Fastfood – Die traditionelle Küche Britanniens

von Heiko Gärtner
19.10.2017 05:37 Uhr
14.06.20117

Während meines Studiums vor rund 10 Jahren wurde uns im Rahmen einer Vorlesung die Frage gestellt, ob die Essenskultur in Europa eines Tages vollkommen durch Fastfood zerstört und abgelöst wird. Damals konnte ich es mir nicht so richtig vorstellen, aber wenn man sich nun die Esskultur hier in England anschaut, dann muss man tatsächlich sagen, dass wir nicht mehr weit davon entfernt sind. Es gibt hier fast nichts mehr, das nicht „Instand“, „Fast“ oder „Microwave“-Tauglich ist. Heute morgen hatten wir sogar ein Instand Müsli. Es unterscheidet sich natürlich nicht großartig von einem normalen Müsli, da es ja eh schon Instand-Nahrung ist, aber man hat es trotzdem geschafft, auch hier noch einen Schritt weiter zu gehen. Der Inhalt bestand aus gewöhnlichen Haferflocken, die jedoch nicht einfach in ihrer Pappschachtel liegen durften, sondern noch einmal extra in kleine, handliche Tüten verpackt waren. Ein ziemlich geschicktes Konzept, denn dadurch konnte man sich als Hersteller bei gleicher Verpackungsgröße rund zwei Drittel des Inhalts sparen. Auf jeder Verpackung stand dann eine kleine Anleitung, wie man mit dem Beutelinhalt in wenigen Sekunden das „perfekte Porrage“ machen konnte: „Einfach den Beutelinhalt in eine Tasse gießen, dann den Beutel als Messbecher für die Milch verwenden, indem man ihn bis zur gestrichelten Markierung füllt. Am Ende alles für zwei Minuten in die Mikrowelle und schon ist es fertig, das reiche, gesunde Frühstück mit der Extraportion Power für den Tag“

Mikrowelle als Herdersatz

Wie sehr Mikrowellen in den Alltag der Menschen Einzug gehalten haben hätte ich nie für Möglich gehalten. Von früher kenne ich Mikrowellen eigentlich nur, um bereits gekochte Nahrung kurz aufzuwärmen und selbst das ist bei uns verpönt, weil es sämtliche Energiereserven aus den Lebensmitteln entfernt. Wenn man Pflanzen ausschließlich mit Wasser gießt, das man zuvor in der Mikrowelle erwärmt hat und dann wieder abkühlen lässt, gehen diese an Energiemangel ein. Und wir glauben nun, dass die Mikrowelle eine der besten Errungenschaften für unsere Küche ist? Ich hätte nicht gedacht dass wir in Deutschland in dieser Hinsicht so weit vorne liegen. Klar wird die Mikrowelle auch bei uns immer häufiger verwendet, aber es ist trotzdem nicht üblich, sein ganzes Essen darin zuzubereiten. Hier hat der Strahlungskocher fast den Herd ersetzt. Bei etwa 90% der privaten Essenseinladungen, die wir hier angenommen haben, bekamen wir Speisen, die in der Mikrowelle zubereitet waren. Nahezu jedes Essen, das wir in Restaurants bekamen, wurde mit Fertigsaucen zubereitet, und das obwohl es teilweise wirklich noble und teure Lokalitäten waren. Noch auffälliger ist es jedoch bei den Nebenzutaten für Zwischendurch. Dass es in diesem Land kein Brot sondern nur schlabbrigen Tüten-Toast gibt ist ja bekannt. Nicht erwartet hätte ich jedoch, dass es zwar in jedem Haushalt einen Toaster gibt, dass dieser aber nahezu keine Verwendung findet. Selbst wenn man den Toast eingefroren hat, lässt man ihn in der Regel langsam auftauen und isst ihn dann wieder in gewohnter Waschlappen-Konsistenz.

Unsterbliche Lebensmittel

Was man den Engländern aber lassen muss ist, dass sie es verstehen, Lebensmittel unendlich haltbar zu machen. Vor zwei Tagen haben wir in einer Kirche eine Dose Fertigmilchreis gefunden, die jemand vor gut zwei Jahren für bedürftige Familien gespendet hatte. Wie allgemein üblich bei derartigen Nahrungsspenden landete auch diese natürlich nie auf dem Teller einer hungrigen Person, sondern blieb dort, wo sie hingelegt wurde. Wir nahmen sie vorsichtshalber einmal als Notreserve mit, was sich heute bezahlt machte, da wir ansonsten nahezu nichts auftreiben konnten. Erst jetzt fiel uns auf, dass das Haltbarkeitsdatum 02/2016 anzeigte. Trotzdem öffneten wir die Dose und probierten ein paar Löffel. Lecker war es natürlich nicht, aber das war auch schon bei der Herstellung nicht anders. Ansonsten aber schmeckte er noch immer ganz normal und zeigte keine Anzeichen seines Alters. Ähnliche Beobachtungen haben wir schon mehrfach mit Brötchen, Kuchen und anderen Tüten-Lebensmitteln gemacht, die sich als nicht allzu lecker erwiesen. Heiko hatte sie stets in unserer Essenstüte verstaut, für den Fall dass wir einmal eine Nahrungsknappheit hatten. Dann haben wir sie über Tage, teilweise sogar Wochen hinweg vergessen und irgendwann wieder gefunden. Als natürliche Lebensmittel hätten sie nun grün und blau vor Schimmel sein müssen, doch nichts dergleichen war der Fall. Sie waren nicht einmal trocken geworden sondern sahen noch immer genauso frisch aus wie am ersten Tag. Ich habe keine Ahnung was für Konservierungsmittel sie in diese Industrienahrung hineinstopfen, aber sie sorgt auf jeden Fall dafür, dass sie unsterblich wird. Ich würde mich sogar wetten trauen, dass die meisten dieser Lebensmittel nach drei oder vier Jahren noch immer genauso aussehen wie heute und dass man keinen Unterschied herausschmecken könnte. Langsam versteht man auch wieder, warum die Friedhofsgärtner so ein Problem mit unseren Leichen haben, die auch nach 30 oder 40 Jahren nicht verwesen wollen, weil jeder Wurm und selbst jeder Schimmelpilz einen großen Bogen um uns macht.

Zucker als Hauptzutat

Mindestens genauso abstrakt ist jedoch der Umgang mit Zucker in diesem Land. Wir dachten ja bereits, dass die Franzosen schlimm sind, was das anbelangt, aber verglichen mit den Menschen hier waren sie wirklich harmlos. Dabei geht es gar nicht mal so sehr um die Süßigkeiten, die man an allen Ecken und Enden nachgeworfen bekommt, sondern viel mehr um den Zucker, der sich in den ganz gewöhnlichen Lebensmitteln befindet. Frisches Gemüse bekommt man leider meist nur in geringen Mengen, weshalb wir oft Dosenfutter hinzu nehmen müssen. Besonders beliebt sind dabei die berühmten „Baked Beans“ die sich laut Verpackungsaufdruck in einer „delikaten und reichen Tomatensauce“ befinden. Wenn man nicht aufpasst und die Sauce beim Kochen unten etwas ansetzt, dann brennt sie nicht einfach fest, sie karamellisiert. Nach einigen Minuten lässt sich dann wirklich mit dem Löffel eine zähe, klebrige Masse vom Topfboden abkratzen, die aus fast reinem, geschmolzenen Zucker besteht. Ist das nicht vollkommen absurd?

Marketing ist alles

Am meisten aber fasziniert mich, wie die Lebensmittel hier für die Kunden präsentiert werden. Bei uns stehen ja auch oft kleine Werbesprüche auf de Verpackung, die das Lebensmittel besonders anpreisen sollen. Hier aber sind es jedes Mal wahre Liebesgedichte an das enthaltene Produkt. Eine Butter ist hier nicht einfach eine Butter, sondern ein „reiches und traumhaftes Geschmackserlebnis mit sanft cremiger Konsistens“. Chips sind nicht einfach Chips, sondern „unvergleichlich, chrunchig, knackige Knabbersnacks mit dem reichen Geschmack handerlesener Kartoffeln“. Am liebsten ist ihnen dabei die Beschreibung „Rich“ also „Reich“, da sie gut klingt und so schön nichtssagend ist. Je poetischer eine Beschreibung dabei klinkt, desto weiter ist der Inhalt in der Regel davon entfernt, wirklich Nahrung zu sein. Aber in einem Land, in dem niemand auch nur eine Tomate selbst anbaut, funktioniert diese Strategie ganz hervorragend. Ohne Konsequenz bleibt es jedoch nicht, denn im internationalen Vergleich muss man sagen dass die Engländer im Schnitt tatsächlich das ungesündeste Volk sind, das wir bislang kennengelernt haben.

Spruch des Tages: We don´t do Fastfood! We do good food as fast as we can! (Werdespruch eines Schnellrestaurants, das ausschließlich mit Mikrowellen und Friteusen arbeitet)

Höhenmeter: 320 m

Tagesetappe: 12 km

Gesamtstrecke: 22.973,27 km

Wetter: bewölkt und windig

Etappenziel: Kirche, Drybeck CA16 6TF, England
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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