Heikos erster Geburtstag auf Weltreise

von Franz Bujor
15.03.2014 02:48 Uhr

Heute feierten wir den ersten Geburtstag auf unserer Reise. Das Wetter feierte kräftig mit und schenkte uns einen schönen, sonnigen, aber nicht zu heißen Tag, der wie geschaffen für ein ausgedehntes Geburtstagspicknick war. Nach den Aufregungen des vergangenen Tages, beschlossen wir, diesen Tag ganz entspannt anzugehen. Wir schliefen aus, frühstückten gemeinsam mit unseren Gastgebern im sonnendurchfluteten Wohnzimmer und streichelten unsere vom Yoga gemarterte Nackenmuskulatur. Besser konnte ein Tag kaum beginnen! Pünktlich um zehn Uhr kam dann auch der Postbote und brachte unser Paket mit den Ersatzteilen für unseren Pilgerwagen. Heiko bekam also doch noch ein Geburtstagsgeschenk. Den Vormittag verbrachten wir dann damit, die Geschenke auszuprobieren. Als Kinder hatte das meist bedeutet, dass man den kompletten Wohnzimmerboden mit Legosteinen verwüstete. Heute bedeutete es, dass wir uns mit Werkzeug ausstatteten und einen ausgedehnten Boxenstopp einlegten. Wenn wir schon keine neuen Schuhe bekamen, so hatten wir jetzt wenigstens welche für Heikos Wagen. Die Räder bekamen neue Schläuche, die abgenutzten Deichsel Aufhängungen wurden erneuert und die Achse wurde wieder geradegerückt. 1400 km gehen auch an einem Pilgerwagen nicht ganz spurlos vorbei. Doch wenn wir bedenken, dass der Wagen für uns all die kleinen Blessuren übernommen hat, die wir sonst erlitten hätten, dann nahmen wir so eine kleine Reparatursession gerne in Kauf. Hätten wir die 1400 km nur mit Rucksäcken bewältigen müssen, von denen jeder auch nur die Hälfte gewogen hätte wie unsere Wagen, dann hätten wir uns nun statt neuer Reifen je eine neue Wirbelsäule und neue Schultern schicken lassen müssen. Doch ob die so lange haltbar gewesen wären, bis wir sie bekommen hätten, ist fraglich. Außerdem haben wir bislang auch noch keinen Sponsor für Körperteile auftreiben können.

Nach den Umbaumaßnahmen packen wir unsere Sachen

Nach den Umbaumaßnahmen packen wir unsere Sachen.

Das Problem mit den Schuhen ließ sich jedoch noch nicht lösen. Sie wieder zurückzuschicken würde uns 21,50 € kosten, was nahezu das gesamte Notfallgeld ausmacht, dass uns die Menschen geschenkt haben. Schon komisch, wie unterschiedlich Werte manchmal sind. Das Geld würde reichen, um zu zweit mehr als eine Woche lang ausreichend Nahrung zu bekommen, um davon leben zu können. Oder eben dafür, um ein Paket zurückzuschicken, dass einem nicht weitergeholfen hat. Wieder einmal spürten wir, wie sehr wir noch immer ein Problem mit diesem Thema hatten. Nichts sprach dagegen, dass morgen jemand kommen würde, der uns genau diesen Betrag wieder schenkt. Und doch wehrte sich jede Zelle in uns, diese Investition als etwas Wertvolles zu akzeptieren. Auf dem Weg von La Forêt du Temple zurück zum Jakobsweg, kamen dadurch schon wieder die alten, bekannten Zweifel auf. Es war diesmal nicht so, dass es mich wirklich in ein Loch stürzte, aber es zerrte schon mächtig an meiner Stimmung. Wenn ich alle 2 bis 3 Monate neue Schuhe brauchte, die mich jedes Mal rund 200 € kosten würden, dann wären es 800 € bis 1200 € im Jahr. Wo sollte ich die auftreiben? Ich weiß, genau darum ging es ja eigentlich! Darauf zu vertrauen, dass genau das kommt, was man braucht, dass das Leben immer eine Lösung findet, dass genug da ist und man nur die Chancen sehen und ergreifen muss. Doch verdammt, manchmal ist das wirklich schwer. Es war ja klar, dass nicht alles immer perfekt laufen würde und abgesehen von den Schuhruinen, mit denen ich durch die Welt stapfe, läuft ja alles super. Doch diese kleinen Pannen hauen noch immer tiefe Kerben in mein Urvertrauen, die mich jedes Mal aufs neue nerven. Wobei das eigentlich nicht stimmt. Wenn ich ganz ehrlich bin, führen diese Situationen lediglich dazu, dass ich die Bereiche wahrnehme, an denen mein Urvertrauen noch immer nicht so stark ist, wie ich es mir wünschen würde. So gesehen, ist es auf eine verquere Art und Weise nichts anderes als eine Wahrnehmungsübung. Dies war übrigens auch der Grund, durch den das Missverständnis mit den Schuhen überhaupt erst entstanden ist. Es ging wieder einmal um Aufmerksamkeit. Ich hatte mir von Keen einen Schuh mit dem Namen Marshall-WP gewünscht. Daraufhin kam eine Mail zurück, dass der Schuh mit der Bezeichnung Marshall-Mid leider aus wäre, dass man uns aber einen vergleichbaren zusenden könne. Dass die kleine Bezeichnung am Ende des Namens bedeutete, dass es sich dabei um einen komplett anderen Schuh handelte, war mir nicht bewusst. Ich glaube, dass es 9 von 10 Menschen nicht aufgefallen wäre und ich fühle mich auch nicht schlecht deswegen, aber wenn ich in meiner vollen Aufmerksamkeit gewesen wäre und der kleine Dreher in der Bezeichnung mein Misstrauen geweckt hätte, dann hätte ich das Missverständnis verhindern können.

Auch der Esel freut sich über Heikos Geburtstag.

Auch der Esel freut sich über Heikos Geburtstag.

Aber Schwamm drüber! Erst einmal halten meine Schuhe ja noch und wenn auch nur am seidenen Faden. Ich wischte die Gedanken zur Seite und konzentrierte mich wieder auf die Dinge, die positiv verliefen. Agnés begleitete uns nach unserem Aufbruch noch eine Weile und sorgte dafür, dass die Stimmung ausgelassen und fröhlich war. Sie hatte keine Wanderschuhe dabei und trug daher gelbe Gummistiefel, die zusammen mit dem großen Strohhut auf ihrem Kopf ein umwerfendes Bild abgaben. Wir scherzten und lachten genauso viel wie am Abend zuvor. Als wir an eine Wiese mit einer großen Eiche darauf vorbeikamen, wurde es Zeit für das Geburtstagspicknick. Wir setzen uns in den Schatten des imposanten Baumes und breiteten die Köstlichkeiten aus, die Agnés Mutter uns mitgegeben hatte. Selbst gemachtes Brot, Urmöhren aus dem eigenen Garten, Käse und Pastete. Nach dem Essen versuchten wir uns noch einmal darin, unsere Flexibilität durch einige Yogaübungen zu erhöhen, aber das wirkte sich vor allem auf unsere Lachmuskeln aus.

Perfektes Wetter für ein Picknick.

Perfektes Wetter für ein Picknick.

Dann war es Zeit aufzubrechen und diesmal kam der Moment, an dem wir uns endgültig von Agnés verabschieden mussten. Seit Beginn unserer Reise hatten wir keinen Menschen mehr getroffen, mit dem wir mehr Zeit verbracht hatten. Normalerweise sahen wir niemanden länger als einen Tag, doch bei ihr waren es nun schon drei. Das klingt jetzt vielleicht auch noch nicht besonders lang, aber sie war uns in der Zeit wirklich ans Herz gewachsen. Der Abschied fiel uns nicht leicht und wir winkten uns noch so lange zu, bis wir einander nicht mehr sehen konnten. Dann waren wir wieder zu zweit.

Die Kuhfamilie beobachtet aufmerksam unser Picknick.

Die Kuhfamilie beobachtet aufmerksam unser Picknick.

Mit dem Verschwinden von Agnés wurden auch die Sorgen über die Zukunft wieder präsenter, aber davon habe ich ja bereits ausgiebig erzählt. Nach einer allzu langen Wanderung war uns jetzt nicht mehr zumute und auch der Tag ging bereits langsam zur Neige. In einem kleinen Ort, rund sechs Kilometer weiter, fragten wir im Rathaus nach einem Schlafplatz. Die junge Dame führte mich daraufhin zu einem kleinen Hotel in der Ortsmitte - der Weg betrug rund 20 Meter – und fragte dort, ob man ein Zimmer für uns hätte. Die Besitzer waren einverstanden und so kam es, dass wir zur Feier von Heikos Geburtstag sogar in einem echten Hotel übernachten dürfen.

Spruch des Tages: Happy Birthday!

 

Tagesetappe: 11 km

Gesamtstrecke: 1455,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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