn der Regen einmal angefangen hatte, hatten wir keine Möglichkeit mehr, noch irgendetwas trocken unterzubringen. Als ein kleiner Laden auftauchte entschieden wir uns endgültig dagegen. Stattdessen fragten wir lieber nach einem Picknick und genau in dem Moment, als wir das Vordach des Ladens erreichten, prasselte der Regen auf die Erde hernieder. Der Ladenbesitzer bot uns an, auf einem Sofa neben seiner Eingangstür Platz zu nehmen und brachte uns etwas Obst. Brot hatte er nicht, doch anstatt uns zuzumuten dass wir darauf verzichten mussten, rannte er durch den Regen zu einem anderen Laden und besorgte sich dort ein Baguette, dass er uns anschließend schenkte. Dazu gab es Käse und Wurst. Besser hätten wir den Regenschauer also nicht überwinden können.

Nach dem Essen warteten wir noch eine knappe halbe Stunde, bis es sich einigermaßen beruhig hatte, dann zogen wir weiter zur Grenze.

Und genau in dem Moment, in dem wir die Grenze überschritten, hörte der Regen plötzlich auf.

„Wie funktionierte das denn?“ fragten wir uns. Gab es eine Art internationales Abkommen, dass es den Wolken aus dem Kosovo verbot, über die Grenze nach Mazedonien einzureisen?

Auf unserem Weg zur mazedonischen Seite der Grenze kamen wir an einer Art Wasserbecken vorbei. Autos, die von einem Land ins andere wechselten mussten dort hindurchfahren, wahrscheinlich, damit der Unterboden von möglichen Keimen oder ähnlichem gereinigt wurde. Jedes Mal, wenn ein Auto durch dieses Becken fuhr, gab es eine ordentliche Fontaine, mit der das Wasser zu beiden Seiten herausspritzte.

„Das ist ja cool!“ kommentierte Heiko und wollte sofort ein Foto machen. Er drehte also um und zückte die Kamera um auf das nächste Auto zu warten. Genau in diesem Moment erschien der mazedonische Grenzposten in unserem Sichtfeld und schaute uns misstrauisch an. Sofort kam er mit schnellem Stechschritt auf uns zu marschiert und fragte uns, was wir denn hier anstellten.

„Mein Kollege will nur ein Foto von dem Auto dort machen, wenn es durch die Wasserpfütze fährt!“ erklärte ich freundlich.

„Aha!“ sagte der Mann, der diese Idee nicht sonderlich beeindruckend fand, „Und wo kommt ihr her?!“

„Aus dem Kosovo!“ antwortete ich und deutete auf das entsprechende Grenzhäuschen.

Plötzlich fing der Mann an zu lächeln und gab seine ernste, missgünstige Haltung auf.

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„Ach so!“ sagte er, „ich dachte, ihr seit gerade von dort aus dem Wald gekommen und hatte schon Angst ihr versucht euch illegal ins Land zu schmuggeln. Aber wenn das so ist, dann macht nur schnell euer Foto und kommt mit zur Passkontrolle!“

Man mag über Mazedonien sagen, was man will, aber dass sie einem keinen freundlichen Empfang bereiten, kann man ihnen nicht vorwerfen. Unser erster Eindruck von dem Land war durchweg positiv und wenn es so weiter ging, dann wurde es sicher ein schöner Aufenthalt.

Leider schützte uns die Grenze am Ende doch nicht vor den Regenwolken. Es blieb noch eine ganze Zeit lang trocken doch bald schon kam auch hier das Gewitter herüber und beschenkte uns mit einem heftigen Regen. Als wir unser Zelt aufbauten, war es schon fast dunkel. Wir entdeckten eine etwas versteckte Apfelwiese zwischen zwei aneinander liegenden Dörfern, auf der wir unser Lager errichten konnten. Bei meiner anschließenden Essensrunde stellte ich fest, dass das Mazedonische bereits wieder sehr nah ans Serbische herankam. Ich konnte mich also wieder deutlich leichter verständigen, als im Kosovo.

Es regnete die ganze Nacht durch, doch als wir am Morgen aufstanden war es wieder trocken. Wir wanderten über kleine Feldwege mitten durch eine weite Flachebene, die sich landschaftlich nicht besonders vom Kosovo unterschied. Langsam aber sicher kam immer mehr eine Herbststimmung auf. Das Jahr neigte sich dem Ende zu und der Sommer schien nun endgültig vorbei zu sein. Als wir eine kleine Stadt erreichten, stellten wir fest, dass diese zum ersten Mal seit langem sogar wieder ganz nett aussah und dass man sogar recht angenehm durch sie hindurch schlendern konnte. Alte Erinnerungen wurden in uns wach. Dass es tatsächlich einmal eine Zeit auf unserer Reise gab, in der wir uns Städte angeschaut hatten und dies auch noch gerne und freiwillig, konnten wir uns kaum noch vorstellen.

So plötzlich wie die Stadt vor uns aufgetaucht war, so plötzlich war sie auch wieder verschwunden. Die Straße wurde wieder zu einem Feldweg und weiter ging es durch das Hinterland bis in die nächste kleine Ortschaft. Nachdem wir auch diese verlassen hatten, kamen wir mitten in eine Baumschule in der vor allem Garten- und Zierpflanzen großgezogen wurden. In den Reihen mit den Buchsbäumen standen Maschinen, die über das komplette Feld fuhren konnten und die Bäume vollautomatisch in ihre typische, kugelrunde Form brachten, die man von Parks und Stadtgärten kennt.

„Stopp!“ rief ein Mann aus dem offenen Fenster eines Autos heraus, das uns entgegen kam. „Ihr könnt ihr nicht durchgehen! Da vorne endet der Weg und ihr kommt dort nicht weiter!“

Meine Karte meinte zwar etwas anderes, aber vielleicht hatte ich mich ja auch vertan. Immerhin waren wir kurz zuvor durch ein Tor geschritten und die Chancen standen nicht schlecht, dass die Männer Recht hatten. Also kehrten wir um und versuchten den Weg, der neben der Baumschule entlang führte. Dass dieser ebenfalls im Nichts endete und dass die Baumschule wirklich die einzige Verbindung zwischen dieser und der Nachbarsortschaft war, sollten wir erst am nächsten Morgen herausfinden. Denn für heute reichte es uns mit der Wanderung uns so beschlossen wir unser Zelt gleich nebenan in einem Maisfeld aufzubauen.

Da es noch immer bewölkt war und wir mit unseren Stromreserven weitgehend am Ende waren, kehrte ich noch einmal ins Dorf zurück um dort nach einer Stromquelle zu suchen. Der Besitzer eines kleinen Gemischtwarenladens ließ mich an einem Tisch im hinteren Teil seines Geschäftes arbeiten. Ich schrieb an diesem Tag über das Thema von Paulina, bei dem es ums Erkennen, Aufwachen und anschließend wieder Einschlafen ging, um erneut in den alten Mustern zu landen. Zunächst bemerkte ich es nicht, doch diese Themen, die ich von mir selbst nur allzu gut kannte, nahmen mich deutlich mehr mit, als ich es für möglich gehalten hätte. Obwohl es noch immer recht warm war, bekam ich beim Schreiben eine Gänsehaut und später wurde mir sogar so kalt, dass ich einen leichten Schüttelfrost bekam. Ich zitterte bereits am ganzen Körper, wollte aber den Text unbedingt noch fertig schreiben und versuchte meinen Kälteschub daher zu unterdrücken. Im Nachhinein betrachtet war das sicher nicht die schlauste Idee die ich jemals hatte, denn für den Rest des Tages wurde ich den Schüttelfrost nicht mehr los. Ich zitterte wie ein Schlosshund als ich mich wieder auf den Weg zum Zelt machte und auch meine kurzen Joggingeinlagen konnten nichts daran ändern. Nur wenn ich mich wirklich entspannte und mich ganz bewusst auch die Wärme in meinem Inneren konzentrierte, hörte das Zittern auf. Sobald ich aber nur ein bisschen die Konzentration verlor, war ich wieder beim Alten.

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Sofort legte ich mich in meinen Schlafsack und hüllte mich in alles ein, was ich finden konnte. Nach einer guten halben Stunde, die ich mich im Schlafsack aufgewärmt hatte, stand ich noch einmal auf um zu kochen. Doch essen konnte ich nichts, denn zur Kälte kamen nun auch noch Magenkrämpfe hinzu und im Laufe des Abends wurden die Symptome immer heftiger. Ich war nun auf dem gleichen Stand wie Heiko vor unserem Hotelaufenthalt. Mir war übel und schwindelig und ich hatte einen Durchfall, wie er heftiger kaum vorstellbar war. Am Ende kam nur noch ein grüner Schleim heraus, der nicht so aussah, als hätte er überhaupt irgendetwas in meinem Darm verloren gehabt. Heiko bestätigte aber, dass es bei ihm vor ein paar Tagen genau das gleiche gewesen war. Die Nacht über musste ich immer wieder nach draußen um eine Sauerei im Schlafsack zu verhindern und wie zuvor Heiko hatte nun auch ich mit dem Problem zu kämpfen, dass dadurch jedes Mal meine Kälteattacken wieder anfingen. Vor allem aber wurde mir bei jeder Bewegung schlecht, was irgendwie ungünstig war, wenn man aus einem Zelt krabbeln musste. Kurz vor dem Morgengrauen ging mir dann auch noch mein Waschlappen verloren, den ich zum Hintern abwischen benutzte. Eine Weile versuchte ich, ihn in der Dunkelheit wieder zu finden. Dann gab ich es auf und hoffte einfach, dass mein Darm nun bis zur Dämmerung durchhalten würde.

Trotz der enormen Kälte verspürte ich die Nacht über immer wieder eine große Hitze in der Mitte meiner Brust. Irgendetwas ging in mir vor. Es war keine einfache Magen-Darm-Erkrankung. Etwas arbeitete in mir. Und zwar ordentlich!

 

 

Spruch des Tages: Wieder ein neues Land

 

Höhenmeter: 260 m

Tagesetappe: 27 km

Gesamtstrecke: 12.462,27 km

Wetter: überwiegend sonnig

Etappenziel: Altes Pfarrhaus, 87061 Campana, Italien

Hier könnt ihr unser und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Als ich schließlich alles erledigt hatte, war es schon kurz nach vier Uhr morgens. Ich legte mich hin und obwohl ich hundemüde war, konnte ich nicht gleich einschlafen. Meine Füße waren kalt und irgendwie war ich wohl noch zu sehr aufgewühlt. Dementsprechend wurde die Nacht für mich nicht ganz so erholsam, wie ich gehofft hatte, aber gelohnt hatte sie sich trotzdem. Ich schaffte fast alles, was ich hatte erledigen wollen und Heiko fühlte sich am Morgen wieder deutlich besser. Sein Magen war noch immer etwas empfindlich, aber ansonsten ging es ihm wieder gut.

Der Tag wurde brütend heiß, genau wie der letzte, nur dass wir es dieses Mal mitbekamen. Schatten gab es wenig und da man die Hitze noch mehr spürte, wenn man stehen blieb, wanderten wir weiter und weiter. Das was wir in den letzten Tagen nicht gewandert waren, holten wir nun an einem einzigen Tag nach. Schließlich erreichten wir dadurch sogar das Ende der Flachebene und gelangten in die Berge, die die Grenze zwischen dem Kosovo und Mazedonien markierten.

In einem kleinen Dorf kamen wir an so etwas ähnliches wie eine Einkaufsstraße. Dort fragten wir nach Wasser und etwas Nahrung, wobei wir unter anderem zwei Feldverpflegungspakete des albanischen Militärs geschenkt bekamen.

Als wir schließlich den Pass erreichten, suchten wir uns nach einem Schlafplatz um. Zum ersten Mal in diesem Land waren wir an einer Bar vorbei gekommen, in der auch Alkohol getrunken wurde und einige der Gäste hatten ausgesehen, als wollten sie noch länger Party machen. Daher brauchten wir einen Platz, der wieder deutlich geschützter war und bei dem wir uns sicher sein konnten, nicht von nächtlichen Trunkenbolden überrannt zu werden.

Gerade als wir glaubten, einen geeigneten Platz gefunden zu haben, stolperten wir über eine Picknickgesellschaft. Es war eine Familie mit drei oder vier Männern, ihren Frauen und einigen Kindern.

„Mirëdita!“ rief einer der Männer und als er merkte, dass wir Deutsch und Englisch sprachen lud er uns ein, am Picknick teilzunehmen. Wir bekamen wieder das pfannkuchenartige Gebäck und dazu einige gegrillte Hähnchenschenkel, sowie eingelegte Peperoni. Eine der Frauen sprach ebenfalls Englisch und nachdem wir uns eine Weile über unsere Reise und alles mögliche unterhalten haben, fiel das Gesprächsthema auf die Situation in Syrien und auf den Flüchtlingsstrom, der nach Europa kam. Schon einige Male hatten wir von Einheimischen hier zulande gehört, dass die Flüchtlingssituation problematisch sei. Wir hatten bislang jedoch nie verstanden warum, denn der Kosovo war ja eigentlich nicht davon betroffen. Dieses Mal verstanden wir es jedoch. Seit dem Kosovokrieg lebten noch immer viele Kosovoalbaner in Deutschland, weil ihr Asylrecht noch immer bestand hatte. Nun, da die Flüchtlinge aus Syrien in die Bundesrepublik kamen, wurden alle alten Asylanträge noch einmal geprüft um herauszufinden, ob sie überhaupt noch benötigt wurden. Um Platz für die neuen brauchte, mussten die alten also größtenteils wieder ausreisen, was ja an sich auch nicht verwerflich war, da der sich Konflikt im Kosovo ja bereits vor Jahren wieder beruhigt hatte. Das Asylrecht war ursprünglich dafür gedacht, Menschen in einer akuten Notsituation in ihrem Land Zuflucht zu gewähren. Doch für die Kosovoalbaner stellte sich die Situation etwas anders da. Für sie war Deutschland eine Möglichkeit, aus dem hiesigen System auszubrechen und ihre Familien mit finanziellen Mitteln zu versorgen, die sie sonst nie aufbringen würden. Darüber, dass diese Möglichkeit nun plötzlich wegfiel, waren sie natürlich überhaupt nicht begeistert.

Auch das Gespräch mit dem Mann, der uns eingeladen hatte, war auf seine Art und Weise einzigartig und interessant. Er war Polizist und obwohl er zurzeit nicht im Dienst war, trug er dennoch seine Waffe bei sich. Es war eine Glock und als Heiko ihn darauf ansprach holte er sie hervor und präsentierte sie stolz.

Heiko kannte sich durch seinen Jagdschein, den er vor einigen Jahren als Zulassungsvoraussetzung für seine Ausbildung zum Nationalparkranger machen musste, ein bisschen mit Waffen aus und konnte den Mann daher einige technische Details fragen, von denen ich nichts verstand. Begeistert vom Interesse des Fremden drückte der Polizist Heiko die Knarre in die Hand und ließ ihn ein wenig damit herumspielen.

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„Im Magazin sind 14 Patronen, plus eine im Lauf. Man kann also fünfzehnt Schuss auf ein Mal abfeuern, bevor man nachladen muss“, erklärte der Polizist und gab Heiko daraufhin auch noch das Magazin.

„Keine Angst!“ fügte er hinzu, als er meinen leicht irritierten Blick bemerkte, „Sie ist nicht geladen.“

„Darf ich auch mal?“ fragte ich, denn langsam hatte mich die Neugier gepackt. Noch nie zuvor hatte ich eine echte Pistole in der Hand gehabt.

„Klar!“ antwortete der Mann und reichte mir die Knarre. „Mein Sohn spielt auch immer damit!“

Ich wog sie ein bisschen in der Hand. Sie war recht schwer, aber auch wieder nicht so schwer, wie ich vermutet hätte. An sich war es nichts Besonderes, aber ein komisches Gefühl machte es dennoch. Rein theoretisch konnte ich nun einen Menschen töten, in dem ich nun nur noch meinen Zeigefinger bewegte. Irgendwie machte mich der Gedanke etwas nervös. War sie wirklich ungeladen?

„Vorsicht!“ rief der Polizist, als ich den oberen Teil der Waffe zurück schob, so wie die Cops es im Fernsehen immer machen, wenn sie sich auf einen Schussvorbereiten. Erschrocken wich ich zurück und nahm die Finger von der Waffe.

„Nein, nein, es passiert nichts!“ beruhigte er mich, „du musst nur aufpassen, dass du dir nicht die Finger klemmst, denn du durchlädst. Schau hier!“

Er deutete auf eine Stelle am Schieber und demonstrierte, wie leicht es war, die Haut der eigenen Finger von der Waffe einsaugen zu lassen. Es sei ihm schon einige Male passiert und tue wirklich weh, erklärte er dabei. Dann steckte er die Pistole wieder ein und wir wechselten das Thema.

Unter anderem sprachen wir auch über die Wasserqualität und dem vielen Müll hierzulande. Dies sei ein riesiges Problem, pflichteten uns alle Anwesenden bei. Die Leute hätten einfach kein Gefühl für Sauberkeit und würden leider überall ihren Müll liegen lassen. Es sei traurig, aber man könne es leider nicht ändern. Zum Glück jedoch war es hier oben in den Bergen noch relativ sauber, deswegen könne man hier auch das Wasser noch ohne Bedenken trinken.

Keine fünf Minuten später lösten wir die Picknickrunde auf und verabschiedeten uns. Die anderen packten alles zusammen, was noch verwertbar war und ließen den Müll, den sie durch ihr Picknick verursacht hatten einfach achtlos zurück. Wir konnten es nicht fassen.

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Nachdem wir unser Zelt schließlich an einem sicheren Ort aufgebaut hatten, machten wir uns noch einmal an eine Reparatur unserer Wagen. Es sollte keine große Sache werden, vielleicht ein paar Minuten, nur um die Bremsen zu reparieren, bevor es morgen dann hinunter ins Tal ging. Doch so leicht es sich zunächst angehört hatte, so komplex gestaltete sich schließlich alles. Meine Steckachsen waren angerostet, weil unsere Distanzscheiben nicht so Rostfrei waren, wie sie es hätten sein sollen. Das Ergebnis war, dass sie sich nicht mehr aus der Achse lösen wollten und wir die komplette Bremsanlage abbauen mussten, bevor wir die Reifen demontieren konnten. Anschließend verbrachte Heiko über eine Stunde damit, die Reifen von den Steckachsen zu trennen, während ich mich um die Erneuerung der Bremsscheiben kümmerte. Fast schon sah es so aus, als würde es nicht funktionieren. Ich traute mich kaum, mir auszumalen, was das für meinen Wagen bedeutet hätte, doch schließlich machte es Plopp und die Achse war wieder frei. Nur dämmerte es nun bereits, so dass wir nicht mehr die Möglichkeit hatten, meinen Wagen auch wieder zusammenzubauen. Wir mussten ihn liegen lassen und warten bis es am Morgen wieder hell werden würde. Auch zum Kochen war es nun etwas zu spät. Gut also das wir heute schon einiges gegessen hatten und dass man uns gerade an diesem Tag mit einem Militäressen versorgt hatte. Dieses war, wenn man der Verpackung glauben schenkte, innerhalb von Sekunden vollkommen unkomplex zubereitet, so dass es jeder Depp konnte. Genau richtig fürs Militär also. Dummerweise verstanden wir einen Teil der Anleitung nicht und stellten uns daher noch etwas deppiger an, als es von den Entwicklern dieser Notnahrung erwartet worden war. Am Ende erhielten wir ein lauwarmes Fertiggericht, mit dem man sogar die Müllhunde hätte vertreiben können. Spannend war es trotzdem, vor allem um einmal festzustellen, was von Seiten des Militärs unter sinnvoller Powernahrung für Soldaten verstanden wurde. Das Päckchen bestand zu gut 60% auf Verpackungsmaterial, Plastikbesteck und Frischtüchern. Der Rest teilte sich in eine Portion Chili-Con-Carne, ein Päckchen Erdnussbutter, verschiedene Sorten von Keksen und Kräckern, ein Pulver für ein Süßgetränk und eine Portion mit Vitamin-Präparaten in Pulverform auf. Bis auf die Erdnussbutter entsprach alles dem Ruf, der dem Militäressen vorauseilte. Um das Essen zu erwärmen, musste man einen kleinen Schluck Wasser in eine Tüte mit einer Chemikalie gießen, die daraufhin anfing zu reagieren und alles um sie herum erwärmte. Dann kam die Tüte mit dem Essen hinein und man wartete, bis es eine Temperatur von lauem Urin erreicht hatte. Guten Appetit!

 

 

Spruch des Tages: Mit Waffen spielt man nicht! Oder doch?

 

Höhenmeter: 450 m

Tagesetappe: 9 km

Gesamtstrecke: 12.435,27 km

Wetter: sonnig und bewölkt im Wechsel

Etappenziel: Altes Pfarrhaus, 87060 Caloveto, Italien

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Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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