Freiwilligendienst in Irland - Ein Erfahrungsbericht

von Heiko Gärtner
30.01.2018 06:23 Uhr

 14.08.2017

Zwischen Wut und Liebe

Dieses Land stellt mich gerade wirklich vor eine meiner größten Herausforderungen. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, aber es gibt einfach so unendlich viele Dinge, die mich hier ununterbrochen wütend machen. Ich glaube, ich habe von keinem Land bisher einen so schlechten Eindruck gehabt wie von diesem. Wenn ich ein Rating machen müsste, mit den schönsten, angenehmsten und bereisenswertesten Ländern Europas, Irland käme mit weitem Abstand an letzter Stelle. Ich kann nicht verstehen, wieso es heißt, die Iren wären so ein freundliches und offenes Volk. In meinen Augen sind sie die wohl am wenigsten angenehmen, hilfreichen und freundlichen Menschen der Welt. Nur weil jeder „How ya do-in?“ also „Wie geht´sn?“ statt „Hallo!“ sagt, wenn man begrüßt wird, hat das noch nichts mit Freundlichkeit zu tun. Es ist ja eine reine Floskel und niemanden interessiert, wie es einem wirklich geht. Ich finde, das allein zeigt schon viel zur Grundhaltung der Leute hier.

Typische Ladenfassade in Irland

Typische Ladenfassade in Irland

Freiwilliges Soziales Jahr in Irland

Am Morgen haben wir eine junge Deutsche getroffen, die seit einem knappen Jahr hier als Freiwillige in einer Behinderteneinrichtung arbeitet. Sie war zu höflich, um es gleich zu sagen, hatte aber über die Monate ein sehr ähnliches Bild bekommen. Am meisten störte sie die offenbar vollkommen fehlende Fähigkeit zur Selbstreflexion. „Es ist nicht so, als wären sie schlecht darin!“ meinte sie, „es ist, als käme die Idee dazu nicht einmal in ihrem Geist vor!“

Im Hourigans Pub können sich die Freiwilligen mit den Einheimischen austauschen.

Im Hourigans Pub können sich die Freiwilligen mit den Einheimischen austauschen.

Ich kann gar nicht genau sagen was es alles ist, das mich stört, weil es so viele Kleinigkeiten sind. Dieses Grund ablehnende, dieses ständige angestarrt werden als sei man ein Verbrecher, die permanente Scheinhöflichkeit. Eine Sache zum Beispiel ist, dass man immer wieder bewusst Dinge angeboten bekommt, von denen von vornherein klar ist, dass man sie niemals annehmen kann. Wie oft Menschen neben uns anhalten und fragen, ob sie uns mitnehmen können, obwohl sie winzige Autos haben. Es ist schwer zu beschreiben, denn es gab Länder, in denen das wirklich nett gemeint war. Hier hat man aber immer nur den Eindruck, dass es ihnen darum geht, einen Grund zu finden, um einen anzuquatschen, ohne in Gefahr zu geraten, wirklich etwas dafür tun zu müssen.

Die Dunnes Bakey

Die Dunnes Bakey

Es gibt selten die Frage: „Kann ich euch irgendwie helfen?“ oder „Braucht ihr irgendwas?“ sondern meist ganz gezielt die Frage nach etwas, von dem man genau weiß, dass es nicht gebraucht wird. „Habt ihr euch verlaufen?“ ist beispielsweise so eine beliebte Frage, die aber nicht kommt, wenn man verloren aussieht, sondern, wenn man gerade gemütlich irgendwo sitzt und Picknick macht oder wenn man es geschafft hat, einer Hauptstraße auszuweichen und endlich irgendwo ist, wo man es zumindest ein bisschen ruhiger und schöner hat. Es geht einfach nicht darum, jemandem Hilfe anzubieten, sondern darum, jemandem ein Gespräch aufzudrängen, von dem man der Meinung ist, dass er hier nichts verloren hat. Ich glaube das ist es, was mich so stört, das Gefühl, sich ständig dafür rechtfertigen zu müssen, wer man ist, nur weil man hier zu Fuß geht.

Außererhalb der Innenstädte st zu Fuß gehen fürdie meisten etwas komisches

Außerhalb der Innenstädte ist zu Fuß gehen für die meisten etwas komisches

Komplizierter als nötig

Und das alles so komplex sein muss, dass man nicht einfach irgendwo hingehen kann, ankommt und einen Platz hat, sondern jeden Tag 10 Telefonate führen, von einem Ort zum nächsten und zurücklaufen muss, das jeder erst einmal überredet werden will, einem überhaupt nur zuzuhören, das alles voll von Verbotsschildern und Kameras ist, die einem permanent das Gefühl geben, Gefangener in einem Hochsicherheitsgefängnis zu sein, dass es hier nichts Gemütliches gibt, man ständig nass geregnet wird und dazu nichts einmal etwas Anständiges zum Essen bekommt. Und vor allem, dieses Gefühl, festgehalten zu werden und niemals auch nur ein Stück voranzukommen.

Dabei ist es so schade, dass sich gerade jetzt zum Ende unserer Zeit auf den Inseln diese Negativeindrücke so häufen. Denn es war ja keine schlechte Zeit und wir haben eine Menge geniale Dinge erlebt. Es fühlt sich einfach gerade an, als sollte uns jetzt am Ende noch einmal alles so richtig vermiest werden.

Für deutsche Freiwilligendienstler ist hier in Irland vieles ungewohnt

Für deutsche Freiwilligendienstler ist hier in Irland vieles ungewohnt

Auf der anderen Seite weiß ich aber natürlich auch, dass all dies nicht von Irland, sondern von mir ausgeht. Es ist mein Spiegel. Es ist die Reflexion dessen, was in mir los ist. Alles, was mich im Außen nervt und wütend macht, sind Anteile von mir, die ich ablehne und je mehr ich darüber verbittere, desto schlimmer muss es natürlich werden. Gerade deshalb ist es so wichtig, den Fokus eben nicht auf dieses unangenehme zu legen. Es gibt ja jeden Tag aufs Neue immer mindestens genauso viel Positives. Ich meine, trotz allem, haben wir noch kein einziges Mal keinen Schlafplatz bekommen, mussten kein einziges Mal hungern, haben immer wieder auch nette Menschen getroffen, die uns großzügig unterstützt oder einfach nur mit einer freundlichen Begegnung aufgemuntert haben und hatten trotz der Regenreichheit dieses Landes immer wieder Sonnenstunden.

Die von außen heruntergekommene Kirche ist innen noch immer prunkvoll

Die von außen heruntergekommene Kirche ist innen noch immer prunkvoll

Ich bin es ja, der entscheidet, dass er sich mehr vom Unangenehmen an nerven als vom angenehmen begeistern lässt. Das wurde heute auch noch einmal deutlich, als mich Heiko nach dem Telefonat mit einem Pfarrer etwas coachte. So sehr wie mir am Anfang der Sinn fürs Verkaufen gefehlt hatte, so sehr versteifte ich mich nun darauf, wodurch nur noch mein eigener Vorteil präsent war, es mir aber nicht mehr darum ging, herauszufinden, was der andere gerade benötigt. Gerade diese enorme Skepsis und die Grundablehnung der Menschen sind ja eine Chance um wirklich etwas zu lernen. Jemandem etwas zu verkaufen, von dem er eh schon begeistert ist, ist keine Kunst, aber zu erkennen, was er wirklich braucht, um Ja sagen zu können, die Kontrolle über das Gespräch zu übernehmen und ihn behutsam aber sicher genau dorthin zu führen, wo er sich öffnen kann, sodass ein Austausch zum gegenseitigen Vorteil stattfinden kann, das erfordert Können.

Unterkünfte der Freiwilligen in einer Südirischen Stadt

Unterkünfte der Freiwilligen in einer Südirischen Stadt

Ich habe mich ja immer wieder gefragt, wie ich Selbstkontrolle erlernen kann und genau hier liegt eine der größten Chancen, wenn alles eins ist und somit alles Ich bin, dann ist jede Form der Kontrolle, eine Form der Selbstkontrolle. Ganz offensichtlich ist nun die Zeit, um das Steuer wirklich in die Hand zu nehmen und das Gefühl, ein unbeteiligter Spielball der äußeren Umstände zu sein, hinter mir zu lassen.

Spruch des Tages: Poliertes Messing ist besser an die Leute zu bringen als stumpfes Gold.  (Philip Dormer Stanhope Lord Chesterfield) 

Höhenmeter. 80 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 25.397,27 km

Wetter: windig, aber trocken und leicht sonnig

Etappenziel: Privates Gästezimmer, Corzé, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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