Containern - Diebstahl oder Nahrungsrettung?

von Franz Bujor
12.01.2014 19:21 Uhr

Containern - ein gutes und trauriges Gefühl zugleich!

Das gestrige Tagesziel war Altkrautheim, wo wir wieder einen Schlafplatz im Gemeindehaus bekamen. Als wir unsere Sachen verstaut hatten, gingen wir noch eine kleine Runde durch den Ort, um etwas zu essen aufzutreiben. Dabei stießen wir auf einen Container vom nahegelegenen Supermarkt, der randvoll mit originalverpackten, guten und leckeren Lebensmitteln gefüllt war. Wir fühlten uns ein bisschen wie im Schlaraffenland beim Containern und trauerten gleichzeitig über die große Verschwendung, die die Lebensweise in unserer Gesellschaft darstellte und auslöst. Das Mülltauchen wird auch Dumpster Diving genannt, wusstet ihr das?

Ist Containern Diebstahl oder eine Rettung der Nahrung?

Ist Containern Diebstahl oder eine Rettung der Nahrung?

Der Wert der Wahren lag alles in allem locker bei 300 bis 400 Euro, die einfach so weggeworfen wurden, obwohl ihnen nichts fehlte. Es tat uns fast ein bisschen weh, dass wir nicht alles beim Containern mitnehmen konnten. Wenn unser Bekanntenkreis in Altkrautheim etwas größer wäre, würden wir heute Abend jedenfalls zu einem gemeinsamen Festmahl laden. Aber da wir außer dem Pfarrer niemanden kennen, werden wir wohl mehr essen müssen. Schaut euch die Bilder einmal an und ratet, was davon Geschenke sind uns, was nach offizieller Meinung Müll ist...

gemeinderaum

Diese Beute haben wir beim Containern ergattern können.

60 % der Nahrung wird nicht verbraucht!

Unser Festessen von gestern Abend nach dem Containern wirkte noch lange in uns nach. Und zwar auf dreierlei Weise. Zum einen waren wir so pappsatt, dass wir uns in unsere Schlafsäcke kugeln mussten und Angst hatten, dass wir nicht mehr hineinpassten. Zum zweiten waren wir natürlich unendlich dankbar über den Reichtum, der uns einfach so zugeflossen ist, ohne dass wir uns dafür groß anstrengen mussten. Drittens beschäftigte uns aber auch die Perversion, die hinter diesem Reichtum aus der Mülltonne stand. 60 % aller Nahrung wird auf dem Weg vom Bauern bis zum Verbraucher weggeworfen. Das Gemüse, das auf dem Feld liegen bleibt, weil es nicht der Norm entspricht und die Tiere, die vor Erreichen ihrer Verkaufsmaße notgeschlachtet werden müssen, sind darin genauso wenig inbegriffen, wie das, was jeder Mensch zu Hause wegwirft, weil es ihm im Kühlschrank schlecht geworden ist oder weil er es nicht mehr mochte. Wir mussten wieder zurückdenken an die überdimensionierten Agrarflächen, vielen Schweinemastbetrieben, an die Truthahn-Zucht und an die Legebatterien, Obstplantagen und kilometerlangen Gewächshäuser, die wir von anderen Touren kannten. Wenn wir nur einmal von den 60 % ausgehen, bedeutet das, dass mehr als jedes zweite Schwein für umsonst stirbt.

brotzeit

Was man beim Mülltauchen alles finden kann

Jeder weiß, das manche Supermärkte wie z.B. Lidl oder Netto Lebensmittel entsorgen, obwohl sie noch genießbar sind. Menschen, die über Mauern klettern und das weggeworfene Essen aus den Containern holen, machen sich wohl strafbar. Staatsanwaltschaften und Gerichte aber sind offenbar erleichtert, wenn sie die Lebensmittelretter nicht bestrafen müssen. Wird das Containern in München, Erfurt oder auch Karlsruhe gleich behandelt? Was ist das Pro und Contra für das Containern? Denn die Argumente dafür und dagegen, liegen praktisch auf der Hand.

Was hat die Wirtschaft von diesem Verlust?

Es bedeutet, dass jeder Truthahn mehr als doppelt so viel Platz haben könnte, ohne dass deswegen ein einziger Mensch weniger zu essen hätte. Jeder Bauer könnte sich die Hälfte seiner Arbeit sparen. Er müsste nur halb so viele Futterpflanzen anbauen und nur halb so viele Tiere aufziehen, unterbringen, versorgen und schlachten. Die Tiere die gezüchtet werden, könnten doppelt so viel Lebensqualität haben und bräuchten viel weniger Medikamente, weil die Krankheitsgefahr geringer wäre. Wir bräuchten nur halb so viel Schwerlastverkehr für Lebensmittel und bedeutend weniger Entsorgungsunternehmen. Doch hier kommen wir dann auch schon zum springenden Punkt. Wenn wir wirklich nur so viel Nahrung produzieren würden, wie wir brauchen, dann würden eine Menge Arbeitsplätze verloren gehen. Unsere gesamte Wirtschaft lebt letztlich von der Überproduktion und von der Vernichtung der überflüssigen Güter und Waren. Und je besser wir unsere Technik entwickeln, desto schlimmer wird es, da wir immer mehr in immer kürzerer Zeit für immer weniger Geld produzieren können.

Wenn man hier so durch die winterlich karge Landschaft wandert und viel Zeit zum Nachdenken hat, kommt in einem schon des Öfteren einmal die Frage auf, ob das alles so sinnvoll ist, was wir beim Containern erleben und fühlen. Wohin soll das führen? Ist es wirklich unser Plan, uns am Ende selbst überflüssig zu machen und eine Welt mit perfektionierter Lebensmittelproduktion und -vernichtung aber komplett ohne Menschen zu erschaffen?

nebelland

Das Jagsttal im Nebelschleier

A Pro Pros ohne Menschen: Heute wirkte die Welt tatsächlich so, als wären wir die letzten Menschen auf diesem Planeten. Das Jagsttal lag so sehr im Nebel, dass man kaum 30 Meter weit sehen konnte. Die Sonne war nur hin und wieder als kleiner schwacher Umriss hinter den grauen Schleiern zu erahnen. Sie kämpfte, was das Zeug hielt, aber sie hatte keine Chance. Der Nebel blieb den ganzen Tag um uns und in uns...

Ein Tag wie in einer Geisterwelt

Oh Moment, das ist nicht richtig! Gerade als ich Aufblicke sehe ich zum ersten Mal heute einen blauen Himmel. Der Nebel hat sich also gerade in der Zeit verzogen, in der ich diesen Bericht hier schreibe. Aber worauf ich eigentlich hinaus wollte ist, dass uns unsere heutige Tageswanderung nach dem Containern, wie durch eine Geisterwelt führte. Wir trafen fast keinen Menschen, die Bäume waren nur als graue Silhouetten zu sehen und es herrschte eine Stille wie auf einem Friedhof. Überall an den Bäumen hingen dünne Spinnenfäden an denen sich die gefrierende Luftfeuchtigkeit, wie kleine Perlen aus Eis verfangen hatte. Neben unserem Weg führte ein stillgelegtes Bahngleis entlang, das die gespenstische Stimmung noch einmal verstärkte. Plötzlich tauchten halb verfallene Bahnwagons aus dem Nebel auf. Dann eine Brücke die ins Nichts führte. Und schließlich ein alter, verlassener Bahnhof, der wie in einer Geisterstadt das Flair längst vergangener Zeiten ausstrahlte. Wären wir nicht alle 5 km auf einen Menschen getroffen, wären wir uns sicher gewesen, wir hätten letzte Nacht nach dem Mülltauchen die Apokalypse verschlafen, ohne es zu merken. Dafür waren aber die wenigen Menschen, die wir trafen über alle Maßen freundlich und fast unverschämt gut gelaunt.

weide im nebel

Die Weide im Nebel

Viele Menschen spüren ihr Nomaden-Gen in sich

Einmal trafen wir einen Jogger, den wir nach dem Weg fragten. Er lief sogar noch einmal ein ganzes Stück zurück und hinter uns her, weil er bei unserer ersten Begegnung vergessen hatte zu fragen, wo wir hinwollen. Als wir unsere Geschichte erzählten, war er so begeistert, dass er am liebsten gleich mitgekommen wäre. Drei Jahre hätte er noch bis zur Pensionierung, dann würde er sich den Traum auch erfüllen und ebenfalls nach Santiago wandern. Auch die anderen fünf Menschen, mit denen wir uns unterhalten haben, waren kurz davor gewesen mitzukommen. Offensichtlich haben doch mehr Menschen das Nomaden-Gen im Blut, als wir dachten. Schade nur, dass es so wenige gibt, die es auch leben.

Spruch des Tages: Gehe in dich, wenn dir das nicht zu weit ist!

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 234,37 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

1 Kommentare

  1. Nahrungsmittel unterliegen dem Hygienegesetz und jeder, der Nahrungsmittel vertreibt, muss sich an die Vorgaben halten, ganz besonders wenn es um die Mindesthaltbarkeit geht.

    Der Grund, warum Lebensmittel entsorgt werden, obwohl sie eigentlich noch gut sind ist so einfach wie traurig. Verkaufe ich Lebensmittel, welche das MHD überschritten haben und jemand erkrankt daran, werde ich zur Verantwortung gezogen wegen der Vernachlässigung meiner Sorgfaltspflicht und ich lande im schlimmsten Fall im Knast, bin pleite bekomme nie wieder einen Fuß auf den Boden.

    Nimmt aber jemand Schaden, der Lebensmittel isst die sich noch innerhalb des MHDs befinden, dann bin ich aus dem Schneider und die Suppe muss jemand anderes auslöffeln.

    Das MHD ist eine Versicherung gegen Schadensersatzklagen, keine Messlatte die sagt, ab wann ein Lebensmittel nicht mehr genießbar ist um künstlich Umsatz zu erzeugen. Wenn man sich also darüber beschwert, dass so viel weggeworfen wird, dann zeigt man auf den Falschen wenn man denkt, den Kapitalismus daür ausgemacht zu haben.

    Der Grund ist die menschliche Tendenz, Schaden so weit wie irgend möglich vermeiden zu wollen, weil wir leider dazu neigen, die Verantwortung eher bei Anderen zu suchen als bei uns selbst und unsere Gesetze das so wiederspiegeln.

    Würden wir wirklich nur so viel produzieren wie wir verbrauchen, würde das zwangsläufig mit einer erhöhten Zahl an Lebensmittelvergiftungen und damit zusammenhängenden Erkrankungen einhergehen, weil es keine 100% Sicherheit gibt. Das würde aber niemand als hinzunehmende Folge einfach so stillschweigend akzeptieren. Ein krankes Kind, welches an solchen Folgen stirbt und der mediale und gesellschaftliche Aufschrei wäre garantiert.

    Und so, weil wir das so gut es geht vermeiden wollen, werfen wir halt so viel weg obwohl es eigentlich noch gut wäre. Unsere Obsession für Schadensvermeidung bringt uns das ein, nicht die Profitgier.

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