Wie aus Tobias Krüger Franz von Bujor wurde

von Franz Bujor
29.08.2016 22:32 Uhr

Ende Februar hatten wir von unserem Verlag einen neuen Buchauftrag bekommen. Wir sollten ein Buch über die natürliche Heilkraft der Bäume schreiben, in das all unser Wissen und unsere Erfahrungen einfließen durften, die wir im Laufe unseres Lebens zu diesem Thema gesammelt hatten. Angefangen bei dem Mentoring, dass wir als Wildnisschüler erhalten hatten, über die Lehren, die wir von den verschiedenen Medizinleuten aufnehmen durften, bis hin zu dem, was wir hier auf der Reise erfahren hatten. Die Idee klang großartig und ich witterte sofort die Chance, damit meine finanziellen Sorgen beseitigen zu können. In meiner großkotzigen Selbstzufriedenheit stand für mich fest: Das Buch wird ein Kinderspiel, denn alles was dort hinein gehört, existiert bereits irgendwo in unserem Fundus der Bücher und Aufzeichnungen. Ich muss also nichts weiter tun, als alles zusammenzuschreiben, in eine nette Form zu pressen und dann abzuliefern. Insgesamt sollte es gerade einmal läppische 220 Seiten in einer 18ner Schrift umfassen. Das klang geradezu lächerlich und sollte locker innerhalb von zwei Monaten erledigt sein. Ich konnte also ganz normal meinem Alltag nachgehen und nebenbei ein Buch entstehen lassen, ohne mich großartig anzustrengen. Soweit meine Ersteinschätzung der Situation.

Doch schon beim ersten Wort spürte ich, dass ich mit dieser Einstellung nicht hätte falscher liegen können. Meine Idee war, dass mir die Seiten nur so aus den Fingern fließen würden, denn es waren ja alles Themen, mit denen ich mich bereits lange beschäftigt hatte. Doch es floss gar nichts. Es war, als würde ich permanent gegen einen inneren Widerstand anschreiben, so als sträubte sich eine zerstörerische Kraft in mir, die Worte zu Papier zu bringen. Ich spürte es bereits von der ersten Sekunde an, doch wie üblich schob ich mein Gefühl zur Seite, redete mir ein, dass es nichts zu bedeuten hatte und schrieb gegen den Druck an, bis ich trotzdem irgendwie die Seiten gefüllt hatte. Aus den gedachten zwei Monaten wurden auf diese Weise nun knapp vier, aber schließlich hatte ich dann ein Ergebnis, von dem ich selbst sogar wirklich glaubte, dass es vorzeigbar gewesen wäre. Die letzten vier Tage hatte Heiko damit verbracht, dass Ergebnis dieser Bemühungen Korrektur zu lesen und nun war er am Ende angekommen. Das Fazit war eindeutig: “Das kannst du schon so machen, aber dann ist es halt Kacke!”

Ein Buch zu schreiben kann länger dauern als man denkt.

Ein Buch zu schreiben kann länger dauern als man denkt.

Was war geschehen? “Nichts, das man ohne Liebe und Freude macht, kann etwas gutes werden, egal wie positiv die Absicht dabei auch sein mag.” Diesen Satz hatte ich an einer Stelle ohne weitere Erklärung in das Buch geschrieben und er zeigte ziemlich deutlich, was ich hier fabriziert hatte. Ich hatte das Buch nicht als ein Herzensprojekt angesehen, bei dem ich mit Liebe und Begeisterung dabei war, um den Menschen die Heilkraft der Natur näher zu bringen, weil mich dieses Thema selbst mit Freude erfüllte. Ich hatte einen Punkt auf meiner To Do Liste abhaken wollen, um mich dann wieder einem der vielen anderen Themen zu widmen, die auf mich warteten. Hier waren wir also bei meinem ersten Knackpunkt angelangt: Das Gefühl, nie genügend Zeit zu haben. Weil ich mich allem gleichzeitig widmen wollte, war ich bei nichts wirklich bei der Sache und blieb so in einem Bereich der Halbherzigkeit, der mir am Ende gleich doppelt Zeit kostete. Aus Angst, nicht genügend Zeit zu haben, wurde ich hektisch und unaufmerksam, begann zu schludern und hielt keinerlei Strukturen ein, wodurch mein Leben zu einem unübersichtlichen Chaos wurde, in dem ich permanent Zeit vergeudete. Hier war bereits der erste Hinweis verborgen, der mich auf die Erkenntnis hätte bringen können. Meine Angst vor dem Zeitmangel zog so noch mehr Zeitmangel in mein Leben.

Gleichzeitig hatte diese hektische Halbherzigkeit aber auch noch zu etwas anderem geführt. Denn ich hatte sie ja nicht erst seit heute, sondern trug sie schon mein ganzes Leben in mir. Mit der gleichen Einstellung, mit der ich nun das Buch zu schreiben versuchte, hatte ich zuvor auch den Lernstoff aufnehmen wollen, der nun in das Werk einfließen sollte. Ich selbst war mir sicher, dass ich alles verstanden hatte, doch faktisch stand ich noch immer bei Null. Ich hatte stets so viel verstanden, dass ich das Gefühl hatte, etwas gelernt zu haben. Doch wirklich verinnerlicht hatte ich es nie. Ich hatte Übungen und Wissensfragmente aneinander gereiht, sie aber nie in einen Gesamtkontext gebracht, so dass daraus wirklich eine Entwicklung hätte stattfinden können. Mein Herz sagte mir stets, dass es das wichtigste sei, mich zu entwickeln und mein wahres Sein zu entdecken. Doch mein Verstand wollte jede Veränderung verhindern und spielte mir daher lauter Erkenntnisse vor, die ich nie wirklich bekommen hatte. Solange ich dies nicht überprüfen musste, war es mir nie aufgefallen. Ich glaubte felsenfest daran, dass ich immer wieder neue Entwicklungsschritte machte und dass ich permanent etwas dazulernte. Doch nun wo ich alles in einem kurzen, prägnanten Kontext so zusammenfassen wollte, sodass es für jeden leicht verständlich war, wurde mir plötzlich klar, dass ich es nicht konnte. Ich konnte es nicht, weil ich es selbst noch nicht wirklich begriffen hatte. Mein Verstand konnte es intellektuell erklären und ich hätte sicher einen einigermaßen passablen Univortrag abhalten können. Doch ich besaß keinerlei Gefühl dazu und konnte nichts davon wirklich greifen. Doch dies war nicht der einzige Punkt und auch nicht der zentralste. Der wahre Knackpunkt lag in einem Thema begraben, von dem ich glaubte, dass ich es längst bewältigt hatte. Das Thema mit meiner Familie.

Was wollte Franz nicht wahrnehmen, was hat ihn blockiert?

Was wollte Franz nicht wahrnehmen, was hat ihn blockiert?

Zu diesem Zeitpunkt war es mir noch nicht einmal im Ansatz klar, doch der innere Widerstand, gegen den ich permanent angeschrieben hatte, war die Stimme meiner Mutter und meiner Familie, die ich in meinem Kopf verankert hatte. Um das zu erklären, muss ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und euch kurz erzählen, worum es in dem Buch geht, das wir geschrieben haben. Es ist ein Trainingsprogramm der alt-indigenen Naturlehre, um sich mit Hilfe der Natur selbst zu heilen und um zu einem Heiler zu werden. Im Grunde beschreibt es also die ersten Schritte, die jedes indianische Kind macht, um zu einem Einheimischen in der Natur zu werden. Doch was bedeutet das? Für mich bestand diese Lehre am Anfang nur daraus, ein paar Übungen aneinander zu reihen, viel Zeit in der Natur zu verbringen und zu sehen, was am Ende dabei heraus kommt. Doch das ist es natürlich nicht. Das Leben als Naturheiler unterscheidet sich grundlegend von unserem üblichen Gesellschaftsleben und geht von einer vollkommen anderen Weltsicht aus. Und genau diese Weltsicht war es, die mir soviel Angst gemacht hat, dass ich sie nicht beschreiben konnte. Einen Überblick über dieses Thema und worum es dabei genau ging, findet ihr im Artikel "Alles ist eins". Es ist durchaus hilfreich, ihn zu lesen, bevor ihr hier an dieser Stelle weiterlest, damit ihr den Kontexts verstehen könnt.

Dies Thema verstanden zu haben führte bei mir nun dazu, dass sich der Gegner in Form meines Verstandes noch einmal ordentlich aufbäumte. Es war als würde er sich ins Fäustchen lachen und sagen: “Da wollen wir doch mal sehen, ob du wirklich daran glauben kannst, dass alles gut und richtig ist!” Je mehr ich versuchte, dieses Gedanken anzunehmen und zu verinnerlichen, desto mehr sorgte mein Verstand dafür, dass ich mich benahm wie ein Vollidiot. Ich wurde unaufmerksamer als je zuvor, konnte keine klaren Gedanken mehr fassen und machte alles kaputt oder falsch, was ich in die Finger bekam. Jeden Text, den ich von nun an für das Buch schreiben wollte, und war er noch so einfach, setzte ich vollkommen in den Sand. Jede Alltagsaufgabe, die ich übernahm und auch schon die letzten zweieinhalb Jahre übernommen hatte, war nun mit einem Mal eine riesige Überforderung für mich. Ich hatte plötzlich das Gefühl, nichts mehr richtig machen zu können und je stärker dieses Gefühl wurde, desto schlimmer wurden auch meine Fehltritte. Für Heiko wie auch für mich selbst machte ich das Leben damit zur Hölle. Ich verbreitete Stress, war mies gelaunt, tollpatschig und trottelig und sorgte dafür, dass mit mir nichts mehr anzufangen war. Hinzu kam, dass der Abgabetermin für das Buch immer näher rückte. Jeder Tag, an dem ich nichts zustande brachte, machte das Projekt nicht nur für mich, sondern auch für Heiko schwieriger. Jeder Text, den ich verpatzte, musste irgendwie wieder korrigiert und nutzbar gemacht werden. Je mehr Zeit verging, desto mehr machte es den Anschein als würde ich das gesamte Projekt in den Sand setzen und damit nicht nur für mich, sondern auch für Heiko endgültig den Kontakt zum Verlag ruinieren. Und ja, wenn Heiko nicht da gewesen wäre, um mich immer und immer wieder aus der Scheiße zu ziehen, die ich mir tagtäglich herbei löffelte, dann hätte ich das Projekt auch vollkommen versiebt. Ich hätte entweder überhaupt nichts abgegeben, oder aber einen Blödsinn, den niemand hätte lesen können. Und dies war mir absolut bewusst.

Unser Verstand kann uns ebenso in die Irre leiten wie er uns helfen kann

Unser Verstand kann uns ebenso in die Irre leiten wie er uns helfen kann

“Und?” fragte mein Verstand schelmisch, “Glaubst du immer noch, dass alles genauso richtig ist, wie es ist?” Nein! Ich glaubte es ganz und gar nicht. Ich wollte es glauben, aber ich konnte es nicht. Ich glaubte stattdessen, dass ich ein vollkommener Versager war, der niemals etwas auf die Reihe bekommen würde. Und dafür hasste ich mich. Ich hasste mich so abgrundtief, dass am Ende nur noch die Fratze des Teufels, also meines Verstandesgegners übrig bliebt, die triumfierend ihr kaltes, totes Grinsen zeigte. Und je mehr ich mich hasste, desto mehr zog ich das Versagen und den Druck in mein Leben. Damit kommen wir dann zum dritten Punkt, zum sogenannten Spiegelgesetz. Wenn alles eins ist und die gesamte Welt nur das Produkt der Phantasie des einen Bewusstseins ist, von dem ich ein Teil bin, dann bin ich zwangsläufig auch der Erschaffer und Gestalter meines eigenen Lebenstraums. Was bedeutet das im Klartext? Stellt euch Gott als einen riesigen Körper vor, von dem jedes Wesen im Universum eine Körperzelle ist. Gott als ganzer Körper bestimmt mit der Gesamtheit seiner Zellen, was er als gesamter Organismus macht. Er kann Tennis spielen, schlafen, etwas Essen oder fernsehen, was immer er auch möchte. All seine Zellen sind an diesen Prozessen beteiligt, weil sie ja immer und überall ein Teil von ihm sind. Gleichzeitig ist aber jede einzelne Körperzelle für den Teil des Körpers verantwortlich, der sie selbst ist. Sie gestaltet ihre eigenen Stoffwechselprozesse, tritt in einen Austausch mit den Nachbarzellen und gestaltet sich so ihr eigenes Leben. Nicht anders ist es auch bei uns. So wie das Allbewusstsein das Universum mit Hilfe seiner Fantasie und seiner Überzeugungen erschafft, erschaffe ich als Gottpartikel den Teil des Universums, in dem ich mich befinde. Und zwar ebenfalls mit Hilfe meiner Fantasie und meiner Überzeugungen. Die Hawaiianer haben dazu den Leitsatz: “Die Welt ist stets das, wofür wir sie halten!” Was bedeutet das? Alles wovon wir überzeugt sind und woran wir zweifelsfrei glauben, muss wahr werden. Oder besser gesagt: Muss ein Teil unseres persönlichen Lebenstraums werden. Was immer uns in unserem Leben also widerfährt, ist das Produkt unserer eigenen, intensivst geglaubten Gedanken. Die Welt, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, ist also nichts anderes, als ein Spiegel unseres eigenen Geistes und unserer Seele. Je mehr wir dabei dem Verstandesgegenspieler glauben, desto mehr nehmen wir die Welt als sinnlos, getrennt, ungerecht und hart wahr. Je stärker wir unserem Gottbewusstsein vertrauen und je näher wir dem Erwachen kommen, desto mehr verwandelt sie sich für uns wieder zurück in das Paradies, das Sie eigentlich ist.

Alles im Leben ist ein Spiegel

Alles im Leben ist ein Spiegel

Da ich nun also vollkommen an meinen Verstand glaubte und felsenfest davon überzeugt war, dass ich nichts zustande bringen würde, musst mir auch genau dies gespiegelt werden. Ich war überzeugt davon, dass ich absolut nicht liebenswert war und konnte mich selbst nicht ausstehen. Ich hielt also “Hass” vor den Spiegel und konnte also auch nichts anderes zurückbekommen. Je mehr ich mich selbst verabscheute, desto mehr machte ich automatisch auch Heiko das Leben zur Hölle und umso mehr stieß ich ihn von mir weg, bis von unserer Freundschaft nichts mehr übrig zu sein schien. Je mehr ich glaubte, unter einem immensen Zeitdruck zu stehen, desto mehr bekam ich von meinem Leben, genau diesen Zeitdruck gespiegelt. Plötzlich wurden die einfachsten Dinge zu einem gewaltigen Problem. Wir bekamen keine Schlafplätze mehr, wurden ständig überall aufgehalten und nahezu alles was passierte, verhinderte mein Vorankommen. Je mehr ich mich dafür wiederum bemitleidete, desto mehr sendete ich die Überzeugung nach außen, dass die Welt ein harter, grausamer Ort ist und ich ein armes, gebeuteltes Opfer bin. Folglich mussten immer mehr Ereignisse stattfinden, die mir noch mehr Grund zum Selbstmitleid gaben. Unser Leben wurde immer härter und anstrengender. Und jedes Mal sagte mein Verstand: “Siehst du, ich hatte Recht! Es ist nicht alles gut! Die Welt ist hart und grausam und du wirst es niemals schaffen in ihr zurecht zu kommen!” Immer tiefer und tiefer rutschte ich in diese Teufelsspirale und egal wie oft ich versuchte, mir einzureden, dass ich nur gelassen bleiben und erkennen musste, dass nichts davon eine Rolle spielt, es wurde nur noch schlimmer und schlimmer. Klar war der Satz: “Alles was mir passiert ist das beste, was mir überhaupt passieren kann!” schon vor mehr als zehn Jahren in mein Leben getreten und rein vom Verstand her war ich mir bewusst darüber, dass es keine Fehler und auch keine Negativität geben konnte. Aber eben nur in meinem Verstand. Fühlen konnte ich es nicht. Und glauben schon gar nicht. Geriet ich in irgendeine Situation, in der aus dem bloßen Gedanken eine praktische Konsequenz hätte entspringen sollen, war ich noch immer bei meinem alten Weltbild des Verstandesgegners. Ohne, dass ich mir dessen bewusst war, wurde das Buch nun zu dem intensivsten Spiegelpartner, den ich je in meinem Leben bekommen hatte.

Je tiefer ich in die Materie eintauchte, desto mehr wurde mir klar, dass ich nun nicht mehr nur so tun konnte, als hätte ich etwas begriffen, während es in Wirklichkeit nur von meinem Verstand analysiert und zerdacht wurde. Ich musste wahrhaft begreifen, was es bedeutete, mit allem eins zu sein und sich seinem Verstandesgegenspieler zu stellen. Und je mehr ich versuchte, das zu umgehen, desto stärker wurde der Druck, den ich mir selbst als Gottpartikel schenkte. So lange, bis ich am Ende glaubte, der einzige Weg, mit dem ich der Welt noch irgendetwas gutes tun konnte, war wenn ich mich einfach von der nächsten Brücke stürze, allem ein Ende bereite und damit niemandem mehr auf die Nerven gehen konnte.

Doch fangen wir vorne an. Woher kam nun der innere Widerstand, der es mir unmöglich machte, ein Buch über die Heilkraft der Natur, das Gottbewusstsein und die Erleuchtung zu schreiben? Auch dafür müssen wir noch einmal einen Schritt zurück gehen und einen Blick auf meine Familiengeschichte werfen. Als Gottpartikel habe ich es mir vor meiner Geburt ausgesucht, in eine Familie hineingeboren zu werden, in der der Gegner vor allem mit Hilfe von Manipulation arbeitet. Mein Großvater war als junger Mann nach dem zweiten Weltkrieg von der Idee begeistert, sein Leben als ein großes Abenteuer zu leben und die Welt zu entdecken. Doch bereits bei ihm steckte die Überzeugung im Kopf, dass er dazu kein Recht hatte, da er eine alleinerziehende Mutter und zwei kleine Brüder besaß, denen gegenüber er sich verpflichtet fühlte. Somit musste er durch seine Gedanken eine Situation in sein Leben ziehen, die ihm das Reisen und Frei-Sein unmöglich machte. Diese Situation kam in Form meiner Mutter, die als Ergebnis einer Affaire mit einer Frau entstand, die mein Opa weder liebte noch sonderlich mochte. Doch zur damaligen Zeit gab es keine Wahl. Wenn ein Kind auf dem Weg war, dann musste es geboren werden und die Eltern mussten heiraten. Somit war das erste Gefühl, das meine Mutter in ihrem irdischen Lebenstraum von ihrem eigenen Verstandesgegner mit auf den Weg bekam: “Ich bin schuld, dass mein Vater nicht frei und glücklich sein kann! Ich werde also nicht geliebt!” Dieser Gedanke wurde zu einer zentralen Lebensüberzeugung, die sie permanent in sich trug und damit auch nach außen strahlte. Als ich viele Jahre später geboren wurde, übernahm ich diesen Leitsatz als Spiegel und machte ihn ebenfalls zu einer festen Lebensüberzeugung, die all mein Handeln und Denken bestimmte: „Weil meine Mutter da ist, darf ich nicht frei sein und mein Leben nach meinem Herzen leben.“ Aus der Perspektive meiner Mutter betrachtet, war ihr Glaubenssatz „Meinetwegen können die Menschen in meiner Nähe nicht frei sein!“ so stark, dass sie zwangsläufig Spiegelpartner in ihr Leben ziehen musste, die ihr genau dieses bestätigten. Aus meiner Perspektive stand ich nun als Kind vor der Entscheidung, auf welche Weise ich ihr diese Überzeugung spiegeln wollte. Entweder ich zeigte ihr offensiv, dass sie meine Freiheit einschränkte, in dem ich bewusst versuchte, sie auszuleben. Dadurch hätte ich meiner Mutter die Möglichkeit gegeben, sich ihren Glaubenssatz bewusst zu machen, da sie aktiv ins Handeln hätte kommen müssen, um mich von meiner Freiheit abzuhalten. Oder aber, und dies war der Weg, für den ich mich entschied.

Nimm dein inneres Kind an die Hand und führe es durch schwierige Situationen.

Nimm dein inneres Kind an die Hand und führe es durch schwierige Situationen.

Ich fügte mich in die Gefangenschaft und spiegelte ihr ihre Überzeugung so auf eine Weise, die für lange Zeit unbemerkt bleiben konnte. Weil das ganze recht verwirrend klingt, beschreibe ich es lieber noch einmal mit einem Sinnbild. Die Überzeugung: „Wegen mir dürfen die Menschen in meiner Nähe nicht frei sein!“ führt dazu, dass man zu einer Art Gefängniswärter wird, der unbewusst alle Menschen in seiner Umgebung einsperrt. Das Gefängnis sieht dabei jedoch nicht aus wie ein Gefängnis, sondern eher wie ein goldener Käfig voller Palmen, gemütlicher Sofas und einem Swimmingpool. Dadurch merken weder der Wärter noch die Gefangenen, dass es ein Gefängnis ist. Wenn sich einer der Gefangenen, in diesem Fall ich, nun dazu entschließt, die Rolle des Gefangenen zu spielen, spiegelt er damit zwar die Überzeugung des Wärters, sorgt aber nicht dafür, dass irgendjemandem die wahres Natur des Gefängnisses bewusst wird. Versucht er jedoch auszubrechen, muss der Wärter plötzlich aktiv werden und ihn von seiner Flucht abhalten. Dies führt natürlich zu einem Konflikt und der Fliehende bekommt dabei wahrscheinlich ein paar ordentliche Schläge für seinen Fluchtversuch. Dadurch jedoch muss sich der Wärter nun ganz bewusst als Wärter wahrnehmen. Er kann nicht mehr einfach so tun, als wäre das Gefängnis ein Wellnessspa mit jederzeit offenen Türen. Der unbewusste Glaubenssatz, der ihn zum Wärter macht, wird also bewusst und er kann sich nun fragen, warum es ihm so wichtig ist, die anderen gefangen zu halten. Nur so kann er erkennen, dass der Auftrag, ein Gefängniswächter zu sein, von seinem Verstandesgegenspieler kommt und nichts mit seinem wahren Sein zu tun hat.

Es ist nicht sein Herzenswunsch, die Menschen, die ihm nahe stehen, einzusperren und von ihrem Lebensweg abzuhalten, es ist seine Angst vor dem Alleinsein und dem Verlassenwerden. Wenn ich die Menschen, die ich liebe nicht an mich fessele, dann werden sie mich verlassen und ich stehe alleine da. Nur wenn ihm diese Angst bewusst wird, kann er sie auch auflösen. Gleichzeitig merken aber auch die Gefangenen erst bei einem Fluchtversuch, dass sie gefangen sind und können sich dadurch ihre eigenen Glaubenssätze bewusst machen, wegen derer sie sich selbst in die Gefangenenrolle begeben haben. Ein Kettenhund, der immer in seiner Hütte bleibt, ohne je auszutesten, wie weit die Kette reicht, merkt nicht, dass er an einer Kette hängt. Er merkt es erst dann, wenn er hinaus in die Freiheit rennt und dann unsanft an der Schlinge um seinen Hals zurückgerissen wird. Da ich mich jedoch viele Jahre lang für die Variante entschied, mich einfach anzupassen und ein unauffälliger Spiegel zu werden, der seine Freiheit und sein Gottbewusstsein von sich aus aufgab, traten die Überzeugungen nie ins Bewusstsein und konnten daher auch nie aufgelöst werden. Auf diese Weise gab ich uns nie die Chance, das Gefangenenverhältnis langsam bewusst zu machen und aufzulösen. Erst jetzt mit dem Medicine-Walk kam es zum plötzlichen Ausbruch und nun war es bereits so spät, dass keine Gemeinsamkeit mehr möglich war.

Erst mit dem Medicine Walk wurde Franz das schwere seelische Gepäck bewusst.

Erst mit dem Medicine Walk wurde Franz das schwere seelische Gepäck bewusst.

Aber schon bevor ich und meine Schwester geboren wurden, musste der Glaubenssatz in meiner Mutter, dass sie Schuld am Unglück ihrer Liebsten war, Situationen in ihr Leben ziehen, die ihr genau diese Annahme bestätigten. Die Eltern verbrachten einen Großteil ihrer gemeinsamen Zeit damit, sich zu streiten, zu beschimpfen, Türen zu knallen und sich das Leben gegenseitig zur Hölle zu machen. Für beide war klar, dass diese Beziehung nichts mit ihrem Lebensweg zu tun hatte und so mussten sie sich gegenseitig den Druck spiegeln, der ihnen zeigte, dass sie sich auf dem Holzweg befanden. Nur war ihnen dies nicht bewusst und so sahen sie stets den anderen als “falsch” an und fühlten sich selbst als Opfer. All dies nahm meine Mutter als eigene Überzeugungen auf. In ihr dachte es: “Wenn Menschen offen ihre Gefühle zeigen, dann führt dies automatisch immer zu Krieg und Hass. Ein Streit ist also immer etwas schlechtes und Wut oder Ärger sind böse, da sie Leid und Schmerz verursachen.” Schließlich wurde der Druck so groß, dass es zur Trennung kam. Dabei nahm meine Großmutter den kleinen Bruder meiner Mutter mit zu sich und meine Mutter selbst blieb bei ihrem Vater. Beide Familienreste lebten noch immer in der gleichen Stadt, nur wenige Blocks von einander entfernt und fast täglich kam meine Mutter auf dem Weg zur Schule an der Wohnung ihres Bruders und ihrer Mutter vorbei. Doch die Mutter verbot jeden Kontakt und verscheuchte meine Mutter sogar, wenn sie sie ertappte, wie sie hinauf zum Fenster schaute. Der Gedanke ihres Gegenspielers “Jeder, den ich liebe wird mich verlassen und ich darf dann niemals wieder Kontakt zu ihm haben!” war so sehr zu einer Überzeugung geworden, dass er zu ihrer persönlichen Wahrheit werden musste. Damals schwor sie sich: “Wenn ich selbst einmal eine Familie habe, dann gibt es darin keinen Krieg, keine Wutausbrüche, keinen Streit und kein Geschrei! Ich werde eine perfekte Familie gründen und ich werde mit allen Mitteln verhindern, dass mich meine Lieben dann je wieder verlassen können!” Dieser Glaubenssatz wurde zu einer Grundüberzeugung und sie glaubte so fest daran, dass sie wirklich genau diese Familie in ihr Leben zog.

Bei meinem Vater tauchte der Gegenspieler in anderer Form auf. Seine Mutter hatte ihren ersten Mann im Krieg verloren und dann einen Versorger geheiratet, der aus ganz praktischen Gründen naheliegend erschien. Er war schweigsam, konnte anpacken, war nicht gewalttätig und auch nicht vollkommen mittellos. Mit einer Herzensentscheidung hatte diese Partnerwahl also nicht das geringste zu tun. Das Menschenbild, das mein Vater durch diese Elternkonstellation lernte, war folgendes: “Die Frau ist die übermächtige Autoritätsperson, also eine Art Gott, der man niemals widerspricht und die immer genau weiß, was zu tun ist. Der Mann gehorcht der Frau, wie ein Hund dem Herrchen, äußert niemals Gefühle oder Widerworte und erfüllt den Job eines treuen Lakeien, ohne eine eigene Meinung, eigene Gefühle oder ein eigenes Leben zu haben. Das einzige Gefühl, dass jemals geäußert werden kann ist Wut, wenn man der Meinung ist, dass jemand etwas falsch gemacht hat. Dabei ist es jedoch wichtig, zunächst einmal alle Gefühle so lange anzustauen, bis man fast platzt und dann alles in einem gewaltigen Schlag auf einmal rauszuhauen.” Das Spannende dabei ist, dass ich nun mit Heiko als meinen Mentor, Freund und Reisebegleiter wiederum einen Menschen in mein Leben gezogen habe, der Wut auf die gleiche Weise äußert, bzw. sehr lange geäußert hat. Während mein Umgang mit Wut war, alles in mich hineinzufressen, bis ich fast platzte, war es seiner, den Groll für eine lange Zeit anzustauen und dann zu explodieren.

Die Wunschvorstellung meines Vaters von einer perfekten Familie passte also relativ gut zu der meiner Mutter. Er suchte eine übermächtige Frau, die ihm alle Entscheidungen abnahm, so dass er ein ruhiges Leben als Hund führen konnte. Und dies nach Möglichkeit komplett ohne irgendwelche lästigen Gefühle. Meine Mutter hingegen suchte nach einem Partner, der immer ihrer Meinung war, so dass jede Form des Streits nahezu ausgeschlossen schien und es weder zu Wutausbrüchen noch zu einer Trennung kommen konnte.

Doch der innere Zwang, jede Form des Streites oder der Meinungsverschiedenheit zu vermeiden, führte noch zu etwas anderem. Kein Partner und sei er noch so hörig, kann immer und überall genau die gleiche Meinung haben, wie seine Frau. Es muss also immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen, ganz einfach deshalb, weil Meinungen nun mal verschieden sind. Um dieses Problem zu lösen, setzte meine Mutter das Mittel der Manipulation ein. Ihre Taktik war es, niemals direkt zu sagen, was sie wollte, geschweige denn einem anderen zu widersprechen oder etwas zu verbieten, sondern immer subtil zu erreichen, dass er von ganz alleine tat, was sie von ihm wollte. Das funktionierte bei meinem Vater und es funktionierte natürlich auch bei uns Kindern.

Womit wir auch schon beim Thema wären. Denn zu einer perfekten Familie gehörte ja nicht nur ein perfekt gehorchender Ehemann, sondern auch perfekte Kinder. Der Wunsch in meiner Mutter nach einem eigenen Kind, bei dem sie alles besser machen konnte, als sie es in ihrer Kindheit erfahren hatte, war zunächst so stark, dass einfach kein Kind entstehen wollte. Sie war zu verkrampft und konnte die Dinge nicht so geschehen lassen, wie sie geschehen wollten. Es MUSSTE sein. Und deswegen konnte es nicht funktionieren. Genau das gleiche Muster trug nun auch ich wieder in mir, als ich versuchte das Buch fertig zu stellen und damit auf gewisse weise mein eigenes, geistiges Baby in die Welt zu setzen. Ich wollte es erzwingen und somit klappte überhaupt nichts. Bei meiner Mutter war es vor dreißig Jahren ähnlich. Erst als sie es aufgab und akzeptierte, dass sie wahrscheinlich kinderlos bleiben würde, machte ich mich auf den Weg. Und bereits im Bauch meiner Mutter bekam ich die ersten Impulse für mein Leben gesetzt: “Du musst immer ein guter Sohn sein und dafst deine Eltern nie enttäuschen! Sei ein Teil einer perfekten, harmonischen Familie, dann wirst du auch geliebt. Aber pass auf! Wer stänkert, rebelliert und die Familienharmonie stört, dem wird die Liebe entzogen, denn Wut oder Streit gibt es hier nicht. Solange du ein braver Junge bist und deine Eltern stolz machst, bekommst du so viele Leckerlis der Anerkennung wie du willst. Wenn nicht, dann eben nicht!” Dass mir all diese Glaubenssätze, die ich für mich als Wahrheiten annahm, buchstäblich die Luft abschnürten zeigte sich bei meiner Geburt sogar auf der körperlichen Ebene. Die Nabelschnur legte sich um meinen Hals und würgte mich dabei so stark, dass ich regelrecht blau anlief. Direkter hätte es mein Körper also nicht ausdrücken können: Vorsicht, wenn ihr so weiter macht, dann wird der Junge an der Überfürsorglichkeit der Mutter ersticken. Auch mein Männerbild wurde bereits jetzt zum ersten Mal geprägt. Ein Mann war jemand, der einer Frau widerspruchslos folgt, der seine eigenen Gefühle unterdrückt und der immer auf das hört, was man ihm sagt. Dies war es, was ich auf der feinstofflichen Ebene von meinen Eltern mitbekam und damals entschied ich mich, diese Gedanken zu glauben und als meine Wahrheit anzunehmen. Wichtig zu verstehen ist, dass ich diese Entscheidung bewusst traf. Meine Eltern gaben mir lediglich die Vorlagen, die sie mir geben konnten und mussten. Wie hätten sie mir etwas anderes vorgeben wollen, wenn dies die Muster waren, die sie in sich trugen? Es wäre nicht möglich gewesen. Sie haben also stets genau richtig gehandelt und immer das beste getan, was ihnen möglich war. Auch an den Glaubenssätzen selbst ist nicht falsch. Alles ist eins, alles ist Gott, und Gott ist vollkommen unfehlbar. Hätte ich diese Vorgaben für meine inneren Überzeugungen nicht von ihnen bekommen, und hätte stattdessen gleich erkannt, dass ich ein Teil von Gott und damit unsterblich bin und das alles lediglich eine Traumgeschichte ist, dann hätte ich mich niemals auf den Weg zum erwachen begeben können. Meine Eltern haben also niemals etwas falsch gemacht, sondern einen wichtigen Auftrag von Gott ausgeführt. Sie haben mir die Möglichkeit gegeben, mich selbst dafür zu entscheiden, diesen Glaubenssätzen des Gegners zu folgen, um mich auf diese Weise zunächst einmal sehr weit vom Weg zur Erkenntnis abzubringen, so dass überhaupt eine Spannung und ein Erkenntnisweg entstehen konnte. Die Wahl, ob ich diese Glaubensmuster des Gegners annehme und wie ich sie annehme, lag dabei bei mir selbst.

Auch die Gottesanbeterin weiß das sie Gott ist.

Auch die Gottesanbeterin weiß das sie Gott ist.

Ich weiß noch genau, dass ich als kleiner Junge, mit vielleicht vier oder fünf Jahren einmal abends in meinem Bett lag und über mich selbst nachdachte. Dabei fiel mir auf, dass ich die Welt und mich selbst aus einer völlig anderen Perspektive wahrnahm, als alle anderen Menschen und Wesen. Ich sah mich von innen, schaute also aus meinen Augen heraus und nahm die Welt aus diesem Blickwinkel wahr. Alle anderen Menschen aber konnte ich nur von außen sehen. Und dies war bei allen gleich. Es war egal, ob es sich dabei um meine Familie handelte oder um einen Fremden. Alle waren Wesen, in die ich nicht hineinsehen und aus deren Perspektive ich die Welt nicht wahrnehmen konnte. Wieso also nahm ich sie ausgerechnet aus meiner Perspektive wahr und nicht aus der eines Hundes oder unseres Nachbarn? Wieso ich in diesem Körper mit diesen Gedanken und dieser Persönlichkeit? Wieso war das “Ich” soviel anders als alles, was “nicht Ich” war? War es überhaupt so viel anders? Ich kann mich an die Gedanken von damals leider nicht mehr ganz genau erinnern, aber ich weiß noch, dass ich damals zu dem Schluss kam, dass all dies nicht real sein konnte. Die Welt, so wie ich sie wahrnahm ergab einfach keinen Sinn. Es musste eine Illusion sein! Für einen Sekundenbruchteil begriff ich damals, dass ich Gott, also ein Teil des Allbewusstseins war. Nur für einen winzigen Moment, denn dieser Gedanke machte mir eine solche Angst, dass ich fast zu Tode erschrak und ihn sofort wieder verdrängte. Es war, als würde mein ganzes Weltbild vor meinen Augen in tausend Scherben zerbrechen. Ich wusste, wenn ich diesen Gedanken zuließ, dann konnte ich nicht mehr so weiterleben wie zuvor. Dann konnte ich nicht mehr der brave Junge einer perfekten Familie sein. Und das durfte auf keinen Fall passieren! Damals schwor ich mir, dass ich nie wieder so tief über mich nachdenken würde. Ich wollte nie wieder eine solche Erkenntnis haben, weil ich in gewisser Weise wusste, dass sie meinen Tod als Tobias Krüger bedeuten würde. Erst heute wird mir bewusst, dass die Erfahrung von damals weit mehr war, als das Gedankenspiel eines kleinen Jungen. Es war eine kurze Verbindung mit meinem wahren Sein. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich damals Besuch bekam, von einem Wesen oder einem Bewusstsein, das später eine zentrale Rolle in meinem Leben spielen sollte.

Das Allbewusstsein ist allgegenwärtig.

Das Allbewusstsein ist allgegenwärtig.

Aus Angst vor dieser Begegnung mit meinem göttlichen ich fügte ich mich also in meine Rolle, unterdrückte meine Gefühle und meine Herzensstimme und hörte von nun an nur noch auf meinen Verstand. Ich wurde der perfekte Sohn und eignete mir die gleichen manipulativen Verhaltensweisen an wie meine Mutter. Oder genauer gesagt andersherum. Die Welt gibt es ja nicht wirklich und somit gibt es auch weder meine Mutter noch meine Familie mit ihrer Systematik. Mein Verstandesgegner redete mir die Überzeugung ein, dass ich nur dann geliebt werde, wenn immer eine Harmonie herrschte und es niemals Streit gab. Und diese Überzeugung bekam ich stets von meiner Familie gespiegelt. Mit der Zeit, wurde mein Verstand in Sachen Manipulation immer besser. Sowohl der äußere Spiegel meines Gegners in Form meiner Mutter, als auch die Verstandesstimme in meinem Kopf schafften es so, dass ich selbst immer in dem Glauben lebte, mich zu entwickeln, zu wachsen, zu lernen und meinen eigenen Weg zu gehen, während ich in Wirklichkeit nichts weiter war als eine Marionette, die alles tat, was man ihr sagte. Ich funktionierte wie ein Roboter und war nur eine Maske, ohne eine eigene Seele. Die Seele war natürlich noch immer da und hin und wieder schaffte sie es auch, sich bis an die Oberfläche durchzuboxen. Noch immer war ich mit meinem Gottbewusstsein verbunden, dass mich trotz all der Verstandesmanipulation immer wieder in die Richtung schubste, in die ich gehen sollte. Nur so konnte ich schließlich als Schüler bei Heiko und später auf dieser Reise landen. Doch die Oberhand behielt immer mein Verstand und auch wenn er mich offensichtlich in Richtung Freiheit gehen ließ, sorgte er stets dafür, dass ich nie wirklich frei werden konnte. Dabei ging er so genial vor, dass er mich immer wieder aufs neue überlistete, gerade und vor allem, wenn ich glaubte, ihn durchschaut zu haben. Am deutlichsten wird dieses Manipulations-Spiel meines Gegners immer im Zusammenhang mit meiner Mutter, weil sie einfach ein absolut großartiger und genialer Spiegel dafür ist. Solange ich die Rolle des perfekten Familiensohnes spielte, gab es nahezu nie Probleme, weder mit meiner Mutter noch mit meinem Verstand. Wir stritten uns so gut wie nie, da ich ja ohne es auch nur zu merken, immer genau nach ihren Fäden tanzte. Ich erinnere mich noch gut an eine Situation als Kind, als ein Kumpel von mir vorschlug, dass wir doch einfach eine Nacht in unserem Garten zelten könnten, um ein bisschen Abenteueratmosphäre zu erleben. Ich war von dieser Idee begeistert und ging sofort zu meiner Mutter um zu fragen, ob sie es uns erlaubte. Doch bereits auf dem Weg merkte ich, wie die Begeisterung schwand. Je näher ich ihr kam, desto stärker spürte ich, wie sie mir förmlich sie Lust aufs Zelten entzog. Als ich sie schließlich danach fragte, war sofort klar, dass sie es mir nicht erlauben würde. Sie verbot es aber auch nicht, sondern führte ein kurzes Gespräch mit mir, an dessen Ende ich die Zelt-Idee selbst für die dümmste aller Zeiten hielt. Derartige Situationen gab es ständig und bei den meisten habe ich nie gemerkt, was eigentlich geschehen ist. Diese Situation ist mir nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil mich mein Kumpel natürlich im Anschluss nach dem Ergebnis fragte und ich nicht wusste, was ich antworten sollte. Denn wirklich verboten hatte sie es ja nicht, aber eben auch nicht erlaubt. Und jetzt wo wir wieder unter uns Jungs waren, fand ich die Idee doch eigentlich gut. Ich konnte damals nicht verstehen, was passiert war. Ich weiß nur, dass wir nie in unserem Garten gezeltet haben. Später übernahm ich dann unbewusst die gleiche Taktik. Wenn ich etwas wollte, dann sagte ich es nicht direkt, sondern versuchte durch indirekte Hinweise oder subtile Bemerkungen die anderen dazu zu bewegen, dass sie genau das taten, was ich wollte. Damals empfand ich das als eine Art der Höflichkeit, da es sich in meinen Augen nicht gehörte, seine Wünsche oder Bedürfnisse direkt anzusprechen. Dass es Manipulation war, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Das wurde mir erst später klar.

Jeder Mensch hat unterschiedlichste Gedankenstimmen die sich oft widersprechen

Jeder Mensch hat unterschiedlichste Gedankenstimmen die sich oft widersprechen

Eine der wichtigsten Taktiken meiner Mutter war es, mich stets in dem zu bestätigen was ich wollte, mich dabei aber unbewusst spüren zu lassen, dass sie eigentlich dagegen war. So wollte ich nach meinem Abitur ins Ausland gehen und ein oder zwei Jahre um die Welt reisen, in sozialen Projekten arbeiten und eigene Erfahrungen sammeln. Dafür bot sich die Zeit des Zivildienstes an, die man ja relativ einfach ins Ausland verlagern konnte. Meine Mutter fand die Idee gut, gab aber zu bedenken, dass ich dann viel länger den Dienst ableisten müsste, wodurch ich später mit dem Studieren beginnen würde und wichtige Lebenszeit verlor. Es war nur ein einziger Satz, doch er führte dazu, dass ich am Ende meinen Zivildienst in Deutschland ableistete und anschließend für zwei Monate in einem serbischen Kinderheim arbeitete. Damals glaubte ich felsenfest, dass es meine eigene Entscheidung war, und dass ich so eine gute Lösung erwirtschaftet hatte. Doch war es das wirklich? Wenn ich noch einmal in mich gehe, dann liegen doch einige Welten zwischen einer zweijährigen Auslandserfahrung in Lateinamerika und einem Zivildienst in der Förderschule meines Heimatortes mit einem anschließenden Monatstrip nach Serbien. Alle Entscheidungen, die ich auf diese Weise traf, waren also stets ein Kompromiss zwischen dem, was ich eigentlich wollte und dem was mein Verstandesgegner, bzw. meine Mutter zuließ. Es war ein bisschen, als würde man über ein Feld gehen und alle paar Meter einen leichten Stubser in die rechte Seite bekommen. Jeder einzelne Impuls fiel nicht weiter auf und man hatte nie das Gefühl, dadurch wirklich von seiner Richtung abgelenkt zu werden. Doch alle zusammengenommen führten dazu, dass man einen Bogen lief und am Ende genau am entgegengesetzten Ende des Feldes herauskam, als man eigentlich herauskommen wollte. Solange ich ein kleines Kind war, besaß ich wie alle kleinen Kinder die Fähigkeit, alles was meine Eltern oder besser meine Mutter sagte, als vollkommene und unumstößliche Wahrheit anzunehmen. Ich wuchs größtenteils im Rahmen meiner Familie auf und konnte daher weitgehend auf eine eigene Meinung verzichten, wodurch ich im allgemeinen super zurecht kam. Je älter ich jedoch wurde, desto schwerer wurde es auch, die Harmonie der gefühlslosen Perfektion aufrecht zu erhalten. Ich kam in den Kindergarten und lernte hier andere Kinder kennen, die andere Meinungen hatten. Ich weiß noch, dass ich am ersten Tag endlos geweint habe, weil ich mich von meiner Mutter trennen sollte. Damals kam es mir wie ein Weltuntergang vor und ich glaubte, dass ich ohne den Kontakt zu ihr, nicht überleben könne. Es dauerte einige Tage, bis ich den Abstand zwischen uns als ungefährlich eingestuft hatte und ihn so akzeptieren konnte. Mit der Zeit wurde der tollerierbare Abstand und die Länge des Einander-Nicht-Sehens immer größer, bis sie schließlich tausende von Kilometern betraf. Doch die Grundangst, nur überleben zu können, wenn s eine irgendwie geartete Verbindung mit meiner Mutter gibt, saß und sitzt als Grundüberzeugung noch immer tief in mir. Später spielte ich oft mit einigen Freunden Familie und es ist sicher auch kein Zufall, dass ich dabei immer die Rolle der Mutter spielen wollte. Unter der Rolle des Vaters konnte ich mir damals nicht viel vorstellen, aber mir war klar, dass die Mutter diejenige war, die das Sagen hatte und das gefiel mir im Spiel immer recht gut. Mit der Schulzeit merkte ich dann immer mehr, dass es unmöglich war, es allen Recht zu machen und die Harmonie immer aufrecht zu erhalten. Verwirrender Weise hatten die Menschen alle unterschiedliche Ansichten davon, was gut, schön und richtig war. Bislang hatte ich immer sehr erfolgreich die Strategie angewandt, keine eigene Meinung zu haben und mich einfach anzupassen. Doch woran sollte ich mich nun halten, wenn doch jeder etwas anderes sagte? Die Welt wurde plötzlich widersprüchlich und komplex und damit drohte die Traumblase meiner perfekten Familienwelt zu zerplatzen. Ich brauchte also eine Strategie, mit der ich die gefährlichen Eindrücke, die permanent von außen auf mich einprasselten, abwehren konnte. Und diese Strategie fand ich in meiner Unaufmerksamkeit. Wenn ich nichts mehr wahrnahm von der Welt, dann merkte ich auch die Widersprüche nicht mehr so deutlich. Alles, was nicht zur Familienidylle passte, wurde einfach ausgeblendet. Mein Körper unterstützte mich dabei, indem meine Augen begannen, alles verschwimmen zu lassen, was sich nicht in meiner unmittelbaren Nähe befand. Schließlich wurde ich so kurzsichtig, dass ich kaum noch ein Buch lesen konnte, wenn ich keine Brille trug. Auch die Erfahrung des kurzen Aufflackerns meines Gottbewusstseins wird dazu ihren Teil beigetragen haben. Ich hatte das Gefühl, dass mein Weltbild zerbricht und wenig später passierte genau das. Das Bild, das mir meine Augen von der Welt zeigten, wurde immer unklarer und verschwommener. Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, wurde es um 0,5 bis 1 Dioptrin schlechter, solange bis ich ausgewachsen war. Die Ärzte schoben es auf das Wachstum meiner Augen und damals glaubte ich diese Begründung. Heute ist mir jedoch klar, dass meine Augen die Welt um mich herum umso stärker ausblendeten, je stärker ich aus der Traumblase meiner perfekten Kindheit hinaus fiel. Bevor ich in die Schule kam, hatte ich einen tiefen Wunsch ganz fest in mir verankert: Ich wollte nie erwachsen werden! Warum? Weil mir schon damals klar war, dass die Familienfassade irgendwann zu bröckeln beginnen würde und davor hatte ich Angst. Jetzt in der Kindheit war doch alles gut! Konnte es nicht einfach ewig so bleiben?

Die Familienfassade wird wohl zusammenbrechen, dies war Franz klar.

Die Familienfassade wird wohl zusammenbrechen, dies war Franz klar.

Die Frage war nur, warum war alles gut? Es war gut, weil ich es hinnahm, dass ich eine Marionette war. Solange ein Zug in den Gleisen fährt, die man für ihn vorgesehen hat, läuft alles glatt und es gibt keinen Grund, irgendwie ins Geschehen einzugreifen. Meine Familiensituation blieb also friedlich und ich hätte jedem versichern können, dass es weder in meiner Familie noch in meinem Kopf nennenswerte Probleme gab. Doch bereits damals bekam ich viele Spiegel von außen, die mir deutlich zeigten, dass ich in einer Phantasiewelt lebte. So dauerte es kaum ein halbes Jahr in der Gesamtschule, bis ich mich zum Außenseiter etabliert hatte und von fast jeder Seite gemobbt wurde. Damals konnte ich es mir nicht erklären, da ich mich ja eigentlich für einen netten und liebenswerten Jungen hielt. Doch ohne dass es mir bewusst war, hatte ich neben der Manipulation noch eine andere Eigenschaft meiner Mutter übernommen, die mein Verstandesgegner nun verwendete, um mich von meinem Weg abzubringen. Diese Eigenschaft war mein Opferbewusstsein. Schon als Baby hatte meine Mutter gespürt, dass sie nicht geliebt wurde und dass die ganze Welt gegen sie war. Ihre Eltern hassten sich gegenseitig und sie bekam alles ab. Die Kernfrage lautete stets: Warum passiert mir das alles? Warum muss ich so ein armes, ungeliebtes Mädchen sein, dass nicht einmal Kontakt zu ihrem Bruder haben darf? Dieses Opferbewusstsein übernahm ich ebenfalls und führte es zur Perfektion. Ich selbst war stets der Gute, der für nichts etwas konnte und wann immer irgendetwas passierte, war ich das unschuldige Opfer. Wichtig dabei war, dass ich kein permanenter Opfertyp war, nicht so stark, dass es jemandem bewusst auffallen konnte, so dass es vielleicht zu einem Gespräch gekommen wäre. Alles musste stets subtil und unauffällig geschehen, damit sich niemand Sorgen machte. Denn die Familie musste ja perfekt sein und ein Sorgenkind war sicher kein guter Sohn. Ich war also nie das Mobbingopfer, über das sich die Lehrer in ihren Pausen die Köpfe zerbrachen und für das Konferenzen oder Elterngespräche organisiert wurden. Dafür gab es andere Schüler, auf denen ich ebenfalls herumhackte, um ein Teil der Gruppe zu sein. Nein, ich war stets der unauffällige Junge, der nie Probleme machte oder hatte und der immer nur dann die Seitenhiebe bekam, wenn keiner hinschaute. Doch durch mein Opferbewusstsein provozierte ich die anderen Schüler dazu mich zu hänseln, so stark es nur ging. Schon damals erstarrte ich immer wieder zu der Fratze meines Verstandesgegners, in die man einfach nur noch reinprügeln wollte. Wie hätte es auch anders sein sollen? Ich strahlte aus, dass ich selbst keinerlei Achtung vor mir hatte, mich nicht liebte, ja nicht einmal mochte, sondern nur um die Liebe meiner Mutter bettelte in dem ich versuchte, ihr alles Recht zu machen. Gleichzeitig bettelte ich aber auch um die Liebe meiner Mitschüler und versuchte auch hier der perfekte Kumpel zu sein, indem ich so wurde, wie sie mich sehen wollten. Nur klappte das nicht, denn dafür hätte ich coole Kleidung und teure Schuhe gebraucht, die ich aber nicht bekommen konnte, weil ich dann eine Diskussion mit meiner Mutter hätte anfangen müssen. Damals empfand ich jeden Schultag als einen neuen Höllenritt, den ich nur versuchte, so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Heute ist mir klar, dass all meine Mitschüler und vor allem die stärksten Mobber, riesige Gottesgeschenke waren, die mich schon damals in die Freiheit hätten führen können, wenn ich mich darauf eingelassen hätte. Es waren Arschengel, die mir als Wegweiser zur Seite gestellt wurden um zu sagen: “Komm Tobi! Brich aus! Sag deiner Mutter endlich, dass du Gefühle und ein eigenes Leben hast! Sag ihr, dass du nicht nur ihre Marionette bist, damit sie das Gefühl haben kann, eine gute Mutter zu sein. Sag ihr, dass es dir scheiße geht, dass wir dir dein Leben zur Hölle machen und dass du endlich du selbst sein willst! Wenn du zu dir stehen kannst und ein echter Mensch wirst, dann hören wir auch mit den Hänseleien auf, denn dann können wir dich als unseren Mitschüler ernst nehmen.” Hätte ich damals auf diese Arschengel gehört und wäre heulend oder fluchend nach Hause gerannt, hätte meiner Mutter mein Herz ausgeschüttet und gesagt, dass ich verfickt noch eins meinen eigenen Stil und meine eigene Persönlichkeit will. Dass ich nicht mehr wie der letzte Hanswurst herumlaufen will, der von jedem gehänselt werden muss. Dass ich lieber beim Fahrradfahren bei einem Unfall draufging, als noch einen einzigen Tag länger die Schmach zu ertragen mit einem neongelben Fahrradhelm zur Schule fahren zu müssen, dann hätten sich die Dinge vielleicht anders entwickelt und möglicherweise hätte ich den Kontakt zu meiner Familie nun nicht vollkommen abbrechen müssen. Doch ich wollte davon nichts hören. Der Leidensdruck, den mir die Hänseleien bereitete, war nicht stark genug und ich beschloss, ihn einfach auszuhalten und zu warten, bis er vorbei war.

Die Taktik ging auf. Ich überstand meine Schulzeit ohne ein einziges Mal gegen meine Eltern zu rebellieren und ohne ein einziges Mal unter meinen Masken hervorzutauchen. Aus dem perfekten Kind war nun der perfekte volljährige Sohn geworden, dem die Welt offen stand und der sich nun frei entscheiden konnte, den Weg einzuschlagen, den seine Mutter für ihn vorgesehen hatte. Doch dann kam ein Bruch, der alles verändern sollte. Über die Arbeit als Erlebnispädagoge lernte ich Heiko kennen und mit ihm zog ich zum ersten Mal einen echten Mentor in mein Leben. Schon als kleines Kind hatte ich immer davon geträumt, einmal einen Mentor zu haben, wie ihn die Einheimischenkinder der Naturvölker oder die Helden in so vielen Geschichten hatten. Keinen Lehrer, der einem Antworten vorgab, sondern einen weisen Freund, der gemeinsam mit einem durchs Leben zog und einem Aufgaben stellte, durch die man immer wieder wachsen konnte um so schließlich in seine volle Kraft zu kommen. Je älter ich wurde, desto stärker wurde der Wunsch und desto größer wurde auch die Präsenz, mit der ich ihn nach außen sendete. Denn auch wenn ich nach außen hin über all die Jahre ein guter Sohn, Bruder, Freund und Schüler war, spürte ich doch im inneren, dass all dies nicht wirklich ich war. Ich hatte alles und doch war ich nie zufrieden, dankbar oder erfüllt. Ich spürte stets eine Schwere in mir, die nicht weggehen wollte und mir war klar, dass mein Platz irgendwo da draußen, außerhalb dieser Seifenblase meiner Familienharmonie lag. Dies war wohl auch der Grund, warum ich ständig eine so große Sehnsucht spürte, die Welt zu bereisen. Dass mein Mentor ausgerechnet in der Umkleidekabine einer Jugendherberge auf mich warten sollte, in die wir beide von unserem Auftraggeber abgeschoben wurden, weil es kein freies Zimmer mehr gab, hätte ich allerdings nicht erwartet. Ich hatte mir eher einen alten Mann vorgestellt, vielleicht einen Indianer oder einen Aborigine. Doch einen Mentor sucht man sich nicht aus und man findet ihn auch nicht. Von einem Mentor wird man gefunden und man wird von ihm ausgebildet, wenn man soweit ist. In meinem Fall bestand der Erstkontakt darin, dass ich einen seltsamen Text über die Informationsspeicherfähikeit von Wasser vorgelesen bekam und anschließend beurteilen sollte, ob man ihn als Unwissender auf diesem Gebiet verstehen konnte oder nicht. Erst danach stellten wir uns gegenseitig vor und eine halbe Stunde später spazierten wir gemeinsam durch den Ort, aßen eine Pizza und unterhielten uns über die Vor- und Nachteile von Brust-OPs. Nein, damals hätte ich wirklich nicht gedacht, dass dieser Mann einmal mein bester Freund und Mentor werden würde.

Ein Mentor findet dich, wenn du soweit bist.

Ein Mentor findet dich, wenn du soweit bist.

Doch bereits ein halbes Jahr später wohnte ich bei ihm auf der Couch und wir waren gemeinsam dabei, eine der erfolgreichsten Wildnisschulen in Deutschland aufzubauen. Zuvor hatte ich in einer intensiven Ausbildung die Grundfähigkeiten über das Leben in der Natur vermittelt bekommen und nun lernte ich im täglichen Leben weiter. Zum ersten Mal konnte ich mich und meine Familiensystematik mit einem gewissen Abstand betrachten. Noch immer war ich davon überzeugt, dass bei uns alles in bester Ordnung war und dass es bei mir, anders als bei allen anderen Menschen auf der Welt, keine komplexen Kindheitsthemen zu lösen gab. Weit gefehlt, sag ich da nur, weit gefehlt! Je länger ich mit Heiko zusammen wohnte, arbeitete und lernte, desto mehr begann meine Maskenfassade zu bröckeln und Stück für Stück tauchte hin und wieder mein wahres Selbst darunter hervor. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass auch ich Gefühle hatte, wenngleich ich sie noch immer nur in sehr begrenztem Maße und nur sehr selten wahrnehmen konnte. Doch je mehr ich mir meiner selbst bewusst wurde, desto weniger funktionierte die Friede-Freude-Eierkuchen-Taktik mit meiner Mutter. Ich war nun 26 Jahre alt und zum ersten Mal in meinem Leben kam es zu einer kleinen Rebellion. Heiko und ich hatten einen Ausflug nach Norddeutschland gemacht und hatten dabei auch meine Familie besucht. Der Beginn des gemeinsamen Wochenendes war noch recht in Ordnung und es wirkte tatsächlich so, als könnte es eine schöne Zeit werden. Dann jedoch verbrachten Heiko und ich den Nachmittag in einer nahegelegenen Therme und als wir wieder nach hause kamen, durfte ich mir von meiner Mutter eine Standpauke anhören, was für ein unmöglicher Sohn ich denn war. Wie konnte ich nur hier her kommen und dann nicht das ganze Wochenende Zeit mit meinen Eltern verbringen? Sie habe das Gefühl, dass ich sie überhaupt nicht wirklich liebe und wäre schwer von mir enttäuscht. In dem Moment des Gesprächs hatte ich das Gefühl, dass ich damit sogar relativ gut umgehen konnte. Normalerweise stand ich bei solchen Gesprächen immer wie eine Salzsäule erstarrt da, spürte, fühlte und dachte nichts mehr und wartete nur, bis alles wieder vorbei war. In diesen Situationen war es rein mein Gegner, der in mir noch anwesend war. Alles andere schien wie abgetötet. Dementsprechend verzerrte sich auch mein Gesicht zu dieser kalten, abartigen Fratze, die in den letzten Tagen so oft präsent geworden ist. Doch in dieser Situation war es anders. Ich konnte sprechen, ich konnte einige Argumente entkräftigen und es gelang mir, meiner Mutter nicht in allen Punkten Recht zu geben. Als ich die Treppe hinauf in mein Zimmer ging, wo Heiko auf mich wartete, fühlte ich mich wie der Herr der Lage. Doch bereits als ich oben ankam, merkte ich, dass ich mich zwar wie ein Rebell fühlte, aber keiner gewesen war. Trotz meines leisen Protestes hatte ich alle Schuldgefühle angenommen, die mir entgegengebracht wurden. Das Fazit aus diesem Gespräch war das gleiche wie immer: Ich war ein schlechter Mensch, der seine Mutter enttäuscht hatte! Ich war also nicht richtig und somit nicht liebenswert, bis ich das wider geradebog oder bis Gras über die Sache gewachsen war und ich mich zukünftig wieder angemessen verhielt. Auf der Fahrt am nächsten Tag in Richtung Neumarkt wurde mir dann die ganze Tragweite der Situation bewusst. Nun spürte ich, wie die Wut in mir hochkochte. Denn die Anschuldigungen waren für mein Ermessen nicht nur haltlos sondern auch unverschämt gewesen. Meine Mutter hatte es geschafft, uns durch ihr Opferbewusstsein mit voller Absicht ein komplettes Wochenende zu verderben, das eigentlich wunderschön angefangen hatte. Sie hatte es geschafft, dass ich mich beschissen fühlte, obwohl es dafür keinen Grund gab. Das konnte ich so nicht auf mir sitzen lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass die Gefühle, die in mir waren, auch eine Berechtigung hatten und dass sie nach draußen durften. Gleich am nächsten Tag schrieb ich eine lange Mail nach hause und berichtete haarklein wie es mir ging und welche Wut sich in mir aufgestaut hatte. In Heikos Augen war diese Mail ein reines Muschigewäsch, bei dem ich es versäumte richtig auf den Putz zu hauen. In meinen Augen war es die härteste und offenste Kommunikation, die je zwischen mir und meinen Eltern stattgefunden hatte. In den Augen meiner Mutter war es eine Unverschämtheit. Sie könne nicht im geringsten nachvollziehen, warum ich ihr so eine Hassmail schrieb und sie würde sich ein derartiges Verhalten in Zukunft verbitten.

Der Mailkontakt ging noch eine Weile so weiter und es folgten auch ein paar Telefonate, bei denen ich jedes Mal der Meinung war, dass ich nun klar und offen gewesen war, so dass ich die Marionettenfäden endlich kappen konnte. Jedes Mal schien es für mich so, als hätte meine Mutter meinen Standpunkt nun verstanden und als könne sie ihn akzeptieren, so dass unsere Beziehung in Zukunft nun nicht mehr auf Manipulation und Maskerade sondern auch Ehrlichkeit, Vertrauen und echten Gefühlen aufbauen konnte. Bei all dem merkte ich jedoch nicht, dass ich mich hatte schon wieder vollkommen austricksen lassen. Ich hatte meine Gefühle einmal geäußert, war dafür gerügt worden und auch wenn ich glaubte, damit etwas erreicht zu haben, verhielt ich mich im Anschluss doch wieder genau so, wie man es von mir erwartete. Wieder war ich der brave Sohn, der seine Gefühle zurückhielt und der dafür sorgte, dass das Bild der heilen Familie aufrecht erhalten blieb. Zumindest so lange, bis es wieder zum nächsten Rebellionsimpuls kam. Der letzte große war der auf unserer Reise gewesen, der in Spanien begonnen hatte und der dem Kontaktabbruch zwischen mir und meinen Eltern geendet war. Dieses Mal hatte ich nun wirklich das Gefühl, mich endgültig befreit zu haben. Wie sollte meine Mutter noch weiter in meinem Leben herumpfuschen, wenn sie keinen Kontakt mehr zu mir hatte? Das ging nicht, also musste ich zwangsläufig frei sein. Nun konnte ich tun und lassen was immer ich wollte und musste keine Angst mehr haben, dass ich ihr damit auf die Füße trat. Doch was machte ich wirklich? Am Anfang dieser Heilungsreise und mit der Entsehung dieses Blogs habe ich euch und mir ein Versprechen gegeben. Ich habe versprochen, immer vollkommen offen und ehrlich zu schreiben und nichts hinterm Berg zu halten, was mich, bzw. uns gerade beschäftigt. Und doch habe ich dieses Versprechen nicht gehalten. Ich habe ein einziges Mal über meine Familiensituation berichtet, was zum Kontaktabbruch mit meinen Eltern führte. Und ohne es zu merkten habe ich danach schon wieder genau das gemacht, was sie von mir erwarteten. Ich hörte auf, über meine Gefühle zu schreiben und schrieb vor allem nichts mehr über die Situation mit meinen Eltern. Alles, was meine Mutter oder meinen Vater irgendwie kränken konnte, ließ ich außen vor. Ich hatte mich also schon wieder komplett kastrieren lassen und hatte es nicht einmal gemerkt. Heiko machte es mir an einem anschaulichen Sinnbild deutlich: “Stell dir vor, ich würde dir ab sofort verbieten, an deinem Penis herumzuspielen. Deine Reaktion ist nun, dass du den Kontakt zu mir abbrichst, deinen Schwanz aber trotzdem nie wieder anfasst. Macht das für dich einen Sinn? Wenn du schon rebellierst und das Ende unserer Beziehung in Kauf nimmst, dann solltest du doch danach wenigstens mein Verbot ignorieren und ordentlich wichsen. Sonst habe ich doch genau das erreicht, was ich erreichen wollte!” Das Beispiel war zwar etwas seltsam gewählt, aber es stimmte! Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich zwar glaubte, eine gute Lösung für die Situation mit meiner Familie gefunden zu haben, dass ich in Wirklichkeit aber nur wieder genau nach den Strippen meiner Mutter getanzt hatte. Denn was war es, worum es mir eigentlich bei der ganzen Sache ging? Ich wollte nicht mehr nur als Puppe angesehen werden, die man stolz vorzeigen und als Assessoir einer perfekten Familie präsentieren konnte. Ich wollte als Mensch gesehen werden und das Recht haben, frei meine Gefühle zu äußern, die dann auch gehört werden sollten. Doch was hatte ich erreicht? Meine Mutter hatte ihre Ruhe und brauchte sich schon wieder nicht mit meinen Gefühlen befassen, ganz so wie sie es wollte. Ich schrieb nichts mehr über unsere Familie, brachte damit also auch das gute Bild nicht mehr in Gefahr. Sie selbst konnte sich als Opfer eines bösen Sohnes fühlen, der sie genau so verlassen hatte, wie sie es immer prophezeit hatte. Damit bekam sie nun die Anerkennung und Aufmerksamkeit, nach der sie sich so sehnte. Und ich selbst fühlte mich auch noch schlecht dabei, weil ich das Gefühl hatte, meine arme Mutter durch meinen Wunsch nach Entwicklung und Authentizität verletzt zu haben. Wo also war hier die Rebellion? Wo war der Befreiungsschlag?

Jedes Lebewesen hat ein Recht auf Freiheit.

Jedes Lebewesen hat ein Recht auf Freiheit.

Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich noch immer genauso an den Fäden hing wie schon mein ganzes Leben. Und aus diesem Grund konnte ich auch das Buch nicht schreiben. Es entsprach nicht der Weltsicht meiner Mutter und damit konnte es nicht richtig sein. Denn dies war ein weiterer Punkt, der mir nun bewusst wurde und der mein Leben ganz zentral bestimmte: “Ich darf niemals Recht haben”. Um in einer Familie aufwachsen zu können, in der es nur “Harmonie” aber niemals Streit oder Meinungsverschiedenheiten geben darf, ist es wichtig, dass es eine klare Regelung für den Fall gibt, dass doch einmal nicht alles im Konsenz ist. Im Normalfall galt es natürlich, die Meinung meiner Mutter oder eines entsprechenden Stellvertreters zu übernehmen. Wenn dies jedoch einmal nicht möglich sein sollte, weil ich aus irgendeinem Grund doch eine eigene Meinung zu einem Thema hatte, dann musste ich mich zwangsläufig irren. Es gab in meinem Leben also immer nur zwei Möglichkeiten, zwischen denen ich mich entscheiden konnte: Mach es so, wie es die anderen sagen, oder mach es falsch. Mir selbst in einer Sache zu vertrauen kam für mich fast nie in Frage. Ich vertraute nach Möglichkeit immer den anderen, selbst dann, wenn mir mein Gefühl sagte, dass es Blödsinn ist.

Auch beim Schreiben des Buches hatte ich nun wieder dieses Gefühl, das mich innerlich zerriss. Auf der einen Seite spürte ich, dass es wichtig war, genau dieses Weltverständnis nach außen zu bringen, damit die Menschen überhaupt ins Erwachen kommen konnten. Auf der anderen Seite gab es aber immer eine hartnäckige und penetrante Stimme in mir die sagte: “Du irrst dich! Das was du schreibst ist nicht richtig! Andere werden dich dafür für verrückt halten! Man wird sagen dass du spinnst und eine komische Weltanschauung hast!” Ganz bewusst ließ meine Verstandesstimme dabei den Namen meiner Mutter weg, denn wenn ich bemerkt hätte, dass es dabei noch immer um sie ging, wäre ich auch darauf gekommen, dass das ganze nur wieder ein Irrweg war. So aber versuchte ich diese Stimmen zu ignorieren und schrieb gegen den Druck an, anstatt zu hinterfragen, woher er kam und warum er da war. Noch immer ging es mir darum, ein guter Sohn zu sein und meine Mutter stolz zu machen, damit ich dann das Leckerli der Anerkennung von ihr bekam. In mir dachte es noch immer: “Sie muss doch irgendwann einsehen, dass ich nicht der Böse bin und dass ich mich hier auf einem guten Weg befinde! Dann wird sie sich für alles entschuldigen und wir sind wieder eine glückliche Familie!” Doch genau das war der Punkt! Ich glaubte noch immer, dass es dabei wirklich um meine Mutter ging. Wenn die Sache mit ihr im Reinen war, dann war wieder alles in Ordnung. Doch wie sollte das gehen? Seit zweieinhalb Jahren existierte sie nicht mehr in meinem Leben und auch sonst existierte sie nicht wirklich. Sie war nie eine eigenständige Person gewesen, die mir etwas einredete oder mich manipulierte. Sie war stets nur ein Spiegelpartner, ein Aspekt in meinem eigenen Lebenstraum. Sie war eine Personifizierung meines Verstandesgegners, die ich mir selbst erschaffen hatte. Es ging also nie um meine Mutter, sondern immer nur um mich. Nicht meine Mutter wollte die perfekte Familie in der ich der perfekte Sohn ohne Gefühle war. Ich wollte es, oder genauer gesagt, der Dämon in mir, der mich von meinem Erwachensweg abbringen wollte. Nicht meine Mutter verbot mir, offen über meine Gefühle im Blog zu schreiben oder meine Weltanschauung in einem Buch zu veröffentlichen. Ich selbst verbot es mir. Und der Stimme in meinem Kopf, die dieses Verbot aussprach gab ich die Gestalt meiner Mutter. Je stärker ich also nun aus dem Käfig meines Marionettendaseins ausbrechen und die gewohnten Schienen verlassen wollte um ganz ich selbst zu sein, desto stärker mussten auch die Geschütze werden, die mein Verstandesgegner auffuhr, um mich davon abzuhalten. Gleichzeitig lag aber auch in jedem neuen Schlag meines Gegners eine neue Erkenntnis verborgen. Was also geschah wirklich? Als ich mit vier oder fünf Jahren damals in meinem Bett lag und die Erkenntnis über mich selbst gewann, in der ich für einen kurzen Moment aufwachte und erkannte, wer ich wirklich war, was meine Aufgabe war und worin meine Kraft lag, hatte ich so viel Angst, dass ich alles sofort bei Seite schob und beschloss, dass ich dies niemals leben darf. Ich hatte Angst, dass meine Eltern mich nicht mehr lieben, wenn ich mein wahres Sein lebte. Ich entschied mich also dafür, von nun an nichts mehr zu fühlen, sondern nur noch zu funktionieren wie ein Robotter. Solange ich funktionierte, wurde ich geliebt und war sicher. Funktionierte ich jedoch nicht, weil ich etwas “falsch” machte, dann bekam ich dafür Schläge. Selten waren es wirklich physische Schläge, bei denen mir meine Mutter den Hintern versohlte, wenn ich nicht rund lief. Häufiger waren es verbale Schläge in Form von Tadel, Stubenarrest, Schimpfe oder ähnlichem. Meine Angst war: Wenn ich Schläge in irgendeiner Form bekomme, dann werde ich nicht mehr geliebt. Wer wütend auf mich ist, kann mich unmöglich lieben. Wenn mich meine Eltern aber nicht mehr lieben, dann werde ich nicht versorgt und muss sterben. Sterben wollte ich aber nicht. Der Tod machte mir eine riesige Angst. Gerade jetzt wo ich das schreibe, wird mir zum ersten Mal klar, wie viel Angst es mir machte und noch immer macht. Ich erinnere mich noch daran, dass ich einen Film, sogar eine Kömödie über ein Altenheim gesehen habe, in dem immer wieder Menschen starben und dass ich danach stundenlang wach lag, weil ich fürchtete, das könne mir auch passieren. Der Tod war für mich immer schon etwas unglaublich Angst einflößendes.

Der Tod ist nur eine Illusion.

Der Tod ist nur eine Illusion.

Bei Heiko war es anders. Er machte als Kind im Alter von drei bis vier Jahren die gleiche Erfahrung und erkannte für einen kurzen Moment, wer er wirklich war. Anders als mir machte ihm diese Erkenntnis jedoch keine Angst und er beschloss, sie anzunehmen. Statt der Panik davor, alles zu verlieren, wenn man die Erkenntnis zuließ, spürte er ein tiefes Urvertrauen, dass alles seine Richtigkeit hatte und dass er nur sein Sein anzunehmen brauchte, um ins Erwachen und damit ins Paradies zu kommen. Sein Entschluss war daher genau andersherum: “Wenn ich mein Sein nicht leben kann, dann lebe ich eben überhaupt nicht!” Auch er bekam Schläge, wenn er nicht “richtig funktionierte”, sowohl im physischen als auch im übertragenen Sinne, doch ihm war es egal. Wenn sie sein mussten, damit er ganz er selbst sein konnte, dann mussten sie eben sein. Abhalten ließ er sich durch sie jedoch nicht. Als seine Eltern ihm ausreden wollten, dass er Wesen aus der geistigen Welt sehen konnte, beschloss er einfach mit dem Essen aufzuhören. Wenn er seine Gabe und sein Sein nicht leben durfte, dann wollte er sein Leben am besten gleich beenden. Dabei merkte er jedoch, dass seine Eltern dies nicht zuließen. Er war ihnen wichtig und auch wenn er komisch war, taten sie doch alles, um ihn am Leben zu erhalten. Bevor es wirklich zur Zwangsernährung kam verstand Heiko, dass er nicht sterben musste, nur weil er sein Sein Leben wollte. Er bekam vielleicht Schläge, Druck und Verurteilungen, doch er wurde nicht dem Tod überlassen. Also konnte er sie annehmen und tat dies auch mit Freude, weil er wusste, dass er dadurch sein wahres Selbst schützte. So wurde Heiko nach seiner frühen Erkenntnis also zum Rebell, der trotzig seinem Lebensweg folgte, und ich wurde zum Duckmäuser und Mitläufer, der alles tat, was andere von ihm verlangten, der sich verbog und verbeulte, nur um geliebt zu werden und so dem drohenden Tod zu entgehen. Im Teenageralter änderten wir dann beide unsere Strategien. Heiko wechselte mit 13 vom Gymnasium zur Realschule und sah nun zum ersten Mal die Chance, den ständigen Hänseleien und dem Gedisse zu entgehen. Er wollte nun nur noch seine Ruhe haben und sich nicht ständig erklären müssen, so dass es nun zu seiner Priorität wurde, ein guter Freund, Kumpel und Partner zu sein. Nun glich er sich an und begann zu funktionieren, so dass er sich nicht mehr ständig erklären musste, warum er so war, wie er war, warum er in dieser Kraft stand und warum ihm die Kraft so viel bedeutete. Er gab sie jedoch nicht auf, sondern versteckte sie nur. Er hatte lange genug mit ihr und in seinem Sein gelebt, um sich ihrer stets bewusst zu sein. Nun war Harmonie für ihn jedoch das wichtigste und die Wut die in ihm steckte, durfte fortan nicht mehr an die Oberfläche dringen. Mein Switch kam mit 16, als ich in der Schule einen Jungen kennenlernte, der für mich der Inbegriff von Freiheit, Unabhängigkeit und Rebellion war. So viel Angst wie ich vor jeder Form des Ausbruchs hatte, so furchtlos schien dieser Junge zu sein und ich glaubte, dass ich ebenfalls frei sein konnte, wenn ich ihm nur folgte und genauso wurde wie er. Was ich damals jedoch nicht erkannte war, dass seine vermeintliche Freiheit und Unabhängigkeit nichts mit Freiheit zu tun hatte, sondern nur mit reiner Egomanie. Er war nicht frei in dem Sinne, dass er in seiner eigenen Kraft stand und daher sein Leben zu einem Paradies werden ließ. Er war ein Parasit, der jedem Energie abzwackte, keine persönlichen Grenzen wahrte, rein auf sich selbst fokussiert war, auch nichts und niemanden Rücksicht nahm und sich immer und überall benahm wie das größte Arschloch der Erdengeschichte. Dies verwechselte ich mit Freiheit und Männlichkeit und ich setzte alles daran, um die gleichen Eigenschaften zu übernehmen. Zumindest was dies anbelangt, kann man sagen, dass ich sehr erfolgreich war. So wurde aus dem braven, funktionierenden Tobias ein Ego-Arschloch, ein unnützer Parasit, der niemandem mehr etwas brachte und der nur noch die Energie der Anderen aussaugte. Ich wurde dreist, besserwisserisch, egoistisch und herablassend und versuchte von nun an aus allem stets meinen größten Vorteil zu schlagen. So erinnere ich mich an einen Gedanken, den ich mit dreizehn oder vierzehn hatte, als ich sah, wie sich ein Mitschüler im nahegelegenen Einkaufszentrum einen Döner gekauft hatte: “Wieso kauft man sich etwas zu Essen, wenn man es dann ganz alleine isst, anstatt anderen davon etwas abzugeben, damit diese einen dann mögen?” Später drehte sich der Gedanke: “Wenn ich mit anderen etwas gemeinsam Esse, dann muss ich immer darauf achten, dass ich am meisten abbekomme, denn ich will ja nichts zu kurz kommen!” Bei all dem glaubte ich noch immer stets, der “Gute” zu sein und alles nur deshalb zu machen, weil ich ja eigentlich die Welt retten wollte. Ich war so sehr von mir eingenommen, dass ich tatsächlich glaubte, als einziger Mensch auf der Welt irgendetwas bewegen zu können. Ein Gedankengang, den ich damals tatsächlich hatte lautete: “Es ist ja kein Wunder, dass niemand auf der Welt wirklich etwas bewegen kann, wenn alle so viele Probleme und Lebensthemen mit ihrer Familie und ihrer Kindheit haben. Es braucht also jemanden wie mich, der in einer perfekten Familie aufgewachsen ist und der nichts aufzuarbeiten hat, so dass er sich gleich an die Rettung der Welt machen kann!” Ich war so großkotzig und arrogant, dass ich es nicht einmal merkte. Ich glaubte, ich wäre der einzige Mensch auf der Welt, der irgendetwas richtig machen konnte. Je mehr ich dabei versuchte, in meine Männlichkeit zu kommen, desto schlimmer wurde es. Auf eine verquere Art wurde ich nun zu einem aggressiven Schlägerwesen. Nicht in dem Sinne, dass ich wirklich Schläge verteilt hätte, sondern dass ich allen permanente Seitenhiebe verpasste. Weil meine Wut nicht auf direktem Wege heraus durfte, versuchte ich sie durch subtilere Ventile nach außen abzulassen. Ich wurde gemein, bewertend, verurteilend, einnehmend und erniedrigend. Ich wertete andere ab, verurteilte sie, nahm mir selbst stets das größte Stück vom Kuchen, manipulierte, saugte Energie, ging über jede Piätetsgrenze, machte kaputt, beleidigte, lästere, verurteile, und hielt mich stets für etwas besseres. Ich stehe über den Anderen und darf deswegen urteilen. Wenn Andere diese Urteile fällen, dann ist dies verwerflich und engstirnig. Bei mir waren es aber keine Bewertungen, sondern reine Beobachtungen und die durfte ich jederzeit treffen, ohne dass ich mich deswegen schlecht fühlen musste.

Die Grenzenlosigkeit macht das Umdenken leichter.

Die Grenzenlosigkeit macht das Umdenken leichter.

Fortan trug ich nun beide Aspekte in mir. Auf der einen Seite war ich noch immer ein Duckmäuser, der allen nach der Pfeife tanzte und der Angst vor jeder Art der Konfrontation hatte. Mein größtes Ziel war es noch immer, die oberflächliche Harmonie aufrecht zu erhalten und so zu funktionieren, dass mir niemand böse sein konnte. Auf der anderen Seite verhielt ich mich aber gleichzeitig wie das größte Arschloch und zahlte es jedem hinterrücks heim, dass ich mich für ihn verbog. Im Nachhinein wird mir nun auch klar, dass ich selbst hier auf der Reise stets in allen Aspekten versuche zu funktionieren, damit ich keine Schläge bekomme. Weder von Heiko noch vom Leben. Es geht mir nicht darum, unser Material pfleglich zu behandeln, damit es nicht kaputt geht. Es geht mir darum, dass alles funktioniert, damit ich keine Probleme in Form von Spiegelsituationen erhalte, die mich auf meine Gottabgewandheit hinweisen. Es geht mir nicht darum, wirklich etwas zu erschaffen, hilfreich zu sein und ein lebendiges Mitglied unserer Herde zu sein. Es geht mir darum, so zu funtkionieren, dass Heiko keinen Grund hat, böse auf mich zu sein und wütend zu werden. Denn auch bei ihm glaube ich noch immer, dass er mich nicht mehr mag, wenn er wütend auf mich ist, dass wir uns dann vielleicht trennen und dass ich alleine nicht überleben kann. Ich bin also noch immer im gleichen Todesangstkonflikt: Wenn ich nicht richtig funktioniere, dann bekomme ich Schläge, ergo werde ich nicht mehr geliebt, ergo muss ich sterben. Doch das Buch machte mir ein reines Funktionieren unmöglich. Es waren Texte, die man fühlen, erkennen und begreifen musste. Um sie schreiben zu können, musste man leben und sein Leben mit allen Facetten fühlen können. Ich lebte aber überhaupt nicht, sondern war nur eine funktionierende Marionette, die einen Punkt nach dem nächste auf ihrer To Do Liste abhaken wollte. Auf diese Weise wurde das Arschloch in mir immer größer und übermächtiger. Als Buchautor funktionierte ich nun überhaupt nicht mehr. Ich produzierte nur noch Scheiße, die kein Mensch lesen oder verwerten konnte. Ich war weder hilfreich noch produktiv. Und nicht nur in Bezug auf das Buch. Alles, was ich anfasste zerbrach in meinen Fingern. Es verging nun kaum mehr ein Tag, an dem ich nicht irgendetwas kaputt machte. Aus Unachtsamkeit übersah ich einen Rubinienzweig, der in meiner Sitzmatte steckte und zerstach mir damit meine Schlafmattratze. Vor Tollpatschigkeit ließ ich einen unserer Gelakkus fallen, ich zerriss meine Hose, schaffte es, dass der Zeltreißverschluss unter meinen Händen nicht mehr zu schließen war und vieles mehr. Hinzu kam, dass ich uns immer wieder in die Irre lotste, uns über einen geschlossenen Grenzposten von Bulgarien nach Rumänien führen wollte, uns durch ein Sumpfgebiet navigierte in dem wir zwei mal im Schlamm versanken und letztlich kilometerweit zurück auf die Hauptstraße gehen mussten. Ich war umgeben von einer Aura der blanken Egomanie, des Arschlochseins und des Selbsthasses. Dass ich Heiko das Leben damit zur Hölle machte, steht außer jeder Frage. Jeden Tag wurde ich mehr wie ein kleines, nerviges Kind, auf dass man ständig aufpassen musste, auf dass man sich niemals verlassen konnte und das jeden Scheiß baute, den es nur bauen konnte. Nicht einmal die einfachsten Aufgaben brachte ich mehr zustande und wenn Heiko mich darauf ansprach, erstarrte ich zur Salzsäule und brachte kein einziges Wort mehr heraus. Die Gespräche, die wir zu diesem Zeitpunkt noch führten, waren reine Monologe von Heiko, bei denen ich mit erstarrter, hilfloser und selbstmitleidiger Miene dasaß und Löcher in die Luft starrte. Auf diese Weise musste ich jeden Menschen in den Wahnsinn treiben, egal wie reflektiert und gelassen er auch sein mochte. Vor genau einem Jahr hatte uns Paulina in unseren Gesprächen mit der selben erstarrten Fratze angeschaut und damals hatte es mich so wütend gemacht, dass ich sie fast erschlagen hätte. Nun verhielt ich mich nicht nur ganz genauso, sondern sogar schlimmer. Ich durchlebte die gleichen Phasen und Stufen, wie Paulina vor einem Jahr und obwohl ich es merkte, konnte ich nichts dagegen tun. Ich war wie in einem Autopilotenmodus, den ich nicht beenden konnte. Und dafür hasste ich mich nur noch um so mehr. Unsere Konsequenz bei Paulina war es, uns von ihr zu trennen, weil sie ganz offensichtlich nicht bereit war, sich zu wandeln und aus ihrem Ego-Schlaf aufzuwachen. Nun galt für mich das Gleiche. Und das nicht erst seit kurzem. Ich befand mich schon seit jahrzehnten in der Ego-Angst, erstarrte bei jedem kleinen Konflikt und war absolut lernresistent. Ich schaffte es immer wieder, so zu tun, als würde ich neue Schritte machen, doch in Wirklichkeit trat ich auf der Stelle. Meine Angst vor jeder Form der Veränderung war so groß, dass ich ein gigantisches Schauspielstück aufführte, um mich selbst zu täuschen und weiterhin gleich bleiben zu können. Ich hatte es geschafft, Paulinas lage komplett zu verstehen und zu analysieren, ohne daraus auch nur das geringste für mich selbst zu lernen. Ich hatte sie abgewertet und verurteilt, für das was sie war und was sie machte, ohne zu merken, dass sie nur ein Spiegel meiner selbst war und dass ich alles in einem noch größeren Maß selber tat, was ich ihr vorwarf. Ich befand mich in reiner Todesangst, war nur auf der Flucht, wollte mich selbst um keinen Preis anschauen und war zu feige, mich auch nur der kleinsten Angst zu stellen, die in mir schwelte.

Ein Mann mit intensiven Verlustängsten

Ein Mann mit intensiven Verlustängsten

Als Feigling und Duckmäuser war ich das genaue Gegenteil von dem, zu dem sich Heiko entschieden hatte. Sein Weg war es stets gewesen, sich jeder Angst zu stellen und um jeden Preis sein wahres Sein zu leben, auch wenn dies Schmerz und Leid verursachen sollte. Meine Strategie war es, mich vor jeder Form von Schmerz und Leid zu verstecken, auch wenn dies bedeutete, dass ich niemals wirklich zu leben begann, dass ich meine Gefühle nicht spüren konnte und dass ich im Umkehrschluss auch niemals wirkliche Freude, Dankbarkeit oder Liebe empfand. Ich war einfach kalt und tot. Als mein Freund und Mentor machte es sich Heiko zur Aufgabe, mich aus diesem Egoschlaf wachzurütteln und herauszureißen. Ich kann inzwischen nicht mehr sagen, wie oft er mich packte, schüttelte, schlug und anschrie, um irgendwie die Seele in mir zu erreichen und wachzurütteln. Ich selbst muss ehrlich sagen, dass ich mich schon längst zum Mond geschossen hätte. Oftmals verstand ich nicht einmal, warum Heiko überhaupt noch etwas mit mir zu tun haben wollte und mich nicht einfach am Wegesrand sitzen ließ. Wäre ich mein Wandergefährte gewesen, ich hätte es getan. Ich hasste mich einfach so sehr dafür, dass ich so ein unnützes, schmarotzendes und mies gelauntes Arschloch war, dass ich nicht verstehen konnte, wieso mich überhaupt noch irgendjemand mochte. So sehr ich mich auch vor den Schlägen und den Wutausbrüchen Heikos fürchtete, so sehr spürte ich doch, dass sie sanfte Streicheleinheiten waren, gegen das, was ich mir selbst angetan hätte, wenn ich mein eigener Wandergefährte und Spiegelparter gewesen wäre. Heikos Wut kam nur etwa zu dreißig Prozent von ihm selbst, weil er durch mich mit eigenen Themen in Resonanz ging. Die restlichen 70% handelte er rein als Mentor und spiegelte mit meinen eigenen inneren Selbsthass und meine Wut auf mich selbst, so dass ich endlich aufwachen konnte. Wäre ich mein Spiegelpartner gewesen, hätte ich 100% aus Wut und blanker Rage gehandelt. Ich hätte mich weder zurückgehalten noch erbarmen gezeigt und mich einfach tot geprügelt. Wahrscheinlich hätte ich sogar noch stundenlang auf mich eingeschlagen, nachdem ich schon nur noch eine matschige Leiche war und selbst dann wäre der Hass auf mich noch immer nicht verraucht gewesen. Ich hatte also mehr als nur Glück, dass nicht ich selbst mein Spiegelpartner war, sondern Heiko. Und doch konnte ich dieses Glück in diesen Momenten nicht sehen. Ich spürte nur, dass ich mich selbst noch mehr dafür hasste, dass ich Heiko durch mein Arschlochsein in eine Rolle drängte, die ihn eigentlich nichts anging. Ich machte ihm zum Bösen, damit ich mich selbst weiter als armes, gebeuteltes Opfer fühlen konnte. Später sagte mir Heiko einmal, dass mein Verstandesgegner seine Rolle so perfekt spielte, dass mich niemals jemand spiegeln konnte, der kein Seher war. All mein Arschlochsein, all meine Trotteligkeit, meine Sabotage, mein zur Weißglut bringen, machte ich stets so geschickt, dass ein normaler Mensch nicht merkte, was ich da tat. Es musste immer so wirken, als könne ich überhaupt nichts dafür, als würde ich stets mein bestes geben und als geschähen all diese Dinge rein zufällig. Man konnte mir dafür einfach nicht wirklich böse sein und somit konnte ich auch nie einen wirklichen Spiegel bekommen, durch den ich hätte erwachen können. Die einzigen, die das bisher ignoriert und mich trotzdem knallhart gespiegelt hatten, waren meine Mitschüler in der Gesamtschule. Hier war es egal, ob man etwas für sein Verhalten oder Auftreten konnte oder nicht. Wenn man sich verhielt wie ein Depp, dann wurde man gemobt und verarscht bis es kracht. Damals habe ich meine Mitschüler dafür gehasst, doch jetzt wird mir zum ersten Mal klar, dass sie die einzigen waren, die mir ehrlich begegneten und mir eine Chance gaben, um aufzuwachen und um mich zu erkennen. Eine Chance, die ich jedoch nicht nutzte und so war ich nun noch immer das nervige kleine Arschloch, dass ich mit sechzehn geworden bin. Und in den letzten Tagen wurde es nun fast von Minute zu Minute schlimmer. Mein Selbsthass stieg ins Unermessliche und mit ihm auch meine Trotteligkeit und mein Arschlochgebaren, durch dass ich Heiko in die Weißglut trieb. Immer wieder kamen es zu kleineren und größeren Entladungen. In diesen Momenten konnte ich sie nie als Positiv wahrnehmen, sondern hasste mich immer nur noch mehr dafür, dass ich sie immer wieder aufs Neue heraufbeschwor. Doch im Nachhinein wird klar, dass jede dieser Endladungen zu einer kleinen, aber extrem wichtigen Teillösung geführt hat und dass sie uns beide immer auf ihre Art weiter brachten. Zum einen entstanden dadurch viele wichtige Erkenntnisse für unser Buch, auf die wir sonst nie gekommen wären, die aber für das Verständnis von zentraler Bedeutung sind. Zum anderen erkannte ich aber auch immer wieder ein kleines Stück über mich selbst, dass mich näher und näher zum Kern brachte, wer ich wirklich war, worin meine Aufgabe bestand und warum ich mich so verhielt, wie ich mich verhielt.

Zunächst waren es kleine Dinge, die für sich genommen noch keinen wirklichen Sinn zu machen schienen. So kam Heiko nach einem Wutgewitter plötzlich auf den Gedanken, ob zu meinem Sein nicht auch ein Tattoo gehören könnte. Ich habe Tattoos mein ganzes Leben lang immer abgelehnt und wäre nie auf die Idee gekommen, dass so etwas zu mir gehören könnte. Die Idee, dass ein Tattoo überhaupt zu jemandem gehören könnte, kam erst durch Heidi auf, als wir bei ihrem letzten Besuch immer mehr Klarheit über ihren wahren Medizinkörper erlangten. Durch verschiedene Austestungen und Überprüfungen kam heraus, dass es für sie ein wichtiger Teil war, ihre innere Stärke unter anderem durch ganz bestimmte Tattoos nach außen zu tragen. Damals hätte ich nie gedacht, dass so etwas auch für mich eine Rolle spielen könnte. Doch nun zeigten auch meine Muskeln auf, dass mein höheres Selbst von dieser Idee absolut überzeugt war. Zunächst war es noch sehr unspezifisch. Irgendwo an meinem Körper sollte ich ein rituelles Tattoo tragen, das mich dabei unterstützen sollte, in meine Männlichkeit zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich damit nur sehr wenig anfangen und mein Verstand sträubte sich mit Händen und Füßen dagegen, diesen Gedanken auch nur im Ansatz zuzulassen. Später fühlte sich dann die Vorstellung plötzlich sehr stimmig an, eine Art von indianischem Kriegertattoo zu tragen. Ich dachte dabei zunächst an einen Stil der Maori. Als wir Tage später noch einmal genauer nachtesteten, kam jedoch heraus, dass es eine traditionelle Darstellung eines Medizinrades der Aborigines sein sollte. Rein optisch sagte mir die Vorstellung von dem Bild noch nicht besonders zu, jedenfalls nicht so, wie wir es auf Fotos im Internet gesehen haben. Aber in einer abgewandelten Form die ich noch ausfindig machen muss, kam es mir dann tatsächlich langsam stimmig vor. Wenngleich ich noch immer nicht den Bezug finden konnte. Es dauerte noch eine lange Zeit, bis die Vorstellung konkreter wurde und noch immer liegt der Kernpunkt bei dem Tattoo-Thema in meiner immensen Angst begraben. Ich konnte mich mit der Idee anfreunden, mir ein rituelles Tattoo auf rituelle Weise stechen zu lassen, wenn wir in Australien sind. Auf der einen Seite hat diese Vorstellung auch noch immer eine große Kraft für mich, auf der anderen Seite merke ich aber auch, dass hier schon wieder die Angst ordentlich mitmischt. Denn bis wir nach Australien kommen dauert es noch ewig. Es ist also vor allem auch eine Möglichkeit, die Entscheidung wieder einmal bis ins Unendliche hinauszuzögern. Und dies kann nicht im Sinne meines höheren Selbst sein. Die Angst wurde mit der Zeit sogar so groß, dass nicht einmal mehr meine Muskeln eine klare, konkrete Auskunft geben wollten. Nur über Tricks und mit Heikos Hilfe kamen wir schließlich auf ein konkretes Motiv. Es sollte im Stil der Aborigines der australischen Westküste gehalten sein und eine Kombination aus allen Tieren des Medizinrades also des Bärs, des Wolfs, des Büffels und des Adlers beinhalten. Ganz allmählich kann ich mich nun mit dieser Idee anfreunden und je öfter ich mir das Motiv anschaue, das in die richtige Richtung geht, desto mehr beginnt es mir zu gefallen. Langsam fühlt sich auch die Vorstellung sehr gut an, dass diese vier Krafttiere meinen Rücken- und Schulterbereich bewachen und hüten. Es ist der Punkt, an dem meine Aufmerksamkeit am geringsten ist und an dem sich daher auch mit die meisten Energieräuber ansiedeln. Es wird noch einige Zeit dauern, bis ich meine Angst in diesem Bereich wirklich überwunden habe, aber ich spüre, dass sie bereits jetzt kleiner wird.

Oftmals wollen wir uns unsere Ängste nicht ansehen

Oftmals wollen wir uns unsere Ängste nicht ansehen

Leben ohne Geld Eine weitere derartige Situation tauchte auf, als ich es nach Wochen endlich geschafft hatte, meine Bucheinleitung und den ersten Teil so zu überarbeiten, dass ich ihn für einigermaßen brauchbar hielt. Bereits beim Schreiben hatte ich schon Angst gehabt, dass auch er sich wieder als Kuhmist erweisen würde, doch ich hatte auch keine Ahnung, wie ich es hätte anders machen sollen, so dass er wirklich gut wurde. Also gab ich ihn Heiko zum Korrigieren und bereits nach den ersten Seiten wurde klar, dass meine Angst vollkommen berechtigt war. Der Text passte vorne und hinten nicht. Wichtige Fakten und Erklärungen hatte ich vergessen, andere vollkommen falsch verstanden oder so unverständlich rübergebracht, dass niemand etwas damit anfangen konnte. Ich hatte Informationen in den Text verarbeitet, die nicht hilfreich oder zielführend, sondern eher demotivierend waren und hatte an anderen Stellen wieder einmal geschwafelt, ohne überhaupt eine Aussage zu treffen. So wie er war, war der Text also wieder einmal nahezu unbrauchbar. Heiko gingen nun langsam die Ideen aus, was er noch mit mir machen konnte, damit ich irgendwie wieder ins Leben und damit auch in die Produktivität zurückfinden konnte und mich nicht mehr verhielt wie ein Toastbrot. Nach dem klärenden Gewitter fragte er mich, was ich mir selbst für meine Arbeit bezahlen würde, wenn ich mein eigener Auftraggeber wäre. Die Antwort fiel mir nicht schwer, denn zurzeit waren die Texte keinen Pfifferling wert. Plötzlich aber wurde mir bewusst, dass es mir genau darum ging. Ich fühlte mich vollkommen unter Druck gesetzt, weil ich für das Geld arbeitete. Es ging mir nicht darum, ein Buch zu schreiben, in das ich mein Herz steckte, sondern darum, einen Verlag zufrieden zu stellen, der mich mit Geld versorgen sollte. Was aber genau war dieses Geld eigentlich für mich? Was für eine Bedeutung hatte es in meinem Leben? Auf der einen Seite spürte ich eine undeffinierte Ablehnung gegen dieses unbrauchbare Zeug, dem alle Welt so viel Wert beimaß. Auf der anderen Seite richtete ich aber auch mein ganzes Leben danach aus. Hatte ich wirklich studiert, weil ich Kulturpädagoge werden wollte, oder nur weil ich einen Kompromiss finden musste, mit dem man irgendwie Geld verdienen konnte? Hatte ich mich wirklich dafür entschieden, als Erlebnispädagoge mein Leben in Jugendherbergen zu verbringen und zu versuchen gelangweilte Kinder für die Natur zu begeistern, weil dies meine Lebensbestimmung war, oder war es nur ein Kompromiss, bei dem ich mir einreden konnte, meinen Traum zu leben und trotzdem zumindest einigermaßen Geld zu verdienen? Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich Geld nicht mit Reichtum, Wohlstand und Leichtigkeit verband, sondern mit etwas ganz anderem. Geld war für mich ein Mittel, meinen Eltern zu beweisen, dass ich doch erfolgreich mit meinem ungewöhnlichen Weg war. Und dieses Beweisen-Wollen war ein innerer Zwang, der mich vollkommen eingenommen hatte. In mir steckten die folgenden Gedankenmuster: “Ich darf nur dann meinen eigenen Lebensweg gehen, wenn ich damit finanziell erfolgreich bin, so dass alle sehen können, dass ich Recht hatte! Ich darf nicht einfach meinen Weg gehen, weil es mein Weg ist und ich Bock darauf habe. Wenn ich ihn gehe, dann muss ich beweisen, dass es der richtige Weg ist. Er muss also so sein, dass auch alle anderen ihn gehen wollen würden, dass sie zu mir aufschauen, stolz auf mich sind, vor Neid erblassen und sagen: “So wie der das macht, so ist es richtig! Wenn ich nur den Mut hätte, das gleiche zu tun!” Ich kann also nur dann zu mir selbst und zu meinem Weg stehen, wenn ich damit auch erfolgreich bin. Erst jetzt, wo ich es genauer betrachtete, wurde mir bewusst, wie paradox das war: Nur wenn ich so war, wie mich die Menschen sehen wollten, konnte ich auch zu mir stehen. War ich jedoch einfach ich, so wie ich es wirklich war, konnte ich es nicht. Wie absurd war das denn! Doch woher kam dieses Gefühl und dieser Glaube? Gleich zu Beginn meines Lebens habe ich gelernt, dass ich nur dann geliebt werde, wenn ich etwas gut gemacht habe. Ich sollte stets der perfekte Sohn einer perfekten Familie sein. Immer wenn ich ein braver, guter Junge war, habe ich ein Leckerli in Form von Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen, das mir das Gefühl gab, geliebt zu werden. Seither suche ich nun ständig nach diesem Lekerli und versuche dabei immer wieder etwas gut und richtig zu machen, damit ich Liebe und Anerkennung bekomme. Es geht mir also nie darum, was sich für mich gut und richtig anfühlt, sondern nur, was andere für gut und richtig halten, so dass ich ein Lob ergattern kann. Ich bin also ein kleiner Anerkennungsjungkie, der stets all sein Handeln nach dem nächsten Schuss der dröhnenden Dosis Liebe ausrichtet. Alles was ich tue, tue ich nur für das Leckerli der Anerkennung. Als mir dies bewusst wurde, erschrak ich zunächst einmal vor mir selbst. War ich wirklich so erbärmlich? Doch wenn ich ehrlich zu mir war, war es genau so. Noch immer hoffte ich, dass meine Mutter einsehen würde, dass sie sich geirrt hatte und dass sie eines Tages doch anerkennen würde, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand. Sie musste doch sehen, dass ich ein toller Hecht war! Doch damit sie das erkennen konnte, musste ich mit meinem Weg reich werden. Dass hatte sie mir bereits zu Laufzeiten unserer Wildnisschule gezeigt und zu verstehen gegeben. Damals war ich stolz nach hause gekommen, hatte von dem vollen Kursprogramm berichtet, davon, dass wir nun bereits mit dem fünften oder sechsten Fernsehsender gearbeitet hatten und dass wir zu den extremsten Anbietern in Deutschland gehörten. Doch zu meiner Enttäuschung bekam ich keine Anerkennung dafür, sondern nur die Frage, wie es denn mit meinem finanziellen Erfolg aussehen würde. Denn letztlich gehörte die Wildnisschule ja Heiko und ich war nur ein freier Mitarbeiter. Weder meine geistigen Entwicklungsschritte, noch unser Bekanntheitsgrad noch sonst irgendetwas zählten. Einzig und allein die Zahlen auf meinem Konto spielten eine Rolle. Folglich musste ich also reich werden, um die Anerkennung von meinen Eltern zu bekommen, die ich mir erhoffte. Wieder war ich beim gleichen Prinzip. Ich wollte von meinen Eltern, dass sie mich so annahmen wie ich war und versuchte dabei genau so zu sein, wie sie mich sehen wollten. Ich war nicht ich selbst und stand um jeden Preis zu mir. Ich konnte nicht sagen: “Seht her, ich bin was ich bin, akzeptiert das oder lasst es bleiben!” Ich verbog mich schon wieder wie ein Zirkusakrobat und sagte: “Schaut her, obwohl ich versuche, meinen eigenen weg zu finden bin ich doch eigentlich genau so, wie ihr mich haben wollt, also liebt mich doch endlich!” Schon wieder war ich dabei, nichts für mich selbst zu tun, sondern rein aus der Anerkennungssucht und dem verzweifelten Betteln nach Liebe.

Ohne Liebe ist alles sinnlos und schwer.

Ohne Liebe ist alles sinnlos und schwer.

Spannend ist dabei ein Aspekt, der nicht nur in meinem Fall eine wichtige Rolle spielt, sondern der ganz allgemein in unserer Gesellschaft vorherrscht. Solange wir uns an den Gesellschaftsweg, bzw. an den Weg unseres Gegners halten, wen wir hart arbeiten, uns selbst kaputt machen, gegen unsere Seele und unser Herz leben und einen “anständigen” Job bekleiden, ist es vollkommen in Ordnung, wenn wir am Ende einer gewissen Zeitspanne mit leeren Händen darstehen. Wenn wir ordentlich verdienen, dabei aber auch ordentlich ausgeben, weil wir uns permanent Ablenkungshighlights erschaffen müssen, um die Hölle des Jobs zu überstehen, dann ist das in Ordnung. Gehen wir aber unseren eigenen Weg und leben dabei ohne Geld und einen geregelten Job, so dass wir am Ende ebenfalls nichts haben, dann ist es plötzlich nicht mehr ok. Dann hat man seine Zeit verplämpert, war ein Tunichtgut und hätte sich viel mehr Gedanken über seine Zukunft machen müssen. Die Frage, die mir meine Mutter damals stellte lautete: “Was ist wenn Heiko und du sich einmal trennen? Dann stehts du doch mit leeren Händen dar!” Genau das wäre passiert. Aber warum war das ein Problem? Die Zeit in der wir zusammen gearbeitet haben, war eine großartige Zeit in der ich gut gelebt und aus der ich viel mitgenommen habe. Selbst wenn ich am Ende keinen einzigen Cent mehr hatte als am Anfang, war es doch ein voller Erfolg. Es war ein wenig wie bei einem Autokauf. Wenn wir einen Wagen für 30.000€ kaufen, ihn fünf Jahre fahren und dann für das gleiche Geld wieder verkaufen können, dann haben wir damit ja kein Verlustgeschäft gemacht. Wir hatten für fünf Jahre ein tolles Auto und haben im Endeffekt nichts dafür bezahlt. Nicht anders war es bei meiner Zeit als Teil der Wildnisschule. Ich stieg mit 0€ ein, konnte einige Jahre gut lernen, arbeiten und leben und stieg mit 0€ wieder aus. Doch hier war das ein Problem. Hier hieß es plötzlich: “Wenn du nicht mindestens 3500€ für deinen gebrauchten Wagen bekommst, dann hat sich der Deal nicht gelohnt. Dann hast du dich übers Ohr hauen und ausnutzen lassen. Im wirtschaftlichen Bereich, in dem wir wirklich ausgebeutet werden, ist diese Ausbeutung in Ordnung, weil wir ja Geld dafür bekommen. In den Bereichen in denen hingegen keine Ausbeutung stattfindet, weil wir das tun, was uns beflügelt, sehen wir die Ausbeutung und fordern ein was uns nicht zusteht. Ist das nicht paradox? Bei mir war Geld also in erster Linie ein Symbol dafür, ein toller Hecht zu sein, wodurch ich endlich geliebt und anerkannt werden würde. Je mehr Geld ich besaß, desto mehr Anerkennung würde ich auch bekommen und dann würde es mir endlich gut gehen. Erst jetzt fiel mir auf, dass dieses Prinzip nicht nur für Geld, sondern auch für Frauen galt. Als Jugendlicher hatte ich stets das Gefühl, dass ich keine Freundin haben durfte, da ich dadurch meine Mutter verletzen würde. Eine Freundin zu haben und damit eine Partnerin, die ich liebte, war für meine Mutter gleichbedeutend damit, dass ich sie aus meinem Leben verdrängen und abschieben würde. Ihre Angst, von allen, die sie liebte verlassen zu werden, spiegelte sich also auch hier. Eines Tages, als ich sie vor der Schule zum Abschied umarmte sagte sie mir dies sogar sehr deutlich ins Gesicht. Es war nur ein einziger, flappsiger Satz, doch er brannte sich wie ein Brandeisen in mein Gehirn und ließ mich von da an nicht mehr los: “Irgendwann hast du ja eh eine Freundin und dann umarmst du deine alte Mutter nicht mehr!” An diesem Morgen schwor ich mir: “Das wird nicht geschehen! Ich halte mich von Frauen vollkommen fern und werde niemals eine Freundin haben, denn diese Schmach will ich meiner Mutter nicht antun. Ich will auf keinen Fall, dass sie sich ungeliebt und weggestoßen fühlt!”

Machen wir nur das was unsere Eltern von uns wollen?

Machen wir nur das was unsere Eltern von uns wollen?

Für eine lange Zeit zog ich diesen Beschluss knallhart durch. Als alle anderen Jungs anfingen, sich für Mädchen zu interessieren und erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln, hielt ich mich ganz bewusst fern und setzte sowohl auf der bewussten als auch auf der unbewussten Ebene alles daran, dass ich niemals für eine Frau infrage kommen konnte. Ich machte mich so unattraktiv, wie ich nur konnte, wurde picklig und bucklig trug eine schreckliche Brille und furchtbare Klamotten, die ich von meiner Mutter auswählen ließ. Dabei verhielt ich mich auf eine Art, die jede Frau abstoßend finden musste. Ich war der Looser, den niemand mochte, nicht einmal als sympathisch, trotteligen Kumpelfreund. Für lange Zeit war mir dies auch recht, denn so war sicher, dass ich meine Mutter nicht enttäuschen würde. Die Angst davor, dass ich sie durch das Vorhandensein einer Freundin verletzen könnte, holte mich sogar beim Wichsen ein. Klar hat jeder Junge irgendwo Angst davor, von seinen Eltern beim Ornanieren erwischt zu werden. Doch bei mir war es anders. Meine Angst bestand nicht nur darin, erwischt zu werden, sondern vor allem, dass sie daraus schließen könnte, dass ich mich in ein bestimmtes Mädchen verliebt hätte, an das ich dabei dachte. Wenn ich einfach nur wichste, dabei Phantasien hatte oder mir Pornos anschaute, dann wäre das peinlich, geworden, aber kein Weltuntergang gewesen. Was aber war, wenn sie glaubte, dass ich es machte, weil ich mir Sex mit einer Frau vorstellte, mit der ich dann vielleicht wirklich zusammen sein konnte? Das durfte nicht passieren! Später änderte sich das Muster dann. Irgendwann wurde klar, dass man als guter erwachsener Sohn auch eine passende Freundin mit nach Hause bringen musste, denn schließlich sollte es ja eines Tages perfekte Enkel geben. Nun aber stand mir natürlich meine abgrundtiefe Unatraktivität und meine bewusst gewählte Unbeholfenheit im Umgang mit Frauen komplett im Weg, so dass ich zwar immer wieder verschiedenen Frauen hinterher schmachtete, sie jedoch niemals erreichen konnte. Ich versuchte nun auch bei den Frauen das gleiche Prinzip anzuwenden, mit dem ich mir als Kind die Liebe meiner Eltern erkaufen wollte: Ich verbog mich, verkaufte und verdrehte mich und versuchte immer genau so zu sein, wie ich vermutete, dass die Frauen mich sehen wollten. Leider war ich ein verdammt schlechter Beobachter und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was eine Frau von einem Mann wollte, weshalb ich einfach immer das Tat, was man mir sagte. Ich wurde also ein Hund, der einem hinterherlief und bereits von der ersten Sekunde an als Partner ausgeschlossen wurde, weil er keine eigene Persönlichkeit besaß. Mit dem Switch zum Arschlochwesen kam dann noch ein weiterer Aspekt hinzu. Plötzlich waren Frauen für mich ein Mittel zur Rebellion mit dem ich mir selbst beweisen konnte, dass ich doch kein reiner Arschkriecher war, sondern ein toller Hengst und ein geiler Macker, der es verdient hatte, dass er sich selbst mochte und anerkannte. Meine Mutter war nun nicht mehr die einzige Instanz, von der ich mir Anerkennung wünschte. Nun kamen auch Freunde, Mitschüler und andere Menschen hinzu vor denen man sich als Weiberheld profilieren konnte. So wie ich mir mit Geld die Liebe und Anerkennung meiner Eltern erkaufen wollte, wollte ich mir nun mit Frauen und Sex die Anerkennung und Achtung der anderen und auch von mir selbst erkaufen. Mein Gedanke war: Je mehr Sex ich habe, desto mehr bin ich wert und desto mehr Anerkennung bekomme ich. Jede Beziehung und jede Affaire, jede Nähe und jede Intimität zu einer Frau, die ich jemals in meinem Leben hatte, diente also stets nur dazu, mein Ego aufzupolieren, mich selbst besser zu fühlen, mich zu loben und mir das Leckerlie der Anerkennung zu verschaffen. Es ging nie wirklich um die Frau, sondern immer nur um mein Ego. Oftmals war mir dies bereits in diesen Momenten schon bewusst und weil ich schon als Kind gelernt hatte, dass man so etwas nicht tut, fühlte ich mich deswegen schlecht, verurteilte mich und verbog mich noch mehr, in der Hoffnung, den Frauen auf irgendeine Weise ein gutes Gefühl zu geben. Es gehört sich nicht, eine Frau einfach nur zu ficken und dann fallen zu lassen. Wenn du Intimität eingehst, dann musst du sie auch lieben. Und wenn du sie nicht liebst, dann musst du ihr wenigstens das Gefühl geben, dass es so ist, damit sie sich nicht schlecht fühlt. Das aber war nicht leicht für mich, weil ich mich ja dafür entschieden hatte, überhaupt nichts zu fühlen und so machte ich diesen Mangel an echter, gefühlter Zuneigung mit Arschpuderei und Speichellecken wett. Erst jetzt im Nachhinein wird mir bewusst, dass ich Frauen durch diesen geistigen Zwiespalt unbewusst in zwei unterschiedliche Kategorien einteilte. Es gab Freundinnen und Nutten. Ich weiß, das klingt hart und ich konnte mir selbst auch sehr lange nicht eingestehen, dass dies so war, doch genau so war es. Sex hatte für mich immer etwas negatives, anrüchgies, verbotenes. Auch wenn ich als Junge keine Freundin haben wollte, hatte ich doch viele sexuellen Fantasien. Es waren jedoch nie Phantasien mit realen Personen und meist kam ich nicht einmal selbst darin vor. Sex war für mich so negativ behaftet, dass ich nicht einmal in meiner eigenen Fantasie mit inbegriffen sein wollte. Ich war natürlich schon mit daran beteiligt, aber meist ohne Gesicht, also nicht direkt als ich selbst, sondern als eine Figur oder einen Charakter aus dessen Sicht ich die erotische Geschichte erlebte, die ich mir da ausdachte. Um eine Liebesbeziehung ging es dabei jedoch nie, sondern immer um abstrakte Situationen, oft in Verbindung mit Gewalt oder Gefangenschaft und fast immer mit einer sehr dominant-devoten Rollenverteilung. Für diese Fantasien schämte ich mich so sehr, dass ich sie sogar vor mir selbst verleugnete. Zuzugeben, dass ich sie hatte, wäre für mich vollkommen unmöglich gewesen. Dementsprechend negativ war also auch mein Bezug zur Sexualität im allgemeinen. Ich konnte nicht einfach zu einem Mädchen gehen und ihr sagen, dass ich sie heiß finde. Allein eine Andeutung in diese Richtung wäre zu viel gewesen, denn damit hätte ich sie in meinen Augen beleidigt und wäre für immer bei ihr unten durch gewesen. Ich musste also subtiler vorgehen und mich so verhalten, dass sie sich in mich zunächst einmal als Freund annahm, in der Hoffnung, dass sie dann später vielleicht ein sexuelles Interesse an mir entwickelte. Drei Mal dürft ihr raten, wie gut das geklappt hat. Denn die Krux an der Sache war, dass meine Angst es mit der Frau zu verpatzen, umso mehr stieg, je mehr ich sie mochte. Schließlich war ich dann soweit, dass ich mir selbst einredete, nichts mehr von ihr zu wollen, weil ich sonst ja unsere Freundschaft gefährdete. Während ich auf der bewussten Ebene vollkommen übervorsichtig vorging, strahlten mein Körper und meine ganze Aura auf der unbewussten Ebene natürlich reine Geilheit und den Wunsch endlich einmal Sex zu haben aus. Mit dieser Kombination aus verklemmter Zurückhaltung und Sexgier musste ich natürlich jede Frau verschrecken. Die wenigen Male, in denen ich die Frauen nicht so sehr verschreckte, dass es am Ende doch zu einer Form der Intimität kam, geriet ich sofort in die nächste Zwickmühle. Auf der einen Seite stellte ich fest, dass ich mich mit ihnen in der Regel nicht besonders gut verstand, dass ich mit der Beziehung selbst eigentlich nicht umgehen konnte und dass ich nicht wirklich gerne Zeit mit ihnen verbrachte. Es war einfach nicht locker, nicht frei, nicht authentisch und damit auch nicht angenehm. Doch ich hatte Angst, dass ich niemals wirklich Sexualität leben konnte, wenn ich die Beziehungen nur aufgrund meiner Gefühle sofort wieder beendete. Der Drang, mir selbst und meinem Umfed durch Sex meine Männlichkeit zu beweisen, war einfach zu groß. Also musste ich zumindest so lange mit den Frauen zusammen bleiben, bis es zu einem sexuellen Erlebnis kam. Doch sobald es das gab ertönte sofort wieder die Moralstimme in meinem Kopf: “Du kannst jetzt nicht Schluss machen! Denn wenn du das tust, warst du nur mit ihr zusammen, um sie flachzulegen und so etwas tun nur Arschlöcher! Willst du ein Arschloch sein? Nein, das willst du nicht! Du willst ein guter Mensch und vor allem ein guter Sohn sein, auf den deine Mutter stolz sein kann! Also reiß dich gefälligst zusammen und fang an die Frau zu lieben, damit du mit ihr zusammen sein kannst! So schwer kann das doch nicht sein!” Ich versuchte also stets, nicht nur den Frauen etwas vorzumachen, wie es normale Männer tun, sondern vor allem auch mir selbst.

Letztenendes versuchte ich unbewusst immer, der gute Sohn zu sein.

Letztenendes versuchte ich unbewusst immer, der gute Sohn zu sein.

Sobald ich also die Möglichkeit hatte, mit einer Frau intim zu werden, herrschte ein Krieg zwischen zwei unterschiedlichen Parteien in mir. Die eine Stimme war die meines Schwanzes, die sagte: “Geil, wir haben endlich was zum ficken! Ist doch vollkommen gleich, wer die alte ist, Hauptsache sie hat ein Loch!” Die andere war die Moralstimme, die mich für genau dieses Triebdenken verurteilte und versuchte, die Frau als guten Freund zu betrachten und ihr aufgrund des schlechten Gewissens den Arsch hinterher zu tragen. Dass mein höheres Selbst hier irgendwann einen Strich gezogen und gesagt hat: “Wenn das deine Vorstellung von Beziehung ist, dann haben Beziehungen in deinem Leben nichts verloren! Von nun an lebst du in Enthaltsamkeit und im Zöllibat!” ist also kein Wunder. Doch kommen wir noch einmal zum Geld zurück. Denn die Anerkennungssucht durch finanziellen Erfolg war nicht das Einzige, das ich mit Geld verband und noch immer verbinde. Für Heiko ist Geld ein Rohstoff, aus dem man verschiedene Projekte und Lebensbestandteile bauen kann, durch die er sowohl dienen als auch seinem Erwachen näher kommen kann. Der Wunsch erfolgreich zu sein kommt bei ihm also aus dem Herzen, da er spürt, dass der Erfolg dazu führt, dass er noch hilfreicher sein kann und der Schöpfung somit noch besser dient. Bei mir hingegen ist der Wunsch nach Geld ein reiner Verstandeswunsch. Mein Verstand sagt: “Wenn du Geld hast, dann kannst du aufs Universum scheißen und auch auf die Welt, aufs Leben, auf Gott, auf dein Gottbewusstsein! Du brauchst das alles nicht, denn du hast ja das Geld und mit dem kannst du dir alles kaufen: Frauen, Anerkennung, Sicherheit, Liebe, Wohlstand, Gesundheit, Essen, Abenteuer und Bequemlichkeit. Du bekommst nun die Anerkennung von den Eltern, die du so sehr wünschst. Was also willst du mehr? Das Einzige, was du im Leben brauchst ist echt viel Geld. Dann brauchst du auch kein Urvertrauen mehr! Dann passt alles! Du musst dich nicht mehr selber finden, du musst dich nicht wandeln, nicht erkennen, wer du wirklich bist und niemals ins Erwachen kommen. Du kannst weiterhin ein unaufmerksames, nerviges Arschloch sein! Du kannst sogar ein Trottel und Tollpatsch bleiben und stets alles kaputt machen, da du es dir dann ja einfach neu kaufen kannst. Hab also einfach Geld und dann passt es!” Als ich erkannte, dass dies meine Einstellung zu Geld war, erschrack ich wieder einmal zu tiefst vor mir selbst. Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich wirklich eine vollkommene Geldnutte war. Mein Verstand pochte so sehr auf der Universallösung Geld, dass ich alles was ich tat nach diesem Zahlungsmittel ausrichtete. Ich schrieb das Buch, um damit Geld zu verdienen und fragte mich daher, was ich schreiben musste, damit es mir dieses Geld einbrachte. Ich schrieb den Blog in der Hoffnung, damit Geld zu verdienen und ich hatte mit der gleichen Motivation auch alle Kurse als Erlebnis- und Wildnispädagoge gegeben. Bislang hatte ich immer geglaubt, dass es mein Verstand und meine Angst war, die mich davon abhielt, wirklich erfolgreich und damit auch reich zu werden. Aber das stimmte nicht. Es war genau anders herum. Mein Verstand und meine Ängste drängten mich regelrecht dazu. Was mich davon abhielt waren mein Herz und der Hüter meines Gottbewusstseins, die auf diese Weise verhindern wollten, dass ich vollkommen zum Arschloch mutierte. Denn sowohl das Buch als auch der Blog und vieles andere, das ich in meinem Leben getan habe, waren am Anfang echte Herzensprojekte gewesen, die dann von meinem Verstand korrumpiert worden waren. Hätte ich meinem Verstand vollkommen die Oberhand gelassen, dann hätte ich nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium gemacht mit dem ich irgendeinen wissenschaftlichen oder mathematischen Job in einem stabilen Großunternehmen bekommen hätte. Meine Noten und auch die Kurse, die ich in der Schulzeit belegt hatte, hätten durchaus dafür gesprochen und es wäre sicher keine Schwierigkeit gewesen, einen gutbezahlten, sicheren Job zu bekommen, der mich mein Leben lang versorgt und der mir die Anerkennung meiner Eltern gesichert hätte. Doch mein Hüter und mein Herz waren aktiv genug gewesen, um dies zu verhindern. Und so verhinderten sie auch nun wieder, dass ich mit dem Buch erfolgreich werden konnte, indem ich zunächst einmal alles in den Sand setzte. Solange ich unerfolgreich blieb und kein Geld zur Verfügung hatte, wurde auch mein Verstand einigermaßen im Zaun gehalten und ich musste aus der Notwendigkeit meiner Lebenssituationen heraus immer weiter in Richtung Urvertrauen und erwachen gehen. Doch uns allen war klar, dass mein Verstand zu mächtig war, als dass ich ihn noch in die Schranken weisen konnte, wenn er erst einmal genügend Mittel hatte, um seine Egopläne umzusetzen. Also musste mein höheres Selbst frühzeitig verhindern, dass es soweit kam. Solange wir das nicht erkannten, litt natürlich das ganze Projekt darunter und dies durfte nicht sein. Es konnte einfach keine Lösung sein, dass tausende von Lesern kein hilfreiches Werk in die Hände bekamen, nur weil ich nicht mit Geld umgehen konnte. Und es konnte auch nicht sein, dass Heiko in seinem Erfolg blockiert wurde, weil wir uns beide in dieser Hinsicht über einen Kamm scherten. Jetzt wo uns dies bewusst wurde, war der nächste Schritt klar und deutlich: Genau wie sexuelle Beziehungen hatte auch Geld in meinem Leben nichts verloren. Bereits auf unserer Obdachlosentour vor vier Jahren hatte ich gespürt, dass sich das Leben ohne Geld für mich zum ersten Mal frei und leicht anfühlte. Und auch auf unserer Reise lebten wir ja nun bereits seit zweieinhalb Jahren größtenteils ohne Geld. Dennoch war Geld für mich stets ein präsentes Thema und ich machte mir wesentlich mehr Gedanken darüber, wie ich ins Verdienen kommen konnte, als über meine eigene geistige und gesundheitliche Entwicklung. Ich sah das Thema vollkommen verbissen an und versuchte alles zu erzwingen, so dass nichts funktionieren konnte. Die ganze Zeit über versuchte ich irgendwie finanziell erfolgreich zu werden und fragte mich stets, warum es mir einfach nicht gelingen wollte. Jetzt wurde mir klar, dass es nicht klappen konnte, weil es überhaupt nicht mein Weg war. Es war Heikos Weg, aber eben nicht meiner. Ich beschloss also, auf meinen Anteil des Buches zu verzichten und es von nun an nur noch als Herzensprojekt zu schreiben. Schritt für Schritt würde ich dann auch mein Konto und alles andere auflösen, so dass ich von nun an wirklich vollständig ohne Geld leben konnte.

Schritt für Schritt sollte Franz ohne Geld leben.

Schritt für Schritt sollte Franz ohne Geld leben.

Zunächst schien es nun so, als wäre der Knoten damit gelöst und als könne ich nun endlich frei und unbeschwert am Buch schreiben, Fortschritte machen und einen wertvollen Beitrag leisten. Doch schon sehr schnell stellte sich heraus, dass sich nichts verändert hatte. Ich war noch immer genauso blockiert wie zuvor und ich lieferte noch immer die gleiche Scheiße ab. Die Erkenntnis über das Leben ohne Geld war wichtig gewesen, aber sie war im Vergleich zu dem, was es zu erkennen galt so gering, dass sie kaum ins Gewicht fiel. Es dauerte nicht lange und der Druck wurde sogar noch stärker als je zuvor. Ich war nun nur noch als Assistent am Buch beteiligt und hatte die Aufgabe, Korrektur zu lesen, zusammenzufassen, Doppelungen und Ausschweifungen einzukürzen und einen Fluss reinzubringen, der den Lesern das Lesen leicht und angenehm machte. All dies waren Aufgaben, die ich früher sehr gut konnte und die keine große Sache hätten sein dürfen. Und doch verpatzte ich alles, was ich in die Finger bekam. Jeder Text, den Heiko mir zum korrigieren gab, war im Anschluss schlechter als zuvor und so musste Heiko ein weiteres mal drübergehen um ihn wieder ins Reine zu bringen. Das Heiko davon tierisch angenervt war, lässt sich leicht nachvollziehen und was mich selbst betraf, so verstand ich die Welt nicht mehr. Ich versuchte stets mein Bestes und es kam nur gequirlte Scheiße dabei heraus. Wie konnte das sein? Nach einem weiteren Donnerwetter begriff ich etwas, das ich zuvor noch nie begriffen hatte. Ich hatte schon unzählige Male geschrieben, gehört und gesagt, dass es wichtig war, eben genau die Rolle anzunehmen, die man in seinem Lebenstraum gerade innehatte. Alles war stets genau so richtig, wie es war. Wenn ein Mensch gerade die Rolle eines Mörders, Kinderschänders oder Vergewaltigers hatte, dann war dies richtig so und um ins Erwachen zu kommen, musste er diese Rolle annehmen und ehren. Wenn man einen Text über diese Dinge schrieb, dann tippte sich dies recht einfach. Nimm einfach alles an und dann passt der Lack. Doch nun erkannte ich, wie schwer das in Wirklichkeit war. Wieder einmal war ich ein besserwisserischer Großkotz gewesen, der über etwas lammentierte, von dem er keine Ahnung hatte. Also half mir das Leben, bzw. mein höheres Selbst dabei, dieses fehlende Verständnis zu bekommen. Ich wurde zwar nicht zum Mörder und auch nicht zum Kinderschänder, aber ich erkannte zum ersten Mal wirklich, was für ein Parasit, Schmarotzer und Nervenbeutel ich war. Bislang hatte ich es immer soweit im Rahmen halten können, dass es zwar immer mal wieder durchblitzte, den Meisten und vor allem mir selbst, aber nie wirklich auffiel. Eigentlich war ich doch ein netter, freundlicher junger Mann, der sich stets bemühte und der immer nur das Beste für alle wollte. Nein! Das war das Bild, das ich präsentierte. Fakt aber war, dass ich ein unnützer, gefühlstoter Robotter war, der niemandem wirklich half, der nur an sich selbst dachte, stets auf seinen eigenen Vorteil pochte und sich dabei aber immer wieder selbst sabotierte. Ich war eine feige, nervige Arschgeige, die versuchte, es immer allen Recht zu machen, dabei aber auf den Gefühlen derjenigen herumtrampelte, die ihm am nächsten standen. Genau dies war die Rolle, die ich im Moment in meinem Lebenstraum einnahm und die es anzunehmen und zu lieben galt. Liebe dich dafür, dass du ein Arschloch bist, denn genau in diesem Moment ist es wichtig und richtig, dass du es bist! Super Sache! Das schreibt und sagt sich echt einfach, wenn man nicht in der Situation steckt, aber in diesem Moment erschien es mir absolut unmöglich. Ich wollte verdammt nochmal kein Schmarotzer und kein parasitäres, nichtsnutziges Arschloch sein, das niemand leiden konnte und das jedem auf den Sack ging. Ich wollte kein herablassender Besserwisser sein, der alles verurteilte und abwertete, das er nicht verstand. Ich wollte ein wertvolles und geliebtes Mitglied der Erdengemeinschaft sein, dass sein Darma lebte und auf dass ich und andere Stolz sein konnten. Doch genau darum ging es! Um die Liebe auszudehnen braucht es sowohl den Heiler, als auch den Zerstörer. Und nur wenn man den Zerstörer ebenso lieben konnte, wie den Heiler, hatte man wirklich begriffen, dass alles eins ist und dass alles nur eine Illusion ist. Den Tobias, der die Rolle des Arschlochs überahm um so die Reibung und die Spannung zu erschaffen, durch die sich die Liebe ausdehen konnte, gab es überhaupt nicht. Er war eine Illusion, ein Gedankenkonzept, eine Spiegelung in der Matrix. Und doch identifizierte ich mich mit ihm und ich hasste ihn für alles was er tat und war. Er war für mich kein Liebesausdehner, sondern ein widerliches Geschöpf, für das ich mich schämte und das ich am liebsten sofort vernichtet hätte. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich in der Rolle des Zerstörers nicht lieben. Genauso wenig, wie ich die Zerstörer in Form der Elite, der Großkonzerne und der Zivilisationsmenschen an sich lieben konnte. Ich verachtete sie und sah sie als das personifizierte Böse an, obwohl ich selbst von mir glaubte, dass ich sie achten und ehren würde. Doch dies war nichts als eine leere Floskel. Genauso wie ich jetzt selbst zu mir sagte, dass ich mich trotz meiner Arschloch-Rolle mochte. Es war nicht authentisch und ich konnte mir selbst nicht glauben. Folglich konnte ich die Rolle aber auch nicht ablegen, da ich mich ja weigerte, mir überhaupt einzugestehen, dass ich sie innehatte. Heiko war hier einen Schritt weiter. Nachdem er mich ein weiteres Mal ordentlich zusammengeschriehen hatte, sagte er: “Du weißt, ich mag dich auch, obwohl du ein Arschloch bist!” Und anders als ich, meinte er diese Worte ernst. Sie waren authentisch und wahr und sie berührten mich so tief, dass ich für einen Moment die kalte, tote Fassade meiner Gegnersfratze fallen ließ und zu weinen begann.

Je klarer unser Fokus ist desto genauer sind auch die Antworten

Je klarer unser Fokus ist desto genauer sind auch die Antworten

Später wurde mir klar, dass ich nicht nur die Arschloch-Rolle nicht annehmen konnte, sondern überhaupt keine Rolle, die ich in meinem Leben spielte. Erst jetzt wurde mir bewusst, was es bedeutete, sein Dharma, also seine Lebensmission zu erkennen. Wenn Gott alles ist was Existiert, also das gesamte Universum mit all seinen Facetten, und wenn alles gemeinsam wie ein einziger, riesiger Organismus ist, dann sind wir alle gewissermaßen Körperzellen von Gott. Jedes Wesen im Universum ist eine solche Zelle und es ist seine Lebensaufgabe, die Arbeit zu erledigen, die ihm als diese eine spezifische Zelle vorgegeben ist. Wenn ich eine Hautzelle im kleinen Zeh bin, dann ist es meine Aufgabe, mich mit den Hautzellen in meiner Umgebung zu verbinden und so ein festes, wiederstandsfähiges Gewebe zu bilden, das dem Druck des Körpers auf den Boden standhält. Bin ich hingegen eine Leberzelle, dann ist es meine Aufgabe, die Enzyme herzustellen, die der Körper für die Entgiftung und zur Aufschlüsselung der Nahrung benötigt. Wenn ich als Leberzelle hingegen versuche, ein Außenhautgewebe aufzubauen, mache ich mir und meinen Nachbarzellen das Leben damit nicht nur unsagbar schwer, ich schädige auch den gesamten Organismus. Um also überhaupt hilfreich sein zu können, musste man wissen, welche Körperzelle man war und sich auch dementsprechend verhalten. Normalerweise sollte dies kein Probem sein, denn als göttliches Wesen bekommen wir immer das Wissen über unser wahres Sein und damit auch über unsere Aufgabe als Gotteszelle mit auf unseren Lebensweg. Jedes tier weiß instinktiv, was seine Lebensaufgabe ist und bei vielen Spezies benötigen sie dafür nicht einmal Eltern, die ihnen den Weg zeigen. Sie schlüpfen irgendwo aus einem Ei, laufen los und erfüllen ihr Dharma. Bei uns Menschen ist das etwas anders, weil wir einen Verstandesgegner haben, der uns verwirrt und von unserem Lebensweg abbringt. Um zu erkennen, was unsere Aufgabe ist, müssen wir also tief in uns hineinfühlen und spüren, was uns unser Herz zu diesem Thema sagt. Auch dies habe ich schon oft gehört, geschrieben und gesagt und doch wurde mir nun klar, dass ich selbst nichts davon verstanden hatte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung davon, was meine Lebensaufgabe war und da ich mich als Kind dafür entschieden hatte, ein funktionierender Robotter ohne Gefühle zu werden, half mir auch das In-Mich-Spüren nie wirklich weiter. Klar, es hatte irgendetwas mit Reisen, Heilen und Wissen zusammentragen zu tun, aber was das genau bedeuten sollte, wusste ich nicht im Geringsten. Stattdessen hatte ich mich einfach an Heikos Lebensaufgabe gehängt und mir gedacht: “Irgendwie passt sie ja zu meiner, wenn ich also alles so mache, wie er, dann werde ich damit wohl nicht so falsch liegen!” Doch genau das Tat ich. Ich lag so falsch wie ich nur liegen konnte. Denn nur, weil sich zwei Dharmas ergänzten und weil sie Hand in Hand ineinander griffen, bedeutete dies nicht, dass sie auch gleich waren. So gibt es beispielsweise eine perfekte Partnerschaft zwischen Aligatoren und kleinen Putzervögeln, die mehr oder weniger auf ihren Köpfen leben. Die Aligatoren treiben die meiste Zeit ihres Lebens entspannt im Wasser umher und obwohl sie zu den gefährlichsten Beutegreifern der Welt gehören, wissen die kleinen Vögel, dass sie vollkommen unbesorgt bei ihnen leben können. Sobald ein Alligator sein Maul öffnet, hübfen die Vögel sogar hinein und picken ihm die Fleischreste aus den Lücken zwischen den messerscharfen Zähnen. Ein einziger kurzer Haps vom Alligator würde ausreichen, um den Vogel selbst zu einem solchen Fleischrest zu machen, doch sowohl Vogel als auch Reptil wissen, dass dies nie passieren wird, weil beide von der Beziehung profitieren. Dies funktioniert aber nur, weil jeder seine Aufgabe hat und diese auch annimmt. Würde der kleine Vogel nun anfangen, seine eigene Rolle abzulehnen, weil ihm sein Ego sagt, dass es erniedrigend ist, die Fleischreste aus dem Maul eines anderen zu fressen, würde er sich damit automatisch das Leben zur Hölle machen. Er würde nun vielleicht versuchen, selbst ebenfalls ein Krokodil zu sein, weil er dies deutlich cooler findet, als sein wahres Sein als Putzervogel. Wenn er nun jedoch versucht, über mehrere Stunden hinweg reglos im Wasser zu treiben, bis er nahe genug an einem trinkenden Gnu ist, so dass er blitzschnell zuschnappen und es mit seinem winzigen Schnabel reißen kann, dann kann das nur tragisch enden. Das Gnu merkt wahrscheinlich nicht einmal, dass ihm ein kleiner Vogel im Fell hängt und selbst wenn es der Vogel schaffen würde, ihn mit seinem Schnabel zu verletzen, wäre er mit der Tötung und dem Verzehr vollkommen überfordert. Andersherum denkt sich nun vielleicht das Krokodil, dass sein Leben als Beutegreifer sehr anstrgengend und gefährlich ist. Sein Verstand redet ihm ein, dass er sich fürchten und Angst haben muss, denn wie leicht kann es passieren, dass er sich bei einer Todesrolle selbst verletzt oder den Huf seines Beutetiers in die Augen bekommt. Also versucht nun das Krokodil stattdessen die Fleischreste aus den Zähnen seine Artgenossen zu picken, wenn diese zufällig den Mund aufmachen.

Das Krokodil braucht die Vögel und wird sie nicht auffressen.

Das Krokodil braucht die Vögel und wird sie nicht auffressen.

Im Tierreich wird sehr schnell deutlich, dass dies vollkommen lächerlich und sinnlos ist. Doch wir Menschen tun genau das. Wir übernehmen nicht die Rollen, die uns von unserem eigenen höheren Selbst zugedacht wurden, sondern versuchen die zu übernehmen, die wir für besonders cool oder angesehen halten. So will jeder der Star, der König der Chef oder der Meister sein, ganz egal, ob dies sein Ding ist oder nicht. Doch ein Organismus, der nur Herzzellen hat, weil alle Zellen dies am coolsten finden, kann nicht funktionieren. Er ist nur dann lebensfähig, wenn jede Zelle die Rolle übernimmt, die ihr zugedacht ist. In meinem Fall bedeutete dies, dass ich immer unbewusst davon ausging, dass ich genauso sein müsste wie Heiko und auch mehr oder minder die gleichen Rollen und Aufgaben übernehmen müsste. Daher kam ich mir oft unzulänglich vor, wenn ich merkte, dass ich mit vielem vollkommen überfordert war. Ich war kein Organisationstalent, das stets den Überblick behielt und immer genau wusste, was wann wie geschehen musste, damit alles am Laufen blieb. Ich war kein Seher, der immer sofort erkannte, welche Krankheiten oder Probleme ein Mensch hatte, so dass er ihm dann den passenden Stupser für die Heilung geben konnte. Ich war auch nicht derjenige, der aus tausend verschiedenen Büchern die versteckten Erkenntnisse herausfiltern konnte, die nicht einmal den Autoren selbst bewusst waren, um so Zusammenhänge zu erkennen, die ein vollkommen neues Licht auf die Dinge warfen. All dies war Heikos Dharma aber nicht meins. Doch das war mir nie aufgefallen, weil ich zum einen keine Ahnung hatte, was mein Ding war und weil ich zum anderen glaubte, dass wenn Heiko oder irgendjemand anderes von etwas begeistert war, dass die gleiche Sache wahrscheinlich auch die gleiche Begeisterung in mir auslösen würde. Doch das war natürlich Blödsinn. Zum ersten Mal in meinem Leben begriff ich nun, was es wirklich bedeutete, seinen Platz im Leben zu finden und auch anzunehmen. Ich wusste zwar noch immer nicht genau, was dieser Platz war, aber ich kam der Sache nun schon etwas näher. Doch auch diese Erkenntnis war nur ein Teil von dem, was es zu erkennen galt und so braute sich schon wieder das nächste Unwetter zusammen. Noch immer hasste ich mich dafür, dass ich ein Arschlochschmarotzer war und aus dieser Rolle nicht ausbrechen konnte. Also verstärkte ich den Druck und wurde wieder von Tag zu Tag unerträglicher. Den vorerst absoluten Höhepunkt erreichte ich mitten in Moldawien in einem kleinen Ort namens Bujor. Am Vorabend hatten wir endlich die erste Rohfassung des Buches fertig gestellt, die nun soweit war, dass sie in den vorgegebenen Rahmen des Verlages passte. Sie musste nun eigentlich nur noch Korrektur gelesen und leicht überarbeitet und verflüssigt werden. Doch als ich die Datei öffnen wollte, stellte ich fest, dass sie beschädigt war. Sofort ging ich zu Heiko und bat ihn um eine andere Kopie der Datei, doch plötzlich ließ sich auch diese nicht mehr öffnen. Alle Endversionen, die wir erstellt hatten waren kaputt, und das ohne einen Rational erklärbaren Grund. Und dennoch wussten wir beide ganz genau, was die Ursache für die Dateifehler war. Es war meine innere Geisteshaltung des Selbsthasses und des Gefühls, alles falsch und kaputt zu machen. Die Datei spiegelte mir meine zur Zeit tiefste Überzeugung: „Ich bin zu nichts nutze und ich halte das Projekt nur auf!“ Bislang hatte ich aktiv dazu beigetragen, dass sich die Arbeit am Buch in die Länge zog. Nun reichte bereits meine bloße Anwesenheit, um sie zu sabotieren. Denn kurz bevor ich am Zelt eingetroffen war, hatte Heiko die Datei noch einmal geöffnet und da hatte sie einwandfrei funktioniert. Nun war sie vollkommen zerschossen. Heiko begann zu toben. Er stürmte aus dem Zelt, vor dem ich bereits auf dem Boden hockte wie ein jämmerlicher Hund. Zunächst schrie er mich an, doch seine Worte reichten nicht mehr aus, um zu mir durchzudringen. Ich war bereits wieder zur Fratze meines Gegners erstarrt. Ich schaute ihn mit meinem toten Blick an oder starrte auf den Boden und war dabei so provozierend wie das rote Tuch eines Stierkämpfers. Vor einem knappen Jahr hatte uns Paulina in ähnlichen Situationen immer auf die gleiche Weise angesehen, die deutlich machte, dass sie selbst als Mensch und als Seele nicht mehr anwesend war. Damals hatte es mich rasend gemacht und dieses Mal war die Fratze bei mir noch viel schlimmer. Hätte Paulina damals wirklich so geschaut wie ich heute, hätte ich sie ohne jeden Zweifel geschlagen. Und auch Heiko konnte nun nicht anders, als genau das zu tun. Ich wusste nicht warum, aber ich bettelte förmlich darum. Ich fühlte mich selbst so jämmerlich und so elendig, dass ich verprügelt werden wollte. Egal was ich von nun an tat oder sagte, mein Verstandesgegner hatte meinen Handlungsspielraum so weit eingefroren, dass ich nur noch provozieren konnte. Ich hasste mich selbst so abgrundtief, dass mir dieser Hass einfach gespiegelt werden musste. Es ging überhaupt nicht anders und wenn Heiko in diesem Moment nicht nach mir geschlagen und getreten hätte, dann hätte er damit gegen jedes Gesetz des Universums verstoßen, das es gibt. Jeder andere Reisegefährte hätte mich in dieser Situation wahrscheinlich krankenhausreif oder tot geschlagen und es wäre vollkommen gerechtfertigt gewesen. Ich selbst, wenn ich aus meinem Körper hätte heraustreten und mir als zweite Person begegnen hätte können, hätte mich auf jeden Fall umgebracht. Und dass nicht nur vielleicht, sondern mit 100%iger Gewissheit. Ich hätte auf mich eingeprügelt, bis nur noch Knochensplitter und Schleim von meinem Körper übrig gewesen wären. Nicht, weil die Datei mit dem Buch nicht mehr funktionierte, sondern weil in diesem zerstörten Worddokument symbolisch die ganze Summe meiner seelischen Selbstzerstörung lag. Es wurde wie zu einem Talisman, der in einem einzigen Beispiel aufzeigte, was ich mir bereits mein ganzes Leben lang antat. Und wer bereit war, 30 Jahre lang seine eigene Seele zu verkaufen, zu zerstückeln, zu vergewaltigen, sie mit Füßen zu treten und immer wieder einen großen, schleimigen Haufen darauf zu scheißen, der hatte es auch nicht verdient, weiterzuleben. Hinzu kam, dass ich mich auch noch dafür hasste, dass ich Heiko das Leben schwer machte. Ich war nicht nur zu nichts zu gebrauchen, ich machte auch noch alles kaputt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich jemals der Schöpfung dienen sollte, da ich ja ohnehin nie einen Fortschritt machte. Seit Jahren drehte ich mich nun schon im Kreis und kam keinen Schritt weiter. Ich war ein hoffnungsloser Fall und dafür hasste ich mich gleich noch mehr. Das Beste war es, wenn ich einfach von irgendeiner Klippe sprang und diesem elendigen Dasein, das nie ein echtes Leben war, endlich ein Ende bereitete. Damit tat ich der Welt dann zumindest zum ersten Mal einen Gefallen. Wenn ich schon nichts brachte und eine vollkommen unnütze und sinnlose Existenz führte, dann konnte ich wenigstens damit aufhören andere herunterzuziehen. Als Toter konnte ich dann zumindest nichts mehr falsch machen. Das krasse in diesem Moment war jedoch, dass ich tatsächlich für einen kurzen Augenblick keine Angst vor dem Tod, dafür aber vor der Wiedergeburt hatte. Sobald der Gedanke an Selbstmord in mir aufkam, kam auch der Gedanke hinzu, dass ich damit ja nichts ändern würde. Ich würde nur aus diesem in ein neues Leben flüchten und dort noch einmal den gleichen Weg gehen müssen, auf dem ich dann aber noch mehr Druck bekam um endlich ins Lernen und ins Erwachen zu kommen. Ich kam ja schließlich jetzt schon nicht klar, wie sollte es also erst nach einem Selbstmord aussehen? Wie ich es auch drehte, es gab keinen Ausweg. Ich war in dieser Situation gefangen und kam nicht vor und nicht zurück.

Selbstmord ist keine Lösung

Selbstmord ist keine Lösung

Heiko wusste, dass in diesem Moment nur noch mein Gegner anwesend war, der mich mit seinen Gedankenschleifen gefangen hielt. Natürlich war er sauer, weil er nun wieder einen kompletten Nachmittag darauf verwenden musste, Arbeiten zu erledigen, die er längst abgeschlossen hatte und ein großer Teil seiner Wut kam wirklich aus seinem eigenen Gefühlsgeflecht heraus. Der wesentlich größere jedoch kam aus seinem Heiler- und Mentorbewusstsein. Er wusste, dass ich nur aufwachen und zurück ins Leben finden konnte, wenn mein Leidenskörper größer wurde, als der Angstkörper meines Verstandesgegners. Als er also auf mich einschlug und gegen meinen seelenlosen Körper trat, tat er dies nicht unkontrolliert und in blanker Rage. Er wusste aus seinen Kampfsporterfahrungen noch immer ganz genau, wo er mir Schmerzen zufügen konnte, ohne mich dabei zu verletzen. Und er wusste auch, wie viel Schmerz ich benötigte, um ins Erwachen kommen zu können. Doch dieses Mal war mein Hass so groß, dass die Schläge und Tritte zunächst nicht ausreichten, um die Situation aufzulösen. Auch die Wut, die aus Heikos Gefühlsgeflecht kam, war dieses Mal größer, als das, was er mir zumuten wollte, um nicht aus versehen doch noch eine ernsthafte Verletzung zu provozieren. So brach er nach einigen Minuten ab und ging eine Runde spazieren, um wieder einen klaren Kopf zu erhalten. Ich selbst zog mich in die kleine, leerstehende Hütte zurück, in der ich mich zuvor eigentlich an den Text hatte machen wollen. Hier saß ich nun bedröppelt wie ein Schluck Wasser in der Kurve und versank in einer Mischung aus Selbstmitleid, Selbstverachtung und vollkommener Gefühlsleere. Ich war wie tot und starrte nur noch auf die Wand, während die Gedanken in meinem Kopf immer in den gleichen unnützen Schleifen kreisten. Schließlich kam Heiko von seiner Wanderung zurück und setzte sich auf den Sims der leeren Fensteröffnung. „So kann es nicht weiter gehen!“ sagte er, „Wir machen uns nur noch gegenseitig kaputt und das werde ich nicht länger akzeptieren! Wie stellst du dir das vor? Was willst du jetzt machen? Du kannst doch nicht alles was wir aufbauen immer wieder zerstören!“ Ich war noch immer apathisch und antwortete mit dem gleichen Satz, den ich in diesen Situationen immer als einzigen über die Lippen brachte: „Ich weiß es nicht! Ich habe keine Ahnung!“ Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn ich vollständig aus dem Buchprojekt ausgestiegen wäre, so dass ich nichts mehr hätte kaputt machen können. Ich konnte mich erst einmal wieder an die Tagesberichte setzen und vielleicht fiel mir ja mit der Zeit eine Lösung ein, mit der wieder Harmonie, Freude und Leichtigkeit in unserer Zweiergruppe entstehen konnten. Da ich keinerlei Zugang zu meinen Gefühlen, geschweige denn zu meiner Intuition hatte, war der einzige Weg, herauszufinden, was der richtige Schritt war, der Muskelreflexionstest. Ich war mir zu 100% sicher, dass mein höheres Selbst der Ansicht war, dass ich einfach aus dem Buchprojekt aussteigen und die Finger davon lassen sollte. Und dieser Gedanke fühlte sich unglaublich befreiend und erleichternd an. Es war der Weg, den ich immer ging, wenn es schwer wurde und ich kannte ihn bereits als leichten, angenehmen Ausweg: Einfach aufgeben! Einfach alles hinwerfen und mich in meiner Nutzlosigkeit suhlen. Doch meine Muskeln sagten nein. Klar hatte ich in den letzten Wochen mehr kaputt gemacht, als erschaffen und das ungefähr in einem Verhältnis von 10:1 und doch war meine Arbeit in diesem Zusammenhang aus irgendeinem Grund wichtig und noch lange nicht erledigt. Als ich das erfuhr, brach die Maske der Gefühlslosigkeit in sich zusammen. Solange ich glaubte, einfach aufgeben zu können, war die Situation für mich noch handlebar. Nun aber wurde klar, dass ich mich nicht einfach aus der Affäre ziehen konnte. Ich musste eine Lösung finden, wie ich produktiv werden konnte und ich konnte einfach nicht daran glauben, dass mir dies jemals gelingen konnte. Mit einem Mal überschwappte mich eine Welle der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit. Bis zu diesem Moment, hatte der Selbsthass in mir geschwelt, doch nun entzündete er sich und brannte in einer leuchtenden Flamme der Wut auf. Mein Gegner konnte diesen Gefühlswall nun nicht länger unterdrücken und zurückhalten. Ich schrie und heulte, schlug auf den Boden und auf die Steinwand in meinem Rücken ein, schlug mich selbst mit den Fäusten, prügelte auf meinen Kopf ein und schlug meinen Kopf gegen die Wand. Es war noch immer nur ein kleiner Teil der Gefühle, die in mir schlummerten, der hier zum Vorschein kam, aber es war immerhin ein Teil. Mein Verstandesgegner kämpfte mit aller Macht, um wieder die Oberhand zu gewinnen und die meiste Zeit gelang es ihm auch, meinen Gefühlsausbruch zumindest teilweise einzudämmen und nicht seine volle Kraft zuzulassen. Doch einige Male, als ich mich selbst besonders hart am Kopf traf und als ich mit dem Kopf gegen die Wand hämmerte, musste er aufgeben. Er verschwand vollkommen und für einen kurzen Moment wurde ich authentisch und war rein im Fühlen. Dann boxte er sich wieder nach oben und eroberte langsam die Führung zurück, so dass ich immer mehr an Fassung gewann und schließlich ruhig wurde und nur noch heulte wie ein Schlosshund. Doch zum ersten mal, hatte ich es geschafft, meinen Selbsthass zuzulassen und ihn wirklich zu fühlen.

„Warum hasst du dich eigentlich so sehr?“ fragte Heiko. Bislang hatte ich auf diese Frage nie eine Antwort gehabt, doch nun begann ich es zu verstehen. Ich hasste mich, weil ich einfach nicht ich selbst war. Ich hasste es, eine Maske zu sein, ein Robotter, ein Klassenclown, der es allen Recht machen wollte und dabei auf sich selbst schiss wie auf ein Dixiklo. Mein inneres Kind hasste mich dafür, dass ich ein elender Feigling war und in meinem ganzen Leben noch nie für es eingestanden war. Ich hatte mein inneres Kind noch nie gefragt, was es brauchte um sich sicher zu fühlen und um frei sein zu können. Ich hatte es ignoriert und unterdrückt und stattdessen immer nur gefragt, wie andere mich haben wollten. Dafür hasste ich mich. Ich hasste mich, weil ich nur mein Verstandesgegner war und keine Gefühle hatte, weil ich jeden Tag und jede Minute aufs neue meine innere Stimme ignorierte und gegen mich handelte, weil ich mich 30 Jahre lang selbst vergewaltigt und verstümmelt hatte, bis nichts mehr von mir übrig war, weil ich ein Energieräuber, ein Egomane und ein Parasit war, der niemandem nützte oder half, der vollkommen sinnlos die Luft auf dieser Erde verbrauchte und weil ich nichts von dem war, was ich zu sein glaubte. Dieser Tobias Krüger, dessen Namen ich trug und in dessen Rolle ich nun seit fast 31 Jahren durch die Welt wanderte, war einfach nicht ich. Er war eine Puppe, die meine Mutter in Form meines inneren Gegners erschaffen hatte, die stets versuchte zu funktionieren, die aber keine eigene Seele und keine eigene Persönlichkeit mehr hatte. Doch meine Seele war nicht weg. Sie steckte noch immer in mir und ich konnte auch noch immer fühlen, wer ich wirklich war. Und aus diesem Grund hasste ich mich. Wäre ich vollkommen tot, hätte ich ja ohne Probleme mein Dasein als Marionette fristen können, ohne jemals zu merken, dass es nicht echt war. Doch ich merkte es. Es war mir in jeder Sekunde vollkommen bewusst und dennoch konnte ich es nicht ändern, weil es mir noch immer wichtiger war, so zu sein, wie andere und vor allem meine Mutter mich haben wollten. Ich fühlte, wer ich bin und es war auch in meiner Aura erkennbar, aber ich konnte es einfach nicht zulassen. Als ich Heiko vor sechs Jahren das erste Mal begegnet war, hatte er es, anders als ich selbst, bereits sehr deutlich sehen können. Damals hatte er mir gesagt: “Tobi, du trägst auch eine ordentliche Kraft in dir! Nur wie du sie jemals erkennen und erwecken willst, das ist mir noch nicht so ganz klar! Da kommt auf jeden Fall noch einiges auf dich zu!” Wie immer hatte er damit vollkommen Recht gehabt. Und nun war der Punkt gekommen, an dem ich mich entscheiden musste, ob ich mich weiterhin hinter meiner Frazenmaske verstecken wollte, oder ob ich nun bereit war, endlich ich selbst zu werden. Das, was mich bislang davon abgehalten hatte, war die Angst vor dem Tod. Denn auch wenn ich diesen Tobias Krüger in Form des Maskenzombies hasste, hatte ich mich doch schon so sehr an ihn gewöhnt, dass ich ihn einfach nicht loslassen konnte. Einer der zentralen Glaubenssätze, die seit meienr Kindheit in mir steckten lautete: “Ich werde nur dann geliebt, wenn ich genauso bin, wie mich meine Eltern haben wollen, also so, wie ich jetzt bin. Ich darf mich also niemals wandeln oder verändern, denn wenn ich das tue, finden sie mich komisch und lieben mich nicht mehr!” Dieser Glaubenssatz, der sich ja später auch tatsächlich bewahrheiten sollte, hatte dazu geführt, dass ich niemals wirklich etwas lernen und mich nie wirklich entwickeln konnte. Denn bei allen Wandlungen, die ich anstrebte, musste ich doch stets immer der gleiche, kleine, hilflose Tobi sein, der seiner Mutter aufs Wort folgte. Eine langsame Entwicklung, Schritt für Schritt als Tobias Krüger war also für mich nicht möglich. Es gab keine Treppe, die langsam und gemütlich hinunter ins Meer der Freiheit führte. Es gab nur eine Klippe und die konnte ich entweder hinunterspringen oder eben nicht. Viele Jahre lang war ich nicht gesprungen und dann hatte ich genau das getan, was ich vor einem Jahr Paulina erklärt hatte. Ich war gesprungen, aber so voller Angst, dass ich den Sprung sofort wieder zurückzog, mich an einer Wurzel festkrallte und mit voller Wucht gegen den Felsen prallte. Dort baumelte ich nun noch immer und wunderte mich allen Ernstes, warum mein Leben plötzlich immer anstrengender und schwieriger wurde. Ich steckte in einem permanenten Todesangstkonflikt, weil ich weder zurück an Land klettern konnte, noch den Mut hatte, loszulassen und mein altes ich sterben zu lassen. Doch genau das musste geschehen. Wenn ich jemals frei und ich selbst sein wollte, dann musste Tobias Krüger sterben. Wie eine Schlange musste ich die alte Maskenhaut abstreifen und hinter mir lassen um als ein neuer Mensch wiedergeboren werden zu können. Alles, was ich zuvor war oder zu sein glaubte musste weg. Ich musste es komplett loslassen, um wieder frei für etwas neues zu sein. Wenn sich Tobias Krüger nicht entwickeln konnte, weil er Angst hatte, dann zu sterben, dann musste er eben sterben. Dies wurde mir nun zum ersten Mal wirklich bewusst. Die Frage, die jedoch noch immer in meinem Kopf herumspukte lautete: “Wie zur Hölle soll ich das machen?” Wie kann ich mein altes Maskendasein sterben lassen und als mein wahres ich wiedergeboren werden? Und vor allem, wie kann ich es WIRKLICH tun, ohne dabei wieder einmal von meinem Verstand verarscht zu werden und nur zu glauben, dass ich es machte, während ich in Wahrheit noch immer der alte feige Tobias blieb.

Häufig zeigen wir auch uns selbst nur Masken hinter denen wir unser wahres Sein verstecken

Häufig zeigen wir auch uns selbst nur Masken hinter denen wir unser wahres Sein verstecken

“Darüber brauchst du dir schonmal keine Sorgen zu machen!” beruhigte mich Heiko. Du merkst ja, wie viel Druck du bereits jetzt bekommst. Wenn du in die alten Muster zurück verfällst, dann bekommst du eben einfach noch mehr Druck und dann schnallst du es schon!” Das beruhigte mich tatsächlich. Doch noch immer stand die Frage im Raum, wie ich mein altes Ich sterben lassen konnte. Was dies anbelangte war Heiko ebenso ratlos wie ich und so warf er flappsig den Spruch in den Raum: “Soll ich dir dazu jetzt etwa alle Haare ausreißen oder was?” Es war eindeutig als Scherz gemeint, doch da ich auch keine bessere Idee hatte, hielt ich ihm meine Hand hin und meinte: “Wenn es hilft, bin ich dabei!” Er drückte gegen meine Muskeln und zu unserer beider Überraschung sagten sie “Ja!” Wie bitte? Mir sollten wirklich alle Haare ausgerissen werden? “Ja!” sagten die Muskeln erneut. Es sollte ein Ritual sein, dass einen klaren Anfang meines neuen Lernweges darstellte. Kein Initiationsritual in dem Sinne, dass ich nun eine neue Stufe meiner Entwicklung erreicht hatte, sondern ein Eröffnungsritual, das zeigte, dass ich nun endlich bereit war, mit einem Weg zu beginnen, mit dem ich eigentlich bereits als Kind hätte anfangen sollen. Und dieses Ritual sollte genau hier und jetzt stattfinden. Hinter unserem Zelt gab es eine Wiese mit einem kleinen, kränklichen Baum darauf, der zum Teil in seiner Kraft stand, zum Teil aber auch abgestorben und tot war, so dass nur noch die leeren Äste, also die körperliche Hülle seines Seins übrig war. Dieser Baum war er perfekte Spiegelpartner für meine eigene Situation und so wurde er nun zum Zentrum des Kraftplatzes, an dem wir mein Eröffnungsritual durchführten. Wir stellten uns so hin, dass sich der Baum in unserem Rücken befand und schauten in die Ferne. Als Heiko mich aufforderte, die Hüter des Ostens einzuladen, begann ich mit einer üblichen Einladungsrede, die ich auch bei den Seminaren oft vorgetragen hatte. Sofort bekam ich einen Schlag von Heikos flacher Hand in die Seite, der mich zusammenzucken ließ. “Nicht so eine schwule Scheiße!” sagte er, “wenn wir das hier machen, dann machen wir es auch richtig. Sei also bitte authentisch, wenn du die Hüter einlädst und lade sie wirklich ein, anstatt nur eine Show abzuziehen, die niemandem etwas bringt!” Ich richtete mich wieder auf, blickte in die Ferne und atmete tief ein und aus. Langsam aber sicher kam nun ein Gefühl in meinem Solarplexus auf, das mich mit den Geisthütern verband. Ich stand noch immer schweigend da, doch offensichtlich hatte sich dadurch in meiner Ausstrahlung etwas verändert, denn nun sagte Heiko: “Genau! Jetzt spürst du es! Jetzt bist du langsam da, wo du sein willst!” Meine Worte waren nun nicht mehr gewählt und flüssig, sondern eher holprig und stockend, doch dieses Mal spürte ich das, was ich sagte. Ich lud Mutter Erde ein, mir bei meinem Wiedergeburtsritual zu helfen, Vater Universum, den ganzen Kosmos, Gott, die Geisthüter. Ratsch! Als ich meine Einladung ausgesprochen hatte, riss Heiko mir einen ersten Büschel Haare vom Kopf. Ich spürte ein scharfes Brennen und Ziehen auf der Kopfhaut und zuckte erschrocken zusammen, da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht damit gerechnet hatte. Doch Heiko wäre nicht der Coyote, der er ist, wenn er berechenbar wäre. Vor allem, was Rituale anbelangt. Und für mich war es wichtig, dass ich nicht wusste, was passiert, denn nur so, konnte mein Verstand überlistet und umgangen werden, der bereits wieder versuchte, sich auf alles einzustellen und das Ritual zu einem intellektuellen Erlebnis zu machen. Wir wechselten den Standort und ich ging barfuß über die stachelige Wiese zur nächsten Seite des Baumes. Hier galt es nun, das alte loszulassen, das in diesem Ritual sterben sollte: Meinen Verstandesgegner, mein Angstgefängnis, mein... Pock! Heiko holte aus und Schlug mir mit dem Handballen gegen den Solarplexus. Sofort blieb mir die Luft weg und ich sackte röchelnd auf dem Boden zusammen. “Da sitzt es!” sagte er dabei, “Dein Angstgefängnis. Spürst du es? Spürst du warum du es loslassen willst? Spürst du, wie es dir die Luft zum Atmen nimmt und verhindert, dass du in deine Kraft kommst?” Ich spürte es, aber antworten konnte ich in diesem Moment noch nicht. Heiko half mir auf und drückte meine Hände nach hinten, um meinen Brustkorb zu weiten und mir so das Atmen wieder zu erleichtern. Ja, ich spürte es, und wie ich es spürte! Diese Freiheitseinschränkung musste weg, daran bestand nun kein Zweifel mehr! Ratsch!

Wieder hatte Heiko einen Büschel meiner Haare in der Hand. Der Schmerz selbst war nicht übermäßig stark, und doch übermannte er mich so, dass ich sofort zu Heulen begann. Vor uns im Himmel formten die Wolken ein Gesicht, das aussah wie eine angstverzerrte Fratze. Wie meine angstverzerrte Fratze! Die Natur war also bei meinem Ritual dabei und hieß es gut. Weg mit der Fratze! Lass sie los! Lass sie sterben! Ratsch! Ein weiteres Büschel Haare flog davon und weiter ging es zur nächsten Seite des Baumes. Hier ging es nun darum, all die alten eingeschliffenen Angewohnheiten loszulassen. Meine Feigheit, meine Harmoniesucht, mein Gefallenwollen, meine Selbstverleumdung, meine Anerkennungssucht, meine Angewohntheit, mich tot zu stellen, mir alles gefallen zu lassen und alles über mich ergehen zu lassen, als ginge es mich nichts an. Ratsch, Ratsch, Ratsch! Bei jeder einzelnen Angewohnheit riss mir Heiko ein Büschel Haare aus. Wieder wechselten wir die Seite und dieses Mal ging es darum meinen Verstand loszulassen und endlich ins Fühlen zu kommen. Die Gefühle, die mir zeigten, wer ich war und wohin mich mein Weg führen sollte, waren die ganze Zeit in mir. Nun war es an der Zeit, sie auch zuzulassen, wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Mit einem erneuten Ratsch riss Heiko weitere Haare aus meinem Kopf und anschließend kehrten wir zu dem Platz vor dem Baum zurück, an dem wir gestartet waren. Hier ging ich auf die Knie und Heiko begann nun, systematisch mir Büschel für Büschel die Haare vom Kopf zu reißen. Ich kniete auf der Wiese und heulte wie ein Schlosshund. Teilweise vor Schmerz und weil ich glaubte, dass Heiko mir nicht nur die Haare, sondern auch meine Kopfhaut herunterriss. Vor meinem inneren Auge sah ich bereits, wie mir die Haut in blutenden Fetzen vom Schädel hing. Erst nach dem Ritual erfuhr ich, dass ich kein einziges Mal auch nur ein bisschen blutete. Meine Kopfhaut ließ einfach los und trennte sich von meinen Haaren, ohne sie behalten zu wollen. Und genau so wie meine Kopfhaut meine Haare gehen ließ, spürte ich, dass auch ich mit jedem Büschel einen Teil von mir losließ. Die Tränen, die mir über das Gesicht rannen, waren nur zu einem kleinen Teil Tränen des Schmerzes. Zu einem wesentlich größeren Teil waren es alte Tränen, die schon vor langer Zeit hätten geweint werden sollen. Es war, als würde mir mit den Haaren auch alles andere herausgerissen, von dem ich mich auf der Verstandesebene vor langer Zeit getrennt hatte, ohne dass diese Trennung jedoch jemals bei mir auf der Gefühlsebene angekommen war. Meine alten Beziehungen, die Freundschaften, die im Sande verlaufen waren und vieles mehr. Aber auch meine Familie, meine Maske, mein altes Leben und meine Konzepte davon, wer ich bin oder sein sollte. Zum ersten Mal spürte ich wirklich die Trauer darüber, ein Waise zu sein. Bislang war es mir vom Verstand her bewusst gewesen, doch wirklich gefühlt hatte ich es nie. Ich hatte keinen Kontakt zu meinen Eltern, das war offensichtlich, doch darüber hinaus war noch nichts bei mir angekommen. Nun spürte ich zum ersten Mal, dass ich keine Eltern mehr hatte und auch nie wieder haben würde. Das war in Ordnung und richtig, aber es war auch etwas, über das man trauern durfte. Ebenso trauerte ich über den Tod meines alten Ichs. Natürlich war es eine Maske und doch hatte mich diese Maske als Kind vor dem Tod gerettet. Die Welt verschwamm hinter dem Tränenschleier und unter den Schmerzen. Teilweise wurde ich ruhig und mein Verstand kam wieder an die Oberfläche. Sobald Heiko dies merkte, riss er rabiater und brachte mich durch den aufflammenden Schmerz wieder ins fühlen zurück. Bereits hier wurde deutlich, dass sich mein Verstand nur durch intensiven Schmerz wirklich ausschalten ließ. Eine Erkenntnis, auf die wir später noch einmal zurückkommen würden. Ich schlug erneut auf den Boden, Schluchtzte, Schrie und wand mich. Und irgendwo unter all diesen Gefühlen begriff ich zum ersten Mal wirklich, dass alles nur eine Illusion ist. Schließlich begann doch etwas Blut zu fließen, aber nicht von meinem Kopf, sondern von Heikos Fingern, denn meine Haare schnitten zum Teil tief in sie ein. Für ihn war das Ritual also nicht viel weniger Schmerzhaft als für mich. Um überhaupt noch weiter machen zu können, nahm er schließlich die Zange unseres Multitools zur Hilfe. Hin und wieder begann ich mitzumachen und mir meine Haare selbst vom Kopf zu reißen. Für einem Moment glaubte ich, dass ich den Rest meiner Haare nun selbst entfernen könnte, doch als Heiko andeutete, dass er dann eine Pause machen und zurück zum Zelt gehen würde, war mir sofort klar, dass ich es nicht schaffen würde. “Ich schaffe es nicht alleine! Ich brauche deine Hilfe!” schluchtze ich und meinte damit nicht nur meine Haare, sondern meine Lebenssituation im Allgemeinen. Bislang hatte ich immer geglaubt, dass ich kein Recht hatte, andere um Hilfe zu bitten und dass ich meinen Lebensweg irgendwie alleine Meistern musste. Nun wurde mir klar, dass dies unmöglich und auch vollkommen unnötig war. Ich war kein einzelnes Individuum, dass für sich alleine gegen das Leben kämpfen musste. Dies war nur das, was mein Ego glaubte und mir einredete. Doch in Wirklichkeit war ich mit allem eins und alles war ein Teil von mir. Also konnte ich auch von allem Hilfe annehmen. Heiko riss und rupfte weiter, bis fast keine Haare mehr übrig waren. Der letze Rest wollte sich auf diese Weise einfach nicht mehr entfernen lassen, da er zum Teil sehr kurz abgerissen war. Also griffen wir zu herkömmlicheren Methoden der Haarentfernung und rasierten den Rest ab.

Da saß ich nun und fühlte mich wie ein leeres Blatt mit schmerzender Kopfhaut. Tobias Krüger war gestorben. Nicht nur mein altes Masken-Ich, sondern auch mein alter Name. Ich war nun also ohne Haare, ohne Namen, ohne Familie. Später testeten wir noch etwas mehr aus und bestätigten damit einige Vermutungen, die ich tief in meinem Inneren bereits gespürt hatte. Mit meinem Tod als Tobias Krüger starb nicht nur endgültig der Kontakt zu meinen Eltern, sondern zu meiner ganzen Familie, also auch zu meiner Schwester, meinen Tanten, Onkels und allen, die sonst noch dazu gehörten. Ich war also gewissermaßen entwurzelt und konnte nun neu austreiben und neue Wurzeln fassen. Nur wenige Tage zuvor hatte ich eine Mail von meiner Schwester bekommen, in der sie von ihrem Urlaub und ein wenig auch aus ihrem Alltag erzählte. Die Mail an sich war zwar nicht besonders persönlich oder verbindend, aber auch nicht negativ, sondern relativ neutral, so wie unser Kontakt in der letzten Zeit oder eigentlich sogar schon seit Ewigkeiten immer war. Doch eine Sache an dieser Mail hatte mich tief betroffen gemacht. Über den Umweg über meine Schwester ließ mir meine Mutter in dieser Mail mitteilen, dass sie von nun an nicht mehr damit einverstanden war, dass meine Post zu ihr nach hause gesendet wurde. Ihre Psychologin hatte ihr geraten, alles abzuschalten, was sie an mich erinnerte. Zunächst hatte ich mich tierisch darüber aufgeregt, wie eine Psychologin so etwas absurdes raten konnte, doch nun wurde mir klar, dass es dabei genau um den gleichen Schritt ging, den nun auch ich gegangen war. Ich war gestorben, nicht nur für mich selbst, sondern auch für sie. Und damit war es von nun an nicht mehr in Ordnung, wenn meine Post noch bei ihr ankam. Was mich daran jedoch wirklich betroffen machte war nicht die Aussage meiner Mutter, sondern die darin verborgene, indirekte Aussage meiner Schwester. Vor mehr als zwei Monaten hatten wir miteinander telefoniert und dabei zum ersten Mal in unserem Leben ein wirklich klärendes Gespräch geführt. Seither hatte ich nichts mehr von ihr gehört und es war ein bisschen, als würde sie überhaupt nicht existieren. Nun kam wieder eine Mail, aber nur deshalb, weil meine Mutter sie beauftragt hatte, mir etwas mitzuteilen. Gab es also wirklich einen Bezug zu mir, oder hielt sie den Kontakt aus reiner Höflichkeit und schwesterlichem Pflichtbewusstsein aufrecht? Wenn ich jedoch ehrlich zu mir selbst war, dann stellte ich fest, dass es mir selbst nicht anders ging. Auch ich hatte keinen wirklichen Bezug mehr zu ihr und schrieb meist, weil ich das Gefühl hatte, ihr schreiben zu müssen, da es sich als guter Bruder nun einmal so gehörte. Doch ein energiebringender, bereichernder Kontakt war es nicht und ein ehrlicher schon gleich gar nicht. Jetzt zu erfahren, dass ich den Kontakt endgültig abbrechen sollte, um wirklich ins Leben kommen zu können, fühlte sich hart an, doch es kam nicht überraschend. Der Kontakt, um den ich trauerte, existierte schon längst nicht mehr oder hatte wahrscheinlich nie existiert. Tatsächlich hatten wir bereits schon vor einiger Zeit über den Muskeltest herausgefunden, dass ich in meinem ganzen Leben so gut wie keinen wirklich nährenden Kontakt zu jemandem in meiner Familie hatte. Es gab viele lehrreiche Situationen und der Kontakt war wichtig gewesen, um mich überhaupt auf den Weg machen zu können, doch es hatte so gut wie nie etwas energetisierendes, bereicherndes gegeben, durch das ich wirklich hätte wachsen können. Der einzige Energie bringende Moment, den ich mit meiner Schwester hatte, war bei dem klärenden Telefonat über die Situation mit meinen Eltern. Ansonsten waren alles Beziehungen reine Masken- und Ego-Beziehungen, bei denen es nicht um eine Verbindung zwischen unseren Seelen ging, durch die wir gemeinsam mit- und aneinander wachsen konnten, sondern nur um das wahren des äußeren Scheins und um die Befriedigung eigener Bedürfnisse. Die Kernmotivation, auf der wir unsere Beziehungen aufgebaut hatten, war nicht die Freude an der Gemeinsamkeit und die Liebe zu einander, sondern die Angst davor, alleine zu sein. Dies war auch kein Wunder, denn ich selbst hatte ja stets als Ego-Mensch und Energieparasit gelebt, was also hätten mir meine Spiegelpartner in Form meiner Familie spiegeln sollen? Wir waren wie eine Horde Vampire, die stets versuchte, sich gegenseitig auszusaugen. Gleichzeitig mussten aber auch alle immer so tun, als wären si glücklich, zufrieden und vollkommen erfüllt, so dass wahre Gefühle keinen Platz hatten. Der Kontakt zu meiner Familie, war also stets nur der Kontakt vom Masken-Tobi zu anderen Maskenbildern gewesen. Warum also sollte ich mich weiter daran festklammern?

In der Familie wird sich oft das Blut wie bei einem Vampir ausgesaugt.

In der Familie wird sich oft das Blut wie bei einem Vampir ausgesaugt.

Das gleiche wie für meine Familie galt auch für meine alten Freunde. Auch zu ihnen hatte ich längst keinen echten Kontakt mehr und da ich in meinem Leben noch nie wirklich authentisch war, hatte es auch nie einen wirklich ehrlichen, energiegebenden Kontakt gegeben. Natürlich waren es gute Freunde und in der Phase meines Lebens, in der die Freundschaften aktiv waren, hatte ich gerne Zeit mit ihnen verbracht. Es gab unglaublich viel, wofür ich ihnen dankbar war und ohne sie hätte ich meine Schulzeit und meine Jugend wahrscheinlich nicht einmal überstanden. Doch auch ihnen gegenüber fühlte ich mich verpflichtet, der zu bleiben, als den sie mich kennengelernt hatten. Auch hier spielte ich stets die Rolle des Masken-Tobis und so war es nicht weiter verwunderlich, dass selbst bei meinen besten Freunden kaum ein nährender Kontakt stattgefunden hatte. So wie ich auf der einen Seite stets als Energie-Vampir gelebt hatte, hatte ich mich auf der anderen Seite auch stets als Kraftakku zur Verfügung gestellt. Und diese Art des Kontaktes war eine der Fesseln, die mich in meinem alten Leben festhielten. Als ich versuchte, das Buch zu schreiben, waren es auch ihre kritischen Stimmen in meinem Kopf, die mich davon abhielten und mir sagten: “Das kannst du nicht bringen! Du bist doch vollkommen verrückt!” Auch diese Stimmen hielten mich also noch immer davon ab, authentisch und ich selbst zu sein. Tatsächlich fand der Kontakt, den wir seit meinem Reisebeginn hatten, fast nur noch in meinem Kopf statt, denn schreiben oder telefonieren taten wir so gut wie nie. Wenn wir jedoch den Kontakt hielten, dann blieb dieser fast immer an der Oberfläche, also auf der Ebene von Smalltalk, der niemandem etwas nützte, außer dass er einem die Zeit vertrieb, wenn einem langweilig war. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass es Beziehungen waren, durch die wir uns gegenseitig von unserem Lebensweg ablenkten und abhielten, anstatt uns weiterzuhelfen und gegenseitig bei den nächsten Schritten zu unterstützen. Solche Beziehungen hatten nun in meinem Leben keinen Platz mehr. Wenn es einen Kontakt zu Freunden gab, egal ob alten oder neuen, dann musste es ein nährender, bereichernder, ehrlicher und tiefer Kontakt sein. Oder eben überhaupt keiner. Für die nächsten Tage blieb ich erst einmal Namenlos. Tobias Krüger fühlte sich für mich nun nicht mehr richtig an, aber ich spürte auch, dass ich mir meinen neuen Namen nicht einfach ausdenken konnte. Er würde zu mir kommen, wenn es an der Zeit war. Und genau so war es schließlich auch. Zu meiner vollkommenen Überraschung sorgte dieser Name dann dafür, dass plötzlich alles einen Sinn machte. Bis zu diesem Zeitpunkt, war es, als würden lauter einzelne Puzzleteile in einen Raum geworfen, die sich zwar alle stimmig anfühlten, die aber kein schlüssiges Bild ergeben wollten. Erst der Name war das Bindestück, das alles zusammenfügte. Da ich noch immer keinen Bezug zu meinen Gefühlen hatte und auch weder eine Eingebung im Traum noch durch meine Intuition bekam, testeten wir uns nach einigen Tagen durch den Muskelreflexionstest an die Sache heran. “Kenne ich den Namen bereits?” JA “Ist er auf dieser Reise schon gefallen?” JA “Ist er in den letzten Tagen gefallen?” NEIN “Kommt er aus dem Indianischen?” NEIN “Hat er etwas mit dem Glauben und meiner Rolle auf dieser Reise zu tun?” JA Schließlich hatten wir es soweit eingekreist, dass nur noch ein Name übrig blieb: Franziskus bzw. Franz oder Francesco, nach dem heiligen Franz von Assisi. Plötzlich ergab alles einen Sinn.

Seit ich ein kleines Kind war, hatte ich gespürt, dass ein Leben in der Gesellschaft so wie es bei uns normal war nichts für mich ist. Ich wollte nie etwas mit Geld zu tun haben und war der festen Überzeugung, dass ich es nicht brauchte. So lange, bis mich mein Gegner vom Gegenteil überzeugte. Auf der Obdachlosentour hatte ich dann zum ersten Mal wieder festgestellt, dass ich als Kind recht hatte. Man konnte durchaus ohne Geld leben und es war ein befreiendes Gefühl. Seit unserem Reisebeginn zogen wir dies ja ebenfalls recht konzequent durch und das mit großen Erfolg. Ich führte nun also bereits seit zweieinhalb Jahren das Leben eines Bettelmönchs, so wie es Franziskus vorgeschlagen hatte, ohne dass es mir so recht bewusst war. Vor genau zwei Jahren hatte ich dann herausgefunden, dass ich wie ein Mönch im Zölibat leben sollte. Eine Entscheidung, die der heilige Franziskus ebenfalls für sich getroffen hatte und die er den Rest seines Lebens durchhielt, obwol er in der heiligen Klara eine Verehrerin hatte, die ihm auch auf der körperlichen Ebene nur zu gerne Näher gekommen wäre. Dennoch haben sich beide dafür entschieden, eine sehr intime, sehr intensive und sehr nahe, aber rein platonische Beziehung zu führen. Als wir auf unsere Weltreise aufbrachen, haben wir uns dann ohne so recht zu wissen warum, gleich von Anfang an als Mönche vorgestellt. Um nach Essen, Wasser und Schlafplätzen zu fragen haben wir zunächst gesagt: “Wir reisen WIE Mönche um die Welt.” Dann wurde daraus ein “Wir reisen ALS Mönche” und später sagte ich immer “Wir sind zwei Mönche, die um die Welt reisen”. Warum sagte ich dies? Weil es sich für mich genau so anfühlte. Wir haben auf unserer Reise nun schon unzählige Klöster und auch Mönche kennengelernt und je mehr wir von ihrem Leben mitbekamen, desto mehr kam in uns das Gefühl auf, dass wir selbst bedeutend mehr Mönch waren, als nahezu jeder Mönch, den wir auf dem Weg trafen. Auch dies war eine Erfahrung, die Franziskus ebenfalls gemacht hatte. Als er sich entschloss, ein Leben als Mönch zu führen, entschied er sich ganz bewusst dagegen, in einen bereits vorhandenen Orden einzutreten. In seinen Augen waren alle ihm bekannten Orden vollkommen korrupt und hatten nichts mehr mit einem Leben im Dienste Gottes zu tun. Die ursprünglichen Ideen und Ideale ihrer Gründer waren längst verloren gegangen und die Mönche waren träge und selbstgefällig geworden. Nicht alle natürlich, aber doch mit einer großen Tendenz. Ebenso spürten auch wir bei unseren Besuchen immer wieder, dass in den Orden gute und wichtige Ideale steckten, dass diese aber längst nicht mehr gelebt wurden. Die Verbindung zum Göttlichen war erloschen und die Mönche hatten keine echte Aufgabe mehr. Später in Spanien hatten wir uns dann willkürlich für einen beliebigen Orden entschieden. Ohne darüber nachzudenken hatten wir dabei unter hunderten von Mönchsorden ausgerechnet den des heiligen Franziskus gefählt. Wirklich ein Zufall? Natürlich musste es ein Bettelorden sein, denn sonst hätte es für unseren Lebensstil ja keinen Sinn gemacht. Doch auch davon gab es unendlich viele und zunächst spielte es für uns auch überhaupt keine Rolle. Es war nicht mehr als ein Name, den man sich merken musste, um eine glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Erst als wir nach Assisi kamen änderte sich dies, denn nun fanden wir zum ersten Mal mehr über das Leben des Bettelmönchs heraus. Plötzlich stellten wir fest, dass es viele weitere Parallelen zwischen ihm und mir gab. Auch Franziskus hatte zunächst versucht, das Leben zu führen, das seine Eltern für ihn vorgesehen hatten. Als er jedoch merkte, dass dies nicht sein Weg war, legte er sein altes Leben und sein altes Sein ab und wurde Mönch. Um dies zu schaffen, musste er den Kontakt zu seiner Familie vollständig abbrechen. Er heißt zwar bis heute “Franz von ASSISSI”, setzte jedoch nach seiner Wandlung nie wieder einen Fuß in sein altes Heimatdorf und hatte nie wieder Kontakt zu seiner Familie. Erst nach seinem Tod riss sich die Stadtgemeinde seinen Leichnahm unter den Nagel, weil sie bereits damals überzeugt waren, dass er eine profitable Touristenattraktion werden könnte. Doch das ist noch nicht alles! Um seine Wiedergeburt als Bettelmönch zu zelebrieren, machte er ein Ritual, in dem er sich vollkomen seiner Haare entledigte und legte dabei auch seinen alten Namen ab. Gerade wollte ich sagen, dass er sich die Haare dabei zwar nicht ausgerissen, aber immerhin abrasiert hatte, doch das stimmt nicht ganz. Denn es gibt auch einige Überlieferungen, nach denen er sich die Haare ebenfalls vom Kopf gerissen hat. Erst seit diesem Tag trug er nun den Namen Fracesco d‘Assisi. Er selbst hatte nie vor, einen Mönchsorden zu gründen, sondern pilgerte zunächst als Bettelmönch durch die Welt um Wissen über das Leben, den Glauben und Gott zusammenzutragen. Seine Idee war es dabei, eine Art Clan aufzubauen, also eine Gruppe von Gleichgesinnten, die einander auf ihrem Weg zur geistigen Entwicklung und zum Erwachen in Gott unterstützte. Er nannte diesen lockeren Clan der Glaubensgenossen “die minderen Brüder” um zu betonen, dass sie in Armut und Demut leben und sich ganz der Beziehung zu Gott widmen wollten. Ganz bewusst war es kein Orden und kein offizieller Kirchenverbund, sondern eine formlose Gruppierung, die sich vollkommen freiwillig einem Kodex verschrieben, durch den sie der Schöpfung dienen und ins Erwachen kommen wollten. Dabei erkannte Francesco auch die Spiegelgesetze und ihm wurde bewusst, dass er alles in seinem Leben selbst anzog. Genau wie ich, hatte er jedoch ein großes Problem damit ins Fühlen zu kommen und sich selbst als der anzunehmen, der er war. So verstand er die Spiegelgesetze zwar, konnte sie aber nie anwenden und lebte daher ein Leben in innerer Armut, obwohl er eigentlich nach innerem Wohlstand strebte. So wie auch ich war er sehr gut darin, die Dinge faktisch zu erkennen und zu beschreiben, jedoch eher ein Stümper, wenn es darum ging, Gefühle zu vermitteln. Dies war auch einer der Gründe, warum es die katholische Kirche schaffte, die minderen Brüder bereits zu Francescos Lebzeiten zu korumpieren und für ihre eigenen Zwecke zu misbrauchen. Seine Lehren konnten von den Menschen gut verstanden und nachvollzogen, aber nicht gefühlt werden und so war es nur eine Frage der Zeit, bis auch seine Ideale verloren gingen und nur noch die leere Hülle eines Ordens übrig blieb, der genauso korrupt war wie alle anderen auch.

Franz von Assisi Figur

Franz von Assisi Figur

Viele Jahrhunderte später stieß jedoch ein amerikanischer Autor namens Wayne Dyer auf einige Schriften Francescos und ließ sich von ihnen inspirieren, um die zentralen Gesetze des Universums zu erkennen und niederzuschreiben. Dank Francescos Hinterlassenschaft erkannte er, dass alles eins ist und dass es nur das eine, allumfassend göttliche Bewusstsein gibt, von dem wir alle ein Teil sind. Diese Erkenntnisse fanden über verschiedene Wege wiederum den Weg zu uns und bildeten die Grundlage für Heikos Recherche zum Thema Gottbewusstsein. So wie Francesco Wayne Dyer inspiriert hatte, inspirierte nun Wayne Dyer Heiko und dies führte schlussendlich zu dem Buch, das der Ausschlaggeber für meine Wiedergeburt als Franz wurde. Wir machten noch eine weitere Austestung, die mich in tiefstes Erstaunen versetzte gleichzeitig aber auch nicht weiter überraschte. “War ich in einem früheren Leben Franz von Assissi?” JA “Ich war also wirklich dieser Francesco, dieser Bettelmönch, der umhergezogen ist und versucht hat für sich selbst und für die Menschheit herauszufinden, dass wir alle Gott sind und was das für unser Leben bedeutet?” JA! Das erklärter nun natürlich einiges! Als Francesco hatte ich bereits einmal versucht, als Bettelmönch meinen Weg in die Erleuchtung und ins Erwachen zu gehen, hatte es damals aber nicht ganz geschafft, weil ich es nie geschafft hatte, mich selbst wirklich anzunehmen. In mir, bzw. in Francesco war immer der Glaubenssatz, es selbst nicht wert zu sein, ins Erwachen zu kommen. Er hatte sehr ähnliche Kindheitserfahrungen gemacht, wie ich nun in diesem Leben und daher wahrscheinlich auch eine Menge Selbsthass aufgebaut, den er nicht abbauen konnte. So hatte er sich immer wieder dafür verurteilt, nicht gut genug zu sein und sich so letztlich mit einem Leben in Armut, Leid, Krankheit und Schmerz bestraft. Er hat unglaublich viel verstanden, aber vieles davon nicht verinnerlichen und anwenden können. Und genau so ist es auch heute. Ich verstehe sehr viel, fühle jedoch nur sehr wenig und merke oft nicht, in welchen Zusammenhängen die Dinge stehen. Die Blindheit, die mir meine Augen ganz physisch vor Augen führen, steckt auch tief in mir verankert, so dass ich vieles nicht erkennen kann, das sich direkt vor mir offenbart. Dies zu erkennen und offenzulegen ist nun Heikos Aufgabe. So glaubte ich zwar am Anfang, der Autor unseres neuen Buches zu sein, war am Ende jedoch gewissermaßen die Muse. Jedes Mal, wenn ich irgendetwas verkackte oder durch die Präsenz meines Gegners etwas veranstaltete, das zur Eskalation führte, zog Heiko daraus im Nachhinein eine neue Erkenntnis, durch die das Buch lebendig wurde. Und erst jetzt, wo ich mein altes Ich abgelehnt hatte und zu Franz geworden war, wurde auch das Buch plötzlich eine runde Sache. Ohne es zu merken war es nun die Anleitung geworden, um genau die ersten Schritte auf dem Weg zum Erwachen zu gehen, die ich nun ebenfalls gehen konnte. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir auch das Buch mit der Geschichte über einen kleinen Jungen begonnen hatten, der sich entschloss, ein Mönch zu werden, um so die Lehren der Natur erlernen und zu einem Erdheiler werden zu können. So wie Francesco damals den Clan der minderen Brüder um sich herum aufbaute, sollten auch wir nun immer mehr zu einem Clan mit einem klaren Kodex werden, in dem wir uns gegenseitig ergänzen und unterstützen, so dass wir nicht nur selbst stetig weiter in Richtung Erwachen gehen, sondern auch zu einem Vorbild und einer Inspiration für andere werden. Und aus diesem Grund sollte ich von nun an den Namen des heiligen Franziskus tragen, um mich stets daran zu erinnern, wer ich wirklich bin, und wohin mich meine Reise führt. Francesco damals wurde nach seinem Geburtsort “von Assissi genannt. Die Frage war also nun, ob ich dann nach dem gleichen Vorbild ebenfalls Franz von Stelingen oder Franz von Garbsen oder Franz von Hannover nach meinem ursprügnlichen Heimatort, bzw. der Heimatgemeinde oder der Heimatstadt benannt werden sollte. Doch alle drei Namen schieden aus. Es ging nicht darum, wo Tobias Krüger geboren wurde, sondern darum, wo der neue Franz entstanden war. Und dies war ein kleiner Ort namens Bujor mitten in einem kleinen, nahezu unbekannten Land namens Moldawien. Somit war ich von nun an Franz von Bujor. Doch ich sollte nicht nur den Namen des alten Francesco tragen, sondern zukünftig wirklich wie ein Mönch leben. Nicht wie ein moderner Mönch, der in irgendein Kloster eintrat und dort mehrmals täglich den Gottesdienst schwänzte, der angeblich das Zentrum seines Glaubens darstellte, sondern als ein Mönch im ursprünglichen sinne, so wie es auch Franziskus Idee war. Ein Leben in Einfachheit, Besitzlosigkeit, im Zölibat, ohne Geld und mit dem Auftrag für mich selbst und für andere den Weg zum Erwachen und ins Gottbewusstsein zu gehen. Eben das Leben eines Wander- und Bettelmönchs, nur das ich nicht alleine oder mit anderen Mönchen umherziehen würde, sondern im Clansystem mit Heiko und später auch mit Heidi. Dazu gab es wie bei Mönchen üblich einige Lebensregeln, also einen Kodex, der eingehalten werden musste und nach dem ich von nun an leben würde. In den folgenden Tagen fanden wir immer mehr heraus, worin dieser Kodex bestand und dass er sich nicht nur auf mich, sondern auf unsere gesamte Herde bezog. Zum ersten Mal, seit wir aufgebrochen sind, waren wir nun also in der Lage, unsere Lebensweise und die damit verbundenen Ziele und Ausrichtungen in einem klaren Regelwerk zu definieren, so dass es uns von nun an leichter fällt, nach unseren Idealen zu leben und sie nicht wieder schleifen zu lassen. Zunächst einmal gibt es für mich als Franz von Bujor nun einige Regeln, die mein Alltagsleben betreffen. Wie es sich für einen Mönch gehört, werde ich mich sobald wie möglich, also mit dem Wiedereintritt in die EU und die Anschaffung einer Robe kümmern. Sie soll in Grau gehalten sein und mit einer Art Ledergürtel zusammengehalten werden. Schuhe und Socken kann ich auch weiterhin die tragen, die wir von unseren Sponsoren bekommen. Als Unterkleider unter meiner Robe sind jedoch nur Jägerunterwäsche oder traditionelle Wollunterkleider gestattet. Bei den Unterhosen selbst gibt es keine Einschränkungen, aber eben für lange Unterwäsche. Zum Schlafen ist die Lösung, die ich nun verwende, mit der Schaumstoffmatte und der Ortlieb-Luftmattratze in Ordnung. Andere Systeme sind ebenfalls OK, wichtig ist jedoch, dass die Schlafunterlagen insgesamt nicht mehr als 3,5cm dick sind. Ausgenommen sind gelegentliche Einladungen in Hotels oder bei Privatpersonen. Abgesehen davon ist der Schlafplatz meiner Wahl stets ein Zelt. Wenn wir als Herde später einmal ein Begleitfahrzeug in Form eines Wohnmobils, Expeditionsmobils oder etwas ähnlichem haben, werden Heiko und Heidi im Inneren schlafen, ich aber weiterhin im Zelt. Entweder neben dem Mobil oder auf dem Dach. Zum Arbeiten, Kochen, Entspannen, bei Heilungsarbeiten, Massagen, etc. und zum Filmschauen kann ich das Mobil aber ebenfalls nutzen. Warum aber diese Einschränkungen? Warum ist es für mich so wichtig, ein Leben in Einfachheit zu führen, auch dann, wenn wir als Herde Luxus und Wohlstand erschaffen haben?

Für Franz ist das Schlafen in einem Zelt vorgesehen.

Für Franz ist das Schlafen in einem Zelt vorgesehen.

Auch dies begründet sich aus meinem Familiensystem und den Erfahrungen, die ich bislang in diesem und in früheren Leben gesammelt habe. Im Rahmen meiner Familie habe ich in meiner Kindheit und Jugend immer wie in einer Seifenblase gelebt. Ich hatte stets alles, was ich brauchte, es mangelte mir an nichts und mir wurde immer alles hinterher getragen. Ich verbrachte meine ersten Lebensjahre also ein bisschen ähnlich wie der junge Buddha (Vielleicht habe ich auch deshalb jetzt so einen runden Blähbauch), der hinter einer Palastmauer aufwuchs, damit er das Leid der Welt nicht sehen musste. Er wurde stets von allem ferngehalten, das ihn beunruhigen oder ängstigen könnte und innerhalb dieser Mauern herrschte eine vollkommene Sicherheit. So erging es auch mir. Mir war bewusst, dass ich mich nicht gegen dieses Seifenblasenparadies auflehnen durfte, um es nicht zum Einsturz zu bringen, doch solange ich dies nicht tat, wurde mir der Arsch gepudert und ich war der strahlende, fröhliche Sohn, auf den alle Stolz waren. In gewisser Weise war meine Mutter mit ihrem Plan erfolgreich gewesen. Wir waren die perfekte Familie. Alles war in bester Ordnung und bis auf wenige Ausnahmen gab es nicht einmal Streitigkeiten zwischen mir und meiner Schwester. Vor allem im Teenageralter war dies zwischen einem Bruder und einer Schwester mit einem Altersunterschied von zwei Jahren so ungewöhnlich, dass sogar unsere Freunde ganz skeptisch wurden und unsere Harmonie teilweise sogar als unheimlich empfanden. Womit sie ja auch vollkommen Recht hatten. Denn trotz dieser perfekten Seifenblasenwelt war ich nie wirklich glücklich, zufrieden und erfüllt. Natürlich gab es viele Glücksmomente, viele Situationen in denen ich mich wohl gefühlt habe, in denen ich Spaß und Freude hatte und in denen ich gerne in dieser Seifenblase lebte. Wäre das nicht der Fall gewesen, wäre ich ja bereits damals ausgebrochen, denn dann hätte es keinen Sinn gemacht, die Traumblase aufrecht zu erhalten und dafür meine Seele zu zerstückeln. Das Leben innerhalb der Blase war angenehm und hatte viele Vorteile. Doch über allem lag immer auch ein Gefühl der Schwere, der Leere und der latenten Unzufriedenheit. Irgendetwas fehlte. Irgendetwas passte nicht. Doch weil ich nicht hinschauen wollte, erkannte ich nie was es war und versuchte dieses Schwere-Gefühl so gut wie möglich zu verdrängen und zu überspielen. Gefühle waren wie gesagt verboten also wurden sie stets runter geschluckt und mit einem falschen Lächeln überspielt. Doch genau darin lag der Grund, warum keine echte Zufriedenheit, keine Erfüllung und keine Glückseligkeit aufkommen konnte. Es war nicht echt. Alles bestand aus einer Fassade, hinter der es aber keine wahre Zuneigung, keine Gemeinschaft, keinen Austausch und keinen echten Wohlstand gab. Obwohl ich stets alles hatte, begleitete mich auch stets das Gefühl, arm zu sein. Wir konnten es uns nicht leisten, die coolen Markenklamotten zu kaufen, mit denen ich in der Schule nicht gehänselt worden wäre. Wir konnten es uns auch nicht leisten, in „teure“ Urlaube zu fahren oder teure Ausflüge zu machen. All dies hatte niemals etwas mit der Finanzlage in unserer Familie zu tun. Es war lediglich das Gefühl, dass meine Eltern hatten und das sie uns Kindern vermittelten. Es ging nicht darum, dass meine Eltern kein Geld für teurere Kleidung hatten, sondern darum, dass sie es nicht einsahen, unverschämte Preise für Jacken, Schuhe und Hosen auszugeben, die man auch günstiger haben konnte. Unsere Urlaube waren nie schlecht und viele von ihnen waren sicher auch recht teuer und dennoch kam immer wieder das Gefühl auf, dass sie schöner oder spannender hätten sein können, wenn unsere Familie reicher gewesen wäre. Obwohl ich also stets alles hatte was ich brauchte und sogar noch weitaus mehr, blieb immer das Gefühl, nicht genug zu haben und auf gewisse Weise arm zu sein. Vor allem aber gab es eine Armut an Liebe, da es keine echten Gefühle gab. Es ging nie darum, den anderen Familienmitgliedern eine echte Freude zu machen, sondern darum, sich selbst besser zu fühlen, weil man ein Geschenk gemacht hatte. Dies ging sogar soweit, dass ich teilweise Angst vor Weihnachten und Geburtstagen hatte, weil ich fürchtete, etwas geschenkt zu bekommen, das ich nicht mochte. Wenn das der Fall war, musste ich eine Freude vortäuschen, denn sonst wären meine Eltern traurig oder enttäuscht gewesen, das ich mich nicht freute. Es ging also nicht darum, einander ein echtes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern oder sie mit Begeisterung und Freude zu erfüllen, sondern selbst das Gefühl zu erhalten, dass man ein guter Schenker war. Aus diesem Grund gab es nie ein Geschenk aus Liebe und ohne Bedingungen. Es gab kein Geben und Nehmen, bei dem allein der Akt des Schenkens Freude bereitete, ganz gleich, was der Andere mit dem Geschenk anfangen würde. Ein wahres Geschenk ist mit keinerlei Bedingungen oder Erwartungen verknüpft. Senken heißt also, dass man jemand anderem etwas überlässt, und es vollkommen los lässt. Solange irgendwelche Erwartungen oder Bedingungen daran hängen ist es kein Schenken, sondern ein Verkaufen. Ich verkaufe eine Lego-Burg und will die Anerkennung des anderen als Preis dafür haben. Ich verkaufe ein Fahrrad und will Dankbarkeit als Gegenleistung. Schenken hingegen bedeutet vollkommene Bedingungslosigkeit. Es geht mir also nur um den Akt des Schenkens selbst und was immer der andere mit meinem Geschenk anstellt, ist vollkommen seine Sache. Ein echtes Geschenk ist es erst dann, wenn der Beschenkte es vor meinen Augen in Stücke reißen kann und drauf spuckt und ich mich trotzdem darüber freue, dass ich ihm dieses Geschenk gemacht habe. Erst dann habe ich wirklich keine Erwartungen mehr. Doch ein solches Schenken gab es in unserer Familie nie. Geschenke bestanden immer in einem Tauschhandel und die Perfektion in unserer Familie hieß auch, dass stets alles ausgeglichen sein musste. Es gab also nie ein Schenken in Leichtigkeit, sondern alles wurde immer gegengerechnet, am besten bis auf den letzten Cent. Auf diese Weise bekam ich ein vollkommen abstraktes Verhältnis zum Schenken und Beschenkt werden. Jedes Mal, wenn ich jemandem etwas schenke habe ich eine immense Angst davor, dass es ihm nicht gefallen könnte. Denn dies war gleichbedeutend damit, dass ich nicht geliebt wurde, ergo kein guter Mensch war und somit mein Recht auf Leben verwirkt hatte. Gleichzeitig durften auch keine Geschenke abgelehnt werden, da ich den Schenker nicht traurig machen oder beleidigen wollte. Selbst jetzt auf der reise fällt es mir oft noch schwer, Geschenke von Leuten abzulehnen, mit denen wir nicht das geringste anfangen können, weil ich Angst habe, sie damit zu verletzen. So war also jedes Geschenk in meiner Familie an Bedingungen geknüpft, und dies wiederum führte dazu, dass ich keine echte Dankbarkeit dafür empfinden konnte. Nichts wurde aus freiem Herzen gegeben, also konnte ich auch nichts aus freiem Herzen annehmen. Warum sollte ich auch dankbar für etwas sein, wenn ich doch einen Preis dafür bezahlt hatte? Der Wohlstand in dem ich als Kind leben durfte war somit ein Übermuttern und Bevormunden im Sinne von: „Ich weiß am besten was du brauchst und was gut für dich ist.“ So konnte nie eine Selbstständigkeit in mir aufkommen, weil alles immer für mich bereitgelegt wurde und ich nicht entschied, was mir gefiel oder was zu mir gehörte, sondern nur bedacht war, die Harmonie zu waren. Die Beziehung zwischen mir und meiner Mutter war also eine Helfersyndrom-Beziehung, bei der ich das umsorgte Opfer war, das nur dafür sorgen musste, dass sein Umsorger mit ihm zufrieden war. Wenn mir das gelang, bekam ich alles, was ich wollte, sofern es in das Bild passte, dem ich entsprechen musste. So wurde ich also zum Parasiten, der nur immer mehr und mehr gesaugt hat, dabei aber stets das Gefühl hatte, zu wenig zu besitzen und nie genug bekommen zu können. Kurz: Ich lebte ein Leben unter einer Kuchenglocke, unter der es zwar warm und sicher war, unter der es aber keine Liebe und keine Erfüllung geben konnte.

Nun geht es für mich darum, dieses Prinzip umzukehren. Anstelle der komfortablen Seifenblase tritt nun die blanke, ungeschminkte Realität. Es gibt nun keine Kuppel mehr, keinen Besitz, keine Sicherheit. Alles ist so wie es ist und es kommt stets das, was kommt. Auf diese Weise kann ich nun lernen, mit allem zufrieden zu sein und das anzunehmen, was gerade da ist. Im Hawaiianischen bedeutet das Wort „Liebe“ wörtlich übersetzt „Zufrieden sein mit“. Darin liegt eines der wichtigsten Naturgesetze des Lebens verborgen. Alles ist eins. Man kann also immer nur entweder zufrieden sein oder eben nicht. Wenn man Zufriedenheit in sich trägt, ist man automatisch mit allem zufrieden, egal was es ist. Besitzt man die Zufriedenheit nicht, gibt es nichts im Außen, das einem diese Zufriedenheit geben könnte. Das zweite Prinzip habe ich nun lange genug erfahren. Nun ist es an der Zeit, bedingungslose Zufriedenheit zu lernen. Das Gleiche ist es auch mit dem Reichtum und dem Wohlstand. Reichtum bedeutet nicht, so viel Geld oder Besitz wie möglich zu horten und dabei stets das Gefühl zu haben, dass es noch immer nicht reicht. Es bedeutet, vom Herzen her reich zu sein, egal wie viel man hat oder nicht hat. In meinem Fall bedeutet reich sein nun, nichts zu besitzen und trotzdem alles aus vollem Herzen und mit aufrichtiger Freude zu verschenken. Diese Lernaufgabe begleitet mich jedoch nicht erst seit diesem Leben, sondern bereits seit vielen. Auch Francesco bekam diese Aufgabe gestellt, konnte sie für sich jedoch nicht lösen. Für ihn bedeutete ein Leben in Armut tatsächlich auch ein Leben in Armut, bei dem er versuchte, seine Erleuchtung darin zu finden, dass er sich so viel Lebensfreude wie möglich nahm. Doch es geht nicht darum, in diesem Leben zu leiden, damit wir anschließend im Paradies landen können. Es geht darum zu erkennen, dass dieses Leben bereits das Paradies ist. Jedes Tier und jede Pflanze lebt in vollkommener Besitzlosigkeit und gleichzeitig in vollkommenem Wohlstand. Ein Eichhörnchen “besitzt” die Nüsse nicht, die es verbuddelt. Es verbuddelt sie einfach, weil sie da sind und gräbt später einen Teil davon wieder aus. Der Rest ist ein Geschenk an den Baum, von dem es die Nüsse erhalten hat, denn auf diese Weise hilft es ihm beim Fortpflanzen. Ein Fuchs gräbt sich einen Fuchsbau, der eine gewaltige Größe annehmen kann. Doch dieser Bau gehört ihm nicht. Er lebt lediglich darin. Wenn ein Dachs kommt, zieht diser einfach mit ein und vielleicht wohnen sogar noch ein paar Enten in einem Höhlenbereich. Jedes Wesen der Natur schenkt und hilft allen anderen ganz automatisch ohne eine Erwartungshaltung und ohne Angst vor Verlust oder Armut. Genau dadurch entsteht der Reichtum der Natur und in diesen einzutauchen ist nun auch meine Aufgabe. So wie Geld zuvor ein Mittel meines Verstandes war, um nicht ins Urvertrauen kommen zu müssen, ist nun das Leben in Besitzlosigkeit und Einfachheit ein Weg, um ins vollkommene Urvertrauen zu kommen. Doch ich mache die Reise natürlich nicht allein, sondern Heikos Lebens- und Entwicklungsweg ist mit meinem eng verpflochten. Dass aus Tobias dem Schmarotzer nun Franz der Mönch wurde hat also auch direkte Auswirkungen auf ihn und ist auch von seiner Seite her mit entsprechenden Lernaufgaben verbunden. So ist es seit vielen Leben Heikos Aufgabe, ein Erdenhüter zu sein, der die Liebesenergie weiter gibt, bündelt und über den Erdball verteilt. Als Erdenhüter trug er dabei stets den Glaubenssatz in sich, dass er in Askese leben müsse. Es ist das gleiche Glaubensprinzip, das auch viele buddhistische Mönche in sich tragen: “Solange es noch Leid auf der Erde gibt, werde ich nicht ins Licht gehen, da ich erst allen anderen helfen muss, ihr Leid zu beenden.” Ich muss also in Armut leben, da ich stets mit allen sympatisiere, die ärmer sind als ich. Sobald ich merke, dass es jemandem schlecht geht, darf ich mich nicht mehr gut fühlen, da ich das Leid der anderen aus Mitgefühl automatisch mit in mir aufnehme. Diese Gedanken durchziehen sich in alle Lebensbereiche. Darf ich wirklich schon Feierabend machen, wenn ein anderer noch Arbeitet? Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich auf einer dicken, sofa-artigen Mattratze liege, während Franz nur ein Klopapier unter dem Rücken hat? Darf ich in vollkommener Gesundheit leben, wenn so viele Menschen um mich herum krank sind? Darf ich eine heilige Beziehung leben, bei der ich mich mit meiner Partnerin so entwickle, dass wir beide in unsere Göttlichkeit kommen, während doch nahezu alle anderen Beziehungen in unserer Gesellschaft vor allem energieraubend sind und eher vom Erreichen des Gottbewusstseins ablenken? Auch bei ihm kommen diese Gedankenkonzepte nicht nur aus diesem Leben, sondern begleiten ihn bereits seit vielen Inkarnationen. Die Grundidee, die dahinter steht, ist die gleiche, die auch Jesus hatte: “Wenn ich alles Leid der Welt auf mich nehme, dann rette ich sie damit!” Doch dies kann natürlich nicht funktionieren. Jeder hat seine eigenen Lebensthemen und jeder hat sie aus einem bestimmten Grund. Die Themen der Anderen sind die Themen der Anderen und wenn zu ihren Lernaufgaben gerade Schmerz, Leid, Armut, Krankheit oder eine energieraubende Beziehung dazugehört, dann ist das vollkommen in Ordnung. Jeder darf in dem Wohlstand oder in der Armut leben, wie er möchte und wie es für ihn gerade von seinem Lebensweg vorgegeben ist. Im Umgang mit Fremden oder Personen, die ihm nicht besonders nahe stehen, gelingt Heiko dies inzwischen sehr gut. Doch die Gedanken sind noch immer vorhanden und um sie ganz ablegen zu können, muss ein offensichtliches Ungleichgewicht in seinem engsten Umfeld entstehen, so dass er lernen kann, dass dies nicht negativ ist. So wie es meine Aufgabe ist, die Zufriedenheit und Glückseligkeit im Nichtbesitz zu finden, ist es Heikos Aufgabe, beides im Wohlstand zu erfahren.

Jesus sagte: “Wenn ich alles Leid der Welt auf mich nehme, dann rette ich sie damit!”

Jesus sagte: “Wenn ich alles Leid der Welt auf mich nehme, dann rette ich sie damit!”

Doch was bedeutet es überhaupt ein Erdenhüter zu sein?

Als wir uns vor drei Jahren in Ungarn die Zeit nahmen, für ein neues Buch zu recherchieren und verschiedene Zusammenhänge zwischen den Ereignissen überall auf der Welt zu ziehen, machten wir dabei eine erschreckende Entdeckung. Ihr habt wahrscheinlich bereits einige Berichte gelesen, in denen wir einige Hintergründe über unser Medizinsystem, über unsere Energiegewinnung, unser Geldsystem, über die Art, wie wir mit Tieren umgehen, über die Methoden der industriellen Landwirtschaft und dergleichen mehr berichtet haben. Jeder dieser Bereiche für sich genommen wirkt so, als gäbe es in unserem Gesellschaftssystem einige Fehler oder Nachteile, die man irgendwie ausbügeln müsste. Mehrere zusammengenommen machen deutlich, dass wir als Zivilisationsmenschen zu Erdzerstörern geworden sind, die sich selbst, sowie auch allen anderen Spezies in ihrer Umgebung das Leben so unangenehm und leidvoll wie nur möglich machen. Damals in Ungarn gingen wir noch einen Schritt weiter und warfen einen Blick hinter sämtliche Fassaden, die unsere Gesellschaft im Laufe der Zeit aufgebaut hat. Dabei stellten wir fest, dass so ziemlich alles eine Lüge oder zumindest eine Verharmlosung ist, was uns von offizieller Seite mitgeteilt wird. Dies an dieser Stelle auszuführen, würde den Rahmen nun vollkommen sprengen, aber es werden in kürze andere Berichte folgen, in denen wir auch darauf noch einmal näher eingehen. Alles ist eins und das Außen ist stets nur ein Spiegel unseres eigenen Inneren. Das bedeutet: So wie wir alle in unserem Inneren einen Gegner in Form des Verstandes besitzen, der versucht, uns so gut wie möglich von unserem Lebensweg abzubringen, damit sich die Liebe optimal ausdehen kann, so gibt es auch im außen Wesen, die ganz Bewusst die Rolle des Gegners übernehmen und gewissermaßen schwarze Energielinien der Angst und der Nichtliebe über unsere Welt ziehen. Je mehr Angst in die Köpfe der Menschen gepflanzt wird, desto weiter bewegen sie sich von ihrem wahren Sein weg und desto stärker wird ihr Verstandesgegner. Angst macht uns von hilfreichen Mitgliedern der Erdengemeinschaft zu Zerstörern. Aus Angst vor dem Verhungern, haben wir angefangen, eine Landwirtschaft aufzubauen, die immer größer, intensiver und zerstörerischer wurde. Heute wird bereits rund ein drittel der Landfläche Weltweit landwirtschaftlich genutzt und jedes Jahr werden mehrere Millionen Hektar durch die Bodenerosion und die Überbewirtschaftung zerstört. Für die Natur selbst, ist dies kein großes Problem, denn sie braucht nur rund 2000 Jahre um 10cm neuen fruchtbaren Boden zu erzeugen. Doch wir selbst machen uns aufgrund unserer Angst vor dem Verhungern das Leben immer schwerer. Und so wie im Bereich des Verhungerns ist es auch in allen anderen Bereichen. Die Angst davor, nicht genug zu bekommen, macht und gierig und geizig. Die Angst davor, verletzt zu werden, lässt uns erkalten, macht uns misstrauisch und argwöhnisch und führt so zu den zwischenmenschlichen Krisen, die bis zum Krieg zwischen ganzen Völkern ausarten können. Kein Tier hat Angst vor seinen Artgenossen, nur der Mensch. So wie jeder von uns einen Verstandesgegner in sich trägt, dessen Aufgabe es ist, uns erst einmal so weit wie möglich von unserem Gottbewusstsein wegzubringen und einen Hüter, dessen Aufgabe darin besteht, die innere Göttlichkeit zu bewahren und uns letztlich ins Erwachen zu führen, so gibt es also auch stets Menschen, die die Aufgabe des Gegners übernehmen und solche, die die Aufgabe des Hüters in sich tragen. Als ein solcher Erdenhüter ist es nun Heikos Aufgabe und auch die unserer Gruppe, weiße Energielinien des Vertrauens und der Liebe über unsere Erde zu spannen, die der Angst und der Zerstörung entgegen wirken, so dass wir schließlich auch als Menschheit wieder in unser Gottbewusstsein gelangen können. Dies ist auch einer der Gründe, warum das Wandern so ein fester Bestandteil unseres Lebens ist. Denn mit jedem Schritt, den wir in Liebe und Urvertrauen gehen, hinterlassen wir auch eine Spur, die diese Liebe stärkt. Ein Wanderer, der auf eine ähnliche Weise unterwegs ist wie wir und der uns vor kurzem angeschrieben hat, nannte das Prinzip sehr treffend „Footprints of Live“. Unsere Aufgabe besteht darin, auf unserem Weg Fußabdrücke des Lebens, der Liebe und der Inspiration zu hinterlassen. Wie dies im Einzelfall aussieht, entsteht intuitiv und hängt immer von den Situationen und den Regionen ab. Es kann der Funke des Lebensvirus sein, den wir im Herzen eines Menschen entfachen, und der sich von dort ausbreitet, bis er den ganzen Menschen infiziert hat, so dass dieser nun wieder seine Herzensstimme hören und ihr folgen kann. Jeder „Zombie“ der auf diese Weise wieder zum Leben erwacht und sein wahres Sein erkennt, kann wiederum weitere Funken entfachen, bis sich das Feuer des Lebens über die Erde ausbreitet. Vielleicht entfachen wir diesen Funken in einer persönlichen Begegnung, vielleicht aber auch über unseren Blog oder über die Bücher. Vielleicht entsteht er dadurch, dass wir jemanden inspirieren und begeistern, vielleicht aber auch dadurch, dass jemand in Resonanz geht, sich über uns aufregt und in seiner Wut genau auf die Erkenntnis kommt, die er gerade benötigt. Es kann aber auch der Kontakt zur Natur sein, das Wandern selbst oder die Heilungsrituale, die wir immer wieder an besonderen Orten machen. Alles ist eins. Jedes Ritual, in dem wir uns selbst heilen, heilt also immer auch den Platz, an dem es stattfindet. Vielleicht geht es dabei um Rituale, in denen alte Seelenanteile zurückgeholt oder alte Blockaden aufgelöst werden. Vielleicht geht es auch um die Verbindung und den Ausgleich der männlichen und weiblichen Kraft, so dass wieder eine Harmonie zwischen den beiden Polen entstehen kann. Und letztlich wird es auch um Rituale gehen, bei der wir ganz bewusst Akupunkturpunkte der Heilung auf der Erde setzen, durch die ein Energienetz von Liebesenergie entstehen kann. Wie das genau aussehen soll, habe ich ehrlich gesagt noch keine Ahnung. Ein grober Anhaltspunkt ist, dass es etwas mit Steinkreisen zu tun hat, wie sie schon seit vielen Jahrtausenden von Heilern aller Kulturen überall auf der Welt gelegt wurden.

Wie durch Heilungsrituale die Liebesenergie fließen kann

Wie durch Heilungsrituale die Liebesenergie fließen kann

Bereits vor vielen Jahren fiel Heiko die Prophezeiung der weißen Büffelkalbsfrau in die Hände, und ihm wurde klar, dass diese irgendetwas mit ihm zu tun hatte, wenngleich er damals noch nicht sagen konnte, was es war. Langsam aber kristallisiert sich nun immer mehr heraus, dass diese Prophezeiung in einem direkten Bezug zur Aufgabe des Erdenhüters steht. Die Überlieferungen um die weiße Büffelkalbsfrau sind bereits weit älter als 1000 Jahre. Damals gab es bei den Lakota-Indianern in Nordamerkia eine schwere Dürrezeit, die mit viel Hunger für die Indianer verbunden war. Dieser Hunger kam jedoch nicht daher, dass es in der Natur plötzlich keinen Reichtum mehr gab, sondern dass die Indianerstämme immer mehr in ihr Ego verfielen, so dass sich bei ihnen die gleichen Tendenzen breit machten, die auch unsere Gesellschaft ausmachen. Zuvor waren sie sich stets ihrer eigenen Göttlichkeit bewusst und lebten daher in einem vollkommenen Paradies. Nun aber wurde auch bei ihnen der Gegner stärker und sie wurden faul, habsüchtig und gierig, verloren das Urvertrauen und den Bezug zur Natur, bekamen immer mehr Angst und begannen schließlich, allem und jedem mit Feindseligkeit zu begegnen. Der Mangel, den sie aufgrund der Angst und des Nichtvertrauens nun im Herzen spürten, wurde ihnen auch von der Außenwelt gespiegelt und so kam es schließlich zu der Hunger- und Dürreperiode, die den Stämmen so sehr zu schaffen machte. Um einen Ausweg aus dieser Zeit der Schwere zu finden machten sich zwei Krieger auf die Suche nach Büffeln und begegneten dabei einem machtvollen Geistwesen, in Form einer anmutigen, wunderschönen und verführerischen Frau, die in weißes Wildleder gekleidet und eindeutig nicht von dieser Welt war. Einer der beiden Männer verfiel sofort in eine Gier und wollte dieses wunderbare Wesen für sich alleine besitzen. Mit gierigem Blick griff er nach der geheimnisvollen Frau und versuchte sie zu sich zu ziehen. Doch ehe er sie auch nur berühren konnte, löste sie sich in einen Nebel auf, der ihn einhüllte. Als der Nebel wieder verschwand und wieder die Frau erschien, war vom Krieger nur noch ein Haufen Knochen übrig. “Keine Angst”, sagte die Frau zum anderen Krieger, “Ich habe ihm nur genau das gegeben, um das er mich gebeten hat. Er wünschte sich, sein komplettes Leben wie einen einzigen Moment mit mir zu verbringen.” Der zweite Jäger hingegen erkannte, dass die Frau ein göttlicher Bote war und begegnete ihr mit Achtung und Respekt. Er wurde daraufhin beauftragt, in den Clan zurückzukehren und dort die Ankunft der Büffelfrau vorbereiten zu lassen, damit diese das Volk unterrichten und wieder auf den Weg in ihr eigenes Gottbewusstsein zurückführen konnte. Wenige Tage später erschien die Frau dem Clan und begann, ihr Versprechen in die tat umzusetzen. Sie lehrte sie, wieder auf ihre Intuition zu vertrauen, sich ans universelle Wissen anzuschließen und sich an die eigene Göttlichkeit zu erinnern. Dabei zeigte sie ihnen auch sieben heilige Riten, die von da an zu den zentralen Traditionen der Stämme werden sollten. Der Lakota-Stamm gab das Wissen an andere, verwandte Stämme weiter und mit der Zeit breitete es sich immer mehr aus, bis es schließlich alle nordamerikanischen Stämme erreicht hatte. Die Frau trug ihnen dabei auf, das Wissen und auch die Rituale sorgfältig zu hüten und zu bewahren, was immer auch kommen möge. Diese sieben Riten waren: Die Schwitzhütte zur Reinigung von Körper, Seele und Geist, die oft auch als Vorbereitung für andere Rituale und Zeremonien dient. Wie der Sonnentanz, wird sie traditionell nur von Männern durchgeführt. Die Olowanpi-Gesänge sind der Übergang vom Mädchen- ins Frau sein und der Willkommensruf der eigenen Weiblichkeit. Sie werden direkt nach der ersten Regel einer Frau in der ersten Mondphase zelebriert. Die Visionssuche, bei der die Menschen in eine direkte Verbindung mit dem universellen Wissen treten konnten, in dem sie über mehrere Tage fastend und still an einem Baum saßen und so ihre Bitte oder ihre Frage nach außen trugen. Der Sonnentanz, ein Initiationsritual für Männer, bei dem für vier Tage ohne Wasser, Nahrung und Schatten in der Sonne getanzt wird um so in eine tiefe, todesähnliche Trance zu fallen. Dabei haben die Tänzer sogenannte Piercings in der Haut, also Adler- oder Bärenkrallen, bzw. Holzpflöcke, die mit Schnüren an einem Baum befestigt sind. Das Ritual endet damit, dass die Haut reißt und sich die Tänzer so von den Schnüren befreien. Das Seelenhüten, zur Segnung und Läuterung der Seelen der Ahnen und Verstorbenen, um so Seelenverstrickungen aufzulösen und zu erkennen, dass alles Liebe ist. Die Verschwägerung, oder auch Blutsbruderschaft als Zeichen dafür, dass man eine tiefe Verbindung miteinander eingeht und letztlich eins ist. Hierbei geht es vor allem darum, die Beziehungen in alle Richtungen zu stärken und zu erkennen, dass es keine Individuen gibt, sondern dass wir alle Zellen eines großen Organismus sind. Das Ballspiel, ist ein Spiel mit vier Mannschaften und vier Toren, die nach dem Medizinrad angeordnet sind und die vier Himmelsrichtungen repräsentieren.

Ein steinernes Medizinrad

Ein steinernes Medizinrad

Bevor die Frau den Lakota-Stamm wieder verließ, kündigte sie an, dass sie nun für eine sehr lange Zeit nicht mehr auftauchen würde und den Stämmen vertraue, dass diese ihre Lehren und die damit verbundene Verantwortung ehrten und hüteten. Viele Jahrhunderte lang würden sie dies ganz in Ruhe tun können, doch es würde auch eine Zeit kommen, in der der Gegner in Form eines Fremden Volkes auftauchen und sie vor eine harte Prüfung stellen würde. Schließlich würde die ganze Welt in eine turbulente Zeit voller Umbrüche und Krisen fallen. Wenn dies soweit war, dann würde sie noch einmal auf die Erde zurückkehren und sich ihnen wieder zeigen, damit sie sie erneut auf das Kommende vorbereiten konnte. Diese turbulente Kriesenzeit wäre die Zeit kurz bevor die große “Reinigung der Erde” beginnen würde. Wenn diese Zeit erreicht war, würde sie der Natur und auch den Naturvölkern sowie allen Erdenhütern schützend und unterstützend zur Seite stehen. Ihre Ankunft würde dabei mit der Geburt mehrerer weißer Büffelkälber angekündigt. Nachdem die Frau ihr Mentoring beendet hatte, verwandelte sie sich in einen Büffel, dessen Fellfarbe nacheinander in alle Farben des Medizinrades annahm: Gelb, rot, schwarz und letztlich weiß. Als sie schließlich weiß wurde, war aus dem ausgewachsenen Büffel ein Büffelkalb geworden, das im Wald verschwand. In den kommenden Wochen kehrten die Büffel zurück und die Hungersnot wie auch die Ego-Sinnkrise der Indianer war vorüber. Seit jener Zeit ist die Propherzeihung bei allen nordamerikanischen Indianerstämmen am Leben erhalten geblieben und seit dem Auftauchen der Kollonialisten in Amerika war ihnen klar, dass sich die Rückkehr der weißen Büffelkalbsfrau auf die heutige Zeit beziehen würde. 1994 wurde dann das erste weiße Büffelkalb geboren. Weiße Büffel sind extrem selten und kommen eigentlich nie vor. Wenn dann aber nur in Form von Albinobüffeln, also als Tiere mit einer Pigmentstörung, so dass sie keine Fellfarbe ausbilden können. Dieses Büffelkalb jedoch war kein Albino, sondern wirklich ein weißer Büffel. 2001, 2002 und 2005 wurden in den USA drei weitere solche Tiere geboren und für die Indianer war nun klar, dass die Zeit des Umbruchs und der Wiederkehr der weißen Büffelkalbsfrau gekommen war. Zeitgleich fand man in Australien in einem trockenen Salzseegebiet zwischen dem Uluru (Aires Rock) und den Orgas, die beide zu den heiligsten Kultstätten der Aborigines zählen, mehrere Tierschädel, die mit weißen Kristallen überzogen waren. Wie sie entstanden und warum sie so gut erhalten sind, ist aus wissenschaftlicher Sicht ein vollkommenes Rätsel. Einige der Schädel stammen wirklich von Büffeln, aber alle sind Schädel von Hornträgern. Wieso man die Schädel, inmitten von glitzernden Salzkristallen, überhaupt finden konnte ist ebenso ein Rätsel, wie die Frage, wo der Körper der Tiere geblieben ist, und warum es sich bei den Kristallen auf dem Knochen um Bergkristall handelt, der nicht im geringsten mit den Salzen der Umgebung vermischt ist. Tatsächlich müssen die Schädel in einer Art Hohlraum gelegen haben und waren nicht mit Salz verkrustet verbacken. Warum sie nun an die Oberfläche kamen wo man sie dann in einer kilometerlangen Einöde aus unendlich vielen glitzernden Kristallen hat finden können, ist ebenfalls kaum erklärbar. All dies wird von Einheimischen überall auf der Welt ebenfalls als ein Zeichen für die baldige Rückkehr der Büffelkalbsfrau angesehen. In den Überlieferungen heißt es, dass die vier weißen Büffelkälber für die vier Beine des Büffelkalbsfrau stehen. Sie verkörpert das weibliche, gütige, wohlwollende und zulassende Prinzip von Mutter Erde. Mutter Erde ist der Aspekt des göttlichen Allbewusstseins, der sein unerschöpfliches Vertrauen in uns setzt, dass wir es schaffen unseren inneren Gegner aus eigener Kraft zu besiegen und wieder in die Harmonie zurückzukehren, so dass wir die Liebe ausdehnen können. Über viele Jahrhunderte und Jahrtausende hat sie es über sich ergehen lassen, dass wir sie treten, vergewaltgien, ausbeuten und zerstören, wobei wir uns immer weiter von uns selbst und von unserem wahren, göttlichen Sein entfernt haben. Die vier weißen Büffelkälber nun sind ihre vier Beine, die durch unsere Lernresistenz nach und nach ausgerissen wurden. Wenn alle vier auftauchen zeigt dies, dass nun die Zeit des großen Umbruchs und der Reinigung gekommen ist. Was bedeutet dies? Je mehr wir unser Urvertrauen und damit unser Gottbewusstsein verloren haben, desto mehr gewann unser Verstandesgegner die Oberhand, bis er uns schließlich fast vollständig einnehmen konnte, so dass wir aus Angst und Unvertrauen zu den Zerstörern unseres eigenen Lebensraums und unseres eigenen Lebens wurden. Auf diese Weise haben wir ein dichtes Netzt aus “schwarzer” Energie, also “Angstenergie” um unseren Planeten gesponnen. Die weiße Büffelkalbsfrau, die das weibliche Prinzip von Mutter Erde verkörpert hat nun die Aufgabe, das Vertrauen in uns zu stärken, so dass wir wieder in Richtung Licht- und Liebesenergie gehen können. Doch es ist auch klar, dass dies alleine nicht ausreichen wird. So wie bei der ersten Begegnung der Büffelkalbsfrau mit den Kriegern, stecken auch in uns beide Parte, die beide auf ihre Weise behandelt werden müssen, damit es zur Liebesausdehnung kommen kann. Der Teil von uns, der glaubt, vertraut, erkennt und in seinem Gottbewusstsein ist, muss gestärkt und ausgebildet werden, so wie es die Lakota durch die Büffelkalbsfrau erfahren haben. Der Teil in uns, der dem Gegner verfallen ist, braucht jedoch einen klaren Faustschlag, um zu erkennen, dass seine Zeit nun endgültig vorbei ist. Und genau dies ist mit der “Vollständigen Reinigung der Erde” gemeint. Diese Reinigung wird in fast allen Kulturen und Überlieferungen prophezeit und dabei immer auf unser Zeitalter datiert. Die Bibel spricht von der Apokalypse und dem jüngsten Gericht, die Maya von einem großen Umbruch, der mit dem Wechsel von 2012 begann und unzählige weitere Schriften sagen einen großen Umbruch für unser Zeitalter vorraus. Im allgemeinen glauben wir dabei an einen Weltuntergang mit Feuer und Flammen, bei dem der Teufel höchst persönlich auf die Welt springt und uns mit seinem Dreizack ersticht. Das ist natürlich Blödsinn, denn gemeint ist mit der Apokalypse nicht das Ende und die totale Zerstörung der Welt, sondern eben eine Reinigung. Die Bibel spricht vom “Jüngsten Gericht”. Was bedeutet dies? Ein Gericht sorgt nicht dafür, dass alle geichermaßen in die Verdammnis kommen, sondern (zumindest wenn es funktionieren würde) dafür, dass jeder genau das bekommt, was er braucht um zu erwachen und um seinen Weg zu finden. Diejenigen, die bereits in ihrem Gottbewusstsein sind, bzw. die sich aktiv auf den Weg dorthin machen, bekommen die Unterstützung in Form einer Hilfestellung und einer beratenden Hand. Dies ist die Aufgabe der Büffelkalbsfrau. Diejenigen, die jedoch noch immer vollkommen in ihrem Ego-Verstand und ihrem Angstbewusstsein leben, brauchen jemanden, der ihnen mit einem ordentlichen Tritt in den Hintern zeigt, dass sie sich auf dem Holzweg befinden. Sie benötigen einen Schlag ins Gesicht, der sie dazu bringt, endlich aufzuwachen und ins Leben zu gehen. Und genau an dieser Stelle kommt Vater Universum ins Spiel. Der Legende nach wird auch er durch einen Büffel verkörpert, jedoch nicht durch einen weißen, friedlichen weiblichen, sondern durch einen roten Bullen, der sich nichts gefallen lässt, sondern jeden sofort in seine Schranken weist. Und dies ist auch die Aufgabe, die Heiko in seinem Leben bekommen hat. Er ist jener rote Büffel, der dadurch heilt, dass er den Gegner in seine Schranken weist und dass er den Menschen, die dafür bereit sind deutlich vor Augen führt, wo und wie sie ihre eigene Seele verletzt haben, so dass sie nun wieder ins Licht gehen können. Auch für diesen Büffel wurde bereits ein kristalliner Schädel gefunden, jedoch nicht im australischen Salzsee sondern tief unter Wasser. Wo genau konnte ich leider bisher nicht in Erfahrung bringen. Dieser Kristall-Schädel ist mit Rauchquarzkristallen überzogen und wirkt daher rot. Auch dieser Fund gilt als ein Vorbote der Erfüllung der Prophezeiung. Wir haben uns von einer Spezies, die vollkommen im Gottbewusstsein lebte und eine wichtige Aufgabe als Erdenhüter und Erdheiler hatte, langsam aber kontinuierlich zu einem Volk von Erdzerstörern entwickelt, das fast nur noch dem Gegner folgt. Wir haben also nahezu den Punkt erreicht, an dem sich die Liebe maximal ausdehnen kann. Das Gummiseil, dass uns mit unserem Gottbewusstsein verbindet, ist bereits bis zum Zerreißen gespannt. Innerhalb von nur 60 Jahren haben wir rund 90% aller Fischbestände ausgelöscht und jedes Jahr roden wir 1% aller Wälder. Wie lange glauben wir, dass dies gutgehen kann? Es ist nicht möglich. Wir stehen also kurz vor dem Kipppunkt, der uns nur in zwei Richtungen führen kann. Entweder, wir wachen auf, erkennen dass alles Liebe ist und werden so zu Erdhütern und -heilern, oder aber wir halten weiter an unserer Angst fest und bekommen von der Schöpfung so sehr eine übergebraten, dass wir ebenfalls ins Erwachen kommen müssen. Der zweite Weg bedeutet jedoch für einen Großteil von uns, dass er dabei stirbt und erst in Jenseits erkennt, das alles eine Illusion war. Es ist auch hier wieder wie in einem Traum. Wenn wir träumen halten wir den Traum zunächst für die Realität, doch wenn wir dabei aufmerksam sind und die Traumwelt als Traumwelt erkennen, dann können wir uns noch im Traum bewusst darüber werden, dass nichts von dem, was wir hier erleben real ist. Wir schlafen und träumen noch immer, doch ist es nun ein Traum in dem wir erwacht sind. Wenn wir zuvor einen Alptraum hatten oder einen Traum in dem wir Leid erfahren haben, dann erkennen wir nun, dass es das Leid nicht gibt und dass wir nichts zu fürchten brauchen. Wir werden nun also zu bewussten Schöpfern unserer Traumwelt und können uns selbst das Paradies erschaffen. Erkennen wir den Traum jedoch nicht und glauben bis zum Ende der Nacht daran, dass alles real ist, dann kommt unser Erwachen schließlich mit dem wirklichen Aufwachen aus dem Schlaf. Wir öffnen unsere Augen, merken, dass wir im Bett liegen und erkennen, dass alles nur eine Illusion war. Auch im Leben haben wir diese beiden Möglichkeiten. Entweder wir erkennen den Traum bereits im Leben und können und werden so zu erwachten Gottpartikeln, die sich ihrer wahren Natur bewusst sind, oder wir sterben und erkennen dann im Tod, das alles nur ein Traum war. Mit der vollständigen Reinigung unserer Erde ist also eine Reinigung von unserem Ego- und Angstbewusstsein gemeint. Wir können uns also entscheiden, ob wir dieses Angstbewusstsein loslassen wollen, so dass es gehen kann und wir auf der Erde bleiben, oder ob wir daran festhalten wollen und unseren Lebenstraum gemeinsam mit ihm beenden. Was aber haben diese Prophezeiungen und Entwicklungen nun ganz konkret mit uns zu tun? Zunächst einmal muss man verstehen, dass wir immer sowohl in einem individuellen als auch in einem kollektiven Traum leben.

Was bedeutet das?

Wir leben in einem individuellen als auch in einem kollektiven Traum

Wir leben in einem individuellen als auch in einem kollektiven Traum

Man kann sich das Universum ein bisschen wie ein gigantisches Spinnennetz vorstellen, bei dem jedes Wesen auf einem Knotenpunkt sitzt. Dieser Knotenpunkt ist sein persönlicher Traum, den er selbst erschafft und gestaltet. Er ist aber auch über die Spinnenweben mit allen anderen Knotenpunkten des Universums verbunden. Wenn ich nun auf meinem Knotenpunkt sitze und und ein tiefes Angsbewusstsein in mir trage, dann bekomme ich diese Angst direkt gespiegelt. Gleichzeitig bringe ich damit aber auch das ganze Netz in Schwingung. Die Wesen in meiner unmittelbaren Nähe bekommen davon am meisten ab, während diejenigen, die Lichtjahre entfernt sind, kaum noch etwas spüren. Ihr kennt das vielleicht noch von Nachtwanderungen, die ihr als Kinder gemacht habt. Wenn alle in der Gruppe mutig waren, konnte man stundenlang durch den dunklen Wald streunen und Abenteuer erleben. War aber nur einer dabei, der Angst hatte, so schwabbte diese Angst auch auf die anderen über. Je mehr die einzelnen Kinder dabei bereit sind, die Schwingungen anderer zu übernehmen und zu ihren eigenen zu machen, desto größer ist der Effekt dabei. Gab es ein paar oder vielleicht auch nur ein Kind, dass die Angst der anderen bei den anderen lassen konnte, konnte dieses wiederum seine Mut-Schwingung auf die anderen übertragen. Auch die anderen Wesen im Wald konnten entscheiden, ob sie die Angstschwingung übernehmen wollten oder nicht. Die meisten Tiere, die die Angst spüren, interpretieren sie als Zeichen für Gefahr, nehmen sie an und verstecken sich. Andere Tiere und die meisten Pflanzen hingegen, nehmen sie nur wahr und lassen sich selbst davon nicht beeinflussen. So ist unser eigener Lebenstraum also immer eine Mischung aus unseren eigenen Überzeugungen und Glaubenssätzen und denen des Kollektivs, die wir für uns übernehmen. Das bedeutet im Klartext: Je mehr Menschen auf der Welt ihrem Gegner folgen und daher in Angst und Unvertrauen leben, desto mehr überziehen Sie die Erde mit einem Geflecht aus dieser Angstenergie. Je mehr Menschen jedoch ins Urvertrauen kommen, ihr Gottbewusstsein wiedererkennen und sich bewusst werden, dass alles Liebe ist, desto stärker wird das Energienetz der Liebesenergie, das dem Angetbewusstsein entgegenwirkt. Und genau da kommen wir ins Spiel. Bereits als Kind war Heiko klar, dass er die Aufgabe hatte, ein Hüter der Erde zu werden, in dem er die Angstspirale der Menschen durchbricht und dazu beiträgt, ein weißes, also liebendes Energienetz über die Erde zu spannen. Was das genau sein sollte und wie so etwas zu bewerkstelligen war, wusste er natürlich nicht und auch heute sind wir uns noch nicht vollkommen darüber im Klaren. Als wir später in den Kreis der Medizinleute in Österreich eingeladen wurden, bekamen wir den Auftrag, als eine Art Akupunkturpunkt auf der Erde zu fungieren, also als ein Nadelstich, der wieder das Wissen über unsere göttliche Natur in das collektive Bewusstsein trägt, so dass es sich verbreiten kann. Heidis Aufgabe besteht darin, in die Urweiblichkeit zu kommen und auf ähnliche Weise zu wirken, wie es die Weiße Büffelkalbsfrau getan hat. Ihre Stärke und ihre Qualität ist das zulassende, vertrauende und unterstützende Prinzip. Heikos Aufgabe hingegen ist die des roten Büffels, also desjenigen, der ordentlich auf den Putz haut und die schlafenden Zombies zum aufwachen bringt. Er ist der Aktivator, der es ermöglicht, dass überhaupt etwas entstehen kann. Darüber hinaus geht es früher oder später auch darum, physische Energieplätze und Kreise zu hüten, doch wie das genau aussehen soll, wird sich im Laufe der Zeit noch zeigen. Zu meinen Aufgaben gehört es, mich von einem Angstzombie in einen vertrauensvollen Erdenhüter zu verwandeln, so dass ich A selbst ins erwachen kommen kann, B begreife wie dieser Weg funktioniert, so dass ich ihn auch anderen ermöglichen kann und C durch meine eigenen Prozesse Heiko immer wieder auf neue Erkenntnisse bringe, die dieser dann nutzen kann, um noch mehr in seine Kraft als Mentor, Aktivator und Multiplikator zu kommen.

Tobias Krüger ist tot, aber was nun?

In den folgenden Tagen stellten wir jedoch fest, dass meine Umbruchsphase auch mit dem Ritual und dem Tod von Tobias Krüger noch nicht beendet war. Bislang hatte ich nach einem einfachen Prinzip gelebt, das mich zwar nie hatte glücklich oder zufrieden machen können, das mir jedoch einen gewissen Halt und eine Orientierung gab. Ich war ein funktionierender Robotter gewesen, der versuchte, stets die Anforderungen zu erfüllen, die man an ihn stellte. Mein Leben war im Grunde nichts anderes gewesen, als eine To-Do-Liste, auf der es verschiedene Punkte abzuhaken galt. Es ging also nicht darum, etwas zu fühlen oder wirklich zu Leben, sondern nur darum, die Aufgaben zu erledigen, die mir durch mich selbst oder durch jemad anderen gestellt wurden. Nun hatte ich beschlossen, nicht mehr dieser Robotter zu sein. Aber was war ich nun? Ich hatte keine Ahnung! Ich hatte nie versucht, wirklich zu leben und hatte somit auch nicht die geringste Vorstellung, wie ich das anstellen sollte. In den nächsten Tagen wurde ich für Heiko damit sogar noch weitaus unerträglicher, als ich es zuvor gewesen war. Ich wurde noch unaufmerksamer, noch langsamer, noch trotteliger, noch verplanter und bekam nun überhaupt nichts mehr auf die Reihe. Noch immer hatte ich das Gefühl, funktionieren zu müssen, doch ich funktionierte einfach nicht mehr. Ich war noch immer der alte Robotter, doch nun war ich kaputt. Alles was ich anfasste ging schief und ich brauchte Stunden für jeden noch so kleinen Handgriff. In der Folge ging ich Heiko natürlich ständig auf die Nerven und übertrat ohne es zu merken jede seiner persönlichen Grenzen. Noch immer war die Stimmung auf dem Tiefpunkt und ich fühlte mich nicht lebendig, sondern vollkommen tot. Ja, Tobias Krüger war gestorben, aber das hieß nicht, dass ich nun automatisch Franziskus war. Ich war noch immer Tobias Krüger, nur eben tot. Und je weniger ich zustande brachte, desto mehr wünschte ich mir das alte zurück. Was war nur mit mir los, dass ich einfach nicht mehr funktionierte? Freude oder Zufriedenheit spürte ich nun überhaupt nicht mehr, sondern nur noch Leere, Schwere und Niedergeschlagenheit. Dementsprechend lief ich wieder einmal nur noch mit einer Fratze durch die Gegend und sorgte so für ausreichend schlechte Stimmung. Und dies sorgte natürlich dafür, dass es immer wieder zu kleineren und größeren Explosionen kam. Zunächst sah es so aus, als wäre die Sache hoffnungslos und ich war schon wieder soweit, dass ich überzeugt war, mich niemals ändern zu können, so dass ich ewig das nervige Arschloch bleiben würde, mit dem es niemand lange aushielt. Doch wie sich zeigte, war das Spiel zwischen Gegner und Hüter keine Theorie, die wir einfach so daher gesagt hatten. Es war wirklich ein Gesetz, nachdem das Leben aufgebaut war. Wer nicht lernen will oder kann, bekommt Druck und dieser Druck steigert sich so lange, bis es automatisch zu einem Lernschritt und zu einem Erkennen kommen musste. In meinem Fall lag die Antwort genau in der Provokation von Heikos Wutausbrüchen begraben. Spannenderweise hatten wir in der Nacht, in der es zum größten Gewitter zwischen uns kam, Besuch von einem ganz besonderen Mentor, der uns auf die richtige Fährte brachte. Am Nachmittag hatte es wieder einmal ein Problem mit unseren Solarsegeln gegeben und Heiko übertrug mir die Aufgabe, zu überprüfen, ob sie funktionierten oder nicht. Nach dem ersten Überprüfen machten sie auf mich den Anschein zu funktionieren und so verzichtete ich auf jede weitere Überprüfung. Es kam mir einfach nicht in den Sinn, dass es nötig sein könnte. Am Abend stellte sich jedoch heraus, dass sie keinen Mux von sich gegeben hatten. Als Heiko merkte, dass ich wieder eine kinderleichte Aufgabe nicht hatte übernehmen können, so dass ich die Situation für uns beide unnötig komplex machte, platzte ihm erneut die Hutschnur. Wieder kam es zu einem Disput, bei dem er mir einige Schläge und Tritte verpasste. Auffällig dabei war, dass er sich selbst dadurch am Schienbein verletzte, während mir überhaupt nichts passierte. Warum? Ganz einfach. Heiko hatte für sich bereits erkannt und verinnerlicht, dass alles eins war. Er wusste, dass er nicht mich, sondern sich selbst trat und dass ich nur ein Spiegelpartner für ihn war. Wenn alles eins ist, dann ist jedes Wesen, dem wir im außen begegnen in gewisser Weise die Manifestierung eines Aspektes unserer Selbst. Das bedeutet: Jeder Mensch und jedes andere Wesen, dem wir jemals begegnen können, sind wir selbst. Alles was wir an ihnen lieben und mögen, lieben und mögen wir also an uns und alles was wir an ihnen hassen oder ablehnen, hassen wir an uns selbst. Folglich ist auch jede Handlung, die wir im Außen tun, eine Handlung an uns selbst. Wann immer wir jemandem etwas schenken, beschenken wir uns selbst. Wann immer wir jemanden heilen, heilen wir uns selbst. Und wann immer wir jemanden verletzen, verletzen wir uns selbst. Den meisten Menschen ist dieses Spiegelgesetz jedoch nicht bewusst und so wirkt es sich bei ihnen nur sehr indirekt aus. Jeder spürt mehr oder weniger, dass er sich selbst schadet, wenn er jemandem anderen Schaden zufügt und jeder spürt auch, dass er sich selbst das Leben bereichert, wenn er jemand anderem aus vollem Herzen ein Geschenk macht. Doch meist kommt es auf größeren oder kleineren Umwegen zu uns zurück und oft erkennen wir dann die Zusamenhänge nur noch schwer oder gar nicht mehr. In Heikos Fall war ihm das Eins-Sein mit mir und der Welt in diesem Moment jedoch so sehr bewusst, dass er es sofort in seinem Bein spürte. Und doch spürte er auch, dass es richtig war, genau so zu handeln, wie er gehandelt hatte. Es ging nicht um die Handlung selbst, denn er hatte in diesem Moment auf sein Gefühl gehört und dieses hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass es wichtig war, hier eine Grenze zu ziehen. Es waren viel mehr die Gedankenkonzepte, die er zu diesem Thema im Kopf hatte und die ihm ein schlechtes Gefühl dazu einredeten. Als wir uns wieder beruhigt hatten, begannen wir uns zu fragen, was hinter der ganzen Sache steckte. Warum kam es immer wieder zu diesen Disputen und warum führte alles, was zurzeit geschah dazu, dass wir uns auf die eine oder andere Art gegenseitig verletzten? Wir kamen auf einige wichtige Ergebnisse, doch noch immer wollte keine Lösung auftauchen, die uns wirklich weiter brachte.

Wo war nur die Lösung für unsere Frage?

Wo war nur die Lösung für unsere Frage?

Dann hatte sich Heiko ins Zelt zurückgezogen und ich war dabei, auf einer nahegelegenen Picknickbank die Ergebnisse unseres Gesprächs zu notieren. Plötzlich rief mir Heiko aus dem Zelt zu, dass ich einmal nachschauen solle, wer denn da so dreist um unser Zelt schlich. Als ich dort eintraf, blinken mir im Schein meiner Stirnlampe bereits zwei leuchtende Augen entgegen. Noch war es zu dunkel, um zu erkennen, was für ein Tier es war und so versuchte ich, noch etwas dichter heranzukommen. Der kleine Unbekannte lief immer wieder ein Stück vor mir weg, blieb dann aber stehen und schaute mich erwartungsvoll an, so dass ich ihn schließlich einholen konnte. Nun sah ich zwei spitze, aufmerksame Ohren und einen langen, buschigen Schwanz. Es war ein Fuchs, der sich jedoch vollkommen untypisch verhielt. Er sprang auf das Zelt, knabberte an den Zeltschnüren und tauchte in dieser Nacht immer und immer wieder auf. Auch jetzt machte keinerlei Anstalten, vor mir wegzulaufen, sondern schlawinerte immer wieder um mich herum. Hätte er mir einen Brief überreicht, in dem geschrieben stand: “Hallo, ich bin ein Tierbote und habe eine wichtige Botschaft für dich, die du nun in einem entsprechenden Buch nachschlagen solltest”, hätte er nicht deutlicher sein können. So taten wir genau das, was uns der Fuchs mitteilte und Heiko las aus unseren Aufzeichnungen über die Botschaften des Fuchses vor.

Der Fuchs ist seit jeher ein Vermittler in Kriesenzeiten, der vor allem bei der Lösung von zwischenmenschlichen Konflikten hilft. Es war also kein Zufall, dass er gerade mitten in unseren Konflikt geplatzt kam. Als trickreicher Scharlatan, der eine ähnliche Denk- und Lebensweise besitzt, wie der Coyote, der Heikos Dodemtier ist, zeigt er dabei auf, dass es gerade in verzwickten Situationen unkonventionelle Lösungswege gibt, an die man selbst zuvor nicht gedacht hatte. Als Meister der Täuschung weist er einen gleichzeitig auch darauf hin, dass man gerade vor einem wichtigen Schritt steht, bei dem man sich entweder nicht vom Offensichtlichen täuschen lassen darf, oder bei dem man selbst eine gewisse Form der Täuschung anwenden muss, um voranzukommen. Das, was jetzt gerade offensichtlich erscheint, ist möglicherweise nicht die Wahrheit deines Herzens, sondern nur eine Illusion, die durch Angt und Mistrauen erzeugt wurde. Die Dinge sind oft ganz anders, als sie zunächst erscheinen und um voranzukommen, ist es manchmal wichtig, trickreich und spielerisch mit den Fakten umzugehen. Nicht hinterlistich und betrügerisch, sondern gewieft und trickreich, so dass man den Verstandesgegner austricksen kann und an die Wahrheit des Herzens gelangt. Später wurden ihm im europäischen Raum dann natürlich auch noch allerleih dämonische und böse Eigenschaften zugesprochen, so wie man es eigentlich mit allen Krafttieren machte. Spannend dabei war jedoch, dass der Fuchs auch in Verbindung mit dem Element der Wut und mit dem Teufel, also dem Verstandesgegner gebracht wurde. Daher kommt auch der Ausdruck “Fuchsteufelswild”. Die Botschaft des kleinen, frechen Waldbewohners war also mehr als nur deutlich: “Findet einen ungewöhnlichen, kreativen, spielerischen und trickreichen Weg im Umgang mit eurer Wut und eurem Verstandesgegner, und ihr werdet zur Wahrheit eures Herzens gelangen!” Doch was für ein ungewöhnlicher und spielerischer Weg sollte dies sein? Wir begannen damit, zunächst einmal die Fakten neu zu bewerten und die Situation aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten. Keiner von uns beiden fühlte sich mit der aktuellen Situation wohl. Mir gefiel es nicht, ein gefühlstoter Nervenbolzen zu sein und Heiko hatte keine Lust darauf, dass ich ihn ständig in die Rolle des bösen Cholerikers drängte, der vor Wut explodierte und mich anschreien und wachrütteln musste. Unsere Beziehung sollte die zwischen zwei Freunden und Seelenverwandten sein, doch im Moment waren wir Parasit und Wirt. Ich hatte mein Leben lang als Parasit gelebt und nun war ich immer wieder dabei, Heiko auf den unterschiedlichsten Wegen Energie zu entziehen. Ich war mir meiner Strategien dabei nicht bewusst, aber im Nachhinein stellte ich fest, dass ich eine ganze Reihe von Wegen hatte, mit denen ich zum Energieräuber wurde. Hinter allen steckte immer wieder die gleiche Angst: Die Angst vor dem Tod. Ich wusste nicht, dass ich ein göttliches, unsterbliches Wesen bin und die Aussicht, eines Tages sterben zu können, machte mir schreckliche Angst. Gleichzeitig war ich davon überzeugt, nur einen begrenzten Vorrat an Lebensenergie zu besitzen. Wenn dieser verbraucht war, bedeutete dies, dass mein Leben enden würde. Dass alles nur aus einer einzigen Energie besteht, die niemals verbraucht werden kann, hatte ich zwar als Verstandesidee im Kopf, aber spüren konnte ich es nicht und somit hatte ich es auch noch immer nicht begriffen. Um der Angst vor dem Tod zu entkommen, glaubte ich also nun, so viel Lebensenergie wie möglich von anderen entziehen zu müssen, wodurch ich meine eigene sparen und auffüllen konnte, so dass sich mein Leben möglichst stark verlängerte. Der gleich Gedankengang steckte auch hinter der Faulheit und Trägheit, die ich oft in mir spürte. Die unterbewusste Idee dahinter war, dass ich mein Leben verlängern und damit dem Tod ein Schnippchen schlagen konnte, wenn ich meine Energie so gut wie möglich aufsparte. Dadurch wurde es zu einer meiner Kernstrategien, alles immer mit dem geringstmöglichen Aufwand zu tun, was jedoch in der Regel dazu führte, dass ich die Dinge nicht richtig machte und am Ende mit doppeltem, dreifachen oder zehnfachen Aufwand noch einmal wiederholen musste. Ähnlich unpraktikabel waren auch alle anderen Strategien, die ich mir unterbewusst angeeignet habe, um meinen Mitmenschen möglichst viel Energie zu rauben. Da war zunächst meine Hilflosigkeit. Wenn ich selbst nichts kann muss man mir helfen. Ich bin also wie eine Pflanze, die oben auf einem Baum sitzt und mit den Wurzeln nicht auf den Boden kommt, so dass ich nicht selbst für mich sorgen kann. Ich kann nichts für mich alleine tun, sondern brauche ständig die Hilfe von anderen, die nun ihre Energie und ihre Lebenszeit opfern müssen um mich zu versorgen. Die zweite Taktik waren meine Angst und meine Tendenz, möglichst viel Leid in mir festzuhalten. Auch hierin verbirgt sich wieder ein ähnlicher Gedankengang: „Die Welt ist hart, grausam und gefährlich, deswegen brauche ich immer jemanden, der mich beschützt und der sich um mich kümmert.“ Ich verstecke mich also stets hinter dem Rücken anderer und laufe in ihrem Windschatten. Alle Probleme, die auftauchen, werden so von ihnen aus dem Weg geräumt, wodurch sie die ganze Arbeit haben, während ich locker und leicht auf einem ausgetretenen Pfad wandern kann.

Ich versteckte mich stets hinter dem Rücken anderer

Ich versteckte mich stets hinter dem Rücken anderer

Dann war da noch meine Unaufmerksamkeit. Ich selbst nehme nur einen Bruchteil von dem wahr, was es wahrzunehmen gibt und stolpere so in jedes Fettnäpfchen, jede Panne und jede Gefahrenquelle. Dies führt dazu, dass automatisch alle anderen für mich mitdenken und mitaufpassen müssen, um mich vor den Gefahren zu bewahren. Gewissermaßen habe ich meine Sinnesorgane also ausgelager, so dass ich mit die Energie dafür sparen kann, weil ein anderer die Arbeit übernimmt. Die vierte Taktik war das Abgeben jeglicher Form von Verantwortung. Wenn also etwas schief läuft, brauche ich die Konsequenzen dafür nicht selbst zu tragen, da ich ja auch nicht verantwortlich, ergo auch nicht der Verursacher bin. Die Konsequenz bekommt immer der, der auch die Verantwortung trägt. Wenn ich diese zu 100% an andere abgebe, kann ich für meine Fehler auch nicht belangt werden, da es nun ja nicht mehr meine Fehler sind. Auf diese Weise spare ich unglaublich viel Lebensenergie, die nun andere für mich opfern müssen. Hinzu kam meine Dreistigkeit und meine Tendenz, jegliche persönliche Grenze zu übertreten. Ich selbst kann die Gefühle und Bedürfnisse anderer nicht oder nur schwer wahrnehmen, wodurch sie kaum eine Präsenz in meinem Leben haben. Dadurch treten automatisch meine eigenen Belange immer an erste Stelle und um sie zu befriedigen, ist mir jedes Mittel recht. Ich gehe also automatisch über jede Grenze, oftmals ohne es auch nur zu merken, und dränge mich anderen so sehr auf, dass sie plötzlich meine Bedürfnisse erfüllen, auch wenn sie es gar nicht wollen. Und selbst meine Lernresistenz war eine Strategie, um mir die Energie anderer zu erschleichen. Ich mache immer wieder die gleichen Fehler und treibe somit meine Mitmenschen in den Wahnsinn. Dadurch ziehe ich automatisch Aufmerksamkeit auf mich. Jeder, der sich über mich ärgert, investiert also Energie in mich, weil er sich zwangsläufig mit mir beschäftigt. Ob dies im Positiven oder im Negativen passiert, spielt dabei keine Rolle. Und schließlich war da noch das Mittel der Manipulation. Durch subtile Hinweise, Anmerkungen und ähnliches drücke ich Triggerpunkte bei anderen, die Schuld, Scham, Mitleid oder ähnliches auslösen, so dass sie mir ihre Energie geben, ohne dass sie es wollen. Sie wissen nicht warum, aber sie tun das, was ich von ihnen möchte und lassen sich aussaugen. All diese Strategien führten dazu, dass ich ein permanentes Parasiten-Dasein führte und ganz automatisch die Menschen aussaugte, die mir am nächsten standen. Seit wir zu unserer Reise aufgebrochen waren, war dies vor allem Heiko gewesen und je mehr ich den Kontakt zu meiner Familie und meinen früheren Freunden einstellte, desto schlimmer wurde es, da Heiko nun immer mehr zum einzigen Akku wurde, den ich noch anzapfen konnte. Er hatte also keine Wahl. Er musste Grenzen setzen und zwar klare und deutliche, denn ohne diese Grenzen würde ich ihn irgendwann so sehr aussaugen, dass nichts mehr als seine bloße Hülle von ihm übrig war. Gleichzeitig waren all meine Parasitenstrategien aber auch Strategien, die mir selbst das Leben schwer und unangenehm machten. Ich fühlte mich als Parasit nicht wohl. Ich wollte nicht hilflos, ängstlich, manipulativ, lernresistent, penetrant und unangenehm sein, sondern zu einem selbstbestimmten Wesen werden, dass seine Lebensaufgabe übernahm. Somit brauchte auch ich die Grenzen, die mir gezeigt wurden, damit ich meine Parasitenstrategien ablegen und durch eine neue Lebensweise ersetzen konnte. So unangenehm die Situationen in denen es zum Disput kam auch waren, sie waren an uns für sich niemals negativ, sondern immer absolut richtig und wichtig. Das schlechte Gefühl dabei entstand lediglich durch unsere eigene Erwartungshaltung. Auffällig war, dass jedes Wutgewitter im Nachhinein immer zu einer kleinen Teillösung des Knotens in mir und zu einer kleineren oder größeren Selbsterkenntnis führte. Auch wenn ich diese Situationen selbst immer vermeiden wollte, mich vor ihnen fürchtete und daher versuchte, so gut wie möglich zu funktionieren, stellte sich im Nachhinein immer heraus, dass sie absolut wichtig waren, dass sie sowohl mich als auch Heiko weiter brachten und dass wir uns danach jedes Mal befreit fühlten. Wie konnte das sein? Es gab einen riesigen Krach, der nicht selten damit endete, dass ich Schläge bekam und doch fühlte ich mich dadurch besser.

Zunächst einmal kamen wir darauf, dass wir beide eine unglaubliche Wut in uns trugen, die erst zu einem kleinen Teil abgearbeitet und aufgelöst war. Bei mir waren es gerade einmal 0,015%, bei Heiko immerhin 37%, was aber auch noch nicht gerade viel war. Die Frage war also nun, warum wir so extrem Wütend auf uns selbst waren. Bei mir war die Antwort einfach: Ich hasste es, dass ich mich so extrem verbogen hatte. Ich hasste mich dafür, ein Angsthase, Duckmäuser und Speichellecker zu sein. Bis zum meinem 16. Lebensjahr hatte ich mich so sehr verbogen, dass ich nicht einmal mehr wusste, dass ich eine Seele hatte. 16 Jahre lang hatte ich mich ununterbrochen 24 Stunden am Tag dauervergewaltigen lassen, in jeder nur erdenktlichen Hinsicht. Ich hatte all meine Gefühle eingefrohren und meine komplette Persönlichkeit, meine Seele und mein Herz aufgegeben, zerrissen und vergraben. Wie sollte ich da nicht sauer auf mich sein? Und noch schlimmer! Ich hatte dies nicht nur als Kind und Jugendlicher getan, ich tat es noch immer. Ich war noch immer eine elendige Muschi, lief vor allem davon, konnte nichts anpacken und schiss mir wegen jeder Kleinigkeit ins Hemd. Auch bei Heidi war die Situation ähnlich. Sie war in vielerleih Hinsicht eine Spiegelpartnerin für mich, deren Grundmuster den meinen glichen wie ein Ei dem anderen. Auch sie hatte als Kind für einen Moment erkannt, wer sie war und hatte es dann so tief vergraben, wie sie konnte, um ein funktionierender Robotter zu werden. Sie hatte das Verbiegen und Anpassen aus der weiblichen Perspektive erlebt, wodurch es völlig andere Formen angenommen hatte als bei mir. Doch die Grundmechanismen, die dahinterstanden waren exakt die gleichen. Bei Heiko hingegen war es etwas komplexer, da er kein Spiegel im Sinne vom Gleichnis war, sondern in Sinne des ergänzenden Gegenpols. Heiko hat sich als Kind nicht geduckt um dem Schmerz der Ablehnung auszuweichen, sondern ist mit vollem Bewusstsein ins Messer gelaufen und hat geschriehen: “Tut mir an was ihr wollt, aber ihr werdet mich niemals brechen!” Seine Wut auf sich selbst kommt daher von einer anderen Seite. Bei seiner Erkenntnis, wer er in Wahrheit ist, begriff er auch die Spiegelgesetze des Lebenstraumes. Ihm war also bereits als Kind klar, dass er alle Situationen in seinem Leben selbst erschuf. Er wusste, dass er es war, der den Schmerz und das Leid in sein Leben zog, und doch konnte er es nicht verhindern. Er wusste also, dass er der Schöpfer seines Lebenstraumes war und erschuf sich durch seine Angstgedanken trotzdem die Hölle. Dies machte ihn wütend auf sich selbst. Doch das war nur der erste Teil. Denn später erkannte er, dass der Schmerz und das Leid von Anfang an sinnhaft gewesen sind, da sie wichtige Taktgeber waren, um ihn in Richtung Erkenntnis und Erwachen zu navigieren. Nun war er also sauer darauf, dass er den Schmerz überhaupt benötigte und nicht in Leichtigkeit in sein Gottbewusstsein gehen konnte. Noch etwas später erkannte er, dass Leid und Schmerz fiktiv sind, dass er sie nur so intensiv spürte, wie er selbst daran glaubte, dass sie aber keinen realen Bestand hatten. Es sind reine Illusionen. Obwohl er dies nun wusste, spürte er sie aber noch immer, weil er noch nicht vollkommen in seinem Gottbewusstsein war. Auch dies machte ihn wieder sauer auf sich selbst, weil er von sich erwartete, dass er nun den Schmerz als Illusion der Liebe vollkommen annehmen können müsse, so dass er sich auflöst und nicht weiter benötigt wird. Der Kern, warum er sauer auf sich selbst war, war also, dass er von sich erwartete, von Anfang an im vollkommenen Gottbewusstsein stehen zu müssen, also von der ersten Erkenntnis an, vollkommen erleuchtet zu sein. Doch diese Erwartungshaltung kann natürlich nicht erfüllt werden, denn es ist ein Weg, der zur Erleuchtung führt und dieser beinhaltet verschiedene Schritte, die alle mit Freude angenommen werden wollen. Der zweite Grund für Heikos Wut auf sich selbst lag darin, dass er sauer war, weil er sein persönliches Geschenk noch nicht erhalten hat. Das bedeutet im Klartext: Obwohl er schon als Kind erkannt hat, wer er wirklich ist, hat er dennoch den Zugang zur Kraft, also zur Urquelle verloren. Er weiß nun, dass er in vollkommenem inneren Reichtum und Wohlstand leben könnte und dass alles bereits vorhanden ist und in ihm schlummert. Und doch kommt er nicht dran und kann es nicht wachrufen, so dass es sich in seinem Lebenstraum manifestiert.

Viele wichtige Erkenntnisse erhaschen wir bereits in unserer Kindheit.

Viele wichtige Erkenntnisse erhaschen wir bereits in unserer Kindheit.

Auffällig dabei ist, dass die Wut bei uns zwei komplett unterschiedliche Ausrichtungen hat. Bei Heidi und mir richtet sie sich nach innen. Wir wissen, dass wir es waren, die unsere Seele verkackt haben, dass wir uns selbst vergewaltigt, verleugnet, missbraucht und verstümmelt haben, um anderen zu gefallen. Der Hass ist also ein kompletter Selbsthass. Bei Heiko ist es anders. Er weiß zwar, dass er die Schmerzen und die Schläge mittels seiner Gedankenkraft in sein Leben gezogen hat und dass er so im Grunde ebenfalls selbst dafür verantwortlich ist. Dennoch ist er sich selbst treu geblieben und hat den Schmerz von außen erhalten. Sein Gegner tauchte also nicht in Form der inneren Gedankenstimme auf, die ihm sagte: “Bück dich du Sau und lutsch jedem den Arsch, der an dir vorüberläuft”, sondern in Form von anderen Menschen, die ihn für das was er war verurteilten und trietzten. Seine Wut richtet sich also in erster Line nach außen. Er will sich also an den Dritten die ihm angeblich Schmerz zugefügt haben rächen. Aus göttlicher sicht, macht das natürlich keinen Unterschied, weil ohnehin alles eins ist, und jeder andere auch wieder nur wir selbst sind. Doch es macht einen gewaltigen Unterschied, wenn es um die Heilung geht. Und dieser wurde uns heute erst so richtig bewusst.

Die zentrale Frage lautet dabei: “Wann entsteht die Wut und wann löst sie sich auf?” Meine Wut entsteht immer dann, wenn ich merke, dass ich selbst zum Arschloch werde, Dinge kaputt mache, mich verleugne, mich verbiegen lasse, meine innere Stimme überhöre oder ignoriere oder irgendetwas “falsch” mache. Sobald ich erkenne, dass ich auf der Stelle trete, mich im Kreis drehe und mich verhalte wie ein Vollidiot, werde ich wütend auf mich selbst und versinke immer mehr im Selbsthass. Heiko hingegen gelingt es sehr gut, sich selbst so zu lieben wie er ist. Dafür wird er jedoch sofort sauer, wenn er spürt, dass ihm Leid oder Schmerz, wie aber auch Energieentzug von außen gespiegelt wird, so wie er ihn eben als Kind und Jugendlicher immer erhalten hat. Deswegen mache ich ihn mit meinem Arschlochverhalten, bzw. Energiefressertum so unglaublich wütend und genau deswegen ist er auch so oft auf Heydi sauer, da wir durch unsere Lebensgeschichten permanent Leid, Stress und Unannehmlichkeiten für ihn verursachen. Die Frage, die dabei automatisch in seinem Kopf entsteht und die ihn in den Wahnsinn treibt lautet: “Warum müsst ihr immer so unglaublich krasse Geschichten erfinden, bei denen es so immens schwierig ist, im Vertrauen zu bleiben und euch zu lieben?” Zum einen liegt darin natürlich die Aufgabe verborgen, zu erkennen, dass es diese Geschichten und das Energiefressertum alles gar nicht geben kann und dass alles in Wahrheit eine Illusion ist, die Heiko selbst durch seine Gedankenkraft erschaffen hat. Zum anderen geht es natürlich auch darum, dass Urvertrauen, bzw. die bedingungslose Liebe gerade in den Situationen zu wahren, in denen es unmöglich erscheint. So hat Heidi aber auch ich genau die Macken und Fehler begangen die sein Ego gar nicht dulden kann. Zum dritten, und dies ist der Knackpunkt auf den ich hinaus will, geht es aber auch gerade um die Wut, die dadurch ausgelöst wird, bzw. die dadurch an die Oberfläche dringt und aufkocht. Halten wir also noch einmal die Fakten fest: Je nachdem, für welchen Weg wir uns als Kinder im Umgang mit unserem wahren Sein entscheiden, gibt es zwei unterschiedliche Arten, mit denen wir durchs Leben gehen und auf die wir Wut in uns anstauen können. Der Weg der Selbstverleugnung führt zu einem Angstdasein, zum Arschkriechertum und zum Selbsthass. Er bringt uns auf Wege die ein anderer nur schwer dulden und lieben kann. Dies beginnt bei Parasitismus, Selbstvergewaltigung, Speichelleckertum, Verbiegen, Persönlichkeitsaberkennung, Verkaufen der Seele und des Körpers. Die Liste ist wohl schier endlos. Der Weg der Selbstbehauptung führt zum Gegendruck, zur Verurteilung und zum Schmerz von anderen und somit auch zum Hass auf andere. Von euch, habe ich immer Druck bekommen. Ihr, die ihr vom Gegner gesteuert wart, wolltet das ich mein Sein nicht lebe. Gesellschaftlich würde man diese beiden Wege in den Weg des Opfers und den des Täters unterteilen. Das Opfer läuft stets voller Angst durch das Leben, duckt sich vor allem, will nirgendwo anecken und versucht jede Konfrontation zu vermeiden. Dabei merkt es aber, dass es ein Duckmäuser ist und verachtet sich dafür selbst. Man kann mit ihm, eben alles machen und so wird er verbogen, vergewaltigt, gedemütigt und geschändet. Der Täter hingegen weicht nicht zurück, nimmt jede Konfrontation an und akzeptiert sowohl Selbst- als auch Fremdverletzungen, um sich selbst treu zu bleiben. Er sieht jedoch, dass andere ihm im Wege zum wahren Sein stehen und häuft daher Wut auf die anderen an. Das heißt im Klartext: Er erkennt noch nicht, das alles eins ist und das nur durch diese Prüfungen sich die Liebe maximal ausdehnen kann. Bei unseren Konfrontationen ist uns aufgefallen, dass es uns im Nachhinein jedes Mal beiden besser ging. Heiko fühlte sich befreit, weil er Dampf ablassen und seiner Wut freien Lauf lassen konnte. Mein Selbsthass hingegen verschwand, weil ich spürte, dass mich der Schmerz durch die Schläge leuterte. Mein Gedanke dazu war: “Endlich fühle ich einmal das, was in Gedanken die ganze Zeit in mir rumort. Endlich bekomme ich die Konsequenz für meine Selbstverleugnung und mein Energiefressertum, die ich verdiene!” Und noch etwas fiel uns auf: Als wir im letzten Jahr mit Paulina unterwegs waren, hatte sich bereits nach kurzer Zeit eine immens schlechte Stimmung aufgebaut. Die einzigen Tage, an denen es wirklich besser war, an denen wir uns befreit und harmonisch fühlten und an denen wir wieder Hoffnung hatten, dass wir doch auf Dauer eine Herde sein konnten, waren die, an denen wir Kampf- und Schmerztraining gemacht hatten. Wir hatten also ganz gezielt den Kanal gewählt, uns in einem abgesteckten Rahmen gegenseitig Schmerz zuzufügen, so dass wir die Angst davor verlieren konnten. Und dies hat uns allen gut getan. Aber warum? Um der Sache noch etwas tiefer auf den Grund zu gehen, machten wir einige kinesiologische Muskeltests und kamen dabei auf ein erstaunliches Ergebnis. All meine Versuche, meine Wut über Schreien, über Aggressivität und ähnliches abzubauen, mich also an anderen abzureagieren waren komplett schief gelaufen. Es hatte mir nichts gebracht, sondern nur noch mehr Wut in mir angestaut. Das einzige, wodurch ich meinen Selbsthass abbauen konnte, war es wenn ich selbst Schmerz erfuhr. Jedes Mal, wenn wir Needleten, wenn Heiko bei der Fußreflexzonenmassage meine Nervenbahnen traktierte, wenn er mich in einem Wutausbruch auf den Arm schlug oder mir auf das Schienbein klopfte oder wenn ich mich selbst aus lauter Hass Schlug oder Verletzte, dann führte dies zu einer Heilung und einer Linderung meines Selbsthasses. Bei Heiko hingegen war es anders herum. Er konnte seine Wut tatsächlich dadurch abbauen, dass er sie an anderen ausließ. Das Thema Wut ist in unserer Gesellschaft und selbst im Heilungskontext fast immer ein Tabu-Thema. Wut sollte man am besten überhaupt nicht haben. Und wenn man sie hat, dann sollte man sie mit Liebe einhüllen, damit sie einfach verschwindet. Aber funktioniert das wirklich? Hat nicht jeder Mensch eine unsagbare Wut in sich, die er niemals nach außen bringen und auflösen kann? Sind es nicht gerade die Menschen, die nach außen hin am friedlichsten und ruhigsten wirken, in denen es am meisten brodelt? Für fast alles gibt es Rezepte und Hinweise, wie man etwas heilen, transformieren oder auflösen kann. Aber nicht für Wut. Solange Wut in dir ist, kannst du nicht in deinen Frieden kommen, kannst nicht erleuchtet werden und kannst auch kein Paradies in deinem Lebenstraum erschaffen. Aber wie zum Teufel werde ich diese verdammte Wut denn los? Das verrät einem kein Mensch. Denn wir gehen immer davon aus, dass wir durch den Ausdruck von Wut nur noch mehr Wut und Leid produzieren. Niemand aber sagt uns, dass wir damit auch heilen können. Dabei trägt jeder von uns die Tendenz seines Wutumgangs in sich und kennt sie auch genau. Im Kampfsport gibt es immer Kämpfer, die lieber einstecken und andere, die lieber austeilen. Warum? Weil die einen durch das geschlagen werden Heilung und Leuterung erfahren, die anderen hingegen durch das Schlagen. Heiko hat nicht umsonst bis zur internationalen Ebene im Bereich des Kampfsportes gekämpft.

Im Kampf kann viel Wut tranformiert werden.

Im Kampf kann viel Wut tranformiert werden.

Plötzlich ergeben lauter Konzepte einen Sinn, die in unserer Gesellschaft normalerweise niemals verstanden werden. Alles in der Natur ist stets auf Heilung ausgerichtet und dies gilt auch für Situationen, in denen wir es nicht erkennen können. Warum ritzen, verbrennen oder verletzen sich Borderliner und empfinden den selbst zugefügten Schmerz als befreiend und wertvoll? Genau aus diesem Grund! Wir nennen es krankhaft und versuchen die Betroffenen davon abzuhalten, weil wir uns die Selbstverletzung nicht anschauen können. Doch ist es wirklich etwas anderes als die rituelle Selbstgeißelung, die Mönche aller Religionen betreiben, um in ihr Gottbewusstsein zu kommen? In unserer Kultur ist es vollkommen normal und akzeptiert, wenn man seine Seele zerstümmelt und zerfetzt. Werde ein Sklave deiner Eltern, deines Chefs oder anderer Mitmenschen. Handle so oft und so stark gegen dich, lebe niemals dein Leben, verläumde deine Wünsche, Sehnsüchte und Träume, vergrabe deine Talente und scheiß auf dein Darma und deine Lebensbestimmung so viel es nur geht. Lebe in unglücklichen Beziehungen, opfere dich für deine Kinder oder deine Eltern auf, verbiege dich und gib vollkommen auf, ein lebendiger Mensch zu sein. All dies ist kein Thema und vollkommen in Ordnung. Belohne deine gebeutelte Seele halt hin und wieder mit einem Highlight, oder gieß ein wenig Alkohol in die Seelenschlund, damit es nicht mehr so weh tut. Aber wehe jemand verletzt seinen Körper. Sobald sich jemand physischen Schmerz zufügt, ist er krank, hat ein ernsthaftes Problem und muss sofort in die Psychiatrie gesperrt werden. Es sei denn natürlich, er macht es auf eine gesellschaftlich anerkannte Weise, die so indirekt ist, dass man sie nicht mehr erkennt. Jeder Mensch weiß, dass Zigaretten ihn töten, dass Alkohol schadet, dass man sich beim Extremsport verletzt und so weiter. Warum aber tun wir es trotzdem? Ein Grund ist natürlich die Sucht und die Ablenkung, aber ein weiterer ist auch, dass wir uns durch die daraus entstehende Selbstverletzung befreit fühlen. Wenn wir anfangen zu akzeptieren, dass es keinen Unterschied zwischen unserer Seele und unserem Körper gibt, und dass ein Schmerz und eine Verletzung durchaus heilsam sein kann, dann erkennen wir auch, dass jede Form der freiwilligen Selbstverletzung einen Sinn und eine Heilung für den Betroffenen beinhaltet. Das Problem dabei ist nur, dass wir es auf einer sehr unbewussten Ebene tun und daher oft nicht erkennen, dass wir uns gerade selbst heilen. Borderliner wählen dafür das Cutten oder Verbrennen, Bulemiker das Kotzen, Magersüchtige den Verzicht auf die lebensnotwendige Nahrung, Fresssüchtige die Zerstörung ihres Körpers mit Hilfe von Nahrungsüberschuss und Extremsportler die Selbstzerstörung durch die Gefahr und die entstehenden Verletzungen. Solange diese Prozesse jedoch nicht bewusst sind, laufen sie nicht kanalisiert ab und verursachen trotz ihres eigentlichen Heilungscharakters gleich wieder neue Seelenverletzungen. Heilung und erneute Blockadenerschaffung, heben sich also auf. Wenn wir uns also cutten, uns überfressen, uns aushungern oder wenn wir kotzen, dann haben wir dabei das Gefühl, nicht richtig zu sein, weil wir es tun. Wir verurteilen uns für diesen Heilungsweg wieder selbst und bauen so schon wieder neues Leid in unserer Seele auf. Auch erkennen wir oft das richtige Maß nicht und so kommt es leicht zu Übertreibungen, die bis in den Tod führen können. So kommt das Opfer immer tiefer in die Opferspirale, dies kann bis zur Vergewaltigung, zum Verkauf des Körpers. Der Seelenaufgabe und der Selbstverstümmelung führen. Wird keinerlei Grenze mehr erkannt, kann dies bis zum indirekten oder direkten Selbstmord führen. Beim Choleriker, also beim Täter, führt die Unkontrolliertheit zu Wutausbrüchen, die nicht nur den Energiefresser stoppen, sondern ihn sogar nachhaltig verletzen. Das man den Opfertyp, also den Parasiten stoppen muss, versteht sich von alleine. Schließlich ist man ja kein Akku, hier gibt es jedoch moderate Methoden und eben Übertriebene. Wenn also der Täter so sehr von den andauernden Energiefressern und Schmerzbringern genervt ist, er zusätzlich auch noch lange Zeit nichts gesagt und sich gewährt hat, kommt es zu einer Explosion der Wut die bis zum Todschlag oder starker Körperverletzung führen kann. Wenn wir jedoch versuchen, Hilfe auf diesem Gebiet zu finden, dann bekommen wir meist sofort erklärt, dass wir die Selbstverletzung aufgeben sollen. Die Wut darf nun also überhaupt nicht mehr entweichen und muss stattdessen in unserem inneren bleiben, wo sie wieder die Seele belastet. Dem aber noch nicht genug, auch der Täter sollte sein STOPP nicht ausrufen. So teilt ihm der Psychologe mit, das er doch nicht wie ein Wolf zu beißen und sich wehren könne, wenn man ihm Energie abzapfe. Man solle dies doch verbal regeln. Was aber ist, wenn ein Dritter, wie ein Vampir einfach auf Worte nicht reagiert und einem weiterhin das Blut aussaugen will. Sollen wir ihn dann zu Tode streicheln oder mit Watte bewerfen? So ist in unserer Gesellschaft das erwehren nicht erlaubt. Du kannst dich doch nicht so rabiat wehren, wenn jemand von Außen dir dein Gottsein wegnehmen will und dich eben ins Gesellschaftssystem pressen will. Schließlich sind wir ja keine Naturmenschen mehr sondern Personen die in einer Technikwelt leben, also müssen wir uns auch so verhalten. Täter und Opfer sind kein Zufall. So zieht jeder Mensch mit einer geistigen Opferhaltung automatisch einen Täter an und anders herum.

Warum?

Ganz einfach: Die Welt ist stets ein Spiegel unserer intensivst geglaubten Gedanken. Wenn wir also als Opfer durch die Welt ziehen, dann tragen wir die Überzeugung in uns, dass uns andere stets etwas Böses wollen. Wir sind geprägt von unseren Ängsten, die uns permanent begleiten. Dadurch müssen wir nun ganz automatisch Menschen in unser Leben ziehen, uns unsere Überzeugungen bestätigen. Je mehr dies geschieht, desto größer wird unsere Angst und desto lauter wird die Verstandesstimme in uns die sagt: „Siehst du, ich hab doch gesagt, dass die Welt ein grausamer gefährlicher Ort ist! Ich hatte also Recht!“

Ist die Welt ein grausamer oder friedvoller Planet?

Ist die Welt ein grausamer oder friedvoller Planet?

Die Überzeugungen, die wir in uns tragen, werden also zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Gleichzeitig treten wir als Opfer aber auch noch ängstlich, unbewusst und schwächlich auf, so dass wir jedem Menschen im Umkreis signalisieren: „Hallo, nimm mich, ich bin eine leichte Beute!“ Unsere Körperhaltung, unsere Sprache, unsere Stimme, und selbst unsere Art uns zu kleiden, zu bewegen oder zu handeln verrät in jedem Detail, dass wir ein Opfer sind. Hinzu kommt, dass man als Opfer automatisch immer auch ein Energieparasit ist. Alle Opferstrategien dienen immer auch dazu, anderen die Lebensenergie zu rauben. Je mehr ich also in meinem Opferbewusstsein bin, desto stärker greife ich meine Mitmenschen auf der subtilen Ebene an, provoziere, reize und verletze sie. Dadurch dränge ich sie ganz automatisch dazu, dass sie mir irgendwann eine Grenze in Form einer Gewalthandlung aufzeigen müssen. Wenn ich einem Wolf permanent am Schwanz ziehe, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn er mich irgendwann einmal beißt. Dies hat nichts damit zu tun, dass der Wolf aggressiv ist, sondern nur damit, dass er sich vor mir und meinem Verhalten schützen muss. Somit zieht ein Opfer also auf drei Ebenen einen Täter an: Einmal durch seine gedankliche Ausrichtung, einmal durch sein physisches Auftreten und einmal durch sein parasitäres Verhalten, durch dass es andere gegen sich aufbringt. Auf der anderen Seite zieht ein Täter auf die gleiche Weise immer wieder Opfer in sein Leben. Auch er hat tiefe Überzeugungen in sich, die er von der Außenwelt gespiegelt bekommen muss. Hier ist es jedoch nicht die Angst davor, dass ihm jemand etwas Böses will, sondern viel mehr das Gefühl, dass ihm jeder auf den Sack geht. Er spürt, dass er energetisch ausgesaugt wird und auch wenn er vielleicht nicht erkennt, wie und warum dies geschieht, hat er stets das Gefühl, dem Einhalt gebieten zu müssen. So wie das Opfer eine innere Aggression gegen sich selbst hegt, weil es spürt, dass es seine eigene Seele immer wieder verletzt und misshandelt hat, gibt es im Täter eine starke Aggressionen gegenüber dem Außen, die er in diesem, vielleicht auch schon in früheren Leben aufgebaut hat. Um diese Wut abbauen zu können, benötigt er Opfer, die ihn zur Explosion bringen und über die er sich aufregen kann. Jeder Täter hat dabei bestimmte Triggerpunkte, auf die er anspringt, und die die Aggression in ihm wachrufen. So wie das Opfer das Schild mit „Leichte Beute“ auf der Stirn trägt, trägt der Täter eine Leuchtreklame mit einer Bedienungsanleitung mit sich herum, durch die für jeden sofort ersichtlich ist, wo und wie man ihn reizen muss, damit er explodiert. Auf diese Weise ergeben Täter und Opfer stets ein Schlüssel-Schlüsselloch-Prinzip. Der Täter zeigt dem Opfer unbewusst, was dieses tun muss, um ihn zum Platzen zu bringen. Das Opfer zeigt dem Täter, dass es geeignet ist, um die Wut an ihm auszulassen und drückt dann die passenden Punkte, um die Aggression in ihm aufzuwecken. Als Heiko vor vielen Jahren eine Studie über die Verhaltenspsychologie der Menschen machte, arbeitete er auch eine Weile mit Serienmördern und Gewaltverbrechern, um die Mechanismen hinter ihren Taten verstehen zu lernen. Einer der damaligen Fälle veranschaulicht dieses Prinzip in einem Extremfall sehr deutlich. Es ging dabei um einen jungen Mann, der von seinem stark religiösen Vater aufgezogen wurde, weil seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war. Der Vater gab dem Jungen die Schuld am Tod seiner Frau und ließ all seinen Schmerz an ihm aus. Viele Stunden musste er in der Karzer verbringen und dabei stets zu einem hölzernen Jesus beten, der in seinem Zimmer hing. Dadurch baute er ein extrem ambivalentes Verhältnis zur Kirche auf. Auf der einen Seite verband er Jesus mit Schmerz, Leid und dem Gefühl ungerecht behandelt und nicht geliebt zu werden. Auf der anderen Seite war Jesus aber auch der einzige, zu dem er überhaupt einen Bezug hatte. Die Misshandlung durch seinen Vater baute also eine immense Wut und Aggression in ihm auf, die irgendwie nach außen treten musste. Sein Triggerpunkt, also das, was ihn zum Explodieren brachte, war dabei die Verbindung zu Jesus. Der größte Hass, den er in sich spürte, richtete sich gegen Ministranten, da er nicht verstehen konnte, warum Jesus sie ohne ein Leid liebte, ihn aber bewusst quälen wollte. Eines Tages kam es zu einer folgenschweren Begegnung mit einem jungen Ministranten. Dieser trug eine Opferhaltung in sich. Anders als der Junge hatte er nie physisches Leid erfahren, hatte sich jedoch so sehr verbogen, dass von seiner Seele kaum noch etwas übrig geblieben war. Er war nach außen hin der perfekte, fromme Christ, spürte jedoch anders als der Junge keinerlei echte Verbindung zu Gott oder Jesus und hasste sich selbst für den Raubbau an seiner Seele so sehr, dass er sich am liebsten selbst umgebracht hätte. So mussten sich die beiden gegenseitig anziehen und schließlich trafen sie wirklich aufeinander. Der Junge fuhr mit dem Auto und der Ministrant mit dem Fahrrad, als sie einander begegneten. Es war nur ein Sekundenbruchteil der gegenseitigen Resonanz, doch er reichte aus. Der Junge sah in dem Ministranten die Verkörperung für all sein Leid und sofort kochte die angestaute Aggression in ihm über. Die Wut übernahm die Kontrolle, er riss das Steuer herum, raste auf den Ministranten zu und zerschmetterte ihn an einem Baum.

Der Ministrant mit dem Fahrrad

Der Ministrant mit dem Fahrrad

In der Gesellschaft bewerten wir dieses Schlüssel-Schlüsselloch-Prinzip zwischen Täter und Opfer sehr stark. Wir sympathisieren mit dem Opfer und verurteilen den Täter. Doch was ist, wenn wir diese Verurteilungen einmal bei Seite lassen und uns diese Beziehungen nur ganz offen und vorurteilsfrei anschauen. Das Opfer braucht die Schläge oder den Tod um die Wut auf sich selbst abzubauen und der Täter braucht das Schlagen oder das Töten um die Wut auf andere abzubauen. Wir bewerten und verurteilen das, weil der Prozess in diesen Extremfällen wieder neues Leid verursacht. Doch zu diesen Extremen wie Selbstmord, Mord und Vergewaltigung unter denen alle leiden, kommt es nur, wenn wir die Wut aufstauen und nicht zuvor gezielt durch geregelte Mechanismen abbauen. Ähnlich wie es durch angestaute Gefühle oder Verletzungen gegenüber den Herzwünschen es zu Krankheit und Verletzungen führen muss. In fast allen Beziehungen zwischen Mann und Frau gibt es einen Täter- und einen Opferpart. Einer hat die Hosen an, bestimmt also wo es lang geht und prügelt dabei den anderen auf die eine oder andere Weise. Solange dies nicht bewertet wird und in einem gewissen Rahmen abläuft, ist dieses Verhältnis für beide eine funktionierende Beziehung. Der Täter heilt sich selbst dadurch, dass er austeilt und das Opfer heilt sich selbst dadurch, dass es einsteckt. Erst wenn wir die Gedankenschablone unserer Gesellschaft darüber legen und sagen: “So kann man doch keine Beziehung führen, es muss doch alles Gleichberechtigt sein!” fangen wir an, das System zu kritisieren und uns dagegen zu wehren. Wenn es dann zur Trennung kommt, suchen sich beide Partner in der Regel aber automatisch wieder einen neuen Gegenpart, so dass sie weiterhin in der gleichen Rolle verweilen können. Das Problem dabei ist jedoch, dass all dies in der Regel nicht bewusst und nicht kanalisiert abläuft. Wir wissen nicht, dass wir den Selbsthass in uns tragen, weil wir unser wahres Sein verleugnen und unsere Seele mit Füßen treten und wir wissen auch nicht, dass wir den Fremdhass besitzen, weil wir uns an den Dritten rächen wollen, die uns von unserem Weg abbringen wollten. Dadurch verlagern wir das Spiel in Bereiche in die es eigentlich nicht hingehört und in denen es einen Großteil der Heilwirkung wieder verliert. Wir achten nicht aufeinander, so dass wir uns nur in dem Maße verletzen und verletzen lassen, in dem wir uns gegenseitig Heilen und in dem es unsere Seele befreit. Im Gegenteil wir nutzen es häufig sogar dazu, dass wir uns noch mehr von unserem Weg und unserem wahren Sein abbringen lassen. Anders ist es hingegen, in Beziehungen, die das Herrscher-Sklave-Spiel ganz bewusst spielen und ihm klare, definierte Regeln geben. In der SM-Szene sagen die gegeißelten immer: “Danke mein Herr und Gebieter” oder “Danke meine Gebieterin.” Warum machen sie das? Warum bedanken sie sich in solch einer Form? Heiko hat früher einige Paare kennengelernt, die diese Art der Sexualität sehr intensiv lebten. Dabei ist ihm aufgefallen, dass die Gegeißelten A wirklich aus ganzem Herzen dankbar waren und es ihnen B auch eine sehr tiefe Befreiung gebracht hat. Es war nicht nur die Lust, sondern viel mehr die Befreiung durch die Geißelung von ihrem Gegner. Die Lust kam durch die Kleidung, die Machtpositionen und auch die liebevolle Art des Schmerzzufügens, durch die man geschützt und geehrt wird, sowohl in der Position des Dominanten, als auch des Devoten. Der Dominante baut auf diese Weise Stück für Stück seine Wut ab und erhält dabei noch einen Lustgewinn, in dem er sie an dem anderen auslässt. Der Devote erlebt das gleiche nur in Form der Geißelung. Beide haben auf diese Weise einen Zugewinn, der nicht nur Lust bereitet, sondern auch Heilsam ist, weil beide ihre Wut dadurch abbauen und so mehr in ihren Frieden kommen können. In der Gesellschaft verurteilen wir hingegen beides. Wenn es in der SM-Szene stattfindet, schauen wir es meist nur etwas pikiert an. Wir können nicht verstehen, warum sich jemand freiwillig den Hintern versohlen, auspeitschen oder mit Wachs bekleckern lässt und schieben es in die Ecke abstrakter Fetische. Doch warum verstehen wir es nicht? Weil wir jede Art des Wutabbaus und jede Form von Schmerz und Schmerz-Zufügen als etwas Negatives ansehen. Die einen haben Angst vor dem Schmerz und wollen sich genau wie ich davor wegducken, ihm ausweichen und so weiterhin in Ruhe ihrem Duckmäuserleben frönen. Die Anderen, die ihre Wut abbauen, in dem sie andere verletzen, verurteilen sich für diese Verletzungen, weil wir in unserer Gesellschaft glauben, dass wir dazu kein Recht haben. Obwohl wir also eigentlich etwas heilsames tun, erschaffen wir dadurch neues Leid, weil wir den Schmerz und das Verletzen nicht annehmen können und uns dafür verurteilen. Wir haben das ganze Thema so sehr aus unserem Leben verdrängt, dass einfach niemand mehr weiß, wie er damit umgehen kann. Unser Idealkonzept einer Beziehung ist es, dass immer Friede, Freude Eierkuchen herrscht und dass stets alles in Harmonie ist. Doch dies ist unmöglich. Das Spiel ist, nun mal wie es ist. Der Gegner verwirrt uns und bringt uns vom Paradies weg. Wenn wir zurück wollen, werden wir durch Schmerz und Leidensdruck dahin geführt. Ergo muss jeder Leid erfahren. Weil wir dies jedoch nicht akzeptieren können, stauen wir die Wut auf beiden Seiten ins Endlose an, so dass es irgendwann zu einem unkontrollierten Ausbruch kommen muss, der uns entweder in die Krankheit oder in eine extreme Gewalt führt. Beides, Krankheiten wie Gewalttaten sind dabei letztlich nur zwei Formen des gleichen Grundprinzips, das uns zum Erwachen und somit zur Liebesausdehnung führt.

Was bedeutet dies?

Als Kinder wissen wir zunächst noch, dass wir ein Teil von Gott sind und im Schauspielstück des Lebens eine Aufgabe zu erfüllen haben, so dass die Liebe sich ausdehnen kann. Diese Aufgabe ist uns am Anfang noch sehr klar und wir wissen relativ genau wer wir sind und wo uns unser Herz hinzieht. Dann aber kommt der Gegner in Form von Ängsten und Verstandesglaubensmustern im inneren und in Form von unseren Eltern, Lehrern, Verwandten, anderen Bezugspersonen und der Gesellschaft an sich, die in der Regel alle vergessen haben, dass sie Gott sind und uns somit ebenfalls von unserem Gottbewusstsein abbringen wollen. Wir haben nun also die Wahl, ob wir dieses Spiel mitspielen und unser wahres Selbst freiwillig aufgeben, oder ob wir uns dagegen wehren und versuchen, unser Gottbewusstsein trotz des Drucks von Außen zu bewahren. In beiden Fällen bauen wir automatisch Leid auf, denn nur durch dieses Leid entsteht die Spannung, die später zur Liebesausdehnung führt. Doch wie sieht das im Speziellen aus?

Wollen wir dieses Spiel mitspielen oder nicht?

Wollen wir dieses Spiel mitspielen oder nicht?

Wenn ich mich dafür entscheide, dem Gegner freiwillig zu folgen und mein Sein aufzugeben, dann gehe ich in gewisser Weise einen Packt mit ihm ein. Sein Angebot lautet: Wenn du zu einer Marionette wirst und stets das tust, was ich von dir verlange, während du deine Herzensstimme ignorierst, dann halte ich alles Leid von dir fern, so dass du nicht spüren musst, dass du gegen dich selbst handelst. Wenn wir auf diesen Weg eingehen, können wir zunächst sehr weit von unserem Lebensweg abkommen, ohne dafür einen Druck zu erhalten. Im inneren spüren wir zwar, dass wir unglücklich und unzufrieden werden, wenn wir unseren Weg nicht gehen, aber es folgt sonst keine Konsequenz und so lassen wir uns immer weiter verwirren. Es ist ein bisschen, als würden wir ein Narkosemittel bekommen, das unsere Sinne und unsere Nerven betäubt, so dass wir unsere Seelenverstöße nicht wahrnehmen müssen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Seelenverstöße trotzdem stattfinden. Sie sind ähnlich, wie wenn man eine Hand auf eine heiße Herdplatte legt. Durch das Betäubungsmittel spürt man die Verbrennungen zunächst nicht, und kann die Hand daher ewig auf der Platte liegen lassen. Doch dies ändert nichts daran, dass die Verletzungen da sind und stetig stärker werden. Wenn wir uns nun irgendwann bewusst oder unbewusst dazu entschließen, doch unser Sein anzunehmen, hört das Narkosemittel auf zu wirken und wir bekommen die Schmerzen auf einen Schlag in unser Bewusstsein gehämmert. Dies geschieht dann jedoch meist in Form von Unfällen oder Gewalttaten, die wir durch unser Opferbewusstsein anziehen. Durch den Deal mit dem Gegner, haben wir unseren inneren Hinweisgeber ausgeschaltet, der uns zeigt, wohin uns unser Lebensweg führt. Darum benötigen wir den Druck von außen. Entscheiden wir uns hingegen dafür, dass Angebot des Gegners abzulehnen und beharren darauf, unser Sein zu leben, egal was dies auch für Schmerz bedeutet, bekommen wir das Leid direkt vom ersten Moment geschenkt. Noch immer verwirrt uns der Gegner in Form unserer Eltern und Bezugspersonen, sowie unserer eigenen Verstandesgedanken und bringt uns immer wieder von unserem Weg ab. Dieses Mal erhalten wir jedoch kein Narkosemittel und spüren den Schmerz also sofort. Jedes Mal, wenn wir unsere Hand nun auf die heiße Herdplatte legen, spüren wir den brennenden Schmerz, der uns zeigen will, dass dies kein geeigneter Aufbewahrungsort für eine Hand ist. Da wir diesen Leidensdruck bewusst gewählt haben, ist er in uns selbst verankert und äußerst sich meist in Form von Krankheiten. Jedes Mal, wenn wir also gegen unser Herz handeln bekommen wir nun Druck in Form einer Krankheit, die uns auf das Vergehen hinweist und uns klar macht, dass wir so nicht handeln oder leben können. In jedem Fall bringt uns der Gegner also von unserem Weg ab und baut dadurch eine Spannung auf. Und in jedem Fall benötigen wir das Leid, um wieder zu unserem Lebensweg zurückzufinden. Jede Form von Leid, egal ob Krankheit, Unfall, Vergewaltigung, Misshandlung oder sonstiges ist also immer ein Druckgeber, der uns zu unserem wahren Sein zurückführt. Das Leid ist damit stets ein Teil unserer Heilung und muss durchlebt werden, entweder auf die eine, oder auf die andere Weise. Je länger wir uns dem jedoch verwehren, desto geballter kommt es letztlich auf uns zu. Die Frage ist also, ob es wirklich unser Ziel ist, dass wir erst zu Mördern, Schlägern, Vergewaltigern, Entführern und Gewalttätern, bzw. zu Mordopfern, Vergewaltigungsopfern oder Mishandelten werden müssen, bevor wir in unsere Heilung kommen.

Als Heiko sich mit der SM-Szene beschäftigte, fiel ihm auf, dass er dort Paare antraf, die enger, inniger und tiefer miteinander verbunden waren, als er es je zuvor erlebt hatte. Als “Täter” konnte er zunächst nicht verstehen, warum jemand Sklave sein will. Warum will jemand gegeißelt oder geschlagen werden? Die Befreiung und Befriedigung, die der dominante Part empfand, leuchtete ihm ein, das devote jedoch nicht. Erst jetzt im Nachhinein ist auch klar, warum dies so war. Er selbst konnte sich als Täter in den SM-Täter hineinfühlen und spürte, dass diese Beziehungsrolle auch seine Wut abbauen und ihn zur Befreiung führen würde. Die Rolle des Opfers konnte ihm hingegen nichts bringen, da sie nicht zu seinem Wutzyklus passte. Aufgrund seiner Entscheidung, zu sich zu stehen wurde er zuerst verprügelt, war also freiwillig und bewusst das Opfer und will dies nun als Gegenpart spiegeln, um einen Ausgleich zu erschaffen. So wie er sich als Kind bewusst für die Schläge entschieden hatte und somit Wut nach außen hin aufgebaut hatte, konnte er diese Wut nun abbauen, indem er sich ganz bewusst dazu entschied, nun Täter zu sein und anderen heilenden Schmerz zuzufügen. Heidi und ich haben uns hingegen als Kinder ganz bewusst dafür entschieden, unsere Seele selbst zu zerstören, bis von ihr nichts mehr übrig war. Wir haben uns also bewusst entschieden, selbst der Täter zu sein, um keinen Schmerz zu erhalten. Dadurch haben wir die Wut nach innen hin aufgebaut. Um sie nun wieder abbauen zu können, müssen wir auch dieses Prinzip ins Umgekehrte spiegeln und uns nun ganz bewusst für das Opferprinzip entscheiden um Schmerz zu empfangen. Spannender Weise gibt es beide Prinzipien schon seit Jahrtausenden in allen Kulturen und Glaubensrichtungen. Mönche betreiben seit jeher immer wieder Selbstgeißelung, um in ihr Gottbewusstsein zu gelangen. So ist der Sonnentanz, der den Lakota-Indianern durch die weiße Büffelkalbsfrau gebracht wurde ein Ritual, bei dem sich die Tänzer scharfe Haken durch ihre Rückenhaut treiben und sich daran aufhängen, wobei sie sich permanent im Kreis bewegen und tanzen. Der Schmerz führt dabei irgendwann in eine Ekstase, die extrem läuternd und heilsam ist. Für uns wirken all diese Praktiken abstrakt und unmenschlich, doch nur deshalb, weil wir Angst vor dem Schmerz haben und aus genau diesem Grund kommen wir auch nicht in unsere Freiheit und in den inneren Frieden. Wir gestehen uns die Wut gegenüber anderen nicht ein und lassen sie deshalb nicht nach außen. Wir fürchten uns vor dem Schmerz und weichen ihm deshalb aus, so dass wir nie richtig ins Leben kommen können. Und genau dieses Verdrängen, Verschweigen und Verteufeln macht die Wut in unserer Gesellschaft so gefährlich. Die Menschen, die sich für einen Fremdhass aufgrund von Verletzungen von außen entschieden haben, stauen ihre Wut so sehr an, bis sie plötzlich explodieren und sie vollkommen unkontrolliert nach außen geben. Sie werden zu Cholerikern, Schlägern, Mördern oder Vergewaltigern, vielleicht aber auch nur zu Raudis, Miesepetern und ewigen Stenkerern. Diejenigen, die sich für den Selbsthass aufgrund ihrer eigens herbeigeführten Seelenzerstörung entschieden haben, bauen so viel innerlichen Druck auf, bis sie schließlich einen extremen Gewaltgegner in ihr Leben ziehen. Sie werden zu Opfern von Gewalttaten, Vergewaltigungen, Morden oder auch von gewalttätigen Beziehungspartnern, tyrannischen Chefs, mobbenden Kollegen und ähnlichem. All diese Verletzungen sind für beide Seiten heilsam, doch sie verursachen auf diese Weise immer auch neue Traumata. So gibt es einen Unterschied ob man Schmerz kontrolliert mit dem Bewusstsein der Heilung geschehen lässt oder ob dies durch den Magnetismus im Gedankenautopilotenmodus geschieht und man willkürlich durch die ausgestrahlte Wutangst etwas anzieht. Denn genau an dieser Stelle kommt wieder das Schlüssel-Schlüsselloch-Prinzip zwischen Tätern und Opfern ins Spiel. Je stärker der Selbsthass aufgrund der in mir angestauten Wut über mein Seelenverbiegen ist, desto stärker wird auch das Gefühl nicht liebenswert zu sein und ein glückseliges Leben nicht verdient zu haben. Ich fühle mich also immer mehr wie ein Wurm und strahle dies immer stärker nach außen. Je weniger ich mich selbst für wertvoll halte, desto stärker werde ich aber auch zum Parasiten, da ich nun nur noch durch Energieraub überleben kann, weil ich mir selbst nichts mehr zutraue. Ich signalisiere also immer stärker, dass ich eine leichte Beute bin und reize jeden durch meinen Energieraub dazu, mir endlich eine aufs Maul zu hauen. Das gleiche Prinzip gilt auch für den Täter. Je mehr ich die Wut auf das außen in mir anstaue, desto größer wird die Explosion, wenn ich einen Energieraub bemerke oder wenn jemand meine Triggerpunkte drückt. Es kommt also zu einem immer intensiveren Wechselspiel zwischen Täter und Opfer, das letztlich für beide Seiten nicht mehr kontrollierbar ist. Dies kann dann alles sein und einen bis in den Tod führen. Ist es also wirklich sinnvoll, den Wutabbau nicht zu kanalisieren? Ist es nicht vielleicht sogar gefährlich?

Wie funktioniert Energieraub?

Wie funktioniert Energieraub?

Auch die Krankheiten, die wir in unser Leben ziehen, hängen sehr stark von unserem Wutzyklus ab. So lässt sich beobachten, dass manche Menschen immer wieder starke, schmerzhafte und schwerwiegende Krankheiten oder Körpersymptome in ihr Leben ziehen, andere hingegen so gut wie überhaupt nicht. So bekam Heiko stets für jedes Vergehen gegenüber seiner Seele und seinem Gottbewusstsein einen direkten Faustschlag von seinem Körper zu spüren. Angefangen von einer Nierenkolik über eine Gehirnhautentzündung und Borreliose bis hin zum Tinnitus, der ihn mehrfach bis an den Rand des Selbstmordes brachte. Ich hingegen hatte zwar immer wieder kleine Krankheiten, die mich schwächten und noch weiter in meine Opferrolle brachten, aber nie wirklich große, schmerzhafte oder leidvolle. Mein Körper spiegelt mir meine Vergehen gegen meine Seele stets auf einer subtilen Ebene, die ich zwar wahrnehmen kann, die mich jedoch zu keiner Konsequenz zwingen. So habe ich Krampfadern in den Beinen und am Brustkorb, eine verengte Vorhaut, eine Trichterbrust, die mir das Atmen schwer macht, eine schlechte Durchblutung, durch die meine Hände und Füße taub werden und eine extreme Sehschwäche. Alles sind Krankheitssymptome, die mich unsensibler machen und dazu führen, dass ich noch mehr gegen meine Herzensstimme verstoßen kann. Je weniger ich sehe und fühle, je weniger Energie ich habe und je schlechter mein Körper mit Sauerstoff versorgt wird, desto mehr lasse ich automatisch über mich ergehen und desto weiter lasse ich mich von meinem Lebensweg abbringen. Gleichzeitig werde ich dadurch aber auch rein körperlich zu einem immer besseren Opfer, dass Gefahren immer schlechter wahrnehmen und einschätzen kann und das auch immer weniger in der Lage ist, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Heikos Krankheiten hingegen führten dazu, dass er immer sensibler und empfindlicher wurde, was Seelenverstöße und Energieräuber anbelangte. Durch den Tinnitus wurde es ihm nahezu unmöglich, Situationen auszuhalten, die er als unangenehm empfand und die ihm Energie raubten. Sobald er sich zu lange in eine solche Situation begab, zeigten ihm seine Ohren mit einem unerträglichen Warnsignal, dass er gerade dabei war, sich selbst zu schädigen. So wie mich meine Krankheiten in meinem Opfersein unterstützen, führten seine Krankheiten also dazu, dass er noch schneller Grenzen setzen musste, wodurch sie auch sein Tätersein unterstützen. Bei mir dienten die Krankheiten also in erster Linie dazu einen Druckgeber von außen in Form eines Täters einzuladen und anzuziehen. Bei Heiko waren die Krankheiten selbst der Druckgeber und Sanktionator. Auch hier gibt es also eine Regelmäßigkeit, die ins Auge sticht. Die Menschen, die am Anfang ihres Lebens Druck von Außen bekommen haben, weil sie zu sich standen und dem Schmerz des äußeren Widerstandes getrotzt haben, bekommen dann später nach dem Switch Druck von innen in Form von leidvollen Krankheiten. Diejenigen, die am Anfang den Druck von Innen bekamen, also von sich selbst, weil sie sich verbogen und ihre Seele selbst verstümmelt haben, bekommen dann später den Druck von außen. Krebs ist dabei noch einmal ein Sonderfall, da die Tumore selbst keine wirkliche Krankheit, sondern eine Schutzfunktion des Körpers sind. Dies an dieser Stelle vollkommen auszuführen würde wieder einmal den Rahmen sprengen, aber eine kurze Erklärung möchte ich trotzdem einfügen. In der Schulmedizin gehen wir davon aus, das Tumore entartete Zellen sind, die sich bis in die Unendlichkeit vermehren und dadurch den Körper von innen heraus zerstören. Dies ist so jedoch nicht richtig. Natürlich lässt sich beobachten, dass die Zellen in einem Tumor sehr stark wachsen und sich vermehren, doch geschieht dies nicht grundlos, unkontrolliert oder bis in alle Ewigkeit. Am einfachsten lässt es sich am Beispiel von Lungenkrebs erklären. Stellt euch einmal vor, ihr wärt eine Maus, die einem Fuchs begegnet. Sobald ihr ihn wittert, schaltet euer Körper sofort ein Notfallprogramm ein, das euch in eine Alarmbereitschaft versetzt, denn nun hängt euer Leben davon ab, dass ihr so schnell wie möglich in eurer Mausehöhle verschwindet. Der Körper stößt Adrenalin aus, der Herzschlag verschnellert sich und eure Lungenbläschen weiten sich, damit mehr Sauerstoff in die Muskeln gelangt und ihr leistungsfähiger werdet. Ihr seit nun in der Lage, einen Sprint in Höchstgeschwindigkeit hinzulegen und im Mauseloch zu verschwinden. Sobald ihr dort angekommen seit, stellt sich der Körper wieder auf sein Normalprogramm um. Es dauert einen Moment, bis ihr euch wieder erholt habt und dann seit ihr wieder genauso entspannt und relaxt wie zuvor. Dieses Notfallprogramm, das bei einer Todesgefahr auftaucht existiert in jedem Lebewesen und damit auch in uns Menschen. Durch unsere zivilisierte Lebensweise gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied. Für die Maus gibt es nur reale Gefahren, denen sie entweder entkommt oder nicht. In jedem Fall ist die Situation aber bereits nach wenigen Minuten oder auch nur Sekunden beendet. Für uns Menschen existieren hingegen eine ganze Palette voller Lebensbedrohungen, die keine reale Ursache haben, vor der wir weglaufen könnten. So wird unser Leben vielleicht durch ein nahegelegenes Atomkraftwerk bedroht, von dem wir glauben, dass es jeden Moment explodieren könnte. Vielleicht kommt die Todesgefahr aber auch durch eine Exklusivmeldung in den Nachrichten, die vor Terroranschlägen in unserer Heimatstadt warnt. Oder sie kommt in Form einer Nachricht von unserem Arzt, der uns mitteilt, dass wir eine tödliche Krankheit haben und nur noch wenige Monate leben werden. Wenn wir diese Nachrichten glauben und die Gefahr als real ansehen, aktiviert unser Körper automatisch das gleiche Notfallprogramm, wie bei der Maus. Der Unterschied ist nur, dass wir vor der Gefahr nicht fliehen können, so dass dieses Programm über Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre hinweg läuft. In dieser Zeit bekommt unsere Lunge permanent das Signal, dass sie volle Leistung bringen und immer mehr und noch mehr Sauerstoff in den Körper pumpen muss. Um diese Dauerbeanspruchung auf Maximalbetrieb bewältigen zu können, muss sie neues Personal einstellen, sprich neue Zellen ausbilden. Es kommt also zu einem vermehrten Zellwachstum in der Lunge, welches wir als Tumor wahrnehmen und für eine Ansammlung entarteter Zellen halten. Sobald es uns gelingt, der Todesgefahr zu entkommen, in dem wir beispielsweise erkennen, dass der Arzt sich geirrt hat, dass die Terrorwarnung nichts als Panikmache war oder dass das Atomkraftwerk geschlossen wurde, kehrt unsere Lunge in den Normalbetrieb zurück und baut die überflüssigen Zellen wieder ab. Diese werden dann in den meisten Fällen als tuberkulöser Husten in Form von blutigem Schleim ausgeschieden.

Ärzte können sich auch irren.

Ärzte können sich auch irren.

Nach dem gleichen Prinzip wie der Lungenkrebs entstehen auch alle anderen Krebsarten in unserem Körper, wobei jedes Mal ein anderer Konflikt auftritt, der das jeweilige Organ betrifft und zu Höchstleistungen antreibt. Die Tumore selbst lösen dabei in der Regel keine Schmerzen und auch keine Probleme aus, es sei denn, dass sie so groß werden, dass sie auf ein anderes Organ drücken, Nerven einklemmen oder eine Blutzufuhr unterbrechen. Der Schmerz und das Leid entstehen in den meisten Fällen jedoch erst durch die “Therapie” des Arztes in Form von Operationen, Chemotherapien und Bestrahlungen. Auf diese Weise führt also auch der Krebs dazu, dass eine Verletzung durch einen Dritten von außen stattfindet, durch die Selbsthass abgebaut werden kann. So wie der eigentliche Tumor selbst sind auch die anderen Krankheiten, die der Verbieger vorzugsweise in sein Leben zieht, eher wenig schmerzhaft und werden meist nicht einmal richtig als Krankheiten angesehen. Dazu gehören allgemeine Schwäche, Energielosigkeit, Kreislaufschwäche und der gleichen mehr. Sie Sie führen aber fast alle dazu, dass automatisch der Druck und die Verletzung von außen steigt, weil sie den Verbieger schwächen und seine Lethargie fördern, wodurch er immer mehr dazu neigt, äußere Gewalteinwirkungen einfach zuzulassen. Gleichzeitig zieht er aber auch Krankheiten und Schwächen an, die ihn unaufmerksam, unachtsam und in gewisser Weise blöd machen. Er wird kurzsichtig, taub, gefühlsarm, unkonzentriert und dergleichen mehr, wodurch er automatisch jeden seiner Mitmenschen auf die Nerven gehen muss. Sein ganzer Organismus richtet sich also darauf aus, die Wut von anderen auf sich zu lenken, um so den Selbsthass abbauen zu können. Er wird zu einem Tollpatsch, der aufgrund seiner Unsensibiliät und seiner Unaufmerksamkeit kaum selber Lebensfähig ist und daher immer die Hilfe von anderen braucht. Auch hier steckt wieder ein System mit einem Sinn dahinter. Als Kind hat er sich dafür entschieden, sein Sein aufzugeben, weil er Angst hatte, sonst seine Eltern zu verärgern und nicht mehr geliebt zu werden. Er hat sich also ganz bewusst in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern begeben. Das Prinzip, das dahinter steht lautet: „Wenn ich unselbstständig bin und ihr mich umsorgen müsst, dann habt ihr das Gefühl wichtig und wertvoll zu sein, meine Eltern. Dadurch seit ihr zufrieden und wenn ich euch zufrieden mache, bekomme ich eure Liebe als Gegenleistung, die ich zum Überleben brauche.“ Auf diese Weise richtet sich nun das gesamte Leben des Menschen darauf aus, in einer Abhängigkeit von anderen zu existieren und er braucht stets den Rockzipfel zum festhalten, um aufrecht stehen zu können. Darauf richten sich sowohl seine bewusst und unbewusst gewählten Lebensstrategien als auch seine körperlichen Eigenschaften aus. Der Körper eines Menschen, der dadurch überlebt, dass er im Wald scheue Tiere fängt, entwickelt automatisch scharfe und feine Sinne, die ihm das Aufspüren seiner Beute ermöglichen. Ein Mensch, der dadurch überlebt, dass er von anderen Menschen versorgt wird, entwickelt auf die gleiche Weise körperliche Funktionen, bzw. Fehlfunktionen, die ihm diese Art der Lebensführung erleichtern. So wie der eine den idealen Jägerkörper entwickelt, entwickelt der andere den idealen Parasitenkörper. Sobald er sein Elternhaus verlässt, wird dies jedoch zum Problem, da er nun auf sich gestellt ist, aber weder mental noch körperlich die Voraussetzungen besitzt, sich eigenständig am Leben zu halten. Also muss er sich nun neue Wirte suchen, die er anzapfen und von denen er sich versorgen lassen kann, um auf diese Weise zu überleben.

Der Standhalter hingegen bleibt auch nach der Wende relativ stark, bekommt nun aber lauter Krankheiten, die ihn Schmerzen und die ihm Druck geben, so dass sie ihn noch mehr dazu drängen, die Wut nach außen zu bringen. Er bekommt Krankheiten, durch die er Durck von außen immer schlechter aushalten kann, so dass er immer schneller Grenzen setzt. Er bekommt Tinnitus, Kopfschmerzen, Überempfindlichkeit, verschiedene Schmerzen und ähnliches mehr. Also alles, was dazu führt, dass man sofort auf sich achtet und keinen Energieraub mehr zulässt. Sein Körper treibt ihn also immer mehr dazu, möglichst schnell zu explodieren und die Wut nach außen zu bringen, so dass sie abgebaut werden kann. Das heißt im Klartext: So wie es für den Verbieger nun an der Zeit ist, den Selbsthass abzubauen, in dem er Leid und Schmerz von außen auf sich zieht, ist es nun für den Standhalter an der Zeit, die alte Wut loszulassen und sie abzubauen, in dem er sie nach außen abgibt. So hat Heiko als Kind bzw. junger Erwachsener den Energieraub und die Sticheleien über sich ergehen lassen und sich lange Zeit nicht dagegen gewährt, wodurch er die Wut gegenüber seiner Peiniger immer weiter aufgestaut hat. Nun sorgen die Krankheiten wie der Tinnitus dafür, dass diese Strategie nicht mehr funktioniert und er den Energieraub sofort unterbinden muss. Dadurch baut sich automatisch auch die alte Wut ab, wodurch er immer mehr in den Frieden zurückkehrt. Doch es steckt noch mehr dahinter. Das Lernprinzip, das sich darin verbirgt ist es, zu erkennen, dass alles einen Sinn hat. Keine Krankheit, kein Energieraub und keine Stichelei war etwas Negatives. Alles waren wichtige und richtige Schritte auf dem Weg zum Erwachen gewesen und sind es auch jetzt noch immer. Anders als ich, der zunächst versucht hatte, alle Lernprinzipien aus seinem Leben zu verbannen, hatte Heiko sie bewusst eingeladen, in dem er sich bewusst für den Weg zur Erleuchtung entschieden hatte. Somit mussten nun auch immer wieder Situationen auftauchen, in denen er seine Lernschritte bewusst gehen konnte. Und dazu gehörte eben auch, den Energieraub durch andere zu erkennen und zu unterbinden.

Natürlich sind sowohl Verbieger als auch Standhalter Archetypen. Jeder Mensch trägt stets beide Aspekte in sich und zieht so immer auch beide Gegenparte an. Kein Mensch verbiegt sich zu 100% und hält niemals einem Druck stand, so dass es nicht auch hin und wieder Prügel von außen bekommt, durch die er eine auswärts gerichtete Wut aufbaut, die es abzubauen gilt. Und kein Mensch hält immer aller Prügel stand, ohne sich jemals zu verbiegen und zu verraten, so dass er einen Selbsthass aufbaut, der durch die Kasteiung wieder abgebaut werden muss. Auch dies kann man in der SM-Szene wieder sehr gut beobachten, da es hier viele Menschen gibt, die bewusst zwischen beiden Rollen hin und her switchen und gerade daraus die größte Lust und aber auch die größte Heilung erzielen. Dennoch trägt jeder von uns einen Part in sich, der den Hauptaspekt ausmacht und daher eine besondere Präsenz hat. Wie in allem gibt es dabei natürlich abstufungen. Einige Menschen sind extrem in einem Wutzyklus verhaftet, andere sehr stark im anderen und wieder andere haben beide relativ gleichmäßig aufgebaut. So fiel mir immer wieder auf, dass es sich auch für mich sehr befreiend und erleichternd anfühlte, wenn ich mal Dampf ablassen konnte um beispielsweise einen nervigen Trunkenbold zu vertreiben, der mich beim Schreiben störte. Auch die Wut gegenüber meinen Eltern in Worte zu fassen und nach außen zu geben, fühlte sich befreiend und erleichternd an. Wichtig ist also zu verstehen, dass es in jedem Menschen unterschiedliche Arten der Wut gibt. Die Kernwut, die die uns hauptsächlich von unserem Erwachen fernhält, liegt in der Entscheidung begraben, ob man ein Standhalter oder ein Verbieger sein will. Doch wir sind relativ komplexe Wesen mit vielen widersprüchlichen Gedankenmustern im Kopf und ziehen daher auch später immer wieder Situationen in unser Leben, die neue Wut aufbauen. Diese wollen ebenfalls abgebaut und verarbeitet werden, und dies kann auch durch die gengenteiligen Mechanismen geschehen. Bei Heiko und mir sowie auch bei Heidi war jedoch relativ klar, dass Heiko sehr stark im Standhalter-Prinzip und wir beiden anderen extrem stark im Verbiegerzyklus beheimatet waren. Für uns war klar, dass wir nicht abwarten wollten, bis uns das Leben eine Gewaltsituation schenkt, in der wir unkontrolliert eine geballte Ladung zum Wutabbau bekamen. Viel mehr hatten wir das ohnehin schon ein paar mal leidlich erfahren dürfen. Allein die Art und Weise, auf die wir dieses System in den letzten Tagen und Wochen gelöst hatten, war bereits alles andere als Optimal. Es konnte doch keine Lösung sein, dass wir uns nur dann gegenseitig heilen konnten, wenn wir uns zuvor das Leben zur Hölle gemacht hatten. Auch die Krankheitszyklen konnten auf Dauer keine Lösung sein, denn wir waren ja aufgebrochen, um uns zu heilen und nicht, um immer ausgefeiltere Krankheiten auszubilden, durch die wir unterbewusst unsere inneren Wutzyklen abbauen konnten. Aus dem unbewussten Weg des Gedankenmagnetismus musste ein bewusster Weg werden, den wir gezielt kanalisieren konnten, so dass er für alle zielführend, heilsam und stimmig war.

Mit Hilfe der Antlitzdiagnose lassen sich Krankheiten und Organschwächen am Gesicht erkennen. (Grafik: mvg-Verlag)

Mit Hilfe der Antlitzdiagnose lassen sich Krankheiten und Organschwächen am Gesicht erkennen. (Grafik: mvg-Verlag)

Bereits beim letzten Besuch von Heidi, war das Thema Schmerz und Geißelung in der Beziehung aufgetaucht. Für beide fühlte es sich vollkommen stimmig an, ein Fetischpaar zu sein, das sich über das Spiel von süßem Schmerz gegenseitig heilte. Und doch tauchten damit sofort auch wieder Ängste und Gedankenstimmen auf. “Das ist keine Liebe. Das ist Geiselung. So was macht man nicht. Man darf sich nur streicheln und Blümchensex haben. Das muss alles sanft sein. Heilung ist immer weich!” All diese Worte wurden uns von klein auf ins Gehirn gehämmert und sie blockieren uns dabei heil zu werden und uns gegenseitig zu heilen. Ist das nicht pervers? Wir haben Angst davor wahrhaftig zu sein und das zu leben, was sich in unserem Herzen richtig anfühlt. Komisch oder? Dabei war jedoch auffällig, dass alle von Heikos Beziehungen, in denen es härter zur Sache ging und in denen das Spiel von lustvollem Schmerz auf ganz natürliche Weise entstanden war, immer sehr viel harmonischer und tiefer waren, als jene in denen nur Sanftheit erlaubt war. Hier kippte die Wage sofort auf eine Seite und es musste zur Trennung kommen. Es war einfach keine Heilung an Board sondern nur eine Anhäufung von Frustenergie und Nervenergie.

Fassen wir also noch mal zusammen: Jede Fremdverletzung die wir als Opfer-Menschen erfahren können, ist wutabbauend und damit heilsam. Wenn wir dies jedoch nicht verstehen und annehmen können, produzieren wir dadurch auch ein neues Trauma, und lösen einen neuen Gottkonflikt aus, der uns wieder von unserem Erwachensweg wegführt. Wenn wir also nicht so weit erleuchtet sind, dass wir den Sinn hinter den Verletzungen wahrnehmen und zu 100% in bedingungsloser Liebe annehmen können, kann auf diese Weise keine Heilung stattfinden. Darum ist es wichtig, den Weg des Wutabbaus zu kanalisieren. Hier aber steht uns nun wieder die Gesellschaft im Weg, denn selbst wenn wir dies erkannt haben, tragen wir durch die Gesellschaftsbewertungen von gut und böse, Täter und Opfer so viele Glaubenssätze im Kopf, dass wir uns sowohl als Schläger als auch als Geschlagene nicht gut fühlen. Allein die Worte machen uns oft schon verrückt. Sie sind so negativ belegt das man es kaum aushält. Ein Biss ins Genick ist für die meisten Liebespaare absolut anheizend. Auch ein Klaps auf den Po oder ein Kratzen über den Rücken. Kanalisieren wir es, ist es plötzlich pervers. Wie kann das sein? Diese Fragen hatte nicht nur ich sondern auch Heiko im Kopf. Dennoch war es genau der Weg, der sich richtig anfühlte. Mehr noch, es war der einzige Weg, um auf harmonischem Wege überhaupt in die Freiheit und in den inneren Frieden zu gelangen. Dabei stellten wir für mich fest, dass Selbstkasteiung nicht so wirksam ist, wie empfundene Fremdkasteiung. Klar ist alles eins und doch gibt man sich selbst nicht so viel Schmerz, als wenn es ein Dritter tut. Diese Erfahrung hatten wir bereits beim Needlen und Schröpfen gemacht. Wenn man sich selbst mit einem Nadelroller die Haut behandelte, dann war man dabei automatisch vorsichtiger. Wenn es ein anderer machte, konnte dieser viel tiefer und damit auch viel effizienter zustechen. Das gleiche galt auch für Fußreflexionsmassagen, Schröpfen und vieles mehr. Spannend ist hier, das wir hier nie auf die Idee kommen würden, das wir trotz des immensen Schmerzes nicht an eine Heilbehandlung glauben. Ohne Schmerzen kann man eben oft nicht heilen heißt es oft. Doch wenn es um die Kasteiung oder Wutabbau geht, heißt es, das kann man doch nicht machen. Als mir bewusst wurde, dass auch diese Formen der Heilbehandlungen, die schmerzhaft waren, die Wut in mir abbauten, war ich zunächst begeistert und wollte das Prinzip schon gleich darauf umlenken. Regelmäßiges Needlen, regelmäßige Fußmassage, regelmäßige Lymphdrenage und regelmäßiges Kampftraining, bei dem ich ordentlich einstecken konnte, erschienen mir gute und humane Optionen zum Wutabbau zu sein. Das waren sie auch und doch waren es schon wieder nur Muschiangebote, die ich hier abgab. Klar waren sie heilsam und klar bauten sie Wut ab. Doch im gesamten hatte ich von der Wut in meinem inneren und von dem Hass auf mich selbst gerade einmal 0,015% abgebaut. Diese Taktik alleine würde also niemals ausreichen. Es war ein Weg, um ein kleines bisschen in die richtige Richtung zu gehen, dabei aber schon wieder so viel Schmerz wie möglich auszuweichen. Es mussten also wesentlich effektivere Angebote her. Von den 0,015%, die ich bereits abgebaut hatte, gingen etwa 95% ohnehin bereits auf Heikos Konto. Und ein Großteil davon hatte sich wahrscheinlich wiederum jetzt in den letzten Wochen gelöst. So unorthodox Heikos Methoden als Heiler auch waren und so oft er sie auch selbst anzweifelte, so sehr funktionierten sie doch. Er war eben ein Coyote und dieser ging nun einmal ungewöhnliche und unorthodoxe Wege, die für alle anderen auf den ersten Blick abstrakt, wenn nicht sogar verstörend sein mochten. Jeder Versuch, meine Wut durch Schreien oder aggressives Verhalten abzubauen, das sich nicht gegen mich selbst richtete, hatte hingegen nicht funktioniert. Natürlich war es in diesen Momenten oft wichtig, meine Gefühle nach außen zu bringen und nicht herunterzuschlucken. Doch sie halfen mir nicht dabei, meinen Selbsthass abzubauen. Anders war es jedoch, als ich mit 19 oder 20 Jahren mit ein paar Kumpels auf die Idee kam, eine Art Fightclub zu gründen, bei dem wir uns auf oder nach Partys in gegenseitiger Einvernehmlichkeit prügelten, um Schmerz zu erfahren und uns zu spüren. Damals schämte ich mich dafür und doch merkte ich bereits zu dieser Zeit, dass es mich befreite und erleichterte. An diesen Abenden ging ich immer mit einem guten Gefühl nach hause. Sonst war das nach Feiern selten der Fall. Nun galt es also einen Weg zu finden, mit dem wir alle drei unsere Wut wirklich effektiv abbauen und uns so gegenseitig heilen konnten. Dabei kamen wir zunächst auf zwei zentrale Hauptpunkte, die wahrscheinlich in nächster Zeit noch durch weitere ergänzt werden.

Schmerz kann etwas heilendes in sich bergen, wir müssen es nur zulassen.

Schmerz kann etwas heilendes in sich bergen, wir müssen es nur zulassen.

Der erste ist ein Ritual, bei dem ich durch eine große Anhäufung von Schmerz sehr viel Wut auf einen Schlag abbauen kann. Es ist der besagte Sonnentanz, den ich vorhin bereits einmal erwähnt habe. Spannend dabei ist, dass auch diese Idee nicht neu ist und dass sie aus mehrerlei Hinsicht zu der aktuellen Situation passt. Dass der Sonnentanz ebenfalls in einer direkten Verbindung mit der Überlieferung über die weiße Büffelkalbsfrau steht, fanden wir erst später heraus. Er ist das heiligste Ritual der nordamerikanischen Indianervölker, das durch die Büffelkalbsfrau gebracht wurde. Wenn also Heidis Lebensaufgabe direkt mit der Büffelkalbsfrau verbunden ist und Heikos die des roten Büffels der Reinigung ist, gibt es also auch hier schon wieder eine Verbindung, zwischen Heikos, Heidis und meinem Weg zum Gottbewusstsein. Heidi ist die Bringerin der heiligen Rituale, die die weibliche, annehmende Kraft verkörpert. Heiko ist derjenige, der auf den Tisch haut und den Gegner in seine Schranken weist. Und ich bin als Bindeglied der, der im Ritual der Büffelkalbsfrau den Schmerz als Geschenk annimmt und sich so auf genau die Weise vom Gegner befreit, die Heikos Heilerprinzip entspricht. Soweit zumindest die Theorie, denn bis ich zu einem Sonnentanz bereit bin, muss ich noch viel von meiner Angst vor Schmerz, Verletzung und Tod verlieren. Vor viereinhalb Jahren haben wir in unserer Wildnisschule eine Ausbildung zum Heilersein gegeben und an einem Seminarwochenende war es dabei um die Vergabe von indianischen Namen gegangen. Schon damals hatte also die Idee im Raum gestanden, den alten Namen als Symbol der Wandlung in einen neuen Lebenszyklus abzustreifen und einen neuen zu wählen, so wie es in vielen indigenen Kulturen Gang und Gebe ist. Die Aufgabe war es damals, tief in sich hineinzuspüren und die eigene Intuition nach einem Namen für die anderen Seminarteilnehmer zu befragen. Dabei war Heiko bei mir auf den Namen “Sonnentänzer” gestoßen, ohne dass er es sich zu diesem Zeitpunkt so recht hatte erklären können. Damals hatte er gesagt: “Ich weiß nicht warum, aber bei dir kommt es mir so vor, als wäre irgendwann in deinem Leben der Zeitpunkt, dass du durch Schmerz deinen Weg finden musst, um deinen elendigen Verstand auszuschalten, damit du endlich fühlen kannst. Dazu tauchte vor meinem inneren Auge gerade das Ritual des Sonnentanzes auf, von dem ich mal durch einen Mann erfahren habe, der ihn getanzt hat.” Erst jetzt im Nachhinein wird mir bewusst, wie heftig dieses Zusammenspiel ist, mit dem sich alles langsam vorbereitete und nun immer mehr an Klarheit gewinnt. Durch reinen „Zufall“ (den es ja nicht gibt) hatte Heiko viele Jahre zuvor einen Mann getroffen, der an einem Sonnentanz teilgenommen hatte. Für Weiße ist die Teilnahme inzwischen offiziell verboten, da zu viel Schindluder mit dem heiligen Ritual getrieben wurde. Die Chance, einen Nichtindianer zu treffen, der nicht nur bei einem solchen Tanz dabei war, sondern wirklich als Teilnehmer dabei mitgemacht hatte, geht also gegen null. Es gibt weltweit vielleicht noch hundert Zivilisationsmänner, die diese Erfahrung gemacht haben. Wie sehr wollte das Leben also, dass Heiko einem von ihnen begegnete, der ihm dann auch noch auf so einprägsame Weise davon erzählte, dass es ihm sofort im Gedächtnis hängen geblieben ist. Und zwar nicht als barbarische Quälerei, sondern als ein wirkungsvolles und heilsames Ritual, das eine tiefe Befreiung bewirken kann. Der Mann, der ihm davon berichtete, war so erfüllt von diesem Freiheitsgefühl, dass er bereits damals sagte, dass er auf jeden Fall noch weitere Male an dem Sonnentanz teilnehmen wolle. Doch die Begegnung selbst war noch nicht einmal das größte Mysterium, denn Heiko hatte in seinem Leben schon viele außergewöhnliche Menschen getroffen. Und doch war es genau diese Begegnung, die ihm spontan in den Sinn kam, als wir uns damals über indianische Namen unterhielten. Es hätte tausende von Möglichkeiten gegeben, die auf ihre Art nicht weniger passend waren. Ich hätte den Namen von Tieren, Pflanzen oder gar Steinen bekommen können, die meine Stärken, Schwächen oder Eigenschaften widerspiegelten, doch der Name, der Gewählt wurde lautete „Sonnentänzer“. Und nun tat sich plötzlich ein Weg vor mir auf, der mich genau dorthin führen sollte. Als Heiko mir das damals erzählte, lief mir sofort ein kalter Schauer über den Rücken und ich hoffte inständig, dass ich ein solches Ritual niemals machen müsste. Dennoch blieb es von da an immer in meinem Geist präsent und als das Thema mit dem Wutaufbau aufkam, war mir sofort klar, dass dies dazugehören würde. Es war kein Schritt, der jetzt sofort kam, aber wenn wir Nordamerika bereisten und dort einen Indianerstamm trafen, der dieses Ritual noch zelebrierte, dann war ich mit dabei. Ich weiß zwar jetzt schon, dass ich heulen werde wie ein Schlosshund und allein bei dem Gedanken daran, mache ich mich bereits jetzt in die Hose, aber ich spüre deutlich, dass es zu mir gehört und dass es wichtig für mich ist. Ich brauche dieses Extrem, um wirklich anzuerkennen, dass ich nicht mein Körper bin, dass ich nicht dieser Mensch bin, sondern ein Teil des Gottbewusstseins und das alles nur ein Traum und eine Illusion ist.

Ein Ritual muss tief verstanden und gespürt werden.

Ein Ritual muss tief verstanden und gespürt werden.

Bereits beim ersten Mal Hören hatte ich schon einen gewaltigen Respekt vor diesem Ritual, doch da ich noch keine konkrete Vorstellung davon hatte, um was es eigentlich ging, hielt sich meine Angst noch in Grenzen. Erst viele Tage später nahm ich mir die Zeit, um mich wirklich darüber zu informieren, was ein Sonnentanz ist. Es geht nicht einfach nur darum, ein bisschen um einen Baum zu tanzen und sich dabei irgendwelche Haken durch die Haut zu stechen. Aus Sicht eines Zivilisationsmenschen wie mir ist es das wahrscheinlich intensivste und heftigste Ritual der nordamerikanischen Indianerstämme das es gibt. Die meisten Indianer sehen das wahrscheinlich ein bisschen anders, denn im Grunde ist es nur ein Ritus, um die Sonne zu begrüßen und zu ehren, nachdem die kalte Winterzeit vorbei ist. Es ist ein Initiationsritus für Jugendliche, durch den sie als Jäger oder auch als Heiler anerkannt werden. Und es ist vor allem deshalb ein Ritual, an dem auf diese Weise nur Männer teilnehmen, weil sie sich selbst hierdurch eine Schmerzerfahrung erschaffen wollen, die der der Frauen durch ihre Periode und das Gebären ebenbürtig ist. Eine Idee dahinter ist es also, sich durch den Schmerz des Sonnentanzes in die Frauen einfühlen zu können, um zu verstehen, wie sie sich bei einer Geburt fühlen. Ich muss allerdings sagen, dass es auf mich schon sehr heftig wirkt und ich seit ich davon erfahren habe, dass dieses Ritual einen festen Platz in meinem Leben hat, deutlich stärker am Rummuschen bin, als jede Frau die sich auf eine Geburt vorbereitet. Der Sonnentanz wird bereits seit mehr als 1000 Jahren in fast allen nordamerikanischen Indianerstämmen praktiziert und ist wie erwähnt eine der sieben Traditionen, die die Lakota damals von der weißen Büffelkalbsfrau bekommen haben. Obwohl die weißen Siedler immer wieder versucht haben, ihn abzuschaffen oder zu verbieten, gaben die Indianer ihn nie auf und praktizieren ihn auch heute noch. Um ihn zu bewahren mussten die Lakota und andere Stämme viele Risiken und Kompromisse eingehen. Es gab Zeiten, in denen man eingesperrt oder getötet werden konnte, wenn man als Indianer seine heiligen Rituale praktizierte. Später, als wie wieder erlaubt wurden, stellte die US-Regierung die Bedingung auf, dass Sonnentänze nur noch öffentlich abgehalten werden durften. Das heiligste Ritual der Indianer wurde nun also zu einer Touristenattraktion für Schaulustige, die für 25Cent Eintritt zusehen durften, um sich über die geisteskranken Wilden lustig zu machen, die sich aus voller Absicht selbst verletzten. Noch später schlug die Abscheu der weißen Siedler dann in eine Faszination um und wurde nun bei Adrenalinjunkies zu einem beliebten Sport, wobei diese natürlich nichts von den Hintergründen und der Heiligkeit verstanden, die dem Ritual innewohnte. Darum begannen die Indianerhäuptlinge schließlich, den Sonnentanz allen Nichtindianern zu verbieten. Er ist wie gesagt ein Ritual bei dem ein Junge zum Krieger oder Medizinmann wird. Dabei gehen die Tänzer jedoch nicht nur symbolisch durch den Tod, in dem sie sich ein paar Haare ausreißen oder ein feierliches Gelübde ablegen, bei dem sie einen neuen Namen bekommen. Der Tod ist ein realer Bestandteil des Rituals, nicht in dem Sinne, dass die Tänzer wirklich sterben, aber im Sinne davon, dass sie einen todesähnlichen Zustand erreichen, in dem sie ins Void also ins Allbewusstsein der bedingungslosen Liebe eintauchen und dabei ihren Verstandesgegner vollständig brechen können. Auch hier wird mir bewusst, dass ich tief in mir schon immer gespürt habe, dass ich eines Tages einen solchen Nahtod brauchen werde, um wirklich in meine Kraft zu kommen. Doch ich hatte nie geglaubt, dass es gleich so heftig werden würde. Auf der anderen Seite ist mir schon auch bewusst, dass mein Verstand so hart ist, dass er mich immer wieder selbst austrickst und da ich mich schon immer habe austricksen lassen, ist es klar, dass irgendwann einmal ein Paukenschlag kommen muss, wenn ich mich jemals befreien will. Es ist wie mit der Kindererziehung. Ich habe meinem Verstandesgegner niemals Einhalt geboten, sondern ihn mir immer auf der Nase herumtanzen lassen. Nach dreißig Jahren nun zu sagen: “Bitte lieber Verstandesgegner, könntest du von nun an leise sein und die Kontrolle über mein Leben abgeben, damit nun nur noch mein Herz und mein Gottbewusstsein das Ruder übernehmen können?” wird wahrscheinlich nicht viel bringen. Oder besser: Es bringt ganz sicher nichts, denn auf diese Weise habe ich es ja schon oft genug versucht.

Doch was genau ist nun so ein Sonnentanz?

Die angehenden Krieger oder Heiler, die an einem Sonnentanz teilnehmen, durchstechen sich die Haut entweder an zwei oder drei stellen mit großen Pflöcken oder Haken, oder an vielen Stellen mit kleineren. Diese Durchstechungen nennt man Piercings und wenn ich das nicht falsch verstanden habe, dann kommen auch unsere modernen Piercings ursprünglich aus dieser Tradition. Vielleicht habe ich deshalb seit jeher so eine immense Ablehnung gegen diese Art des Körperschmucks. Schon als Kind kamen in mir immer wieder unwillkürlich Bilder hoch, wenn ich einen Ring oder etwas anderes gesehen habe, das irgendwie zur Zierde in der Haut steckt. Die Bilder bestanden immer daraus, dass die Ringe auf irgendeine Weise aus der Haut gerissen werden und jedes Mal lief mir dabei ein kalter Schauer über den Rücken, weil ich mir sofort den immensen Schmerz vorstellte, den das verursachen musste. Nie hätte ich aber gedacht, dass dies einmal eine Rolle in meinem Leben spielen könnte und dass es bei mir ganz bewusst darum ging, die Piercings aus der Haut zu reißen. Doch das Herausreißen ist nur der Höhepunkt des Sonnentanzes. Bis dahin ist es zunächst noch ein langer und nicht weniger heftiger Weg. Als Erstes werden die Piercings gestochen. Traditionell werden hierfür entweder Holzpflöcke oder Bärenkrallen verwendet. Dann werden diese Piercings mit langen Schnüren an einem Baum befestigt, um den die Tänzer dann herumtanzen. Das Ritual wird grundsätzlich im Sommer zur größtmöglichen Hitzezeit veranstaltet und die Tänzer tanzen insgesamt vier Tage ohne Schatten, Wasser oder Nahrung, bis sie so sehr in Trance sind, dass sich ihr Verstandesgegner vollkommen auflöst und die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen. Über den genauen Ablauf konnte ich noch nicht viel herausfinden, nur dass in einzelnen Runden getanzt wird und es dazwischen immer wieder Pausen gibt. In diesen Pausen werden verschiedene Heilungsrituale durchgeführt, bei denen auch die Zuschauer Heilung erfahren können. Am Ende der vier Tage reißen sich die Tänzer ihre Piercings auf unterschiedliche Weise aus der Haut, je nachdem in welcher Tradition der Tanz abgehalten wird. Einige lassen sich dabei mit voller Kraft in die Schnüre fallen, so dass es einen ordentlichen Ruck gibt, der die Haut aufreißt und die Krallen und Pflöcke ins Freie befördert. Andere Hängen sich an den Schnüren am Baum auf, bis ihre Haut nachgibt, reißt und sie zu Boden fallen. Wieder andere ziehen am Ende einen Büffelschädel an den Schnüren durch den Präriesand, bis die Piercings ausreißen und in einer vierten Variante werden sie durch Pferde herausgerissen. Doch auch damit ist die Zeremonie noch nicht vorbei. Wer einmal an einem Sonnentanz teilnimmt, gibt damit das Versprechen ab, mindestens vier Sonnentänze in seinem Leben zu tanzen. Als ich das las, verzerrte sich mein Gesicht zu einer einzigen Angstfratze. Wie sollte ich das nur überstehen, wenn ich bereits bei einem Kratzer von einem Dornenbusch zu flennen beginne? Sofort kam in mir das Gefühl auf, das nicht durchstehen zu können und dabei einfach kaputt zu gehen. Komischer Weise mache ich mir dabei am meisten Sorgen um die zerrissene Haut. Sie wird ja wieder heilen und bis auf ein paar Narben wird am Ende nichts übbrig bleiben und doch habe ich eine Höllensangst vor diesen offenen Wunden. Ok, und vor der Tatsache, dass ich vier Tage lang Krallen und Holzpflöcke in der Haut stecken habe, an denen ständig gezogen wird und dass ich ohne einen Schluck Wasser und ohne einen Bissen Nahrung in der prallen Sonne im Kreis tanzen soll, habe ich mindestens genauso viel Angst. Wenn ich das wirklich durchstehen will, dann muss ich mich noch wirklich ernsthaft darauf vorbereiten.

Doch für den Abbau meines Selbsthasses und den Weg aus meiner Verplantheit und Unaufmerksamkeit konnte der Sonnentanz nicht alles sein. Irgendwann, wenn es an der Zeit war, würde es auf mich zukommen, doch bis dahin musste es auch Alltagsroutinen geben, durch die wir die Wut Stück für Stück abbauen konnten und durch die wir auch die Scham für unser Opfersein und Tätersein verloren. Auch dabei kamen wir wieder auf einen Schluss, den wir bereits vor langer Zeit schon einmal gefunden hatten. In Neumarkt gab es eine Phase, in der ich meine Angst verlieren wollte, Frauen anzusprechen. Um das zu bewerkstelligen machten wir damals ein Spiel daraus. Damals waren wir zu dritt, denn neben Heiko und mir lebte noch unser Praktikant bei uns, der für solche Aktionen ohnehin wie geschaffen war. Ich bekam ein Zeitfenster von fünf Minuten und wenn ich es nicht geschafft hatte, in dieser Zeit eine Frau anzusprechen, dann bekam ich von beiden meiner Freunde einen kräftigen Schlag auf die Schulter. Die erste Viertelstunde war meine Angst vor dem Versagen noch größer als die vor dem Schmerz. Dann tat meine Schulter so sehr weh, dass ich es endlich schaffte, mich zu überwinden. Ein ähnliches Prinzip erschufen wir auch vor genau zwei Jahren in Spanien. Damals wie heute ging es darum, mein nerviges Verpeilt- und Unkonzentriertsein abzulegen. Wir führten daher ein, dass ich für jeden Fehler, den ich machte, für jedes Verschusseln, Vergessen oder Verdaddeln, sofort zehn Liegestütze machen musste. Beides, sowohl die Variante mit dem Schulterschlag als auch die mit den Liegestützen hatte gut funktioniert und war für eine gewisse Weile ein wichtiges Instrument geworden. Dann hatten wir es jedoch aus irgendeinem Grund wieder aufgegeben. Es hatte sich eingeschlichen, die Strafe immer weiter zu verdrängen und irgendwann wussten wir nicht einmal mehr, dass wir das System überhaupt einmal hatten. Das Problem dabei war, dass dieses System aus der damaligen Sicht nur mir etwas brachte, Heiko aber nicht. Die ersten Male war es belustigend für ihn und es machte ihm Spaß, mir beim Punpen zuzusehen. Doch was hatte er sonst noch davon? Nichts! Wir brauchten dieses Mal also ein System, bei dem wir regelmäßig im Alltag eine Sühne einführen konnten, bei der die gleiche Aktion sowohl meine als auch Heikos Wut abbaute und somit uns beiden etwas brachte. Wie dieses System bei Heiko und Heidi aussehen sollte, war relativ klar, denn als Partner hatten sie die volle Palette er sexuellen Spielrichtungen zur Auswahl. Aber das kam für uns natürlich nicht in Frage. Stattdessen kamen wir auf ein anderes Konzept, das darauf basierte, dass ich mich in der Regel wie ein parasitäres, energieraubendes Arschloch verhielt. Jedes Mal, wenn ich von nun an wieder in dieses Muster rutsche, bekomme ich daher von Heiko ein paar auf die Finger. Wie das genau aussehen wird müssen wir noch erproben. Also ob es wirklich ein Schlag auf die Hand ist, oder wieder einer auf die Schulter oder etwas in der Art. Das Konzept hat jedoch für uns beide – und später, wenn sie bei uns ist auch für Heidi – ganz entscheidende Vorteile, so dass wir alle davon profitieren. Heiko lernt auf diese Weise, jede Form des Energieraubes sofort zu erkennen und zu unterbinden. Wann immer wir zu Parasiten werden und er es merkt, gibt es ein paar hinter die Löffel und es wird sofort klar, dass wir so nicht weitermachen können. Gleichzeitig verhindert er so auch, dass er wie sonst zu lange wartet und dadurch Wut und Unzufriedenheit aufstaut, die dann in einer großen Explosion ans Licht müssen. Er kann also sowohl verhindern, dass sich neue Wut anstaut und kann gleichzeitig die alte Wut abbauen.

Mein Heilungsritual mit einem Branding.

Mein Heilungsritual mit einem Branding.

Gleichzeitig bekommt er als Leidensdruckaufbauender Part nun ein Gespür für die Rolle des Druckgebers. Er kann sich nun also in gewisser Weise in die Krankheiten und die Leidensverursacher einfühlen, die er selbst bekommen hat. Dadurch fällt es ihm nun leichter, den eigenen Leidensweg, den er durchlebt hat anzunehmen und zu ehren, da er nun zum einen erkennt, wie heilsam dieser Weg ist, und zum anderen sieht, dass es dem Schüler keinen Deut besser geht. Bislang kam immer wieder die Frage in ihm auf, warum er so viel Leid in Form der Krankheiten erfahren musste, obwohl er sich doch auf seinen Lebensweg begeben hatte, während es anderen augenscheinlich gut ging, obwohl sie permanent gegen ihr Herz und ihre Seele handelten. Auch wenn er stets wusste, dass dies Ebenfalls einen Sinn haben musste, kam doch immer wieder ein Gefühl von Ungerechtigkeit in ihm auf. Nun aber konnte er erkennen, dass jeder den gleichen Leidensweg gehen muss, um zur Erleuchtung zu gelangen und dass weder der des Standhalters noch der des Verbiegers besser oder schlechter ist. Es ist pari, denn auch wenn die Wege unterschiedlich aussehen, geht jeder auf seine Weise doch stets den gleichen Weg. Jeder kommt unbewusst auf die Welt und muss dann durch den Lernprozess ins Licht gehen, wobei zunächst ein Schmerzpotential auf- und später wieder abgebaut wird. Man kann sich diesen Schmerz selber schenken oder man bekommt ihn geschenkt. Doch egal für welche Variante man sich entscheidet, das Schmerzpotential selbst, das benötigt wird bleibt immer gleich. Warum? Ganz einfach. Alles ist eins, folglich gibt es auch nur ein Bewusstsein und einen Erwachensweg. Wir alle sind Facetten des gleichen Diamanten, Phantasien des gleichen Geistes und Zellen des gleichen Körpers. Was für einen gilt, gilt somit für alle. Wie im Innen so im Außen, wie im Kleinen so im Großen. Die Außenwelt ist stets nur ein Spiegel unseres eigenen Inneren. Folglich kann alles im Außen immer nur das widerspiegeln, was wir im Inneren tragen und somit entspricht jeder Erwachensweg in seiner Intensität immer unserem eigenen. Anders geht es nicht. Dies ist der Prozess, um in die Erleuchtung zu kommen. Wenn man erkennt, dass immer das gleiche Maß an Schmerz bzw. Leid zum Lebensweg dazu gehört, um zu erkennen, dass beides nicht real ist, ist es plötzlich egal, ob es durch einen selber kommt oder durch einen dritten. Dies macht es bedeutend leichter, es anzunehmen. Denn Leid entsteht nicht wirklich durch den Schmerz, den Verlust oder die unangenehme Situation, sondern viel mehr durch unsere Weigerung, die Dinge so anzunehmen wie sie sind. Ein Mensch, der den Schmerz annehmen und als Schritt zum Erwachen ansehen kann, leidet unter einem herben Verlust oder einer starken körperlichen Verletzung weniger, als ein anderer unter einem eingerissenen Fingernagel, den er nicht als Sinnvoll und Zielführend ansehen kann.

Gleichzeitig führt das Bewusste achten auf den Energieraub und damit auch auf den eigenen Energiehaushalt dazu, dass man sich selbst auf diese Weise immer feiner kalibriert und sensibilisiert, um sofort jede negative Schwingung oder Handlung zu erkennen. Und genau hierin liegt auch der erste Vorteil für uns. Das energieraubende Arschlochverhalten ist ja keine aktiv gewählte Handlung. Wir beschließen nicht, dass wir unproduktiv, tollpatschig abwertend oder energieraubend sein wollen, sondern tun dies automatisch aufgrund von eingeschliffenen Mustern. Oft merken wir es überhaupt nicht oder wenn, dann erst lange Zeit später, wenn wir schon nichts mehr daran ändern können. Durch das direkt fühlbare Feedback wird dieser Automatismus unterbrochen und wir bekommen die Gelegenheit, uns ganz bewusst zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Die alt eingeschliffenen Muster kommen also aus dem Unbewussten ins Bewusste und können nun direkt erkannt und damit auch verändert werden. Es ist wie bei Kindern, die über eine sehr lange Zeit keine Erziehung bekommen haben und dadurch immer mehr außer Rand und Band geraten sind. Ihre Verhaltensmuster durch die sie sich selbst und anderen schaden, haben sich dadurch so sehr eingeschliffen, dass sie sie nicht mehr ohne weiteres stoppen können. Es ist, als hätte sich in ihrem Gehirn eine Verbindungsstraße gebildet, die dieses Verhalten produziert. Je länger es ungestört laufen kann, desto mehr verbreitert sich die Straße, bis sie schließlich zu einer sechsspurigen Autobahn wird. Selbst wenn die Kinder nun erkennen, dass ihr Verhalten schädlich ist, können Sie die Autobahn nun nicht mehr einfach verlassen und in den Trampelpfad einbiegen, der zu ihrem Herzensweg führt. Selbst wenn sie es wollen, sitzen die alten Muster nun so tief, dass sie automatisch an dem Pfad vorbeirauschen, noch ehe sie ihn überhaupt richtig bemerken. Um die Möglichkeit zu bekommen, den kleinen Pfad wieder einzuschlagen brauchen sie etwas, das sie mit voller Wucht ausbremst. Dies geht nicht mehr mit einem sanften Bitte Bitte. Sie brauchen die direkte Sanktion um zu merken, was sie gerade tun. Nur wenn man eine dicke Steinmauer mitten auf die Autobahn im Kopf baut, in die sie ungebremst einschlagen, können sie noch stoppen und erkennen, was der wahre Weg ist. Und nicht anders ist es bei uns. Die alten Muster haben sich über dreißig Jahre hinweg eingeschliffen und sollen nun wieder aus unserem Verhaltensreportoir aussortiert werden. Das klappt nicht mit einer Nagelschere. Sie sind so tief und fest verwurzelt, dass man eine Axt benötigt, um sie aus dem Boden zu schlagen. Und dies ist zwangsläufig mit Schmerz verbunden.

So sehr mir die Aussicht auf regelmäßige Sanktionen auch Angst macht, spürte ich doch deutlich, dass dies genau die Unterstützung auf meinem Lernweg ist, nach der ich schon so lange und verzweifelt gesucht habe. Gleichzeitig erhalten wir so auch einen direkten kognitiven Zusammenhang zwischen dem Aussaugen und Schädigen eines anderen und unserem eigenen Leid. Denn durch die Spiegelgesetze kann man niemand anderem schaden, ohne dabei auch sich selbst zu schaden. Jedes Mal, wenn ich über die persönliche Grenze eines anderen trete, wenn ich ihn energetisch aussauge, ihn abwerte oder ihn von oben herab betrachte, trete ich automatisch über meine eigene Grenze, sauge mich energetisch aus, werte mich ab und betrachte mich selbt von oben herab. Normalerweise geschieht dies, ohne dass ich es merke, doch durch das Schmerzfeedback wird es mir nun direkt bewusst. Und schließlich führt diese Form des Schmerzhaften Feedbacks automatisch auch dazu, dass wir uns an den Schmerz gewöhnen und somit die Angst vor ihm verlieren. Zurzeit verbinde ich mit Schlägen noch immer die Angst, nicht geliebt zu werden und daher sterben zu müssen. Wird dies jedoch zu einer kontrollierten Routine, wird mehr und mehr klar, dass Schmerz ganz im Allgemeinen nur ein liebevoll gemeinter Wegweiser ist, der mir hilft, auf meinem Weg zur Erleuchtung und zum Erwachen zu bleiben. Der erste Schritt dabei ist, dass ich zunächst einmal mein Arschlochverhalten und mein Parasitentum verliere, so dass ich überhaupt erst einmal zu einem selbstverantwortlichen und eigenständigen Wesen werden kann, das in der Lage ist, Lernfortschritte zu machen. Mit der Zeit wird mir dann mehr und mehr bewusst, dass ich den Schmerz nicht zu fürchten brauche, sondern kann ihn mit Freude annehmen. Damit diese Form der Schmerztherapie aber wirklich heilsam ist und nicht in einer unkontrollierten Selbstzerstörung oder Körperverletzung endet, durch die letztlich wieder lauter neue Schäden entstehen, gibt es einige Punkte, die man dabei beachten muss. Vor allem dem “Choleriker” also dem ausführenden Part fällt dabei eine große Verantwortung zu, mit der er umgehen können muss. Seine Aufgabe ist es, dem anderen, so viel Schmerz zuzufügen, dass dieser lernen und heilen kann, dabei aber nicht verletzt wird und keine Schäden davonträgt. Erwischt er falsche Körperbereiche oder lässt er sich von seiner Wut so sehr leiten, dass er die Kontrolle verliert und über das Maß hinaus schlägt, kann er den anderen verletzen und schädigen. Ist er hingegen zu sanft oder nimmt sich aus Mitleid zu sehr zurück, wird die ganze Übung sinn- und wirkungslos, weil es weder zu einem Lernerfolg, noch zu einem Wutabbau oder zu einer Heilung führt. Auch wenn es im ersten Moment seltsam klingt, ist diese Variante für das Opfer bzw. den Verbieger die weitaus größere Gefahr. Denn nun, da er den Schmerz als Lernmentor einmal angenommen hat, wird er ihn auch erhalten. Lässt er sich durch den bewusst gewählten Sanktionator also zu wenig bestrafen, schummelt er oder flieht er vor dem Schmerz, bekommt er ihn auf eine andere Weise, die er sich nicht aussuchen kann. Nun greift die Schöpfung wieder direkt ein und potenziert die Sanktion um ein vielfaches, so dass dem Verbieger klar werden muss, dass sie sich nicht verarschen lässt. Auf diese Weise kommen nun vielleicht Vergewaltiger, Gewalttäter, Unfälle, Krankheiten oder Schicksalsschläge in das Leben des Verbiegers, die ihn tausend mal härter treffen, als es die selbstgewählte Sanktion durch den Mentor getan hätte. Auch wenn es ein spielerischer Umgang mit der Wut und den daraus entstandenen Handlungen ist, ist es doch kein Spiel. Um einen Heilerfolg zu erzielen, muss es ernst genommen werden und dafür ist es wichtig, dass der Schmerzempfangende so viel Schmerz spürt, dass er ihn als Konsequenz ernst nimmt und daher genügend Leidensdruck erhält, um seinen alten Autopiloten-Modus der eingefahrenen Verhaltensmuster zu verlassen. Die Rolle des Ausführenden kommt einem am Anfang oft leichter vor, da er ja keinen Schmerz ertragen sondern nur zufügen muss. Doch es erfordert nicht nur ein immenses Einfühlungsvermögen, sowie wesentliche anatomische Grundkenntnisse, sondern auch die höchste Form der bedingungslosen Liebe, jenen Menschen Schmerz zuzufügen, die einem besonders nahe stehen, weil man sie damit auf ihrem Erwachensweg unterstützt. Jeder Schlag könnte bedeuten, dass der Geschlagene einem die Ausführung krumm nimmt und deswegen vielleicht sogar die Beziehung beendet. Nur wenn man so bedingungslos lieben kann, dass einem dies egal ist, weil einem der Lernerfolg des anderen mehr bedeutet, als die Beziehung an sich, kann man zu einem wirklich hilfreichen Schmerztherapeuten werden. Auf der anderen Seite erfordert das Zulassen der Schmerzzufügung ein extrem starkes Vertrauen in den Ausführenden. Denn man liefert sich in diesem Moment vollkommen seiner Obhut aus und lässt es zu, dass man Schmerzen bekommt, ohne sich dabei jedoch vor einer Verletzung zu fürchten. Nur wenn man A vollkommenes Vertrauen in seinen Wut-Abbau-Partner hat und B zu 100% bei sich ist, also genau weiß, dass der Schmerz nicht aufgrund des anderen sondern als Konsequenz der eigenen Handlungen entsteht, kann man die Schmerztherapie als ein Heilmittel annehmen. Sobald man innerlich das Gefühl hat, im Moment der Schmerzzufügung ein Opfer zu sein, das von einem anderen misshandelt wird, führt die Therapie dazu, dass neue Wut und neue Schuldzuweisungen aufgebaut werden, so dass kein Heilerfolg mehr stattfindet. Den größten Erfolg hat diese Methode zum Wutabau dann, wenn beide Partner erkennen, dass alles eins ist und dass sie somit auch nur mit sich selbst arbeiten. Der Choleriker baut seine Wut nach außen ab, weil er als Kind die Erfahrung gemacht hat, dass er von anderen aufgund seines Seins verprügelt wurde. Doch weder damals noch heute gab oder gibt es andere. Alles ist eins. Als Kind hat er sich also selbst für sein Sein verprügelt, wobei er die prügelnden Hände ins offensichtliche “Außen” gelegt hat. Heute kann er seine Wut nun dadurch abbauen, dass er einem anderen Schmerzen zufügt, wobei dieser andere ebenfalls nur ein ausgelagerter Teil von ihm selbst ist. So wie er als Kind also von sich selbst geschlagen wurde, kann er nun als Ausgleich sich selbst schlagen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Der Verbieger hat als Kind seine eigene Seele zerstört, um anderen zu gefallen. Auch diese anderen war er selbst und somit bekommt er nun als Ausgleich einen körperlichen Schmerz von sich selbst, gewissermaßen um seine Seele zu rächen. Der Schmerzzufügende, ist also aus dieser Perspektive nichts anderes als ein Stellvertreter des eigenen, inneren Kindes, das sagt: “Wenn du auf diese Weise gegen dich handelst, dann fühlt sich das für mich so schmerzhaft an. Willst du das oder willst du stattdessen lieber lernen, du selbst zu sein und nach deinem Herzen zu leben?

Wann handeln wir nach unsrem Herzen Wann lassen wir uns verbiegen

Wann handeln wir nach unsrem Herzen Wann lassen wir uns verbiegen

Auf der praktischen Ebene muss man beim Zufügen von Schmerzen zwischen verschiedenen Arten von Körperstellen unterscheiden. So gibt es Bereiche, die sehr empfindlich und verletzlich sind, da hier Venen, Nervenbahnen, Sehnen oder Lymphbahnen verlaufen, da sich hier Gelenke oder Kapseln befinden oder da empfindliche Organe darunter liegen. Hierzu zählen unter anderem der Hals und Nackenbereich, das Gesicht, der Kopf (er ist zwar stabil aber Schläge in diesem Bereich schädigen das Gehirn und das ist nicht besonders heilsam), die Oberseite der Finger sowie die Knie. Ein relativ leichter Schlag auf den Kehlkopf beispielsweise reicht aus, um jemanden zu töten. Derartige Punkte werden weder beim Spanking, also im SM noch bei der Schmerztherapie zum Wutabbau verwendet. Denn in beiden Fällen soll ja niemand verletzt werden, sondern nur gezielten Schmerz spüren, der Heilung und/oder Lust erzeugt. Andere Zonen unseres Körpers sind hingegen relativ unempfindlich, sowohl was das Schmerzempfinden als auch was die Verletzbarkeit angelangt. Wieder andere hingegen sind sehr schmerzsensibel, ohne dass es dabei aber zu einer Verletzung kommt. Es sind in der Regel die Zonen, in denen sich auf energetischer Ebene Altlasten und unverdaute Gefühle angesammelt haben. Hier verbirgt sich in gewisser Weise ein seelischer oder emotionaler Schmerz, der nicht gefühlt und daher auch nicht verarbeitet wurde und der nun durch den Schmerz fühlbar und damit auflösbar gemacht werden kann. Altlasten aus vergangenen Beziehungen sammeln sich vor allem im Brustbereich an den beiden Punkten, die sich jeweils unter den Schlüsselbeinen befinden. Wer also wie ich, viele offene Themen mit allen möglichen Beziehungspartnern hat, seien es nun Freunde, Eltern, Liebespartner, Geschwister, Klassenkameraden oder was auch immer, der wird äußerst sensibel darauf reagieren, wenn ihm hier in die Haut gekniffen wird. So kam bei mir sofort ein brennender Schmerz auf, als Heiko ein Stück Haut mit den Fingern packte, anzog, drehte und wieder zurückschnellen ließ. Innerhalb von Sekunden entstanden hier nun Blutergüsse. Das gleiche geschah an der Rückseite meiner Oberarme. Hier war der Schmerz sogar noch weitaus stärker und es brannte auch noch lange Zeit später. Um ehrlich zu sein, brennt es auch jetzt noch. Andere empfindliche Stellen, reagierten vor allem auf schnelle Schläge mit der flachen Hand, also aufs Abklatschen. Hier könnte man, wenn man nicht ohnehin schon so sensibel reagiert wie ich, auch ein Lineal oder etwas Vergleichbares zur Hilfe nehmen, um der ausführenden Person die Arbeit etwas zu erleichtern und um deren Hände zu schützen. Denn die Sanktion soll ja den Verbieger treffen und nicht den Standhalter. Als wir mit verschiedenen Schmerzpunkten und Techniken herumexperimentierten, wurden mir mehrere Dinge bewusst. Zum Einen ist meine Angst vor dem Schmerz noch weitaus größer als ich dachte und sie steigert sich mit jeder neuen Schmerzerfahrung. Beim ersten Mal kann ich mühelos standhalten und zucke kaum zusammen. Beim zweiten Mal wird es bereits deutlich schwieriger und beim dritten Mal bin ich bereits so ängstlich, dass ich mich zusammenkauern will wie ein Igel. Dabei wurde mir noch einmal bewusst, dass wirklich sehr stark die Angst vor dem Tod hinter der Angst vor dem Schmerz stand. Klar tat es weh und war unangenehm, doch schlimmer war, dass in mir automatisch der Gedanke aufkam, dass ich dabei kaputt gehen würde. Wenn etwas weh tut, dann zerstört es automatisch meinen Körper und ich muss sterben. Diese Angst stieg mit jedem neuen Schmerzempfinden an und machte dadurch den Schmerz selbst auch immer unerträglicher. Spannend ist, dass ich mit zunehmender Angst auch immer unkontrollierter und unaufmerksamer wurde, und damit immer weniger auf die Angriffe reagieren konnte. Ich war nur noch dabei, mich tot zu stellen und gab so ein immer besseres Opfer ab. Wieder einmal wurde klar, dass auch die Wutzyklen nichts anderes sind, als Jagd. Es gibt die Jäger und die Gejagten, also diejenigen, die angreifen und diejenigen, die angegriffen werden. Um überhaupt ins Leben kommen zu können, muss man zunächst einmal erkennen, zu welcher Gruppe man selbst gehört. Wenn man ein Reh ist, und permanent versucht, einen auf gefährliches Raubtier zu machen, kann das genauso wenig gut gehen, als wenn man ein Löwe ist und so eine Angst vor dem Jagen hat, dass man am liebsten mit jeder Gazelle nur knuddeln würde. Es ist wie in der Kampfkunst und in der Sexualität. Die einen leben davon, dass sie angreifen, bzw. ihren Sexualpartner erjagen wollen, die anderen davon, dass sie ausweichen und sich verteidigen, bzw. dass sie von ihrem Partner erjagt werden wollen. Beide Rollen sind zwar komplett konträr und gegenläufig, aber auch komplett gleichwertig. So wie in der Natur ein Beutegreifer nicht besser oder schlechter ist als ein Fluchttier, ist auch bei uns Menschen der Gejagte nicht besser oder schlechter als der Jäger. Man kann aber sehr wohl gut in seiner Rolle sein, oder eben auch nicht. Angst führt in beiden Fällen dazu, dass man seine Rolle nicht richtig annehmen kann und daher Leid auf sich zieht. Ein Jäger, der Angst davor hat, zuzupacken, kann keinen Jagderfolg erzielen und somit auch nie wirklich ins Leben kommen. Ein Gejagter, der Angst vor dem Schmerz und den Tod hat, kann sich dem Jäger nicht stellen und somit ebenfalls nie ins leben kommen. Die Angst, wie wir sie kennen und nahezu permanent in uns tragen, gibt es in der Natur nicht. Ein Krokodil hat keine Angst davor, ein Gnu zu fassen und mit der Todesrolle unter Wasser zu ziehen. Er geht nicht vorsichtig und ängstlich an die Sache heran, weil er fürchtet, sich dabei selbst verletzen zu können oder weil er Gewissensbisse hat, da er nun ein Gnu töten wird. Ebenso wenig hat aber das Gnu Angst davor, an die Wasserstelle zu treten, obwohl es weiß, dass dort Krokodile lauern. Wenn es von einem angegriffen wird, dann verteidigt es sich mit aller Kraft, springt hoch, tritt um sich zieht sich zurück oder springt vielleicht sogar ins Wasser um dem Angreifer mit einer Flucht nach vorne zu entkommen. Beide, Gnu und Krokodil befinden sich vollkommen in ihrem Gottbewusstsein, wissen, dass das Leben eine Illusion ist und haben daher keine Angst vor dem Tod. Nur so können sie in diesem Spiel zwischen Jäger und Beute bis zum Ende alles geben. Wir Menschen haben jedoch meist sowohl als Angreifer als auch als Beute Angst vor dem was geschieht oder geschehen wird und preschen daher nie mit all unserer Kraft aber auch mit unserer gesamten Konzentration, Aufmerksamkeit und Raffinesse vor. In meinem Fall hatte ich sogar bei diesen kleinen Klapsen schon so große Angst, dass ich mich wie ein Igel zusammen rollte. Anders als einem Igel brachte mir diese Strategie aber nicht das geringste, da ich ja keine Stacheln hatte. Wie aber hätte ich auch in der Lage sein sollen, anders zu reagieren? Ich hatte mich als kleines Kind mit vier oder fünf Jahren dazu entschlossen, ein Angsthase und Duckmäuser zu werden und hatte dies bisher mit einer beinharten Konsequenz durchgezogen. Meine „Verteidigungsstrategie“ war immer die selbe. Ich erstarrte zur Salzsäule, schaltete jedes Gefühl und jede Empfindung aus und wartete ab, bis die Situation vorüber war. Dass ich mit dieser Strategie so lange überleben konnte lag nur daran, dass ich in einem Umfeld aufwuchs, in dem es so gut wie keine Gefahren gab. In der Natur wäre ich damit gleich am ersten Tag draufgegangen. Bei mir hingegen bestanden die Gefahren nicht aus Wesen, die mir nach dem Leben trachteten, sondern lediglich aus Sticheleien, die mir meine Schulzeit zur Hölle machten. Hätte ich mich einmal gewehrt und eine klare Grenze gezogen, hätte ich das Mobbing in dieser Form beenden können. Doch ich ließ alles wie ein betäubtes Drogenopfer über mich ergehen und machte mich damit selbst zur lebenden Piniata. Die selbe Strategie war es auch, durch die Frauen in eine Vergewaltigung geraten und diese über sich ergehen lassen. Eine Frau, die aktiv, bewusst und frei von Angst ist, kann nicht vergewaltigt werden. Wenn der Scheidenmuskel verkrampft, ist er so stark, dass er einen Penis einklemmen kann, so dass man ihn nicht mehr frei bekommt, bis er sich wieder entspannt. Auf die gleiche Weise kann eine Frau theoretisch auch mit einer bewussten Verspannung dieses Muskels jedes Eindringen in sich verhindern. Um sie überhaupt vergewaltigen zu können, muss der Mann zudem seine empfindlichsten Körperteile preisgeben und macht sich damit extrem verwundbar. Ohne die Panik, die Todesangst und die Starre, durch die die Frau die Vergewaltitung über sich ergehen lässt, wäre es ihr also ein leichtes, den Mann zumindest soweit außer Gefecht zu setzen, dass sein Penis für die nächste Zeit unbrauchbar wird. Damit riskiert sie natürlich, dass sie nun auf andere Weise Schmerz zugefügt bekommt, da der Mann nun auch noch stocksauer sein wird. Die Gefahr, dadurch vielleicht sogar getötet zu werden ist also höher und genau dies ist der Grund für das erstarren. Wäre ihr der Tod jedoch egal, so wie dies bei der vom Krokodil angegriffenen Gazelle der Fall ist und würde sie sich mit all ihrer Aufmerksamkeit und Kraft verteidigen, könnte sie nicht vergewaltigt werden und hätte sogar eine reale Chance, den Vergewaltiger zu überrumpeln. Egal ob es nun also um Vergewaltigungen oder andere Formen von Angriffen ging, die Strategie einfach hinzuhalten und zu warten bis alles vorbei war, war in jedem Fall die, die am meisten Leid brachte. Selbst wenn man so aus der Situation selbst am glimpflichsten hervorgegangen ist, begleitet einen doch weiterhin die Selbstverurteilung darüber, dass man nicht einmal versucht hat, die eigene Haut zu schützen.

Doch genau dies war immer meine Strategie gewesen. So gut wie nie hatte ich mich irgendeiner Angst gestellt, sondern immer nur neue hinzugefügt. Dementsprechend hoch war also nun das Angstlevel und damit auch das Schmerzpotential, das in mir steckte. Es würde eine ganze Weile dauern, diese Angst nun durch die Schmerztherapie wieder abzubauen, doch zum ersten Mal in meinem Leben, sah ich den Anfang eines Weges, der mich wirklich weiterbringen konnte. Spannenderweise stellte sich auch heraus, dass die Schläge und Kniffe nicht nur auf der geistig-emotionalen Ebene heilsam waren, weil sie die Wut abbauten, sondern auch auf der Körperlichen. Seit wir auf die Reise aufgebrochen waren, hatte ich gemerkt, dass meine Durchblutung immer schlechter wurde, dass ich immer mehr Wasser im Körper einlagerte und das teilweise sogar meine Finger und meine Zehen taub wurden, weil sie nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt wurden. Die obersten Hautschichten an Zehen und Fingern waren bereits so schlecht durchblutet, dass sie bei längerem Kontakt mit Wasser aussahen wie bei einer Wasserleiche. Sie quollen auf und lösten sich teilweise sogar ab, so als wären diese Hautschichten bereits vollkommen abgestorben. Bereits bei den ersten Klatschern auf meine Oberschenkel, meinen unteren Rücken und meine Arme zeigte sich, dass die Hautstellen nicht nur sofort heiß und rot wurden, sondern auch teilweise bis auf einen Zentimeter anschwollen. Mein Körper bekam also sofort den Impuls, dass an diese Stelle nun das Leben zurückgekehrt war und dass sie daher mit Blut und Sauerstoff versorgt werden mussten. Gleichzeitig konzentrierten sich hier auch die Wassereinlagerungen, die die Schwellungen verursachten. Das eingelagerte Wasser trat also aus den tieferliegenden und damit unbemerkten Lagerschichten gewissermaßen an die Oberfläche, wurde fühlbar und damit von meinem Körper auch leichter abbaubar. In dem Maße, in dem die Schmerztherapie also meine Wut auf mich selbst abbaut, heilt sie auch meinen Körper von den Wassereinlagerungen und Durchblutungsstörungen. Besser geht es ja eigentlich gar nicht. Wie aber sollten diese Sanktionsregeln nun ganz genau aussehen? Denn um sie umsetzen und in unseren Alltag integrieren zu können, brauchten wir ein konkretes und klares Konzept, an das wir uns halten können. Andernfalls würde die ganze Sache wieder einmal im Sand verlaufen. Der Alltag würde sich darüber hinweg einschleifen und am Ende wären wir dann wieder genauso weit wie zuvor.

So nutzten wir also die nächsten Tage um einen immer genaueren Kodex auszuarbeiten, zum einen für den Umgang mit Wut und Sanktionen, zum anderen aber auch für unser Leben an sich, so dass wir unseren Heilungs- und Schaffensprozess immer kontinuierlicher im Fokus halten können.

Hier geht es weiter zu unserem Herdenkodex.

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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