Tag 1488 bis 1491: Geldwechseln unmöglich
Fortsetzung von Tag 1487:
So richtig verrückt zu werden begann es, als wir versuchten unsere letzten Pfund aus England und Schottland in Euro umzutauschen, damit wir den Computer davon bezahlen können. Wir hatten vermutet, dass man dafür einfach eine Bank aufsucht, das ausländische Geld auf den Thresen legt und dafür die heimische Währung zurückbekommt. Doch weit gefehlt. Die Frau am Schalter teilte uns stattdessen folgendes mit: "Es tut mir leid, aber wie machen hier generell keine Geldgeschäfte! Ich bin nur für Versicherungen da. Aber ich frage kurz eine Kolegin!" Sie ging auf die andere Seite des Raumes und kam kurz darauf zurück:
„Nein", sagte sie, "also einen Geldwechsel von Pfund Sterling in Euro machen wir hier überhaupt nicht! Außer für unsere eigenen Kunden natürlich. Soweit ich weiß gibt es in Frankreich auch keine Bank, die so etwas für Fremdkunden anbietet. Das einzige, wo sie es vielleicht versuchen könnten, wäre die Post!“
Leicht irritiert von dieser Aussage fasste ich die Situation noch einmal zusammen: "Verstehe ich Sie richtig? Ich bin hier an einem Bankschalter, an dem man nur Versicherungen bekommen kann und die einzige Möglichkeit finanzielle Geschäfte mit ausländischer Währung abzuwickeln ist bei der Post?"
"Genau!" bestätigte die Frau!"
"Ok, sagte ich mit leichtem Unverständnis in der Stimme. "Dann hätte ich nun aber doch noch eine wichtige Frage!"
"Nur zu!" erwiderte die Dame.
"Wo muss ich dann hin, wenn ich eine Briefmarke brauche?"
Kurz drauf erreichten wir die Post und sprachen hier erneut mit einer Dame am Schalter. Prinzipiell würden sie Geld wechseln, stimmte sie zu und schaute sich unsere Pfund an. „Was ist denn das?“ fragte sie misstrauisch und rümpfte die Nase, als ihr Blick auf die frischen, schottischen Banknoten fiel. „So etwas habe ich ja noch nie gesehen!“
"Ich bin nicht ganz sicher!" antwortete ich sarkastisch, "aber soweit ich weiß, nennt man das Geld. Ja, man kann erstmal wenig damit anfangen, aber man kann es in der Regel recht gut gegen nützlichere Dinge eintauschen!"
Die Frau schaute mich mit einem beeindruckend humorlosen Gesichtsausdruck an und ignorierte den Kommentar.
Wir versicherten ihr, dass es sich bei den Scheinen um ganz legale aktuelle Banknoten aus Schottland handelte und dass die Bank of Schottland genauso Teil des britischen Finanzmarktes sei, wie die Bank of England. Es gab also keinen Grund, diese Scheine nicht gegen Euro einzutauschen.
Doch die Frau sah das anders. Sie verschwand mit einem Bündel unseres Geldes in einem Hinterzimmer und kehrte kurz darauf mit zwei Bündeln wieder zurück. Eines bestand aus all unseren schottischen Scheinen, das andere aus zwei kleinen Scheinchen, die wir noch von England und in alten Noten bekommen hatten.
"Diese hier kann ich euch eintauschen", sagte sie und deutete auf die zwei Scheine, "die anderen kenne ich nicht, deshalb kann ich sie auch nicht annehmen!"
Könnt ihr das glauben? Wir versuchten hier nicht, eine seltende Währung aus einem bei uns unbekannten afrikanischen Zeergstaat umzutauschen, sondern Banknoten eines der wirtschaftlich wichtigsten EU-Mitgliedsstaaten und dennoch bissen wir hier auf Granit.
Da half auch kein Meckern und Zetern, sie wollte einfach nicht und so verließen wir die Bank wieder genau so, wie wir sie betreten hatten. Naja, vielleicht ein klein wenig frustrierter.Es blieb uns also nichts anderes Übrig, als das Geld mit zu nehmen und irgendwann einmal in Deutschland auf das Projektkonte einzuzahlen.
Fortsetzung folgt...
Spruch des Tages: Versicherungen von der Bank, Geld von der Post... Wir sind wahrlich eine Fesellschaft, die Verrückte macht!
Höhenmeter 74m / 90m / 20m / 32m
Tagesetappe: 12km / 22km / 15km / 18km
Gesamtstrecke: 27.925,27km
Wetter: Kalt und Windig
Etappenziel 1: Städtisches Veranstaltungshaus, Christiansfeld, Dänemark
Etappenziel 2: Gemeindehaus der Kirche, Vonsild, Dänemark
Etappenziel 3: Pfarrhaus, Kolding, Dänemark
Etappenziel 4: Kirchliches Gemeindehaus, Snoghöj, Dänemark
22.11.2017
Der heutige Tag wird wohl als einer der speziellsten in die Geschichte dieser Reise eingehen. Man könnte ihn den tag des Wahnsinns nennen, aber auch den tag der Erkenntnisse, denn er brachte sowohl jede Menge Möglichkeiten, vollkommen verrückt zu werden, als auch Gelegenheiten um wahnsinnig viel zu lernen.
Es begann in der nacht damit, dass mein Computer in der Nacht den Geist aufgab. So wie zwei Jahre zuvor mejn MackBook, zeigte er mir lediglich noch einen schwarzen Bildschirm an, wenn ich ihn einschaltete. Der Laptop selbst war vollkommen in Ordnung und funktionierte einwandfrei, man konnte es nur nichts mehr sehen. Vor einigen Tagen war das Problem bereits ein erstes Mal aufgetreten, doch er hatte sich zunächst wieder gefangen und wirkte als sei nun wieder alles in bester Ordnung. Bis heute Nacht!
Ein kurzes Flimmern am Abend leitete den Anfang vom Ende ein. Kurz darauf blieb er Bildschirm eine ganze Weile Dunkel, bevor er sich wieder beruhigte und als ich nach unsere Filmabend mit meiner Nachtphase beginnen wollte, blieb er vollkommen schwarz.
Nach einigen ebenso erfolglosen wie verzweifelten Versuchen, das Geschehen rückgängig zu machen und meinen Computer wieder zum Laufen zu bringen, musste ich einsehen, dass es an der Zeit war über Alternativlösungen nachzudenken. Der Computer war nun 2 Jahre alt und hatte insgesamt nur etwas mehr als 200€ gekostet. Es war also eher unrealistisch, dass es sich lohnen würde, ihn zu reparieren. Wahrscheinlich musste ein neuer Computer her und dementsprechend schaute ich mich nach einer Stadt in der Nähe um, in der wir eine Chance hatten, etwas in dieser Richtung zu finden. Metz, als größte Stadt der Region lag natürlich sinnvollerweise gerade hinter uns und fiel als Bezugsquelle daher aus. Die nächstgrößere Stadt auf unserem Weg hieß Thionville, bzw. Diedenhofen, wenn man sich an den Deutschen Namen hielt. „Diedenhofen“ dachte ich beim Lesen auf der Karte, „was für ein lustiger Name!“ Wäre ich schlau gewesen, hätte ich diesen Gedanken etwa folgendermaßen weiterführen können: „Oh, und was für ein Deutscher Name! Warum hat die Stadt einen deutschen Namen? Ohja, weil wir uns schon fast in Deutschland befinden. Nur etwa dreißig Kilometer hinter der Stadt befindet sich die Grenze. Na da ist es doch das sinnvollste, den direkten Weg nach Deutschland zu suchen, zwei Tage mit dem iPad zu arbeiten und dann einen neuen Computer mit deutscher Tastatur zu kaufen!“
Leider war ich nicht so schlau und deshalb endete mein Gedankengang bereits beim lustig machen über den Namen. Ein Umstand den ich in den folgenden Wochen und Monaten noch oft bereuen sollte.
Doch dieser Gedanke kam nicht in meinen Sinn, da er ganz offensichtlich meiner selbstzerstörerischen Tendenz widersprach, in der ich mich zur Zeit, oder besser nun schon seit etwa einem Jahr befinde.
Dazu muss ich doch noch ein klein wenig ausholen, denn es ist offenbar im Moment mein zentralstes Thema, oder besser das Thema, das alle anderen miteinander Verbindet. Ein wichtiger Punkt dabei ist das Schuldgefühl, das seit dem Kontaktabbruch mit meinen Eltern noch immer in mir steckt und dass ich nicht loslassen kann, weil ich mein altes Leben in diesem Freundes- und Familienverbund noch immer als real betrachte. Ich glaube noch immer, dass ich Tobias bin, der sich einen neuen Namen gegeben hat und der dadurch, seine Freunde und Verwandten verstoßen hat, wodurch er ihnen viel Leid und Unrecht bescherte. Für dieses Leid fühle ich mich nun schuldig und die Schuld in mir sorgt dafür, dass ich unterbewusst alles daran setzte, mich selbst und uns als Herde zu sabotieren und auszubremsen, damit alles so schwer wie möglich geht und damit das Leid möglichst hoch und die Freude möglichst gering ist.
Dieses Prinzip löst dann lauter weitere Programme aus. Ich verstricke mich in negativen Gedanken, die mir Energie und Zeit rauben, werde langsam und unproduktiv, was mich in Stress und Hektik versetzt und vieles mehr. Heute wurden all diese Mechanismen besonders deutlich, allen voran die Wahl einer hässlichen lauten Stadt in Frankreich, kurz vor der Grenze, anstelle einer vergleichbaren aber erfolgversprechenderen in Deutschland.
Fortsetzung folgt...Spruch des Tages: Nicht schon wieder ein Blackout!
Höhenmeter 13m / 43m / 73m / 52m
Tagesetappe: 14km / 13km / 10km / 12km
Gesamtstrecke: 27.858,27km
Wetter: Kalt und Windig
Etappenziel 1: Gemeindeaus der Pfingstkirche, Hellevad, Dänemark
Etappenziel 2: kleines Gemeindehaus auf dem Friedhof, Vojens, Dänemark
Etappenziel 3: Kirchliches Gemeindehaus, Sommerstedt, Dänemark
Etappenziel 4: Kirchliches Gemeindehaus, Stepping, Dänemark
21.11.2017
Die Stadt Metz markiert in unserer Erinnerung einen wichtigen Wendepunkt zu Beginn unserer Reise. Sie war unser erstes großes Etappenziel auf dem Weg nach Santiago und außerdem die erste große Stadt im Ausland, in der wir uns irgendwie orientieren mussten.
Wenn wir in unseren Erinnerungen zurückkehren, dann verbinden wir mit unserem Aufenthalt in dieser Stadt die Begegnung mit einer unwahrscheinlich hübschen und sympathischen Frau an einer Bushaltestelle, einen vollkommen misslungenen Versuch, eine Privatadresse in der Innenstadt zu finden, mit nichts als der Karte, die sich in unserem Jakobsführer befand, ein unerwartetes Wiedersehen mit alten Bekannten, die wir einige Tage zuvor beim Besuch einer ebenso chaotischen wie herzlichen Jägersfamilie kennengelernt hatten, eine unverhoffte Pause bei McDonnalds, eine wilde Autofahrt, bei der uns der Weg an unser Ziel gezeigt wurde, eine Wanderung, bei der wir weit nach Einbruch der Dunkelheit das Apartment von Adrian, unserem Gastgeber erreichten, ein erholsames und stärkendes Abendessen und eine witzige, informative und interessante Stadtführung unseres Gastgebers, bei der er uns mit einem Car-Sharing-Wagen von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gebracht hat.
Ich erinnere mich auch noch an Fußschmerzen, die dazu führten, dass ich kaum Laufen konnte, aber dennoch sind all diese Erinnerungen Grund-positiv. (Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, könnt ihr euch dazu ja noch einmal unseren Tagesbericht von Tag 32 ansehen.)
Metz zu besuchen war anstrengend gewesen, aber es war ein Erlebnis, das man nicht missen sollte. Alles in allem, war uns die Stadt dabei zudem sehr schön erschienen und hatte später noch oft als Gegenpol fungiert um festzustellen, dass andere Städte eher hässlich waren. „Vergleich das hier mal mit Metz und Nancy! – Das sind ja Welten!“ war beispielsweise ein beliebtes Kommentar geworden, wenn wir eine unangenehme Großstadt erreichten.
Heute sollten wir nun wieder unsere Füße und Räder über die Schwellen der Stadtgrenze setzen, doch dieses Mal zeigte sich die Metropole von einem ganz anderen Licht. Obwohl wir bis zum Schluss auf einem Fahrradweg wandern durften, der an sich sehr schön gewesen wäre, wurde die Wanderung vom permanenten Autobahnlärm überschattet, der so stark war, dass uns fragten, wie wir ihn beim ersten Mal hatten überhören können. Auch in der Stadt selbst waren die Autos und Trucks die rund fünfhundert Meter entfernt vorbeirauschten permanent präsent.
Ohne ein festes Ziel und ohne eine Verabredung schien es zudem unmöglich und auch nicht allzu erstrebenswert, hier einen Schlafplatz zu finden. Und ohne unseren Stadtführer waren wir gezwungen, die Wege zwischen den einzelnen Sehenswürdigkeiten zu laufen, wodurch wir einige Seiten der Stadt zu Gesicht bekamen, die ganz und gar nicht mehr schön und angenehm waren.
Es dauerte kaum zehn Minuten, bis wir vor uns selbst zugeben mussten: Metz war eine ganz normale Großstadt in Autobahn Nähe, mit allen dazugehörigen Vor- und Nachteilen. Es gab hier nichts, weshalb wir hier bleiben wollen würden. In unserer Erinnerung hatten wir diese ganze Gegend also offenbar stark romantisiert. Oder jetzt gerade lagen wir einer äußerst unromantischen Wirklichkeits-Verzerrung auf, die mal wieder das Gedankenmuster von „alles ist schlecht“ stärken sollte.
Einen kleinen Stadtrundgang sowie eine Pizza-Pause ließen wir uns dennoch nicht nehmen, bevor wir uns wieder an die Weiterreise machten. Leider wurde die Geräuschkulisse nicht besser.
Die Autobahn entfernte sich bis auf sieben Kilometer von uns, ohne dabei merklich leiser zu werden. Kurioserweise tauchte nach einer knappen Stunde eine weitere Autobahn auf, die unseren Weg kreuzte, die wir jedoch auch 100m Meter vor der Unterführung kaum hören konnten. Es war also ganz offensichtlich möglich, leise Autobahnen zu bauen. Fragte sich nur, warum man sich hier so vehement dagegen entschieden hatte.
Wie bereits beim ersten Besuch der Stadt dauerte es auch heute wieder bis zum Abend, ehe wir eine Übernachtungsmöglichkeit fanden. Dieses Mal durften wir im Haus eines Pfarrers in einem kleinen, industriell geprägten Vorort nächtigen, der durch eine Hügelkuppe leicht vom Autobahnlärm abgeschottet wurde.
Unser Gastgeber wurde uns von der Frau im Rathaus als eine Art Hausmeister angekündigt, der im Pfarrhaus lebt, wenn der Pfarrer nicht da ist. Als wir den Mann kennenlernten, stellten wir jedoch fest, dass er selbst Pfarrer war.
Die Bemerkung der Sekretärin war offenbar nicht informativer, sondern viel mehr rassistischer Natur gewesen, denn der Pfarrer stammte aus dem afrikanischen Staat Togo. Es stimmte, dass es noch einen weiteren Hauptpfarrer gab, der für die ganze Region zuständig war, aber der junge Afrikaner war nun hier für das Dorf zuständig, offenbar wollte die Rathausmitarbeiterin diesen Umstand noch nicht akzeptieren und beharrte weiterhin auf ihren alten, gewohnten und vor allem einheimischen Pfarrer.
Der junge Togoaner hatte es nicht leicht, wie man aus seinen Erzählungen heraushörte. Nicht nur, dass es schwer war, von den Einheimischen anerkannt zu werden, er selbst konnte sie auch nicht wirklich verstehen.
„Nach meiner ersten Messe dachte ich, ich sei kaputt und hätte mein Handwerk verlernt!“, erzählte er, „Normalerweise konnte ich immer erstklassige Messen führen, die die Menschen mitrissen und begeisterten.
Es war normal, dass man beim Gottesdienst in Tränen oder Jubelschreie ausbrach und jeder fieberte bei den Gebeten und Gesängen mit um die Verbindung zu Gott und Jesus tief zu spüren. Hier hingegen ist es, als hielte man einen Vortrag vor einer Leichenhalle.
Die meisten Menschen schauen einen nicht einmal richtig an, sondern starren zu Boden, zählen die Dielenbretter an der Decke oder lesen irgendwelche Schriftzeichen die sie im Kircheninneren entdecken.“
Heiko und ich mussten lachen. „Ja!“ sagte ich, „das ist das normale Verhalten vorn Europäern in der Kirche, das wirst du kaum verhindern können!“
Er lachte auch und meinte:. „Ja, inzwischen habe ich das auch verstanden und mache mir keinen Kopf mehr deswegen, aber die erste Male war es wirklich ein Schock!“
Spruch des Tages: Besuche niemals einen Ort zweimal, denn das frustriert nur.
Höhenmeter 36m / 17m / 80m / 10m
Tagesetappe: 15km / 17km / 16km / 15km
Gesamtstrecke: 27.809,27km
Etappenziel 1: Evangelisches Gemeindehaus, Bov, Dänemark
Etappenziel 2: Gemeindehaus der Kirche, Tnglev, Dänemark
Etappenziel 3: Gemeindehaus der Kirche, Uge, Dänemark
Etappenziel 4: Gemeindehaus der Kirche, Hjordkaer, Dänemark