Schlangenbegegnung

von Heiko Gärtner
29.10.2016 00:31 Uhr

05.10.2016

Das wichtigste Ereignis von Gestern habe ich in der ganzen Aufregung mit den Wirtsleuten vom Kaiserhof ja ganz vergessen. Da wir nicht einmal das Vordach nutzen durften, verstand es sich wohl von selbst, dass auch die Toiletten des Hofs und auch des Campinplatzes nicht nutzen durften. Wir Männer gingen daher zum Pinkeln regelmäßig auf eine Wiese hinter dem Hof, doch Anneliese hatte es etwas schwieriger, ein geschütztes Plätzchen zu suchen. Als sie schließlich eines gefunden hatte, kam sie nach kurzer Zeit kreidebleich zurück und sagte tonlos: "Oh Gott, ich geh nie wieder aufs Klo!"

Sie schaute, als wäre ihr der Teufel persönlich begegnet. Ganz so schlimm war es nicht, aber die Begegnung die sie hatte reichte dennoch aus, um sie in Todesangst zu versetzen. Gerade als sie sich hinter eine Mauer hocken wollte, kam eine Schlange mit einer Länge von guten zwei Metern auf sie zu, stellte sich vor ihr auf und fauchte sie an. Sofort war der Harndrang verschwunden und sie bekam den Schreck ihres Lebens. Der Schlange ging es allerdings nicht viel besser, denn diese war von der begegnung genauso überrascht wie Anneliese. Normalerweise hätte sie auch sofort die Flucht ergriffen, doch aufgrund der Kälte konnte sie sich fast nicht bewegen. Sofort nach dieser Meldung liefen wir zum Schlangentreffpunkt und schauten uns das Wesen an, das für so viel Panik gesorgt hatte. Es war eine Zornnatter, also eine ungiftige und für Menschen harmlose Schlange, doch durch ihre Größe flößte sie einen ordentlichen Respekt ein. Nur wenige Minuten vor ihrem Treffen mit Anneliese musste sie von einem Greifvogel erwischt worden sein, denn sie hatte eine klaffende Wunde am Kopf, die eindeutig von einem spitzen Schnabel herrührte. Bereits vor Annelieses eintreffen hatte sie sich also schon in Todesangst befunden. Dass sie da so schnell in Angriffsposition überging, konnte man durchaus nachvollziehen.

Am Abend in unserer Pension erfuhren wir noch ein spannendes Detail über die Donau. Oft hatten wir uns gefragt, was die Menschen dazu bewog, so dicht ans Donauufer zu bauen, wenn diese doch ständig überlief und alles überschwämmte. Vor allem hier in der Bergenge erschien dies besonders fahrlässig zu sein, denn das Wasser hatte ja keine Möglichkeit, irgendwohin auszuweichen und musste ja eigentlich alles mitreißen, was in Ufernähe stand. Doch wir hätten uns mit dieser Vermutung gar nicht stärker irren können. Der Wasserstand, der bereits ohne Regen wirkte, als würde er bald über die Ufer treten, war komplett künstlich. Er hatte nichts mit dem tatsächlichen Pegel der Donau zu tun, sondern wurde durch das Kraftwerk unten bei Aschach erzeugt. Solange es trocken war lief das Kraftwerk auf voller Leistung und hielt dabei den Stauwasserpegel auf Maximum. Sobald es zu regnen begann, fuhr das Kraftwerk und mit ihm auch der Wasserstand nach unten. Je mehr Wasser die Donau also im Allgemeinen führte, desto weniger Wasser führte sie hier. Bei der Jahrhundertflut von 2002, bei der die Häuser teilweise noch kilometerweit vom Ufer entfernt überschwämmt wurden, gab es hier einen Niedrigstand, durch den sich die Anwohner fragten, ob die Donau nun ganz austrocknen würde. An dieser Stelle hatte es also noch nie eine Überflutung gegeben, jedenfalls nicht so lange, wie das Kraftwerk existierte.

Nach dem Frühstück machten wir uns wieder auf die - neuen und lochfreien - Socken in Richtung Passau. Zum ersten Mal konnten wir nun auch mit Reiseführer navigieren, obwohl dies an dieser Stelle noch nicht so nötig war, da es ohnehin nur einen einzigen Weg entlang der Berge gab. Doch der Führer hatte nicht gelogen, wenn er behauptete, dass dies der schönste Abschnitt des ganzen Donauweges war. Der Fluss schlängelte sich hier mitten durch die steilen, in herbstlichem rotbraun schimmernden Berge und weder auf unserer noch auf der anderen Seite gab es Autoverkehr. Es war ruhig und schön, so wie wir uns den Weg erträumt hatten. Nach fünf Kilometern kamen wir nach Inzell, einem winzigen Dorf mit etwa 10 Häusern, von denen fast alle Gasthöfe waren. Vor einem der Wirtshäuser trafen wir auf drei Frauen und einen Mann, die mit Klemmbrettern bewaffnet über die Wiese zogen. Wie sich herausstellte war der Mann der Wirt und die Frauen gehörten irgendeiner Organisation an, die hier die Gasthäuser bewertete. Nach einem kurzen Gespräch lud uns der Wirt auf einen Frühstückstee ein. Zuvor aber ließ er uns noch an einer kleinen Tradition teilhaben, die sein Vater vor vielen Jahren ins Leben gerufen hatte. Täglich fuhren mehrere Passagierschiffe die Donau herunter und wieder hinauf. Einige pendelten nur zwischen Passau und Wien, andere fuhren bis ins Delta und kehrten erst dann wieder um. Doch hier an dieser Stelle kamen fast alle vorbei und im Laufe der Zeit kannten die Anwohner jeden Kapitän zumindest von weitem. Irgendwann einmal war der Vater unseres Gastgebers auf die Idee gekommen, die Touristenschiffe mit einem uralten Nebelhorn zu begrüßen, das einst eienr Großtante gehört hatte. Zunächst war es nur eine scherzhafte Geste gewesen, doch dann hatten die Kapitäne begonnen, ihrersteits mit der Schiffssirene zu antworten und so hatte sich im Laufe der Zeit ein festes Begrüßungsritual eingebürgert. Inzwischen war daraus die günstigste, lockerste und entspannteste Webestrategie geworden, die man sich als Gasthaus nur vorstellen konnte. Er war der einzige Nebelhornbläser an der Donau und die Passagiere wurden bereits über die Bordansagen auf das Ereignis hingewiesen, so dass alle an Deck kamen um das Gasthaus mit dem Nebelhorn zu sehen. Bei vielen weckte dies den Wunsch,das Gasthaus auch einmal auf dem Landweg zu besuchen.

 

Doch auch wenn ihm die Schiffe viele Vorteile brachten, sah er den regen Verkehr auf dem Wasser nicht unkritisch. Als Junge hatte er in Ufernähe imme ganze Schwärme von kleinen Fischen gesehen. Jetzt gab es sie fast gar nicht mehr. Sie brauchten das seichte, ruhige Wasser, um ihren Laich abzulegen, doch die immensen Bugwellen der Schiffe sorgten dafür, dass so große Wellen entstanden, dass sich der Laich nicht mehr halten konnte. Er wurde einfach die Donau heruntergespühlt und die Fische, die diese Wasserbewegungen nicht gewohnt waren verloren die Orientierung. Auch sonst hatte sich hier seit seiner Kindheit viel verändert. Der Speisesaal in dem wir saßen war einst eine Bootsbauwerkstatt gewesen, in dem sein Großvater noch hölzerne Schiffe gebaut hatte. Irgendwann hatte sie sich nicht mehr halten können und war in eine Gaststätte umgebaut worden. Ein gutes Stück Flussaufwärts kamen wir an einer Schülergruppe vorbei, die mit dem Rad unterwegs war. Oder besser gesagt, die mit dem Rad unterwegs sein wollte, denn faktisch hingen sie hier ziemlich fest. Bei einem der Schüler war die Kette aus dem Zahnrad gesprungen und er hatte es geschafft, sie so in das Achslager seiner Pedalen zu klemmen, dass man sie fast nicht mehr befreien konnte. Erst als wir zu viert, also die beiden Lehrer, Heiko und ich mit Steinen und Ästen darauf herumprügelten, begann sie sich langsam zu lösen. Als Dankeschön bekamen wir einige Tipps zu unserer Wegführung. Vor uns befand sich eine Fähre und somit hatten wir die Möglichkeit, entweder links oder rechts der Donau weiter zu gehen. Was wir zuvor nicht wussten war, dass sich unsere Uferseite schon bald wieder in eine Hauptstraße verwandeln würde. Der einzig sinnvolle Weg befand sich also auf der gegenüberliegenden Seite. Um übersetzen zu können, bekamen wir von den beiden Lehrern eine kleine Spende.

Das lustige an der Fähre war, dass man sie mit Hilfe einer recht außergewöhnlichen Klingel rufen musste. Neben der Anlegestelle befand sich eine Stahlplatte, an der ein kleiner Hammer befestigt war. Wir konnten zunächst nicht glauben, dass es wirklich etwas bringen sollte, wenn man auf diese Weise ein Signal aussandte, doch es dauerte keine zwei Minuten, da erkannten wir am anderen Ufer eine Gestalt, die auf die kleine Fähre zuging und den Motor startete. Der Fährmann war ein sympathischer Kerl, mit dem wir sofort ins Gespräch kamen. Als wir ihn nach Ideen für Übernachtungsmöglichkeiten innerhalb der nächsten fünf Kilometer fragten, bot er an, dass wir gleich bei ihm bleiben könnten. Gemeinsam mit seiner Frau führte er hier eine klein Landwirtschaft mit Gästehaus und Jausenstation.

Zum ersten Mal seit Slowenien hatten wir hier das Gefühl, dass der Begriff "Urlaub auf dem Bauernhof" nicht nur eine leere Floskel war. Jedes Ferienhaus, das nicht direkt in einer Stadt lag, konnte sich heute Agroturismus nennen, auch dann, wenn es direkt an einer Autobahn lag und wenn der ehemalige Bauernhof längst durch Plattenbauten ersetzt worden war. Hier aber war es etwas anderes. Der Hof war noch immer ein echter Hof und er lag so idyllisch, dass er direkt aus einem Heimatfilm hätte entspringen können. Gleich bei unserer Ankunft wurden wir von einer jungen, schwarzweißen Hümdin mit faszinierenden, fast magischen Augen begrüßt. Wenig später saßen wir gemeinsam beim Mittagessen in der Wirtsstube, wobei der Hausherr jedoch nur wenig Zeit mit uns verbringen konnte. Der Job als Fährmann brachte es mitsich, dass er immer in Bereitschaft sein musste. Seine Sinne, was Bewegungen am Steg und das Klingen der Stahlglocke betraf, waren so sehr geschult, dass es fast wie zauberei wirkte. Gerade jetzt in der Nebensaison war die Fährbetreuung eine anstrengende Sache. Es kamen nur wenige Menschen, aber diese kamen so verteilt, dass er teilweise immer sofort wieder aufspringen musste, wenn er sich gerade gesetzt hatte. Jährlich waren es rund 15.000 Besucher, die allein er mit seiner Fähre über die Donau brachte. Fast alle waren Radfahrer und nur ganz vereinzelt war auch mal ein Fußgänger dabei.

Für die Nacht und den Nachmittag bekamen wir die kleine Mitarbeiterwohnung, in der wir sogar eine Küche hatten, um die Vorräte von Anneliese aufzuwärmen. Heute war die Schaschlikpfanne an der Reihe und wie immer hätten wir uns hineinsetzen können. Vielen dank also noch einmal für die großartige Verpflegung!

Spruch des Tages: Wer ans Ziel kommen will, kann mit der Postkutsche fahren, aber wer richtig reisen will, soll zu Fuß gehen. (Jean-Jacques Rousseau)

Höhenmeter: 210 m Tagesetappe: 72 km Gesamtstrecke: 18.785,27 km Wetter: teilweise sonnig, teilweise bewölkt und regnerisch Etappenziel: Haus von Heikos Eltern, 92353 Postbauer-Heng, Deutschland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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