Tag 1102: Fahren in hohem Alter

von Heiko Gärtner
23.01.2017 17:38 Uhr

06.01.2016

In manchen Fällen ist die Idee, das Menschen in hohem Alter noch einmal einen Führerschein machen müssen, um weiter fahren zu dürfen vielleicht gar nicht so schlecht. Als wir heute Mittag eine Pause auf einem Dorfplatz machten, kam ein kleiner roter Renault angerast, ging scharf in die Kurve und hielt abrupt auf einem Parklatz dicht neben uns stehen. Nach einem solchen Auftritt hätten wir einen fahrbegeisterten Achtzehnjährigen erwartet, der einmal testen will, was die alte Karre, die er zum Geburtstag von seinen Eltern bekommen hat, alles so drauf hat. Doch anstatt eines coolen Teenagers mit Baseballcap und Sonnenbrille stieg eine etwa fünfundachtzigjährige Dame aus dem Gefährt. So schnell wie sie zuvor gefahren war, so langsam bewegte sie sich nun. Allein um aus der Tür zu steigen brauchte sie fast zehn Minuten. Dann hangelte sie sich unsicher an der Dachreling entlang nach hinten und binnen weiterer zehn Minuten angelte sie ihren Rollator von der Rückbank. Nachdem das Auto verschlossen war, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Haus und tapste dabei so unsicher vor sich hin, dass man zweifelte, ob sie auch nur das Ende des Platzes erreichen würde. Jeder kleinste Hügel war eine Herausforderung und um auf die Straße einbiegen zu können, nahm sie eine genau ausarbeitete Route, damit es nicht zu steil wurde. Wäre in diesem Moment ein weiterer Beobachter hinzugekommen, dem wir von der Anfahrt der Dame erzählt hätten, hätte er uns für verrückt erklärt. Es war unvorstellbar, das jemand mit einer solchen Körperkonstitution und Aufmerksamkeit ein Auto fahren konnte, noch dazu in der Geschwindigkeit. Auf der einen Seite war es definitiv eine respektable Leistung aber auf der anderen Seite kamen schon einige Bedenken über die Verkehrssicherheit auf. So ein Aufmerksamkeitstest, nicht nur für Rentner sondern generell für Verkehrsteilnehmer wäre sicher keine schlechte Idee.

 
besonderes wohnen frankreich

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Abgesehen von der Pause in der Sonne wurde der Tag heute eher etwas langatmig und anstrengend. Seit wir in Richtung Mittelmeer kommen ist es einfach wahnsinnig schwer geworden, hilfsbereite und gastfreundliche Menschen zu finden. Verstehen kann man es auf eine gewisse Weise, wenn man bedenkt, dass sogar in so kleinen Orten wie Montagnac große Plakate mit Terrorwarnungen und Verhaltensregeln im Falle eines Terrorangriffs am Rathaus hängen. Die Panikmache ist allgegenwärtig und das Prinzip von „Traue niemandem!“ verbreitet sich in unseren Köpfen wie ein Lauffeuer. Trotzdem ist es auffällig, dass wir einige Kilometer weiter im Norden regelmäßig von Privatpersonen eingeladen wurden, hier in Mittelmeernähe aber noch kein einziges Mal. Stattdessen hatten wir heute ein recht nervraubendes Treffen mit einem vollkommen hektischen und stressigen Mann, der plapperte wie ein Wasserfall ohne ein einziges Mal eine Aussage zu treffen. Knapp eine Stunde hielt er uns in der Schwebe zwischen „Ja wir haben hier einen Platz für euch!“ und „Ich habe keine Ahnung ob sich irgendetwas ergeben wird oder nicht!“ Dann wies er uns an, auf einer Mauer vor seinem Haus zu warten, bis eineinhalb Stunden später seine Frau nach Hause käme, stieg in sein Auto und verschwand. Wir standen also da, ohne zu wissen wohin er verschwunden war, wann er wieder kommen würde und ob uns seine Frau, wenn sie denn wirklich kam, überhaupt helfen konnte. Das Risiko war dann doch ein bisschen zu hoch.

Auf dem Weg in die nächste Ortschaft kamen wir durch ein steppiges, menschenleeres Bergland, das uns sehr stark an den Süden von Spanien erinnerte. Unsere Straße verzweigte sich und wenig später mussten wir laut meiner Karte auf einen Schotterweg abbiegen. Wieder einmal hatte ich ein leicht mulmiges Gefühl bei der Sache und wie immer drückte ich es weg. Wie um zu bestätigen, dass ich dabei war, einen Blödsinn zu machen, bekam ich wenige Meter weiter einen starken Schwindelanfall. Es war als würde sich die ganze Welt auf einmal zur Seite bewegen. Doch auch diesen Hinweis ignorierte ich und so wanderten wir noch einmal einen guten Kilometer weiter, bis wir schließlich vor einem Gittertor standen, das so hoch war, dass wir unmöglich hindurchkommen konnten. Uns blieb also nichts übrig, als zur Straße zurückzukehren und ihr in irgendeine Richtung zu folgen, um dort vielleicht auf eine Ortschaft zu treffen.

Als wir das nächste Mal besiedeltes Gebiet erreichten, war es bereits nach 17:00Uhr. Dieses Mal hatten wir das Glück aber auf unserer Seite, denn die stellvertretende Bürgermeisterin machte heute Überstunden und stellte uns bereitwillig einen Raum zur Verfügung.

Spruch des Tages: Platz da, hier kommt Omi!

Höhenmeter: 290 m Tagesetappe: 33 km Gesamtstrecke: 20.173,27 km Wetter: kalt aber sonnig Etappenziel: Mehrzweckraum der Gemeinde, 34160 Saint-Bauzille-de-Montmel, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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