Tag 529: Vorbereitung auf die Herde

von Heiko Gärtner
13.06.2015 22:35 Uhr

Noch rund 1 Monat bis Paulina zu uns stößt!

Heute gibt es aus zweierleih Gründen nur einen sehr kurzen Tagesbericht. Zum einen, weil nicht wirklich viel passiert ist und zum anderen, weil wir gerade von einem Hotel eingeladen wurden, in dem wir nun wieder einmal Internet haben. Daher versuche ich mich kurz zu fassen, um die Berichte der letzten Tage einzustellen und um die Strecke für die nächsten Tage rauszusuchen. Denn langsam aber sicher müssen wir unsere Zusammenkunft mit Paulina planen. Bislang hieß es immer einfach: „Wir treffen uns dann irgendwo in Kroatien oder Griechenland, doch mit einem Blick auf die Karte wurde nun deutlich, dass beides eher unrealistisch ist. Auf Kroatien sind wir schon sehr bald wieder raus und bis nach Griechenland sind es noch gut 600km auf direktestem Weg. Wenn wir weiter einen Schnitt von rund 15km am Tag wandern, dann schaffen wir es nicht mehr bis zu Paulinas Ankunft.

Auf der anderen Seite stellt sich natürlich auch die Frage, wie Paulina mit ihrem Wagen und dem ganzen Zusatzgepäck, dass sie noch mitbringen möchte, überhaupt so weit reisen kann. Mit dem Zug wird es schwierig und auch Mitfahrgelegenheiten mit so viel Platz sind kaum zu bekommen. Gleichzeitig müssen wir eine Stadt finden, die groß genug ist, damit man eine gute Verkehrsanbindung hat, die aber auf der anderen Seite auch nicht so groß ist, dass man es darin nicht aushält. Und schließlich sollte es noch ein Ort sein, der nicht gerade für seine hohe Kriminalität oder das Gewaltpotential seiner Einwohner bekannt ist, denn wir wollen Paulina ja recht gerne auch in einem Stück bei uns haben. Gut portioniert in kleinen Haufen würde sie wohl kaum eine Bereicherung für unsere Herde darstellen.

Nach einigem Hin und Her haben wir eine Busgesellschaft gefunden, die direkt von München bis in eine Kleinstadt in Mazedonien fährt. Diese liegt an einem See, hat 15.000 Einwohner und schaut zumindest auf den Bildern im Internet recht manierlich aus. Außerdem befindet sie sich in einer Flachebene, in der man gut zelten kann, für den Fall, dass einer von uns auf den oder die anderen warten muss. Alles in allem sieht es nach dem idealen Treffpunkt aus, vor allem, wenn unsere Information stimmt und die Mazedonier wirklich so herzliche Leute sind. Das einzige, das nun noch geklärt werden muss ist, ob die Busgesellschaft so viel Gepäck zulässt. Wenn sie das tut ist alles geritzt. Wenn nicht, dann brauchen wir einen wirklich guten Plan B.

Abgesehen von dem Telefonat mit Paulina war der Tag wie gesagt nicht besonders ereignisreich. Wir bekamen noch ein tolles Frühstück von Mirijan und seiner Frau Marija. Dabei wurden wir auch noch Zeuge, wie sie ein weiteres Hausrezept anrührte, das sich als sehr wirkungsvoll erwiesen hat. Man benötigt dafür lediglich unreife Walnüsse, die geviertelt und dann im Verhältnis 1:2 in flüssigen Honig eingelegt werden. Das ganze bleibt dann in einem geschlossenen Einmachglas mehrere Tage stehen, bis der Honig die Inhaltsstoffe aus den Nüssen gezogen hat. Der daraus entstandene Sirup ist ein gutes Hausmittel für Erkältungen und Husten, sowohl vorsorglich als auch im akuten Fall.

Nachdem wir uns verabschiedete hatten wanderten wir zunächst für einige Kilometer weiter den Berg hinauf und dann auf der anderen Seite wieder herunter, bis wir an eine Felsklippe kamen. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick über eine Flachebene, die bis zum Horizont reichte. Auf unserer Seite der Ebene befand sich ein großer, flacher See, der bis in die Mitte hinein bewachsen war. Davor bildeten die schroffen Felsen mehrere Krater von denen einer wiederum mit Wasser gefüllt war, so dass ein strahlend blauer Kratersee entstand.

Wenige Kilometer weiter erreichten wir unser Etappenziel für heute. Da der Pfarrer wieder einmal nicht da war, legten wir uns neben seiner Kirche auf eine Bank und machten einen Mittagsschlaf. Doch auch nach über einer Stunde war er noch immer nicht aufgetaucht. Mit Pfarrern hatten wir hier einfach kein Glück. Wir wanderten also weiter, suchten und ausreichend Wasser und Nahrung für eine Zeltnacht zusammen und hielten Ausschau nach einem geeigneten Platz zum Campieren. Dabei stolperten wir zufällig über das Hotel Zdilar. Der Besitzer sprach nur wenig Deutsch und es dauerte eine Weile, bis ich ihm mit Hilfe einer Dolmetscherin überhaupt erklärt hatte, worum es uns ging. Dann schüttelte er den Kopf, sagte einige Dinge, die in meinen Ohren nach „Nichts da!“ klangen und verschwand hinter seinem Rezeptionstresen. Für mich war klar, dass dies eine Absage war, doch als er sich wieder umdrehte, legte er einen Zimmerschlüssel vor mich auf die Anrichte.

Spruch des Tages: In einem Monat sind wir zu dritt!

 

Höhenmeter: 250m

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 9547,77 km

Wetter: sonnig und heiß, am Morgen leicht bewölkt

Etappenziel: Hotel Zdilar, 21260 Imotski, Kroatien

Gerade als wir es uns in unserem Apartment gemütlich gemacht hatten, kam unser Gastgeber mit einer schlechten Nachricht herein. Am kommenden Morgen war Markttag und es waren verschiedene Händler angereist, die eine Unterbringung für die Nacht brauchten. Da diese für die Unterkunft zahlten und wir nicht, mussten wir aus unserer Behausung wieder ausziehen.

„Aber macht euch keine Sorgen, wir haben noch andere Räume, in denen ihr übernachten könnt.“

Er führte uns in den Innenhof und von hier aus in die erste Etage eines Hauses, wo wir ein Gästezimmer bekamen. Es war nicht ganz so schön wie das Apartment, aber zum Schlafen war es ebenfalls ok. Erst später merkten wir, dass es doch gewisse Haken hatte. Das Apartment im Erdgeschoss hatte Schallschutzfenster gehabt, die den Straßenlärm abschirmten. Dieser Raum hatte nur ganz normale Fenster durch die man den Eindruck bekam, man saß mitten auf der Straße. Außerdem war das Doppelbett, das in diesem Zimmer stand so kurz, dass wir nicht komplett hinein passen. Es hatte aber oben und unten jeweils eine hohe Kante, so dass man seine Füße auch nicht nach außen hängen konnte. Es blieb also nur die Möglichkeit, mit angewinkelten Beinen oder mit abgeknicktem Kopf zu schlafen. Beides führte nicht gerade dazu, dass wir heute besonders erholt aufwachten.

Da wir mit dem Apartment auch unsere Küche verloren hatten, durften wir die private Küche unserer Gastgeber nutzen. Ich habe in meinem Leben schon viele verdreckte Küchen gesehen und nicht wenige davon hatte ich selbst in dieses Chaos gestürzt. Diese Küche aber überstieg alles, was ich je erlebt habe. Sie war sogar schmutziger und unordentlicher als die Gemeinschaftsküchen in dem Studentenwohnheim, in dem ich einmal gelebt hatte und das will wirklich etwas heißen. Jede Etage dort hatte eine einzige Küche für alle Bewohner und nur die Küche des vierten Stocks war überhaupt nutzbar. In allen anderen musste man die Herdplatten mit einem Spaten unter der Peke freikratzen. Meine Eltern haben mir damals sogar einen kleinen Ofen für mein Zimmer geschenkt, weil sie Angst hatten, dass ich an einer Lebensmittelvergiftung sterben würde, wenn ich die Küchen auch nur betrat. Und diese Angst war wahrscheinlich berechtigt.

Keine dieser Küchen hatte jedoch so ausgesehen wie der Raum, den ich gestern Abend betreten durfte. Der Herd war unter den Unmengen an schmutzigem Geschirr nicht einmal mehr sichtbar und der Tisch war wahrscheinlich das letzte Mal abgewischt worden als Kroatien noch ein Teil von Jugoslawien war. Gut also, dass wir einiges gewohnt und nicht allzu pingelig waren. Ich säuberte einen Topf und ein Brettchen und machte mich daran, unser Gemüse zu zerschneiden, währen unser Gastgeber gemeinsam mit seinem Vater für so viel Ordnung sorgte, dass ich den Herd nutzen konnte.

Als ich nach der Küche gefragt hatte, hatte mir unser Gastgeber auch noch einige Kartoffeln angeboten. In den nächsten zwanzig Minuten kam er mit einigen Zwiebeln, Eiern und einer Knoblauchknolle herein und verschwand dann immer wieder. Kartoffeln brachte er jedoch nicht. Im Nachhinein glaube ich, dass er wahrscheinlich festgestellt hatte, dass sie gar keine Kartoffeln hatten, es sich jedoch nach dem Angebot nicht mehr zu sagen traute und daher hoffte, dass ich es einfach vergaß.

Als ich fragte, ob wir den Ofen benutzen könnten, schaute er mich unsicher an und meinte: „Der Ofen? Oh, ich bin nicht sicher, ob der funktioniert.“ Er öffnete ihn und warf einen Blick hinein. Unter dem ganzen verbrannten Fett konnte man den eigentlichen Ofen kaum mehr erkennen.

„Willst du den wirklich benutzen?“ fragte er dann. Ganz so sicher war ich mir nun auch nicht mehr.

Dann kam der Vater herein, sah das wir am Ofen herumhantierten und rief: „Nicht den Ofen! Lasst lieber die Finger davon! Keiner weiß, ob er funktioniert!“

Also hielten wir uns an den Herd. Von einer Nachbarin hatten wir zuvor ein Hühnchen geschenkt bekommen, dass ich nun versuchte, in einer Pfanne gar zu bekommen. Durch brachte ich es schließlich, aber es wurde dabei so zäh, dass man nicht einmal mehr mit einer Gabel hineinstechen konnte. Die Schweineohren, die wir in Spanien bekommen hatten, hatten sich dagegen zart angefühlt. Das komplette Muskelfleisch war wie reine Knorpel- oder Sehnenmasse und es war fast unmöglich, etwas davon herunterzubeißen. Zunächst fragte ich mich, was ich wohl falsch gemacht hatte. Hatte es daran gelegen, dass ich es in der Pfanne mit zu wenig Öl und mit einem Deckel darauf gebraten hatte? Öl war in diesem Haus leider ebenfalls Mangelware und auch unser eigenes war fast aufgebraucht, so dass ich nur etwas Schweinefett verwenden konnte. Hatte ich es vielleicht zu stark oder nicht stark genug gebraten? Oder hatte es daran gelegen, dass es noch etwas gefroren war?

Später telefonierten wir noch einmal mit Heikos Mutter, die uns schließlich die Lösung präsentierte. Meine Zubereitung war sicher alles andere als optimal gewesen, doch nichts davon hätte dazu führen dürfen, dass es so endete. Es hätte trocken, pfade, verbrannt oder halb roh sein können, aber nicht so gummiartig. Wenn es diese Konsistenz hatte, dann musste es sich dabei um ein altes Suppenhuhn gehandelt haben. Dies waren Hühner, die eigentlich nicht des Schlachtens wegen sondern für die Eier gehalten wurden, die aber irgendwann so alt und ausgelaugt waren, dass sie als Legehenne nicht mehr funktionierten. Wenn man ihr Fleisch noch nutzen wollte, dann musste man es über mehrere Stunden hinweg kochen und anschließend vom Knochen lösen. Anders wurde das Fleisch ungenießbar. Das erklärte natürlich einiges. Doch uns kam noch ein anderer Gedanke. Dieses Huhn war ein relativ glückliches Legehuhn gewesen, dass in einem privaten Garten leben durfte. Wie musste wohl das Fleisch von alten Legebatterie-hennen sein, die aufgrund von Altersschwäche aussortiert wurden?

Abgesehen von besagtem Hühnchen bekamen wir aber dennoch ein sehr gutes Abendessen zustande. Nur die Frage, wie die eigentlichen Bewohner des Hauses in dieser Küche kochen konnten, blieb uns ein Rätsel. Überhaupt war es schwierig zu verstehen, wie man so ein schönes, großes Anwesen haben konnte, um es dann so verfallen zu lassen.

Vor dem Schlafengehen schafften wir es sogar, nach langer Zeit wieder einmal eine Massagesession einzuführen. Dabei mussten wir feststellen, dass unser Gummihuhn verglichen mit uns sogar noch richtig flexibel war. Ich weiß nicht warum wir uns in letzter Zeit so extrem verspannt haben, aber es war so übel, dass einfach alles schmerzte, egal wo man hin griff.

„Super,“ meinte ich selbstironisch, als Heiko mit meinem Rücken fertig war und ich wieder einigermaßen Luft bekam: „Falls jemand irgendwelche Informationen aus mir herausbekommen will, braucht er mich jedenfalls nicht zu foltern. Bei mir reicht einfach eine Massage!“

Der Markttag war leider nicht ganz so hilfreich, wie wir am Abend gehofft hatten, denn wie sich herausstellte war es kein Paradies aus Obst- und Gemüsehändlern, sondern ein Gemischtwarenmarkt, auf dem ausschließlich Kleidung, Töpfe, Werkzeuge und anderer Kram verkauft wurde, den man nicht essen konnte.

Wir mussten uns also mit leerem Magen auf den Weg machen und hatten nur Glück, dass wir kurz darauf an einem großen Kirschbaum vorbei kamen, der uns für den Rest der Strecke versorgte. Kurz bevor wir unser Etappenziel erreicht hatten, sprach uns ein älterer Herr an und fragte auf deutsch, ob wir nicht etwas trinken wollten. Wasser war im Moment immer eine Gute Idee und der Mann wirkte freundlich, also nahmen wir die Einladung an.

Der Mann hieß Mirian und lebte gemeinsam mit seiner Frau in einem großen schönen Haus mit einem ausgefallenen Garten. Letzterer war uns bereits zuvor aufgefallen, weil er so gänzlich anders aussah, als alle Gärten, die wir bislang hier gesehen hatten. In der Mitte des Gartens stand ein Baum, an dessen Äste lauter Werkzeuge und andere Haushaltsgegenstände gebunden waren. Überall auf der Rasenfläche standen verschiedene Objekte, teils Figuren, teils antike Haushaltsgegenstände, die den Garten verzierten. Mirian hatte hier alles mit viel Liebe zum Detail so gestaltet, dass jeder Fleck seines Heims ein Kunstwerk wurde.

Wir setzten uns in den Wintergarten und seine Frau brachte uns Rührei von den eigenen Hennen mit Speck und als Vorspeise einen hauchdünn geschnittenen Fisch in Öl. Beides war sehr lecker. Beim Essen begann Marijan von seinem Leben zu erzählen. Bereits vor dem Jugoslawienkrieg hatte er das Land verlassen und hatte lange Zeit in Deutschland gelebt. Er war unter anderem Kellner und später Oberkellner in verschiedenen deutschen Nobelrestaurants in München und später in Offenbach gewesen und hatte schließlich sogar sein eigenes Restaurant gegründet. Seit seiner Jugend war er ein Lebenskünstler, der viele Hoch- und Tiefphasen erlebt hatte und der das Leben selbst immer als seine Schule angesehen hatte.

Kurz nachdem er geheiratet hatte, hatte er einem Freund sein letztes Geld geliehen, weil dieser behauptet hatte, in Not zu sein. Doch er war mit den 15.000€ durchgebrannt und so stand Marijan mit seiner jungen Familie vollkommen mittellos dar. In einem Restaurant, das er gut kannte, wollte er den Besitzer um etwas Geld bitten und geriet dabei zufällig in ein Gespräch, dass der Restaurantbesitzer gerade mit einem Fremden führte. Der Fremde war gerade dabei, begeistert vom Lottospielen mit System zu erzählen und wollte auch Marijan dazu überreden. Als dieser erklärte, dass er kein Geld hatte, winkte der Fremde nur ab und meinte, dass er die Kosten für Marijan übernehmen würde. Es war das erste und letzte Mal, das Marijan Lotto spielte und genau genommen machte er es ja nicht einmal selbst. Doch die Wettgemeinschaft des Fremden hatte 5 richtige und gewann eine ordentliche Summe, die sich die Mitglieder der Gemeinschaft zu gleichen Teilen teilten.

„Ratet mal, wie viel ich dabei gewonnen habe!“ forderte uns Mirian mit einem Schmunzeln auf, beantwortete sich seine Frage dann aber doch lieber selbst: „15.000€, also genau das Geld, das ich zuvor verloren habe. Bis heute hab ich das Geld von meinem Freund nie zurückbekommen, aber für mich ist es dennoch ausgeglichen. Das ist es, was ich unter Gott verstehe, nicht das, was die Kirche erzählt. Gott ist für mich eine positive Kraft, die das Gleichgewicht im Universum hält und die eine Ordnung im Chaos erschafft. Auch wenn wir es nicht immer verstehen, irgendwie wird immer alles ausgeglichen.“

Vor sieben Jahren dann war es ihm und seiner Frau gesundheitlich immer schlechter gegangen, so dass sie den Restaurantbetrieb nicht mehr weiter führen konnten. Sie hatten ihn daher verkauft und waren hier her zurückgekommen, wo sie von der Berufsunfähigkeitsrente und von den Erlösen aus dem Restaurant lebten. Seither versorgten sie sich weitgehend selbst. Später führte uns Mirian stolz durch sein Reich und zeigte uns all die Beete mit alten und seltenen Sorten von Kartoffeln, Tomaten und vielen anderen Früchten. Alles, was in seinem Garten stand hatte er entweder günstig von Schrottplätzen erstanden, oder selbst gebaut und dann wieder so aufpoliert, dass es in neuem Glanz erstrahlte. In seiner Garage standen zwei alte Ferrari-Traktoren, die er für wenige hundert Euro als Schrott erstanden und nun zu neuem Leben erweckt hatte. Daneben befand sich ein Schuppen, in dem sich ein richtiges kleines Museum befand.

Schließlich zeigte er uns noch den Hühnerstall, in dem die munteren kleinen Vögel herumliefen. Die Hähne hatten hier noch richtig kräftige, aufrecht stehende Kämme, wie man sie sonst nur noch selten sah. Ob Marijan mit seinem Garten und den Tieren nun weniger Arbeit hat, als im Restaurant, ist fraglich, doch man merkt, dass er mit liebe dabei ist und dass er die Dinge entspannt angeht.

„Wisst ihr,“ meinte er auf dem Weg zurück zum Haus, „als wir hier ankamen und den Hühnerstall bauten, haben die Leute oft sehr komisch geschaut und sich gefragt, warum wir uns denn Hühner halten, obwohl wir gar nicht so arm sind. Hühner sind normalerweise ein Zeichen dafür, dass man kein Geld hat um sich Essen aus dem Supermarkt leisten zu können, aber für mich ist es etwas anderes. Für mich ist es sehr wertvoll, wenn man sich selbst versorgen kann und weiß, wo sein Essen her kommt.“

Er erzählte uns auch, dass er hier im Dorf einige Neuerungen eingeführt hatte. Es gab viele alte, alleinstehende Frauen, die kaum Rente bekamen und daher in einfachen verschlagen lebten. Er hatte damit begonnen, für sie kleine Wohnungen zu bauen und sie mit richtigen Toiletten, mit Strom und fließend Wasser auszustatten. Die Leute hatten nicht schlecht gestaunt, weil er dafür kein Geld haben wollte. Er wollte keine Bezahlung, dafür aber schaffte er es, die Talente der angehörigen so zu organisieren, dass das Projekt von alleine floss. Wenn sich jemand mit Elektrizität auskannte, dann half er mit, dafür dass seine Oma auch versorgt wurde. Auf der anderen Seite fand sich dann wiederum ein Klempner und so weiter. Später hatten sie dann einen Kirchenchor gegründet. Als eine der älteren Mitglieder, die keine Verwandten und fast keine Freunde hatte, verstarb, hatte er die Idee, dass der ganze Chor auf ihrer Beerdigung anwesend sein und dort auch singen sollte. Erstaunt stellten die anderen Dorfbewohner fest, dass gerade jene Frau, die schönste Beerdigung bekommen hatte, von der jeder glaubte, sie würde fast alleine beigesetzt. Es dauerte nicht lange und jeder in der Gegend wollte, dass der Chor auf seiner Beerdigung sang.

Nach der Führung erzählte er uns noch eine andere spannende Sache. Seine Frau hatte lange Zeit mit Eisenmangel zu kämpfen gehabt und die Ärzte hatten ihr verschiedene Medikamente verschrieben, die aber alle mehr geschadet als geholfen haben. Irgendjemand hatte sie dann eines Tages auf ein altes Hausmittel aufmerksam gemacht, dass sie seither sehr erfolgreich verwendeten.

Es bestand einfach darin, kleine Eisennägel mit etwas Zucker in Rotwein zu kochen und so einen Sud anzusetzen. Zunächst brauchte man dazu kleine Eisennägel, die man gründlich abwusch, damit keine Öle oder andere ungesunde Materialen aus der Herstellung an ihnen haften. Anschließend nimmt man 250g von den Nägeln und gibt sie in einen Topf mit 2l Rotwein und 600g Zucker. Das ganze wird dann über einen langen Zeitraum zum kochen Gebracht, bis eine sirupartige Substanz entsteht. Die Nägel werden nun abgesiebt und der Rest wir in einer Glasflasche aufgefangen. Täglich nimmt man nun einen Esslöffel davon am Vormittag und einen am Nachmittag ein und bereits nach einer Woche, haben die Blutwerte wieder ihren Normalzustand erreicht. Ideal ist es, wenn man die Mischung noch mit etwas Rote-Bete-Saft und mit Brombeeren und/oder anderen Waldbeeren anreichert, die beide ebenfalls viel Eisen sowie wertvolle Antioxidanzien enthalten.

Das Rezept funktionierte so gut, dass es sogar von den ansässigen Ärzten empfohlen wird.

Schließlich lud uns Mirian sogar ein, dass wir die Nacht hier verbringen durften. Wir konnten duschen und seine Frau warf sogar unsere Wäsche in die Waschmaschine. Das letzte Mal, dass wir eine Maschinenwäsche bekommen hatten, lag so weit zurück, dass ich mich fast nicht mehr daran erinnern kann. Ich glaube es war in Italien, aber ganz sicher bin ich mir nicht.

Spruch des Tages: Es kommt nicht darauf an was du hast. wichtig ist in erster Linie wie du es bekommen hast. (Terry Pratchet)

Höhenmeter: 210m

Tagesetappe: 12 km

Gesamtstrecke: 9526,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Gästezimmer von Marijan, 21257 Lovreć, Kroatien

Mit Kučiće hatten wir den höchsten Punkt des Canyons erreicht. Von hier aus ging es also zunächst wieder bergab, bis wir mit dem Wasser erneut auf einer Höhe waren. Hier fanden wir nun auch die Einstiegsstellen für die Rafting-Gruppen. Unter einem Baum machten wir ein Picknick und schauten dabei der Einweisung für die Paddeltour zu. Wir verstanden nicht viel, was der Instrukteur erzählte, doch besonders kurz fasste er sich mit seiner Ansprache nicht. Fast eine halbe Stunde standen die Teilnehmer neben dem Gummiboot, das Paddel in der Hand und warteten darauf, dass es endlich losgehen konnte. Dann endlich wurden die Boote ins Wasser gelassen und die Teilnehmer durften darin Platz nehmen. So lässig, wie sie auf dem Rand des Bootes saßen konnte kein echtes Wildwasser auf sie zukommen. Auch der Guide, der in jedem Boot saß, verriet, dass „Rafting“ hier ein sehr großes Wort für einen netten kleinen Ausflug war. Die Teilnehmer hielten ihre Paddel in alle Richtungen und hantierten damit, als wollten sie das Wasser hypnotisieren. In einer ernsthaften Gefahrensituation hätte der Guide also keine Chance, das Boot zu steuern und auf seine Teilnehmer konnte er sich kaum verlassen. Aber sie schienen ihren Spaß zu haben und glaubten, dass sie etwas Großes erleben würden und darum ging es ja schließlich auch.

Kurz darauf kamen wir am vorläufigen Ende des Canyons an. Hier ragte ein gewaltiges Wasserkraftwerk in die Höhe, dass mit laut summenden Turbinen Strom erzeugte. Das Tor zu der Anlage stand offen und so wagten wir einen Blick hinein. Innerhalb von Sekunden kam jedoch der Wachmann und schrie uns an. Wir grüßten ihn freundlich, aber er war nicht besonders gut gelaunt.

„Policija!“ rief er immer wieder und machte dabei eine Geste, die symbolisierte, dass wir in Handschellen abgeführt würden, wenn nicht verschwanden. Besonders glaubwürdig war das nicht, aber wir zogen uns dennoch wieder auf die andere Seite des Zaunes zurück. Kaum hatten wir das Grundstück verlassen, schloss sich hinter uns mit einem lauten Rattern das Tor.

Etwas seltsam kam uns die Sache schon vor. Die Anlage war ja kein Hochsicherheitstrakt sondern ein Wasserkraftwerk mitten in einer Touristenregion. Warum also war es den Menschen so wichtig, dass niemand etwas davon zu Gesicht bekam? Andernorts wurden in solchen Kraftwerken ja sogar Führungen angeboten. Und wenn man verhindern wollte, dass die Touristen einem hier auf die Nerven gingen, dann konnte man doch auch einfach ein Schild mit „Betreten verboten“ aufhängen. Ob es hier wohl etwas gab, das verborgen werden sollte?

Für uns war der entspannte Teil der Reise mit dem Erreichen des Wasserkraftwerkes jedoch aus einem anderen Grund vorbei. Von hier an wand sich die Straße in Serpentinen den kompletten Berg wieder hinauf, den wir zuvor heruntergegangen waren.

Hoch über dem Canyon, an der obersten Spitze des Felsens über dem Wasserkraftwerk stand eine kleine Kapelle, die von einem gewaltigen Jesuskreuz überragt wurde. Der Jesus blickte uns bereits von weitem entgegen, als wir den Berg hinaufgekeucht kamen und trotz seiner misslichen Lage zauberte er uns sofort ein Lächeln ins Gesicht. Dies lag an seiner sonderbaren Haltung. Seine Arme waren natürlich wie immer am Kreuz ausgebreitet, doch seine Beine führten nicht gerade nach unten, sondern waren seitlich gebeugt. Dadurch sah er auf eine skurrile Art aus, als würde er Sirtaki tanzen. Der Bildhauer musste also entweder ein großer Fan des griechischen Volkstanzes gewesen sein, oder zumindest einen besonderen Sinn für Humor gehabt haben.

Wenige Meter weiter kamen wir an eine Feuerwehrstation, an der wir einen Mann trafen, der uns ein kleines Apartment zur Verfügung stellte. Es wurde normalerweise nicht vermietet, sondern war eher ein Gästebereich für Verwandte, die zu Besuch kamen. Hier konnten wir unsere Sachen abstellen und noch einmal eine Runde durch den Ort drehen. Dabei konnten wir uns nicht nur das Wasserkraftwerk von oben anschauen, sondern gelangten auch zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man einen guten Blick in den unzugänglichen Teil des Canyons hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite rauschte der Fluss in einem gewaltigen Wasserfall die Klippen hinunter. Unten konnte man einige kleine, gelbe Punkte erkennen. Es waren die Helme einer Gruppe, die gerade auf einer Canyoning-Tour war und eine Einweisung bekam, wie man die Felsen erklimmen, oder sich davon abseilen konnte.

Später in unserem Apartment schauten wir uns unsere Wagen noch einmal genauer an. Irgendwie musste eine Lösung für die verbogenen Deichseln her. Heikos Vater hatte bereits einen Schlosser ausfindig gemacht, der bereit war uns zu unterstützen. Doch damit kamen natürlich wieder einmal Kosten auf uns zu, die wir nicht einkalkuliert hatten. Trotz der Spenden, die wir in den vergangenen eineinhalb Jahren von allen Seiten bekommen haben, befindet sich mein Kontostand nach der letzten Reparatur- und Umbauaktion mit den Wagen nun auf einem neuen Tiefpunkt. Wenn nun wieder unerwartete Kosten aufkommen, dann wird es langsam wirklich mau. Vor allem, wenn ich bedenke, dass mir langsam sogar die Unterhosen ausgehen. Daher möchte ich an dieser Stelle noch einmal fragen, ob ihr uns nicht vielleicht noch einmal mit einer kleinen Spende unterstützen könntet.

So es fällt mir immer noch genauso schwer wie früher, aber jetzt ist es raus. Die Ersatzteile, die wir für unsere Pilgerwagen bekommen haben, haben rund 350€ gekostet und das Material von Hans noch einmal ungefähr das Selbe. Wenn 35 Leser nur 10€ spenden würden, dann hätten wir die Kuh schon mal wieder vom Eis. Wenn es 70 Leser wären, dann würden wir wieder auf Null kommen und bei 71 wäre sogar noch eine Badehose drin.

Wenn nichts kommt, ist es auch ok, dann kommt es sicher von einer anderen Seite. Doch wenn ihr uns unterstützen möchtet, dann wären wir euch wirklich dankbar. Dabei fällt mir ein, ihr müsstet dafür gar nicht unbedingt etwas spenden, ihr könntet uns auch unterstützen, wenn ihr einige Sachen in unserem neuen, noch unfertigen und zugegebener Weise unglaublich hässlichen Heilungsshop oder bei einem unserer anderen Partner finden würdet.

Vielen Dank schon einmal im Voraus.

Spruch des Tages: Der einzige Grund, nicht ein erfülltes Leben zu leben: NICHT DARAN ZU GLAUBEN! (David Tatuljan)

 

Höhenmeter: 190m

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 9514,77 km

Wetter: sonnig und heiß, abends kurzer, kräftiger Regenschauer mit Gewitter

Etappenziel: Gästezimmer eines Feuerwehrmannes, 21255 Zadvarje, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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