Hobbithäuser

von Heiko Gärtner
08.08.2017 07:16 Uhr

27.04.2017 

Der Winter ist nun mit voller Kraft über uns hereingebrochen. Heiko hat sich bereits in all seine Kleidung und zwei Schlafsäcke gehüllt und in die hinterste Nische unserer Kirche zurückgezogen.

Dort liegt er nun umgeben von drei Heizstrahlern auf seiner Matte, nur die Nasenspitze und die Finger schauen heraus, und versucht Bilder für unsere neue Erlebnisgeschenke-Plattform zu bearbeiten. Ich selbst habe mich aufs Klo verkrochen, da dies der einzige kleine geschlossene Raum mit einer Heizung ist. Eine Wärmflasche liegt auf meinem Schoß und meine Schultern sind so nah an die Heizung gepresst, dass sie gerade so eben noch nicht zu glühen anfangen. Dennoch habe ich eiskalte Zehen und kalte Hände.

Gestern Nacht hatten wir nach Informationen der Einheimischen minus 5 Grad Außentemperatur und in unserer Kirche war es nicht viel wärmer. Langsam schien das Wetter wirklich vollkommen verrückt zu spielen und wir müssen ehrlich zu geben, dass wir nach dem milden Winter nicht mehr damit gerechnet hatten.

Anders als in Italien, wo die Nächte zwar oft ebenfalls kalt und ungemütlich waren, sind hier aber auch die Tage alles andere als angenehm. Seit Wochen bläst uns ein kalter Wind entgegen, der sich jedes Mal mitdreht, wenn wir die Richtung wechseln. In den letzten drei Tagen ist er so kalt geworden, dass man es kaum noch aushält, ohne sich eine dicke Winterjacke anzuziehen. Heiko hat seine im Winter nur zwei oder dreimal ausgepackt. Nun braucht er sie fast täglich. Ähnlich ist es mit dem Zusatzschlafsack.

Auf der anderen Seite lässt sich jedoch auch sagen, dass England mit jedem Tag schöner wird. Klar, die Geräuschkulisse ist immer noch extrem verbesserungswürdig, aber von der Optik her bietet das Land einen Reiz, den wir so noch fast nirgendwo gefunden haben. Hier stimmt einfach alles. Die Natur ist abwechslungsreich und immer wieder aufs neue Beeindruckend. Natürlich gibt es auch hier viele Felder, aber sie sind parzelliert, von Hecken umgeben und fügen sich fast natürlich ins Landschaftsbild ein. Überall findet man urige Bäume, die noch ganz sie selbst sein dürfen und nicht in irgendeine Form gepresst oder gezüchtet werden.

Es ist immer wieder aufs neue faszinierend zu sehen, was für kreative und malerische Formen die Natur ausbildet, wenn man sie lässt.

Auch die Tiervielfalt ist hier noch immer beeindruckend. Nachdem wir nun mehrere Monate lang in Frankreich kein einziges Tier gesehen haben, das nicht von einem Weidezaun zum Bleiben gezwungen wurde, haben wir hier nun fast täglich neue Tierbegegnungen. Vor ein paar Tagen sahen wir die größte freilebende Rotwildherde, die wir je in unserem Leben gesehen haben. Es waren weit mehr als zwanzig Tiere, die gemeinsam auf einer Wiese grasten.

Heute waren es vor allem die kleinen Tierchen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ein Chipmunk begrüßte uns gleich in der Früh, als wir die Kirche verließen. Er saß auf einer Bank gegenüber dem Eingangstor und schaute uns munter an. Später hoppelte ein kleines Babykaninchen auf der Straße vor uns her.

Es hatte keinerlei Angst vor uns und kam bis auf wenige Meter an uns heran. Dann kam ein Auto und für einen Moment hatten wir Angst, der kleine Kerl würde überfahren werden. Doch er schaffte es gerade noch auf die andere Straßenseite, wo er sich zusammen krümelte und ins Gras duckte, damit die gefährlichen Autoreifen ihn nicht sehen konnten.

Unvorhersehbarer Weise sind es jedoch vor allem die Dörfer, die uns im Moment am meisten beeindrucken. Jedes einzelne von ihnen ist eine Sehenswürdigkeit, mit denen die offiziellen Touristenziele des Landes sicher nicht mithalten können.

Oft schon hatten wir das Gefühl, auf unserer Reise durch ein Hobbit Land zu wandern, weil die Hügel und Wälder an den Film erinnerten. Hier jedoch sehen sogar die Häuser wie Hobbit Häuser aus.

Nur eben für Menschen. Sie mit Worten zu beschreiben bringt glaube ich relativ wenig, aber die Bilder sagen wahrscheinlich ohnehin genug. Teilweise sind wir so fasziniert von den Orten, dass wir fast nicht mehr durch sie hindurchgehen können, da Heiko von jedem Haus mindestens ein Bild machen muss.

Unser Wunsch, heute eine Kirche mit beheizbarem Nebenraum zu bekommen, ging leider nicht in Erfüllung. Dafür lernten wir jedoch einen äußerst humorvollen Pfarrer mit einer lockeren und sehr sympathischen Lebenseinstellung kennen. Wäre seine Frau nicht krank gewesen, hätte er uns auch zu sich nach hause eingeladen, aber so wurde es dann doch wieder die Kirche.

 

Spruch des Tages: Die Aufgabe eines Pfarrers ist es, die Menschen zu Gott zu bringen. Die Messe kann gerne jemand anderes halten! (Mathew, Vikar von Amport, England)

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 22.255,27 km

Wetter: trocken aber kalt und windig

Etappenziel: Kirche, SP11 8BA Amport, England

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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