Tag 1584 bis 1587: Hümmlinger Pilgerweg

von Heiko Gärtner
31.07.2018 05:41 Uhr

 13.01.2018

Für einen Tag waren wir nun also wieder Pilger, wenngleich auch keine Jakobspilger wie üblich, sondern Hümmlinger Pilger. Wie Christian es uns angekündigt hatte führte der Weg wirklich durch ein sehr schönes Wald- und Heide-Gebiet. Die Wege waren zum größten Teil sandig oder erdig, aber bis auf einige Passagen, die von Harvestern zerstört worden waren, gut passierbar. Es ist schon wirklich traurig, dass Initiativen wie diese, so wenig geachtet werden. Der Heimatverein stellte hier mühevoll und mit ganzem Herzblut etwas auf die Beine und erschuf aus dem Nichts heraus eine funktionierende und bemerkenswerte Pilgerkultur und dann kommen ein par Land- und Forstwirte, wühlen die Wege auf, schmeißen die Markierungssteine um und machen ganze Abschnitte unpassierbar ohne auch nur ein schlechtes Gewissen zu haben.

Schwarze Schäne auf einem See entlang des Pilgerweges

Schwarze Schäne auf einem See entlang des Pilgerweges

Aber wie gesagt, die Zerstörung bezog sich auf wenige Abschnitte und der Rest war gut gelegt und absolut empfehlenswert. Nach einer längeren Passage durch den Wald öffnet sich das Land plötzlich vor einem und man kommt durch ein idyllisches Heide-Tal. Kurz zuvor passiert man den Windberg, die größte Erhebung im Umkreis, die es auf stattliche 73m bringt. Zum Vergleich: Der Rest liegt hier auf etwa 40-50m. Dennoch reichte der Höhenunterschied früher aus, um von hier aus bis an die Ostfriesische Küste blicken zu können. Nach dem 30 Jährigen Krieg hatte man hier sämtliche Wälder gerodet, um dadurch raubenden und herumtreibenden Clans von Zigeunern und verarmten Ex-Soldaten die Versteckmöglichkeiten zu nehmen. Das gesamte Land zwischen hier und der Küste war daher Weideland für Schafe und so gab es nichts, das den Blick hätte stoppen können.

Zwei Wildnismentoren unterwegs auf dem Pilgerweg

Zwei Wildnismentoren unterwegs auf dem Pilgerweg

Nach rund 12km erreichten wir das Vereinshaus des Heimatvereins von Börger, wo wir bereits erwartet wurden. Die Initiativträger des Vereins waren nicht mehr als eine Handvoll Rentner und es war fast unglaublich, was sie hier alles auf die Beine stellten. Angefangen vom Pilgerweg selbst, über Bildungsräume für Schulklassen, Museen und Parkanlagen, bis hin zu einem Flüchtlingscamp für afghanische Flüchtlinge bekamen wir von unserem Gastgeber alles gezeigt. Anschließend fuhren wir zu ihm nach hause, wo seine Frau bereits typisch heimische Buchweizen-Pfannkuchen für uns gebacken hatte. Den Nachmittag verbringen wir nun im Heimatvereinshaus, bevor es dann weiter in eine kleine Pension geht, die unser Nachtquartier werden wird.

Spruch des Tages: Nicht alle Wege führen nach Rom, einige bleiben auch einfach in Norddeutschland.

 

Höhenmeter 130m / 210m / 220m / 210m

Tagesetappe: 24km / 35km / 21km / 26km

Gesamtstrecke: 29.563,27km

Wetter: Überwiegend sonnig, Schneeschmelze bricht herein, viele Wege noch unpassierbar aufgrund der Schneemassen

Etappenziel Tag 1584: Privathaus, Ler, Norwegen

Etappenziel Tag 1585: Birgittinerinnen Kloster, Trontheim / Tiller, Norwegen

Etappenziel Tag 1586: Gemeindehaus der Kirche, Ranheim, Norwegen

Etappenziel Tag 1587: Gemeindehaus der Kirche, Stjördal, Norwegen

12.01.2018

Heute erreichten wir einen Ort namens Sögel, der vor allem für sein Jagdschloss und den dazugehörigen Schlosspark bekannt ist. Vor rund dreihundert Jahren als das Emsland noch nahezu unbewohnt war, kam Clemens August, Kurfürst und Erzbischof von Köln, der zeitgleich auch noch Kurfürst von Hannover, Hildesheim und einigen weiteren Fürstentümern war, immer wieder zum Jagen in diese Gegend. Damals bot sich das auch an, denn heute kann man wahrscheinlich vor allem Jagd auf Hunde oder Autos machen, wobei ersteres aufgrund der Leinenpflicht nicht besonders fair und sportlich wäre.

Der alte Schlossteich in Sögel

Der alte Schlossteich in Sögel

Doch vor dreihundert Jahren gab es hier noch echte Wildnis und somit auch einen großen Wildbestand, den man bejagen konnte, ohne dabei ausversehen überfahren zu werden. Einige Jahre lang machte der Kurfürst das auf die Rustikale und eher primitive Weise und lebte während der Jagdzeit in Zelten oder improvisierten Hütten. Aber auf Dauer ist das natürlich kein Zustand für einen Fürsten, erst recht nicht, wenn er das Wort „Kur“ schon im Namen trägt. Also musste ein Unterschlupf her, der der Natur eines Hochadeligen eher entsprach. Und dies war nun einmal ein Schloss.

Das historische Jagdschloss zu Sögel in Nordwestdeutschland

Das historische Jagdschloss zu Sögel in Nordwestdeutschland

Da man nun schon einmal dabei war, legte man gleich noch einen großzügigen und äußerst beeindruckenden französischen Park um das Schloss an, einen jener Parks, die auf den Milimeter genau durchgeplant werden und einer strengen Symmetrie folgen.

Reliquien in der Schlosskirche

Reliquien in der Schlosskirche

Dies war möglicherweise auch gleich mit einer Jagdstrategie verbunden, denn das besondere an diesen Parkanlagen ist ja, dass es immer wieder Punkte gibt, an denen man ewig weit geradeaus schauen kann, ohne dass ein Hindernis im Weg ist. Man hatte also vom Schloss aus in mehrere Richtungen ein ideales Schussfeld, in dem sich die Tiere aber trotzdem nicht weit aus dem Unterholz heraustrauen mussten und daher sicher fühlten.

Der Altar der Schlosskirche

Der Altar der Schlosskirche

Die Schlosskirche

Die Schlosskirche

Heute finden hier natürlich keine Jagten mehr statt und es kommen auch keine Kurfürsten mit Gesellschaft mehr vorbei. Das Schloss selbst, das eher ein Schlösschen als ein richtiger Palast ist, beherbergt ein Museum. Die umstehenden Pavillons werden für verschiedene andere Zwecke genutzt. Gemeinsam bilden Schloss, Wege und Pavillons übrigens ein sehr ästhetisches, sternartiges Gebilde, das man leider nur aus der Luft so richtig erkennen kann. Dies weckte in uns die Frage, warum gerade aus der Zeit vor der Erfindung von Flugzeugen und anderen Flugmaschinen so viele Gebäude stammen, die aus der Luft ihre ganze Schönheit entfalten. Heute wo wir den Luftraum erobert haben, achtet kaum jemand mehr darauf. Das ist doch komisch, oder?

Der barocke Schlossgarten aus der Vogelperspektive

Der barocke Schlossgarten aus der Vogelperspektive

Besonders interessant war für uns jedoch der Teil der Schlossanlage, der früher einmal der Pferdestall gewesen war, denn dieser beherbergte heute die Jugendbildungsstätte Marstall Clemenswerth, in der wir mit dem Geschäftsleiter verabredet waren. Bereits am Vorabend hatten wir einen Termin ausgemacht und eine Zusage für zwei gemütliche Zimmer bekommen. Außerdem wurden wir nun noch mit einem Mittagessen versorgt. Anschließend setzten wir uns mit Christian, dem Geschäftsleiter auf einen Tee zusammen. Er erzählte uns unter anderem, dass dieser Teil von Niedersachsen noch bis vor wenigen Jahren als „Armenhaus von Europa“ bezeichnet wurde, weil es hier nichts gab als ein paar vereinsamte Hütten von erfolglosen Landwirten. Heute hingegen ist das Gebiet zu einem der wirtschaftsstärksten in Deutschland geworden und steht ungefähr auf einer Höhe mit Bayern. Nur ohne Berge. Ob die Entwicklung aber wirklich so positiv war, bin ich mir nicht sicher, denn die Industrialisierung brachte natürlich auch den ganzen Lärm mit, der uns nun schon seit Tagen fast permanent begleitet. Ob uns da ein paar Bauernhöfe inmitten riesiger Wälder nicht lieber gewesen wären?

Eine durchwegs positive Entwicklung ist hingegen die Entstehung eines neuen Pilgerweges, der sich vor ein paar Jahren hier etabliert hat. Er trägt den Namen Hümmlinger Pilgerweg und ist als ein Rundweg angelegt, der viele der kleinen aber historisch bedeutsamen Ortschaften miteinander verbindet und dabei stets den schönsten, ruhigsten und natürlichsten Weg sucht. Morgen werden wir ein Stück auf diesem Weg gehen, dann können wir euch mehr darüber erzählen.

DIe alten Stallungen sind heute eine Jugendbildungsstätte

DIe alten Stallungen sind heute eine Jugendbildungsstätte

Spruch des Tages: Was ein echter Kur-Fürst ist, braucht auch ein echtes Schloss!

 

Höhenmeter 330m / 190m / 320m / 210m

Tagesetappe: 34km / 18km / 34km / 22km

Gesamtstrecke: 29.563,27km

Wetter: Überwiegend sonnig, Schneeschmelze bricht herein, viele Wege noch unpassierbar aufgrund der Schneemassen

Etappenziel Tag 1580: Gästehütte im Skizentrum, Alen, Norwegen

Etappenziel Tag 1581: Aufenthaltsraum der Friedhofsarbeiter, Haltdalen, Norwegen

Etappenziel Tag 1582: Private Ferienhütte auf dem Bauernhof, Singsas, Norwegen

Etappenziel Tag 1583: Bürogebäude einer Speditionsfirma, Stören, Norwegen

7.-11.01.2018

Hilfe ist Ehrensache

Nach unseren eher gemischten Erfahrungen in Holland haben wir uns so richtig darauf gefreut, wieder in unser Heimatland zurückzukehren. Langsam müssen wir jedoch zugeben, dass auch Deutschland weit davon entfernt ist, ein geheiligtes Land für Wanderer zu sein. Das Problem bei uns ist einfach, dass wir verglichen mit vielen anderen europäischen Ländern eine überdurchschnittlich Hohe Bevölkerungsdichte haben. Nur zum Vergleich. Pro Quadratkilometer leben in Frankreich rund 80 Menschen, in Deutschland hingegen 250. Das macht sich vor allem dadurch bemerkbar, dass man selbst auf den schönsten Wanderwegen nahezu immer in der Nähe einer größeren Straße oder Autobahn ist. Wirkliche Ruhe gibt es daher so gut wie nie und nach unserer langen Zeit in Frankreich ist dies nun besonders auffällig.

Ein häufiges Bild im Norden Deutschlands: Windräder und Agrarflächen.

Ein häufiges Bild im Norden Deutschlands: Windräder und Agrarflächen.

Dennoch hat Deutschland auch viele Vorteile, denn anders als in vielen andren Ländern ist das Leben und Reisen ohne Geld hier ein regelrechtes Kinderspiel. Das liegt vor allem daran, dass es für fast alles eine Regelung gibt. In Deutschland scheint es eine Art Ehrenkodex zu geben, der besagt, dass man niemanden verhungern oder erfrieren lässt. Das mag jetzt vielleicht für viele wie eine Selbstverständlichkeit klingen, aber das ist es ganz und gar nicht. Wenn ihr nun sagt, dass dies doch ganz normal sei, dann bestätigt ihr vor allem diese These. Denn wir Deutschen haben wirklich das Gefühl, dass es unsere Menschenpflicht ist, anderen Menschen zumindest ein Grundmaß an Hilfsbereitschaft zukommen zu lassen. Das heißt nicht, dass wir deshalb freundlich sein müssen oder gerne helfen. Wir sind vielleicht sogar die einzige Nation in Europa, in der man Menschen findet, die einen gleichzeitig unterstützen und verachten können. Die Regel ist eigentlich eher, dass man jemandem hilft, weil es einem gerade Freude macht, oder weil man ihn sympathisch findet.

Eine kleine Landkapelle

Eine kleine Landkapelle

Nahe der Heimat

Beim Blick auf die Karte ist mir aufgefallen, dass wir nun gerade noch rund 150km von meiner früheren Heimat entfernt sind. So nah an „zuhause“ war ich seit meiner Abreise vor vier Jahren nicht mehr. Ich muss zugeben, dass es sich komisch anfühlt und das nicht auf positive Weise. Alles scheint im Moment verrückt zu spielen, so als spürte das ganze Universum, dass es beim Gedanken an meine alte Heimat noch immer in mir brodelt wie bei einem Vulkanausbruch. Seit Tagen nun foppt uns das Wetter mit einem kalten und heftigen Sturm, der einen sofort wieder ins Haus zurück treibt. Heiko fragte vorhin, ob das hier früher schon immer so war und ich musste tatsächlich eine Weile überlegen. An das Gefühl, permanent Gegenwind zu haben, egal in welche Richtung ich gehe, konnte ich mich erinnern, aber nicht daran, dass einem ein permanenter Eissturm vollkommen die Lust am Draußen Sein nahm. Woran ich mich aber sehr wohl erinnerte waren die endlosen Felder und das fast vollständig Fehlen jeglicher Besonderheiten im Umfeld. Warum ich schon als kleines Kind immer in die Welt hinausziehen wollte, verstand ich nun auch wieder. Wer hier aufwuchs, dem musste einfach klar werden, dass dies noch nicht alles gewesen sein konnte.

So ein geräumiges Wohnmobil kommt unseren Vorstellungen für ein Begleitfahrzeug schon recht nahe.

So ein geräumiges Wohnmobil kommt unseren Vorstellungen für ein Begleitfahrzeug schon recht nahe.

Jetzt wo ich wieder hier war spürte ich, dass mich nichts mehr mit dieser Region der Welt verband. Im Gegenteil hatte ich eher das Gefühl, hier besonders kraftlos und unkontrolliert zu sein, so dass mir das Einhalten von wichtigen Routinen noch schwerer fiel als sonst.

Atomkraft in der Nachbarschaft

Was mir bislang auch nicht bewusst war ist die Tatsache, dass es von meiner früheren Haustür aus gerade einmal 150km bis zum nächsten Atomkraftwerk waren. Klar gab es diese Dinger überall in Deutschland, aber ich hätte nicht gedacht, dass wir sogar im inneren Gefahrenradius wohnten. Für mich hatte dies immer so weit weg gewirkt.

Der Maarktplatz

Der Maarktplatz

Lingen an der Ems, ein Ort auf unserem Weg, hat aber sogar gleich drei Kraftwerke nebeneinander. Zwei davon sind Atomkraftwerke, eines ist ein Erdgaskraftwerk. Heute ist nur noch eines der Kernkraftwerke aktiv, was aber natürlich nicht heißt, dass im zweiten nicht noch immer Brennstäbe herumliegen, die langsam abklingen müssen, bevor sie wirklich unschädlich werden.

Spannend war aber vor allem, dass es auch hier, genau wie in Frankreich, rings um das Kernkraftwerk von Landschafts- und Naturschutzflächen nur so wimmelte. Auch Naherholungsgebiete gibt es und das obwohl Lingen eine unscheinbare kleine Stadt ist. Es scheint fast, als gäbe es hier ein Muster, mit dem die Aufmerksamkeit der Menschen von den Kraftwerken abgelenkt werden soll.

Ein Krafteerk zur Stromgewinnung

Ein Krafteerk zur Stromgewinnung

Ab in den Norden

Unser Weg führte uns zunächst durch das Münsterland, das wir uns ehrlich gesagt etwas idyllischer vorgestellt hatten. Später folgten wir der Ems dann teilweise auf der Deutschen und teilweise auf der Holländischen Seite in Richtung Norden, wo auf Ostfriesland zusteuerten um herauszufinden, was die Deutsche Nordseeküste im Vergleich zu den anderen Küstengebieten in Europa so zu bieten hatte.

Spruch des Tages: Nur weil man an einem Ort aufgewachsen ist, muss dies noch nicht die eigene Heimat sein.

 

Höhenmeter 150m / 140m / 90m / 240m

Tagesetappe: 32km / 25km / 29km / 18km

Gesamtstrecke: 29.455,27km

Wetter: Überwiegend sonnig, Schneeschmelze bricht herein, viele Wege noch unpassierbar aufgrund der Schneemassen

Etappenziel Tag 1576: Private Gästehütte, Tufsingdal, Norwegen

Etappenziel Tag 1577: Private Gästezimmer, Narbuvoll, Norwegen

Etappenziel Tag 1578: Ferienhütte auf dem Campingplatz, Os, Norwegen

Etappenziel Tag 1579: Privates Gästezimmer, Röros, Norwegen

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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