Ein Leben als Eremit

von Heiko Gärtner
17.02.2017 01:23 Uhr

27.01.2016

Über heute gibt es wenig zu berichten. Es ist nun noch etwa eine Woche bis Lourdes und wir sind noch immer dabei, die Vor-Pyrenäen zu durchqueren. Es ist definitiv eine der schönsten Gegenden, die Frankreich zu bieten hat und wir kommen immer wieder an kleinen, abgelegenen Häuschen vorbei, bei denen wir uns sogar vorstellen könnten, dass wir hier einmal leben könnten. Nicht das wir es vorhätten, aber wenn wir und in Europa einen Platz suchen müssten, dann wäre diese Region auf jeden Fall vorne mit dabei.

Am Ende der Wanderung erreichten wir eine Flachebene, die von einem Fluss durchschnitten wurde. Hier lag unser Etappenziel auf der anderen Seite der Brücke. Für die Nacht wurden wir dieses Mal von einem Pfarrer eingeladen, der eher von der entspannteren Sorte war. Nach dem Mittagessen fragte er, was unsere Pläne für den Nachmittag wären. Er hoffe, dass wir uns selbst beschäftigen können, da er einige Termine habe und die meiste Zeit deshalb nicht zu Hause wäre. Uns passte das sehr gut, denn wir hatten mehr als genug zu tun und hier im Pfarrhaus hatten wir sogar wieder einmal die Möglichkeit, das Internet zu nutzen.

28.01.2016

Nach dem Frühstück rief der Pfarrer bei einem befreundeten Mönch an, der etwa 18 km entfernt als Eremit bei einer kleinen Kapelle lebte. Sie lag nicht ganz auf unserem Weg und es war nicht der komfortabelste Platz, aber wir wurden eingeladen, dort vorbei zu schauen, wenn wir es wollten. Einige Stunden später standen wir dann tatsächlich vor der kleinen Kapelle, die ebenfalls als Heiligtum und Pilgerziel ausgeschrieben war. Bruder Patrice erwartete uns bereits und lud uns gleich auf einen warmen Tee ein, den wir nach dem regnerischen Tag gut gebrauchen konnten. Er selbst Lebte ein modernes Aussiedlerleben, das nicht ganz dem entsprach, was wir uns anhand der Beschreibungen von unserem letzten Gastgeber vorgestellt hatten. Bruder Patrice war kein alter, langbärtiger Mann, der in einer kleinen Steinhütte lebte und sein Leben der Stille und dem Gebet widmete. Er war etwa 40 Jahre alt, trug eine rote Sportjacke und eine hellblaue Stoff-Jogginghose mit praktischen Riesentaschen und er lebte in einem Campinganhänger. Sein mobiles Haus stand unter einem Vordach des kleinen Pilgerhauses neben der Kirche. Er hatte es sich schlicht aber ordentlich und pragmatisch eingerichtet und so gut wie möglich gegen die Kälte abgedichtet. Ein Auto besaß er nicht, obwohl er mehrfach im Monat zwischen diesem Aussiedlerheim, seinem Pfarrhaus in Toulouse und einer dritten Gemeinde hin und her wechselte, für die er zuständig war. Alle Strecken erledigte er mit dem Fahrrad und so kamen bei ihm ebenfalls schnell einige hundert Kilometer im Monat zusammen.

Spannend war aber vor allem, was er uns über die Geschichte der kleinen Kapelle und dieses Platzes erzählte. Ähnlich wie in Lourdes hatte es auch hier vor vielen Jahren eine Marienerscheinung gegeben. Die Geschichte dieser Erscheinung und der Erscheinung in Lourdes waren fast identisch. Beide Male war es ein junges Mädchen, die die Erscheinung sah und beide Male wurde die Kirche involviert, die im Anschluss eine Kapelle bauen ließ und den Ort als Heiligtum ausschrieb. Saint Bernard, so hieß dieser Ort, wurde lediglich rund 50 Jahre vor Lourdes von Maria besucht. Doch aus irgendeinem Grund hatten sich die beiden Orte im Anschluss komplett auseinander entwickelt. Während Lourdes zum meistbesuchten Touristenziel nach Paris heranwuchs, passierte in Saint Bernard gar nichts. Es blieb der unberührte und stille Platz, der er von Anfang an gewesen war. Der angrenzende Ort hat auch heute nicht mehr als 100 Einwohner und außerhalb der unmittelbaren Umgebung hat fast noch niemand von diesem Platz erfahren. Auch hier kommen fast täglich Pilger an, doch die meisten stammen aus der Gegend und statten dem Platz nur einen kurzen Besuch ab, um hier zu beten oder sich etwas heiliges Wasser abzufüllen. Orte wie diese mit Erscheinungen wie in Lourdes gibt es hier in der Umgebung noch zwei weitere. Warum keiner davon jemals bekannt geworden ist, während Lourdes jährlich Millionen von Besuchern anzieht wusste auch der Mönch nicht genau. Seiner Ansicht nach hatte es jedoch weit weniger damit zu tun, was HIER passiert war und viel mehr damit, was zur entsprechenden Zeit gerade in Rom passierte.

Zum Zeitpunkt der Erscheinung von Lourdes stand der Vatikan gerade vor einer Krise, in der ihm nichts gelegener kam, als eine frisch erschiene Jungfrau Maria, die den Menschen ihren Glauben an Gott und vor allem an die katholische Kirche festigte. Vorausgesetzt natürlich, man wusste, wie man das Wunder der Erscheinung von Lourdes publik machte. Denn wem hilft schon ein Wunder bei seiner Glaubensfindung, wenn er nicht weiß, dass es geschehen ist?

Spruch des Tages: Ob etwas berühmt wird oder nicht, hängt vor allem von der Vermarktung ab.

Höhenmeter: 320 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 20.534,27 km Wetter: Sonnig aber kalt Etappenziel: Pfarrhaus, 31220 Cazéres, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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