Tag 1322: Die Schere zwischen arm und reich

von Heiko Gärtner
20.01.2018 05:59 Uhr

Fortsetzung von Tag 1321:

Die zweite Adresse war die presperitanische Kirche, mit der wir bislang ja recht gute Erfahrungen gemacht hatten. In diesem Fall war es jedoch anders. Der junge und höfliche Pfarrer war nicht bereit, über den Kopf seines Rates hinweg zu entscheiden und auch nicht gewillt, diesen um Erlaubnis zu fragen. Das einzige was er für uns tun könnte, wäre die Nummern der katholischen Kollegen aus dem Internet zu suchen. Und dies war dann sogar tatsächlich hilfreich, denn Pater John zögerte keine Sekunde um uns einzuladen. Einziger Haken. Er wohne nicht hier im Ort, sondern in der Stadt, fünf Kilometer Luftlinie entfernt. Außerdem war er gerade unterwegs und kam erst in zwei Stunden wieder nach hause. Dann aber würde er uns mit Freude und gutem Essen empfangen.

Krämerladen in Nordirland.jpg

Krämerladen in Nordirland

Da wir den direkten Weg entlang der Hauptstraße ohnehin nicht laufen konnten, trafen wir pünktlich zwei Stunden später bei ihm ein. Wieder waren wir Nass bis auf die Haut, denn in den zwei vergangenen Stunden waren wir ein drei heftige Schauer und ein Gewitter geraten. Wenn man das bedachte waren die Absagen zuvor gleich noch heftiger. Denn anders als wir wussten die Einheimischen hier ja, wie sich das Wetter verhielt. Jemanden unter diesen Umständen ohne mit der Wimper zu zucken in eine Gewitter rennen zu lassen, obwohl er mit der Bitte nach einer Schutzbehausung zu einem kommt, die man ohne Probleme und ohne jeden Aufwand zur Verfügung stellen könnte, ist schon ein starkes Stück.

Prunkvolle villa am See

Prunkvolle villa am See

Die Schere wischen arm und reich

Pater John kam uns bereits entgegen und begleitete uns das letzte Stück von der Kirche bis zu seinem Haus. Haus ist an dieser Stelle jedoch etwas untertrieben. Es war ein Anwesen, dass den englischen Adelshäusern um nichts nach stand. John lebte hier allein, hatte aber allein drei vier Schlafzimmer im ersten Stock, sowie eine eigene kleine Kapelle neben dem Wohnzimmer. Nicht, dass wir uns darüber beschweren würden. Es war ein großartiger Platz, abseits der Straße in dem es ruhig und gemütlich war und in dem jeder von uns sein eigenes Reich für sich hatte. Aber es zeigte noch einmal deutlich die Ambivalenz in diesem Land, wenn man bedachte, dass nur eine Straße weiter die Häuser der normalen Familien standen, die kaum die Größe eines normalen Caravans hatten und von Vater, Mutter und teilweise vier oder fünf Kindern bewohnt wurden. Abgesehen davon, dass die Rasenflächen in den Briefmarkengroßen Gärten aufs penibelste fein geschnitten waren, unterschieden sich diese Häuser kaum von den Baracken der Sinti und Roma, die wir in Bulgarien gesehen hatten.

Schlichte Steinhäuser mit Einfachverglasung an der Hauptstrasse

Schlichte Steinhäuser mit Einfachverglasung an der Hauptstrasse

Mit Pater John erlebten wir jedoch zum ersten Mal Wohlstand und Genuss in diesem Land. Bisher hatten wir das Gefühl gehabt, dass Irland das wohl ärmste Land der Welt ist, wenn man es nicht an Geld sondern am Gefühl der Menschen festmachte. Die Menschen selbst schienen sich einfach nichts wert zu sein und hatten daher auch das Gefühl, nichts teilen oder schenken zu können. Die Frau von gestern beispielsweise: Sie lebte mit ihrem Mann in einem Haus, das fast genauso edel und teuer war, wie das von Pater John. Allein die Küche musste bei rund 40.000 Euro gelegen haben. Und doch hatte ich ein schlechtes Gefühl, als ich sie nach Brot und Obst fragte, weil ich fürchtete, ihr damit etwas wegzunehmen. Für uns machte sie dann je ein Sandwich mit Hühnchen-Weintrauben-Salat, den sie eigens für uns herstellte. Sie selbst aß von diesem Salat jedoch nichts, sondern gönnte sich lediglich einen schlabbrigen Toast mit Cheddar-Käse vom Aldi darauf. Nicht einmal getoastet wurde er zuvor, obwohl der Toaster direkt vor ihr stand.

Das Pfarrhaus ist nicht zu übersehen.

Das Pfarrhaus ist nicht zu übersehen.

Reicher Empfang

John war da etwas anders drauf. Er war gerade von einem Italienurlaub zurückgekehrt und noch immer voll im Italienfieber. Wer hätte gedacht, dass wir uns einmal so über Italienische Küche freuen würden!

Auf dem Tisch war so ziemlich alles aufgebahrt, was er hatte finden können, angefangen von Antipasti, über verschiedene Salate und rote Bete, bis hin zu Hühnchen mit Oliven und frischen Baguette.

Für ihn waren wir nicht einfach Fremde, die einen Platz brauchten. Wir waren unangekündigte und doch lang erwartete Gäste mit denen er sich endlich mal wieder austauschen konnte.

Spannenderweise war er der einzige bislang, der hier bereits zuvor Pilger und andere Reisende aufgenommen hatte. Vor einigen Jahren war sogar einmal eine Gruppe mit 20 Pfarrern, Messdienern und anderen Kirchenmitgliedern aus Italien da gewesen, die mehrere Tage geblieben war. Sie hatte im Haus verteilt überall auf dem Boden geschlafen, so wie es eben passte.

Später hatte er dann sogar zwei Wandermönche kennengelernt, die in gewisser Hinsicht sehr ähnlich unterwegs waren, wie wir, in anderer Hinsicht aber auch gar nicht.

Einer von vielen Irish Pubs in den Städten.

Einer von vielen Irish Pubs in den Städten.

Zur Armut verpflichtet

Es waren zwei Novizen aus einem französischen Benediktinerkloster gewesen, zu dessen Ausbildung eine dreimonatige Pilgerreise durch Europa gehörte. Auch sie reisten ohne Geld, wenngleich auf eine ganz andere Weise als wir es taten. Ihre Aufgabe war es, pro Tag mit nur einem einzigen Euro durchzukommen. Dazu gehörte jedoch nicht nur Bargeld, sondern auch alles an Sachwerten. Pater John war es also nicht erlaubt gewesen, den beiden jungen Männern etwas zu Essen zu geben. Sie mussten mit ihrem einen Euro irgendwie zurecht kommen. Eigentlich hätten sie nicht einmal im Haus schlafen und die Dusche nutzen dürfen. Doch damit konnte der Pfarrer nicht mehr konform gehen. „Zelten könnt ihr meinetwegen, wenn ihr an einem schönen Ort seit, aber hier wird im Haus geschlafen. Ich bekomme ja die Nacht kein Auge zu, wenn ich weiß, dass ihr da draußen in der Kälte herum liegt!“

So unterschiedlich kann also der Umgang mit Reisenden sein.

Einsame Wanderer, irischer Pilgerweg

Einsame Wandpilgerwegerer auf einem irischen

Einmal überredet waren die Mönche dankbar bis zum Mond und zurück, endlich wieder einmal Wärme, Gemütlichkeit und warmes Wasser spüren zu können.

Im Nachhinein haben wir noch einmal lange über dieses System nachgedacht dass den jungen Mönchen hier auferlegt wurde, und je mehr wir dies taten, desto weniger leuchtete es uns ein. Wie wollte man spüren, dass Gott für einen sorgte, wenn man gezwungen war, alle Geschenke abzulehnen, die er einem gab? Es kam uns so vor, als wäre das Ziel der Reise nicht gewesen, seine eigene Spiritualität und seien Verbindung zu Gott zu finden, sondern viel mehr jeden Wunsch abzutöten, je wieder unterwegs sein zu wollen. So wie es klang, war ihre Reise kein Abenteuer sondern eine reine Tortour und nach Ablauf ihrer drei Monate machten sie sicher erst einmal drei Kreuze, dass sie nun wieder die Annehmlichkeiten des Klosters nutzen konnten. Selbst wenn diese vielleicht nur aus einer Bastmatte auf dem nackten Boden bestand.

Kuh mit Branding

Kuh Nummer 629

Finger weg von kleinen Kindern

Im Zusammenhang mit dieser Geschichte erzählte er uns auch, dass er uns wie auch die anderen Mönche nur deshalb hatte einladen dürfen, weil wir volljährig waren. In Großbritannien gab es ein Gesetz, dass es verbot, dass Männer allein mit Kindern in einem Haus oder einem Raum zusammen sein durften. Es war ein Gesetz, dass dem Schutz der Kinder dienen sollte, weil es gerade im Zusammenhang mit der Kirche hierzulande zu häufig vorgekommen war, dass Kinder sexuell misshandelt oder gar vergewaltigt wurden. Auf der einen Seite konnte man diese Regelung gut nachvollziehen, auf der anderen Seite musste man sich jedoch auch fragen, wie sinnvoll sie war. Denn war es wirklich besser, reisende Jugendliche auf der Straße stehen zu lassen, wo sie potentiellen Vergewaltigern ebenso ungeschützt ausgeliefert waren? Am meisten an der Aussage erschreckte uns jedoch, wie normal der Kindesmissbrauch hierzulande sein musste, wenn es für jeden vollkommen klar war, dass Männer ohne polizeiliches Führungszeugnis und mit ausdrücklicher Genehmigung keinen Kontakt zu Kindern oder Kindergruppen haben durften.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Man ist immer so reich, wie man sich fühlt.

Höhenmeter: 30m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 24.955,27 km

Wetter: sonnig, warm

Etappenziel: Rathaus, Saint Jores, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare