Zerstörerische Sexualität

von Heiko Gärtner
17.02.2017 01:50 Uhr

29.01.2016

Es geschah natürlich nicht ohne Grund, aber heute war wieder einmal ein Tag, an dem so gar nichts klappen wollte. Wohin wir auch kamen, wir ernteten Ablehnung und Zurückweisung. Teilweise wurde sie verdeckt und mit großem, geheuchelten Bedauern übermittelt, teilweise auch direkt und klar, als Anweisung, dass wir uns zum Teufel scheren sollten und man uns nicht helfen wolle, auch wenn dies durchaus kein Problem sei, da man genügend Räumlichkeiten hatte. Und wie um die Situation noch ein bisschen dramatischer erscheinen zu lassen, begegneten wir heute gleich drei toten Dachsen, die sich nur wenige Tage zuvor von einem Auto hatten überfahren lassen. Zwei von ihnen lagen direkt neben ein an der, so als wären sie ein Liebespaar, das den Tod gemeinsam gefunden hatte. Der dritte folgte ein kurzes Stück später.

Als wir von einem brummeligen, aber hilfsbereiten Bürgermeister schließlich doch einen Raum bekamen, war es bereits nach 18:00 Uhr. Die Sonne ging schon unter und unser Saal hatte weder eine Heizung noch eine Isolation, weshalb es innerhalb von Minuten kalt wurde. Angeregt durch die Ereignisse des Tages warfen wir noch einmal einen Blick auf den gegenwärtigen Stand der Dinge, was meinen Entwicklungsprozess anbelangte. Nach meinem Ritual hatte sich einiges verändert, aber es gab noch immer einige Punkte, an denen ich fest steckte und nicht weiter kam. Neben den Herausforderungen des Tages gab es auch gesundheitlich einen Punkt der mir Sorgen bereitet. Einen recht intimen Punkt, aber ich werde trotzdem kurz ein paar Zeilen dazu schreiben, weil es für den Zusammenhang wichtig ist. Es ging dabei um meine Vorhaut, die sich entzündet hatte und die recht stark angeschwollen war. Zu der Schwellung war es gleich nach meinem Ritual gekommen und somit lag die Vermutung nahe, dass es etwas damit zu tun hatte. Irgendwie hatte ich noch einen offenen Konflikt mit meiner Sexualität und dem Gefühl der Enge, die mich erdrückt und von meiner Kraft abschneidet. Worum aber ging es genau?

Zum ersten ließ sich feststellen, dass der Konflikt nicht zum ersten Mal in meinem Leben auftrat, sondern ein Wiederholungskonflikt war. Vor allem als kleiner Junge hatte ich fast ständig mit einer Entzündung meiner Vorhaut zu kämpfen und ich weiß noch wie heute, dass mir dies eine Menge Kummer bereitet hatte und dass es immer mit viel Scham und einem unangenehmen Gefühl verbunden war. Meine Vorhaut, vor allem aber der letzte, vorderste Teil davon, war so eng, dass ich sie nicht zurückstreifen konnte. Um das zu ändern, musste ich immer wieder in einer kleinen Schüssel mit warmen Kamillewasser sitzen und vor den Augen meiner Eltern versuchen die Vorhaut zu dehnen. Hin und wieder war es auch meine Mutter, die das Dehnen übernommen hat und diese Tatsache löste in mir einen starken Konflikt aus, der gemeinhin als sexueller Revierverlust Konflikt bezeichnet wird. Jemand anderes greift tief in die Privatsphäre ein (und was bitte ist bei einem Jungen privater als sein eigener Penis) und übertritt damit eine Grenze, die man nicht übertreten haben will. Dass Kinder eine Vorhautverengung haben, die von ihren Müttern korrigiert wird, ist nichts Ungewöhnliches und kommt allein in Deutschland unzählige Male vor. Viele Kinder stört das nicht im geringsten, aber bei anderen, wie auch bei mir, wird es zu einer traumatischen Erfahrung. Es kommt bei diesen Dingen eben nie darauf an, war real passiert, sondern wie die eigene subjektive Wahrnehmung davon ist.

Ein solcher Konflikt, der mit einem Selbstwertverlust, Scham, Schuld und Ekel einher geht, kann sich auf der körperlichen Ebene unter anderem in einer Entzündung auswirken. Es wird als Beschmutzung empfunden, die der Körper wieder abstoßen will. Da ich den Konflikt nie wirklich verarbeitet habe, kam es zu einem sogenannten Rezensiv. Das bedeutet, dass die Situation in mir abgespeichert wurde und der Konflikt jedes Mal aufs neue wachgerufen wird, wenn mich eine andere Situation auf irgendeine Weise an die erste erinnert. Dies geschah auch bei dem Ritual, weshalb ich nun wieder in der konfliktaktiven Phase war. Die Frage war nun nur, wie ich sie lösen konnte, um wieder in Heilung zu kommen. Oder besser, wie ich die ganze Konfliktschiene lösen konnte, um meine Lektion daraus zu lernen und den Entwicklungsschritt zu gehen, der darin verborgen lag. Wie sich herausstellte ging es darum, etwas loszulassen, das ich noch immer krampfhaft festhielt, obwohl es mir schadete. Es war kein weiter Weg um zu verstehen, dass es dabei um die offene Rechnung mit meiner Mutter ging. Es war mir nicht direkt bewusst, aber in meinen Augen war meine Mutter Schuld daran, dass ich den Weg des Zölibats einschlagen musste, weil sie mir meine Sexualität durch das Trauma von Damals verbaut hatte. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich legte noch immer eine starke Wertung in meinen Weg. Es war kein Geschenk, keine Freude, keine Ehre, den Weg eines Mönchs zu gehen, sondern eine Strafe. "Meine Mutter hatte mich dazu gebracht, meine Sexualität abzulehnen und deswegen darf ich nun keine Frau mehr haben und verpasse so einen wichtigen Bestandteil des Lebens!" dachte es in mir. Aber war das die Wahrheit? Was bedeutete Sex denn überhaupt für mich?

Mir allein diese Frage zu stellen fiel mir bereits so schwer wie das Stemmen eines Vierzig Tonners. Irgendwie hatte ich immer ein negatives Gefühl dazu und es war für mich stets mit Scham, Schuld und Ekel verbunden. Gleichzeitig hatte ich aber auch den immensen Drang oder besser einen Heißhunger, Sexualität erleben zu wollen. Zumindest in meinen Gedanken. Es gab Momente, in denen ich wie in einen Rausch fiel und dann nur noch Befriedigung wollte. Doch sobald es vorbei war schämte ich mich fast jedes Mal dafür, sah es als Zeitverschwendung an und fühlte mich schlecht und ausgelaugt. Es dauerte ewig und ohne die gezielten Fragen von Heiko, die mich jedes Mal wieder dazu brachten, mir einen weiteren inneren blinden Fleck anzusehen, hätte ich es niemals geschafft, aber irgendwann kam ich auf das Prinzip, das dahinter steckte. Sex war für mich nichts Nährendes, schöpferisches, das mich näher zum Paradies brachte und bei dem ich mit einer Partnerin in göttlicher Vereinigung verschmolz. Es war schlicht und ergreifend ein Akt der Rache. Es war etwas zerstörerisches, leid bringendes und indem ich es auslebte, konnte ich mir selbst und anderen Leid zufügen und so meinen innerlich angestauten Druck abbauen. Auf der unterbewussten, energetischen Ebene sah ich jede Frau als Stellvertreterin meiner Mutter an, die ich für all mein Leid verantwortlich machte. Mit einer Frau zu schlafen, ihr in einem Porno beim Sex zuzusehen oder auch nur daran zu denken, war also eine Rache an meiner Mutter. Es war stets verletzend, erniedrigend, einengend und zerstörerisch, nie aber etwas Positives. Es ging darum, den Druck und den Frust, den ich innerlich spürte, weil ich nicht meinen Lebensweg ging, nach außen auf andere abzuwälzen, so als wollte ich ihn in ein Atommüll-Endlager abstoßen. Wenn ich die Frauen leiden lasse, muss ich es nicht ertragen! Auch wenn dies nie bewusst meine Absicht war, stand es doch unbewusst hinter jeder sexuellen Handlung. Plötzlich verstand ich auch, warum ich stets eine so immense Blockade hatte, Sexualität mit Frauen auszuleben, die ich als Freunde sehr gern hatte. Es kam immer das Gefühl in mir auf, dass ich die Freundschaft damit zerstören würde und dass ich ihnen etwas unrechtes antat. Dass die Taktik nicht aufgehen konnte, wurde mir nun ebenfalls bewusst, denn auf diese Weise konnte ich ja immer nur noch mehr Leid und Druck für mich und andere erschaffen.

Gleichzeitig gab es aber noch einen weiteren Aspekt, der mir nicht bewusst war. Sex hatte stets auch eine Art Schutzfunktion. Wenn ich meinen Penis in irgendetwas hinein steckte, das ich bewusst ausgewählt hatte, dann war es davor sicher, von jemandem Berührt zu werden, von dem ich nicht berührt werden wollte. Hierin wiederum lag ein Schlüssel verborgen, für das starke Verlangen nach Sex, obwohl ich nichts Positives darin finden konnte. Es war eine Sucht, ähnlich wie die eines Heroinabhängigen, der genau weiß, dass ihn das Heroin töten wird, der es aber dennoch nimmt, weil sein Körper und sein Geist danach schreit.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Nur weil etwas für den einen heilsam ist, muss es das nicht auch für einen anderen sein.

Höhenmeter: 340 m Tagesetappe: 18 km Gesamtstrecke: 20.552,27 km Wetter: bewölkt und kalt Etappenziel: Gästeraum für Pilger, 31420 Montoulieu-Saint-Bernard, Frankreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare