Tag 197: An die Straße gefesselt

von Franz Bujor
17.07.2014 18:33 Uhr

 

Festsäle in Portugal sind wahrlich etwas anderes als in Frankreich. Der einzige Raum, der nicht so versifft war, das man meinte man würde im Müll stecken bleiben, war der Vorraum von der Herrentoilette. Es war auch der einzige Raum, der einigermaßen kühl war und nachdem wir reichlich Pappe auf dem Boden verteilt hatten, trauten wir uns sogar unsere Isomatten auszubreiten. Das einzige Problem, das es jetzt noch gab, waren die Unmengen an Fliegen, die im Raum ihr Unwesen trieben. Sie waren lästig und aggressiv und viele von ihnen hatten offenbar zu viel an Pestiziden geschnüffelt. Wenn sie sich auf einen setzten und einen zwickten, dann juckte es schlimmer als bei Mückenstichen. Einige Minuten hielten wir es aus, dann eröffneten wir die Fliegenjagd und stellten den kleinen Biestern nach. Obwohl wir alles an Fenstern, Türen und Luftschlitzen abgedichtet hatten, kam es uns so vor, als würden für jede erschlagene Fliege drei neue kommen. Irgendwann verloren wir den Überblick, doch es müssen weit mehr als 60 Fliegen gewesen sein. Erst später entdeckten wir den Grund für diese fliegende Massenversammlung. In einer Plastiktüte an der Wand hing eine ganze Schweinskeule, die der Verwesung preisgegeben worden war. Für die Fliegen war es das reinste Paradies. Wir konnten hingegen nicht verstehen, wie man so mit Lebensmitteln umgehen konnte. Eine solche Keule kostete beim Schlachter rund 100€.

Am nächsten Morgen wollten wir den Ort so schnell wie möglich verlassen. Wenn man sich für eine längere Zeit in einem stinkenden Raum aufhält, dann gewöhnt sich die Nase irgendwann daran und es stört einen nicht mehr so. Über Nacht scheint sich dieses Prinzip jedoch ins Gegenteil zu verkehren, denn in der Früh nahm ich den Geruch als ekelhafter wahr, denn je zuvor. Noch am Mittag hatte ich den Geruch in der Nase und das, obwohl wir im Schatten unter einem Baum saßen, weit entfernt von fauligem Fleisch und zugeschissenen Toiletten.

Doch so schnell wie wir wollten, ließ uns der Platz wieder einmal nicht gehen. Mein rechter Reifen war schon wieder Platt und diesmal gab es ganze sieben Löcher zu flicken. Als die Arbeit getan war, hatten wir gleich den zweiten Platten, noch ehe wir auch nur einen Schritt getan hatten. Damit stand eindeutig fest, dass Wald- und Feldwege bis aufs weitere für uns Tabu waren. Ab sofort würden wir uns an Straßen halten, so lange, bis wir in kühlere Regionen mit weniger Dornengewächsen kamen. Oder wenigstens in Regionen, in denen die Dornensträucher nicht mit einem Freischneider gestutzt wurden. Denn das war eigentlich das größte Problem. Durch die verdammten Dinger flogen die trockenen Dornenzweige überall herum und man hatte keine Chance mehr, ihnen auszuweichen.

Zum Glück erwies sich die Bundesstraße hier als weitgehend unbefahren und so war es keine schlechte Strecke, die wir heute wandern konnten. Städte oder Ortschaften zum Auftanken von Reserven oder Plätze, die einem Schatten boten, waren jedoch wieder einmal absolute Mangelwahre. Gut also, dass wir von gestern noch genügend Vorräte bei uns hatten.

Als wir an einer Wegkreuzung den ersten, ausladenden Baum fanden, der uns genug Schatten für ein Mittagspäuschen bot, wurden wir von einem Defender überholt, der genau auf unserem Pausenplatz hielt. Er hatte ein ausklappbares Zelt auf dem Dach und war so ausgestattet, dass man bei seinem Anblick wirklich glaubte, man sei in Südafrika. Ein Mann und eine Frau stiegen aus und begrüßten uns. Sie waren gerade auf dem Rückweg von einer vierzehntägigen Spanienreise und schenkten uns frisches Wasser, einige weitere Zutaten für unser Mittagessen und neue Sonnencreme. Gerade über das letzte freuten wir uns besonders, denn unsere Reserven waren inzwischen vollkommen aufgebraucht und die Hitze brutzelte uns die Haut langsam von den Knochen. Die beiden hatten sich vor Jahren auf dem Jakobsweg kennengelernt, woraufhin sie von Dresden nach Portugal gezogen war. Das freie Leben begeisterte die beiden, wie nichts anderes. „One Life – Live it!“ – „ein Leben – Lebe es!“ stand auf dem Wagen. Der Satz war nicht nur ein Spruch, er war ein Lebensmotto. Doch es gestaltete sich schwieriger als gedacht, denn während sie einen Job bei Siemens hatte, musste er seine eigene Firma am Laufen halten. Zeit fürs Reisen blieb da kaum noch. Der Defender verbrachte die meiste Zeit in der Garage.

Von unserem Picknickplatz waren es noch knapp 10 Kilometer bis nach Gavião, der nächsten größeren Stadt, in der es überhaupt eine Chance auf einen Schlafplatz gab. Wie sich herausstellte, war auch diese fast vollständig ausgestorben. Die einzige Pension der Stadt hatte geschlossen und als Alternative gab es nur die Feuerwehr. Diese nahm uns auch bereitwillig auf und gab uns einen Platz für unsere Isomatten im Trainigsraum der Feuerwehrleute. Der einzige Haken ist, dass die Jungs morgen früh um 7:00 Uhr mit ihrem Trainig beginnen werden. Mit Ausschlafen wird es dann wohl eher nichts...

Spruch des Tages: One Life – live it!

 

Höhenmeter: 250 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 3872,47 km

Noch 9 Tage bis zu meinem 1. Weltreisegeburtstag...

Heikos Rücken schmerzte auch am Morgen noch immer so stark, dass er sich nicht bücken konnte. Es sah recht lustig aus, wie er sich seine Schuhe anzog, ohne dabei den Rücken zu beugen, aber ihm war dabei natürlich gar nicht zum Lachen. Über den Tag hinweg wurde es etwas besser, aber es schmerzt noch immer.

Gestern Abend hatten wir bei unserem Stadtrundgang einige Wegweiser für den GR 12 gefunden, ein Fernwanderweg der am Rio Tejo entlang in Richtung Spanien führte. Heute folgten wir diesem Weg um dem endlosen Schnellstraßengeschlappe zu entgehen. Der Weg war wunderschön, hatte aber leider auch seine Tücken. Ordentliche Tücken!

Er schickte uns immer wieder bergauf und bergab über Sandwege und Geröll und das bei Temperaturen von weit über 40°C im Schatten. Wir hatten mit vielem gerechnet, aber dass es der Sommer ist, der uns so in die Knie zwingt, hätten wir uns nicht träumen lassen. Es war schwer vorstellbar, dass wir uns noch immer in Europa befanden. Die steppenartige Landschaft in der brüllenden Hitze, hätte locker auch in Afrika liegen können. Über einen Löwen, der an uns vorüberstreift, hätten wir uns heute nicht einmal gewundert. Das Problem war nur, dass es in den 22 Kilometern bis zur nächsten größeren Stadt keine Zivilisation gab. Also keine Straßen, keine Häuser, an denen man nach Wasser oder Essen hätte fragen können und auch sonst nichts, das einem helfen konnte. Die Natur selbst war wie gesagt eine reine Steppe. Außer Dornen und trockenem Gestrüpp bot sie nichts und so kamen wir uns bald etwas verloren vor. Solche Gegenden in Europa zu finden hatten wir nicht vermutet. Und auch das Wetter war deutlich härter, als gedacht.

Es dauerte nicht lange und wir hatten schon wieder den ersten Platten. Die Hitze machte das Gummi unserer Reifen so weich wie Butter und das in einem Land, in dem es nichts als Dornen gab. Ich zog gut ein Dutzend kleine Stacheln aus dem Reifen, bevor ich den nächsten einsetzte.

Anschließend kamen wir an den anstrengendsten Teil der heutigen Reise. Es war ein steiler Abhang, der so steil war, dass mich mein Wagen drei Mal wieder zurück nach unten Zog, bis ich es schaffte, die Kraft aufzubringen, um ihn nach oben zu ziehen. Es war reine Wut und reiner Wille, mit dem ich meine Last nach oben wuchtete. Mit Muskelkraft hatte es wenig zu tun. Heiko stand oben und grinste über meinen Wutschrei, mit dem ich die ganze Steppe auf mich aufmerksam gemacht hatte. Doch zu einem dummen Spruch fehlte auch ihm die Kraft. Von hier an ging es weiter Bergauf und das Wasser floss uns in Strömen von den Armen, von der Stirn und in die Augen. Dabei begleitete uns ständig die Angst vor den Dornen, denn wir hatten nur noch einen Ersatzschlauch.

Schließlich sahen wir ein Kohlekraftwerk vor uns. Wo so ein Kraftwerk war, musste es auch eine Straße geben und wenn es eine Straße gibt, dann musste man auf ihr auch gefahrlos in den nächsten Ort kommen. Doch die einzige Straße, die wir fanden führte uns wieder zurück an den Fluss und auf die Dornenwege. Nach einem weiteren gnadenlosen Anstieg kamen wir dann von der anderen Seite wieder auf das gleiche Kraftwerk zu. Wir waren also fast im Kreis gelaufen. Von hier aus beschlossen wir, uns direkt an den Kraftwerkszaun zu halten, bis wir irgendwo einen Ausgang aus der Steppe fanden. Die bestmögliche Option war ein Kiesweg entlang einer Bahnschiene, über die das Kraftwerk mit Kohle beliefert wurde. Wir folgten ihr einige Hundert Meter, dann war Heikos reifen platt. Bei der Mantelkontrolle fand ich mehr als 20 Minidornen.

Um zu verhindern, dass sich die Dornen auch in den anderen Reifen bis zum Schlauch durchdrückten, suchte ich vorsichtshalber auch diese ab und bearbeitete sie mit unserem Taschenmesser. Bei zwei Reifen war das eine gute Idee. Beim dritten war es jedoch bereits zu spät. Als ich einen Dorn herauszog hörte ich es zischen und der Reifen wurde Platt. Damit hatten wir nun einen Platten mehr als Ersatzschläuche. Das bedeutete, dass wir einen flicken mussten, ohne dass wir dazu ein Wasserbecken zur Verfügung hatten. Heiko fand gleich drei Löcher. Als wir beide Reifen repariert hatten, und uns wieder ans Wandern machen wollten, hörten wir ein lautes Zischen und Heikos Reifen war schon wieder platt. Nach weiteren Flick- und Reperaturaktionen, passierte uns das gleiche noch einmal, nur etwa zwei Meter vom Ausgangspunkt entfernt. Es war zum Mäuse melken! Wenn wir uns alles hätten vorstellen können, dann nicht dass unsere Reise einmal in ernsthafte Gefahr geriet, wegen eines Platten. Unser Flickzeug war nahezu aufgebraucht. Viel durfte jetzt nicht mehr passieren.

Als wir eine halbe Stunde später die Schnellstraße sahen, atmeten wir erleichtert auf. Wer hätte gedacht, dass wir uns jemals so über eine Schnellstraße freuen würden?

Auf ihr war der nächste Ort ebenfalls bald erreicht und dort gab es sogar einen kleinen Supermarkt, der uns mit Wasser und frischem Obst versorgte. An einer Bar bekamen wir außerdem ein Sandwich und wir erfuhren, dass der nächste Ort mit Hotels, Feuerwehr, Pensionen oder anderen Schlafmöglichkeiten noch gut 16 Kilometer entfernt war. Als der Wirt mein entsetztes Gesicht sah, bat er mich einen Moment zu warten. Kurz darauf hatte er einen Schlafplatz für uns aufgetrieben. Hier im Ort und gleich um die Ecke. Es war ein Partyhaus, so wie wir es in Frankreich immer bewohnen durften. Nur eben auf Portugiesisch. Am Wochenende hatte hier eine Feier stattgefunden und noch immer lagen alle Spuren der Feier im Haus verteilt. Es roch ein wenig nach verwesender Wurst und in einer Ecke ganz hinten im Saal lag ein toter Vogel. Sonst war es aber ein guter Schlafplatz. Da es keine weiteren Restaurants gab, fragten wir bei den Privatpersonen nach etwas zu essen. Es dauerte nur etwa zehn Minuten, dann hatten wir Säcke voll mit Kartoffeln, Tomaten, Orangen, Eiern und Zwiebeln. Es war so viel, dass wir es nicht Essen konnten und es waren alles Sachen aus dem eigenen Garten. Leider war es auch zu viel, um alles morgen mitzunehmen und so wird uns nichts anderes übrig bleiben, als einen Teil dazulassen und zu hoffen, dass ihn jemand verwendet, bevor er kaputt geht. Es ist ein bisschen Schade, dass man entweder überhaupt nichts bekommt, oder dann so viel, dass man nicht mehr weiß was man damit anfangen soll. Später kamen dann sogar noch zwei Frauen zu unserem Festsaal und schenkten uns weitere Früchte und Zwiebeln. Und am Abend kam der Wirt aus der kleinen Bar und lud uns zum Essen oder auf ein Getränk in sein Etablissement ein. Als wir uns zum Arbeiten in den Park setzten, waren wir bereits vollkommen in die Dorfgemeinschaft integriert. Schließlich hielt sogar noch ein Auto mit zwei Jugendlichen vor uns, die uns Tunfisch, Wasser und Würstchen anboten. Das ist der Unterschied zwischen den Dörfern und den Städten hier. Auf dem Dorf wird man gemästet und in den Städten ist man kurz vorm Verzweifeln, weil man nichts auftreiben kann. Aber lieb sind die Menschen hier! Daran gibt es nichts zu rütteln.

Spruch des Tages: Da hat der Teufel seinen Sack ausgeschüttet.

 

Höhenmeter: 290 m

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 3872,47 km

Wenn ein Tag bereits damit beginnt, dass man sich in der Nacht die Schulter so verdreht hat, dass man kaum aufstehen kann, dann ist das immer kein gutes Zeichen. Genau das ist Heiko heute passiert und es hätte uns eigentlich die erste Warnung sein sollen. Beim Einräumen der Wagen kam dann gleich die nächste Ohrfeige mit dem Zaunpfahl. Der Reifen, den wir gestern bereits zwei Mal geflickt hatten, war schon wieder platt. Fazit: Wir waren genervt, bevor wir auch nur gestartet sind.

Der restliche Tag verlief nicht viel besser. Unser Kartenmaterial war so schlecht wie nie zuvor und der einzige Weg aus der Stadt führte über die Bundesstraße. Die Hitze machte uns allmählich kirre. Es fühlte sich so an, als würde unser Gehirn zu einem gleichmäßigen Brei verkocht, der wahrscheinlich einen guten Brotaufstrich abgegeben hätte. Ich schreibe das jetzt so flapsig, aber heute Vormittag war uns gar nicht zum Lachen. Vor allem die vielen Platten machten uns sorgen. Unsere Schläuche bestanden bereits zu einem größeren Teil aus Flicken als aus ihrem ursprünglichen Material und auch das Flickzeug ging uns langsam zur Neige. Und dann mussten wir den selben Reifen gleich drei Mal an nur einem Tag reparieren. Das konnte doch nicht normal sein.

Auf dem Weg entlang der Schnellstraße reflektierten wir, ob vielleicht mehr dahinter stand. Wie jede Situation war auch diese ein Spiegel der Seele, also konnte man auch etwas daraus lernen. Heiko war aufgefallen, dass ich in letzter Zeit wieder unaufmerksamer geworden war und oftmals kleine, lästige Fehler machte, die eigentlich nicht sein mussten. Ich selbst hatte das auch schon gemerkt und wusste genau was er meinte, doch in diesem Moment hatte mein Ego nicht die geringste Lust darauf ein derartiges Feedback anzunehmen. Es maulte eine ganze Weile vor sich hin, bis es endlich nachgab und es meinem Entwicklungs-Ich die Chance einräumte, einen Blick nach innen zu werfen. Tatsächlich fiel mir auf, dass ich mich in letzter Zeit wieder irgendwie gestresst fühlte. Es gab so viele spannende Themen über die ich schreiben wollte und gleichzeitig mussten Mails an die Sponsoren geschrieben werden. Auch mit meiner Familie und meinen Freunden wollte ich gerne Kontakt halten und dazu kam noch die Problematik, hier irgendwie gutes Essen aufzutreiben. Alles kostete irgendwie eine Menge Zeit und die Tage vergingen, ohne dass ich es schaffte, meine To-Do’s abzuarbeiten. Ich hatte das Gefühl, dass mir alles über den Kopf wuchs und dass, obwohl mich niemand zu irgendetwas drängte und Zeit eigentlich das geringste Problem sein musste.

„Ich glaube, du bist noch immer bei dem guten alten Problem der Strukturiertheit!“ sagte Heiko, „Du setzt dir keine Prioritäten, sondern willst alles gleichzeitig machen. Du nimmst die viel zu viel vor, und dann verzettelst du dich in Details und bist frustriert wenn du nicht vorankommst. Dazu kommt, dass du dir auch immer wieder Zeit stehlen lässt. Versuche einmal mehr den überblick zu behalten, wo du Zeit für dinge investierst, die dir gerade etwas bringen und wo du sie einfach verplemperst. Ich glaube, du durchläufst im Moment immer wieder die gleiche Gefühlskette, die du durchbrechen musst, damit du weiter kommst. Du fühlst dich innerlich gestresst, weil du alles auf einmal erledigen willst. Dann kommt eine schwierige Situation und weil du nicht offen und entspannt bist, rennst du einfach hinein. Du schaffst es nicht, sie mit Abstand und mit Ruhe zu betrachten und erst einmal wahrzunehmen, was es überhaupt für Möglichkeiten gibt. Dadurch verrennst du dich dann in eine Richtung und machst dabei lauter unnötige Fehler, die dir noch mehr Zeit kosten und die du nicht gemacht hättest, wenn du dich entspannt hättest. Dadurch wirst du noch hektischer und vor allem noch unaufmerksamer und das Gefühl des Zeitdrucks wird immer stärker. Du wirst schließlich wütend auf die Situation und auf dich selbst und machst dadurch alles noch schlimmer. So kommst du immer tiefer in die Spirale, bis du schließlich resignierst. Dann lässt du los, bist traurig oder deprimiert und dann siehst du eine Lösung, die du gleich am Anfang hättest auch schon sehen können. Und dann ärgerst du dich noch mehr über die vergeudete Zeit, die du versuchst wieder einzuholen, in dem du noch mehr gleichzeitig machen willst. Dann beginnt alles wieder von vorne.“

Es dauerte eine Weile, bis mein eingeschnapptes Ego wieder Ruhe gab und ich erkennen konnte, dass ich diese Gefühlskette wirklich sehr gut kannte.

Auf dem weiteren Weg kamen wir an eine Abzweigung. Links war die Nationalstraße und rechts ein Fernwanderweg, der eine kleine Seitenstraße hineinführte. Wir rätselten eine Weile, welchen Weg wir nehmen sollten, entschieden uns dann aber schließlich doch für die Nationalstraße. Das Problem bei dem anderen Weg war, dass wir nicht wussten, ob er irgendwann wieder zu einem kakteenverseuchten Trampelpfad wurde, den wir kaum überwinden konnten.

Doch die Entscheidung rächte sich schon bald. Die Nationalstraße führte einen steilen Berg hinauf, dann wieder hinunter und dann einen noch größeren wieder hinauf. Oben waren wir vollkommen erschossen und hechelten wie Windhunde nach einem Rennen. Auf der Spitze des Berges lag Abrantes, die Stadt, die wir uns als Ziel herausgesucht hatten und die uns den Tag endgültig vermiesen sollte. Heiko hatte sich bei dem steilen Aufstieg den Rücken verdreht und wahrscheinlich einen Nerv eingeklemmt. Er konnte sich kaum noch bewegen, so stark tat ihm der Rücken weh.

Mir hingegen sollte diese Stadt noch einmal genau die Gefühlskette spiegeln, die Heiko mir zuvor aufgezeigt hatte.

Es war kurz nach 13:00 Uhr und damit standen die Chancen gut, dass ich heute einiges von meiner To-Do-Liste abarbeiten konnte. Ich ging also bereits mit dem Gedanken in die Stadt, was ich heute alles erledigen wollte, wenn ich nur schnell einen Schlafplatz fand. Doch ab genau diesem Moment ging alles schief, was nur schiefgehen konnte. Die Stadt war absolut tot! Das große 3-Sterne-Hotel auf dem Gipfel des Berges hatte bereits seit langer Zeit geschlossen und in der einzigen Pension, die es hier noch zu geben schien, waren angeblich alle Zimmer ausgebucht. Die Rezeptionistin war mir erst sehr freundlich begegnet, während die Chefin kurz darauf nur laut herumfluchte und irgendetwas erzählte, das ich nicht verstand. Dann verließ sie das Hotel. Die Angestellte, erzählte daraufhin irgendetwas von einem Künstlerfest in der Stadt, welches der Grund dafür war, dass hier zur Zeit die Hölle los war. Das Hotel selbst wirkte jedoch ausgestorben und auch der Rest der Stadt machte nicht den Anschein, als wäre hier besonders viel los. Als einzige Alternative nannte sie mir eine Jugendherberge, die sich unterhalb der Hauptstraße befinden sollte. Dies war der Zeitpunkt an dem ich mich blindlinks verrannte, anstatt zu überlegen und die Optionen durchzugehen. Ich lief in Richtung Herberge, stellte fest, dass es zu weit war und lief wieder zurück um Heiko Bericht zu erstatten. Ein Parkarbeiter der an unserem Treffpunkt herumstand erzählte mir, dass es in der Innenstadt noch weitere kleine Hotels gab. Die Feuerwehrstation befand sich hingegen auf der anderen Seite der Stadt, am Fuß des Berges. Wir entschieden uns daher, auf die Hotels zu vertrauen und nicht noch bis zur Feuerwehr zu laufen. Hätten wir gewusst, dass die Frau aus dem Hotel Recht gehabt hätte und hier wirklich alles ausgebucht war, dann hätten wir uns natürlich anders entschieden. So aber gingen wir weiter in Richtung Zentrum um dort unser Glück zu versuchen. Auf dem Weg dorthin platzte nun Heikos rechter Reifen. Das war nun also der vierte Plattfuß in zwei Tagen. Es war zum Wände hochlaufen. Während Heiko seinen Reifen flickte lief ich in der Stadt umher und holte mir eine Absage nach der nächsten ab. Dabei vergaß ich vollkommen, dass wir ja nicht nur einen Schlafplatz, sondern auch etwas zu Essen und außerdem neues Flickzeig brauchten. Ich achtete jedoch weder auf Restaurants noch auf Supermärkte oder Fahrradläden. Da war sie die blinde Verbissenheit, die mich immer tiefer in meinen Strudel brachte. Ich ärgerte mich darüber, dass hier nichts vorranging, ärgerte mich über die Menschen und über das verdammte Portugal, dass so vollkommen ausgestorben und verlassen war und trotzdem keinen Platz für uns hatte. Als ich zu Heiko zurückkehrte, war ich genervt und frustriert. Ihm ging es jedoch keinen Deut besser, denn beim Reifen-Reparieren hatte er sich den Rücken noch einmal verdreht und nun konnte er sich wirklich nicht mehr bewegen. Er war genauso genervt wie ich und dementsprechend düster war die Gesamtstimmung. Dazu kam, dass uns allmählich die Optionen ausgingen. In der Stadt hatten wir alles Abgeklappert, was ging und die nächste große Stadt lag mehr als 20 Kilometer entfernt. Die letzte Option war die Jugendherberge, doch auch die war voll. Deprimiert trotteten wir aus der Stadt. Inzwischen war es bereits kurz vor 18:00 Uhr. Der ganze Nachmittag war also verloren und wir hatten weder etwas zu essen, noch einen Schlafplatz noch Ersatzreifen und neue Sonnencreme hatten wir auch nicht. Das Zeug war ohne jede Frage schädlich, doch ohne die Creme bei der Hitze herumzulaufen würde dazu führen, dass uns die Haut abfiel. Dennoch verließen wir die Stadt und überquerten den Rio Tejo. Auf der anderen Seite gab es ein kleines Dorf mit zwei weiteren Hotels. Das Erste war angeblich ebenfalls vollkommen ausgebucht. Der Hotelbesitzer meinte sogar, dass ich es beim zweiten nicht einmal mehr versuchen solle, weil das eh keinen Zweck habe. Ich war so verzweifelt und sauer auf die Situation, dass ich sogar den Tränen nahe war.

Als ich die zweite Pension fand, war ich bereits in der Resignationsphase. Niedergeschlagen stützte ich mich auf den Tresen und wartete, bis der Hotelbesitzer kam. Als er endlich auftauchte, war ich so konfus, dass ich zunächst einmal komplett wirres Zeug redete und es mir damit um ein Haar verbockt hätte. Doch ich merkte es zum Glück schnell genug, bevor ich mich um Kopf und Kragen redete. Und ich hatte Glück! Der Mann sagte zu. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Hotelchef führte mich herum und zeigte mir unser Zimmer und das Badezimmer. Wie viele andere Portugiesen hatte er im Englischen ein Problem mit dem „th“. Deutsche können es oft auch nicht aussprechen und bei uns klingt es immer wie ein „ss“. Bei den Portugiesen klingt es jedoch wie ein „d“, was jedes Mal zu lustigen Verwirrungen führt, wenn man ein Zimmer mit den Worten „Here is the bedroom!“ präsentiert wird, und dann nur ein Klo und eine Dusche sieht.

Als ich Heiko die gute Nachricht überbrachte, konnte er kaum aufstehen, so sehr schmerzte sein Rücken.

Der Rundgang durch die Stadt wirkte ein bisschen wie in dem Film Day after Tomorrow. Nur natürlich viel wärmer. Es ist wirklich der Wahnsinn, wie tot dieses Land ist. Im ganzen Ort gelang es uns nicht, auch nur ein einziges Restaurant zu finden. Nur einige Cafés. Die Restaurants, die es gab und die nicht völlig geschlossen hatten, hatten zumindest ihren Küchenbetrieb dicht gemacht und verkauften nun nur noch Getränke. Wir mussten uns also mit ein paar Brötchen und einer Tüte Obst zufrieden geben. Sonnencrem und Fahrradflicken bekamen wir keine. Hoffentlich ändert sich das Morgen noch. Jetzt jedenfalls werden wir uns nach dem Tag ordentlich entspannen und Heikos Rücken wieder einrichten.

Spruch des Tages: Manchmal ist einfach der Wurm drin

Höhenmeter: 250 m

Tagesetappe: 18 km

Gesamtstrecke: 3851,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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