Tag 193: Die Sushi-Affäre

von Franz Bujor
13.07.2014 20:41 Uhr

So verlassen, wie die Stadt am Nachmittag gewirkt hatte, so überlaufen war sie am Abend. Der kleine Platz vor unserem Fenster war so voller Menschen, die in den Bars saßen, aßen, tranken und sich unterhielten, dass wir glaubten, es fände draußen eine Party statt. Irgendwo auf der anderen Seite der Stadt stimmte das auch, denn der Wind wehte ab und an die Musik einer Coverband zu uns herüber, doch auf unserem Platz hier, war es lediglich das normale Treiben eines Samstagabends im Sommer.

Am Morgen verließen wir das Hotel nach einem guten Früchtefrühstück und suchten unseren Weg in Richtung Spanien. Im Hotel hatten einige Informationen über einen Wanderweg entlang des Rio Tejo ausgelegen, die sehr gut zu unseren Reiseplänen passten. Der Wanderweg begann in einer Stadt Namens Entroncamento, die etwa 7km von Torres Novas entfernt lag. Dies war nun also unser nächstes Reiseziel.

Nach etwa zwei Kilometern kamen wir an einem großen Einkaufszentrum vorbei, das sogar noch lebte. Es befand sich direkt an der Autobahn, womit es die Menschen im Umkreis von vielen dutzend Kilometern anlocken konnte. Der lebendige Teil von Portugal schien sich lediglich auf diese Knotenpunkte zu konzentrieren. Die kleinen Dörfer starben total aus und wurden immer mehr zu Geisterorten und Ruinenstätten. Die größeren Stätte blieben so weit erhalten, dass sie gerade noch überleben konnten. Auch Entroncamento war ein sehr gutes Beispiel dafür. Es gab Häuser für die Einheimischen und darüber hinaus einen Bahnhof sowie die üblichen Bars und Cafés. Das Eisenbahnmuseum hätte man so wie es war selbst in ein Museum stecken können. Es war sicher bereits seit Jahren geschlossen und zerfiel in seine Bestandteile. Das Kino und das Theater sahen nicht besser aus. Es schien, als wäre gerade soeben genug Geld vorhanden, um die Stadt mit Lebenserhaltenen Maßnahmen vor dem Herztod zu bewahren. Ein Einheimischer, den ich nach einem Hotel fragte, schaute mich entgeistert an und fragte zurück, warum ich hier denn ein Hotel suche. Die Stadt sei doch überhaupt nicht schön und hätte nichts zu bieten. Ich musste ihm Recht geben. Hässlich war es hier wirklich und das, obwohl es eigentlich überhaupt nicht hätte sein müssen. Insgesamt war Porto eigentlich nicht Arm. Nicht als Nation und nicht nach dem zu urteilen, was man hier an Villen und Anwesen sehen konnte. Doch wie immer war der Wohlstand nicht besonders gut verteilt und es wirkte fast, als würde der Großteil der Bevölkerung ganz bewusst am Existenzminimum gehalten, damit er besser funktionierte.

Doch zurück zu unserem Einkaufszentrum. Hier spielten sich nacheinander drei Ereignisse ab, die ich für erwähnenswert halte. Zunächst einmal fanden wir einen Optiker, wo ich mal provisorisch einige Kandidaten für eine neue Brille testete. Das Model, was mir am besten gefiel haben wir einmal fotografiert. Was sagt ihr dazu? Ihr dürft gerne per Mail oder per Kommentarfunktion einige Meinungen äußern. Bitte ehrlich!

Das zweite Ereignis war, dass wir in einem Bürgerladen etwas zum Essen bekamen. Bürger natürlich und dazu Pommes mit Ketchup. Es war nicht ganz das, was wir uns unter gesunder Ernährung vorstellten, doch die Werbung hatte einfach zu verlockend ausgesehen, um nicht nachzufragen. Es ist wirklich krass, wie stark einen diese Werbetafeln beeinflussen!

Anschließend wollten wir unser schlechtes Gesundheitsgewissen wieder etwas aufpäppeln und fragten in einem asiatischen Restaurant. Der Bürger hatte uns nicht wirklich satt gemacht und hier gab es gute Aussichten auf Gemüse und andere Dinge, die weitaus besser für unseren Körper waren als das Fastfood von gegenüber. Damit begann das dritte und interessanteste Ereignis dieses Tages.

Der chinesische Mitarbeiter hörte sich meine Erklärung und die dazugehörige Frage in Ruhe an, zögerte einen Moment und willigte dann ein. Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass wir die Unterhaltung auf Englisch führten, also auf einer Sprache, die beide von uns gut beherrschten und mit der es eigentlich keine Sprachbarriere hätte geben dürfen.

Bei dem Restaurant handelte es sich um eine Sushi-Bar. So eine, bei denen das Essen auf einem kleinen Fließband immer im Kreis herum fährt. Für mich war es das erste Mal, dass ich in einem solchen Restaurant gegessen habe und ich muss sagen, ich war irgendwie fasziniert. Ständig kommt etwas Neues vorbei und immer muss man schauen, dass man es erwischt, bevor es vorbeigefahren ist. Gleichzeitig musste man aber auch aufpassen, dass man die Aufmerksamkeit nicht zu früh oder zu intensiv darauf lenkte, so dass einem der Leckerbissen nicht vor der Nase Weggeschnappt wurde. Von Heiko zum Beispiel. Nur das Prinzip mit den Unmengen an Tellern leuchtete mir nicht ganz ein. Jeder kleine Happen war auf einem eigenen Teller und noch ehe man wirklich merkte, dass man etwas gegessen hatte, stapelte sich bereits ein ganzer Turm an kleinen Tellerchen auf dem Tisch, die alle von irgendjemandem gespült werden mussten. Dann kam noch eine Frau vorbei und brachte uns eine Pfanne mit frischgebratenen Putenstreifen und Zwiebeln. Es war wirklich eine feine Sache. Die Schwierigkeit bestand jedoch darin, irgendwann ein Ende zu finden, denn wir wollten auch nicht zu dreist sein und alles wegfuttern, wo wir es schon umsonst bekamen. Als wir gerade aufstehen wollten, meinte unser Gastgeber jedoch, wir sollten ruhig noch bleiben und ordentlich zulangen. Da ließen wir uns dann nicht zweimal bitten.

Schließlich aber waren wir voll und äußerst zufrieden mit der ganzen Geschichte. Wir standen auf, gingen zu unserem Gastgeber, bedankten uns und wollten gehen. Doch plötzlich drehte er sich um, tippte ein paar Tasten an seinem Computer und verlangte 22,80€ von uns. Verwirrt sahen wir ihn an.

„Entschuldigung“, sagte ich unsicher, „aber du meintest doch, dass wir umsonst essen dürfen...“

Jetzt war er es, der uns verwirrt anschaute. „Wie bitte? Davon weiß ich nichts!“

„Ich habe dir doch am Anfang erklärt, dass wir vollkommen ohne Geld reisen und habe gefragt, ob ihr uns auch ohne Bezahlung etwas zu essen geben könnt.“

„Aber ich bin doch gar nicht der Chef!“ antwortete er, „Ich hätte doch gar nicht ‚ja’ sagen dürfen!“

Schon hatte die Chefin von der Sache Wind bekommen und eilte herbei wie ein Drache, dem man gerade auf den Schwanz getreten hatte. Die ganze Angelegenheit hätte sicher ziemlich einfach und unkompliziert geregelt werden können, wenn es möglich gewesen wäre, mit der aufgebrachten Dame zu sprechen. Doch sie zeigte immer nur wütend auf die Anzeige mit 22,80€ und zeterte wie Laubfrosch. Der Angestellte, der bei meiner Frage vor dem Essen nicht richtig zugehört und damit das ganze Missverständnis ausgelöst hatte, war auch nicht besonders hilfreich. Er hatte so eine Angst vor seiner Chefin, dass er sich nicht traute, auf irgend eine Weise Stellung zu nehmen oder zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte. Da die Chefin nur Chinesisch und Portugiesisch sprach, erklärten wir ihm, dass wir nicht aus böser Absicht die Zeche prellen wollten, sondern dass wir wirklich komplett ohne Geld waren und das Restaurant daher nur aufgrund seiner Einladung betreten hatten. Wir entschuldigten uns für das Missverständnis und boten sogar an, eine andere Art der Gegenleistung zu erbringen, doch da er unsere Botschaft nicht ins Portugiesische übersetzte, half das alles wenig.

Dafür warf uns die Chefin Betrug vor, weil es ja unmöglich sei, dass ein Restaurant seine Gäste kostenlos bewirte und das hätten wir wissen müssen. Wir erzählten ihr daraufhin auf Spanisch, dass uns der Burger-Laden von gegenüber zuvor bereits eine Kleinigkeit geschenkt hatte und dass wir auch ihr Restaurant um nicht mehr gebeten hatten. Jetzt plötzlich verstand sie die Sprache und schaute uns ungläubig uns an. Für einen Moment war sie kurz davor rüber zu gehen und den Fastfoodverkäufer zu fragen, ob unsere Geschichte stimmte. Dann entschied sie sich jedoch dafür, dass es ihr egal war. Wir kramten die letzten Euro zusammen, die wir von dem geschenkten Geld noch übrig hatten und erklärten ihr, dass dies alles sei, was wir besaßen. Es waren etwa vier bis fünf Euro, was deutlich unter dem Verkaufspreis des Restaurants lag, aber ziemlich genau dem eigentlichen Wert der Lebensmittel entsprach, die wir konsumiert hatten. Jeder von uns hatte eine kleine Flasche Wasser getrunken, die jeweils 9 Cent gekostet hatte. Dazu der Reis, etwas Fleisch und Gemüse, sowie ein bisschen Sauce. Es war insgesamt nicht mehr gewesen, als das, was man beim Take-Away-Asiaten in einer Papierbox für drei Euro bekommt, wobei der Verkäufer noch gut verdient. Hätte sie das Geld also angenommen, dann hätte sie keinen Verlust gemacht, die Sache wäre erledigt gewesen und sie hätte vor allem den anderen Gästen ihren Besuch nicht verleidet. Stattdessen aber machte mit ihrem Smartphone je ein Foto von Heiko und mir und rief die Wachpolizei des Einkaufszentrums an. Kurz darauf kam ein freundlicher und extrem entspannter Beamter, der sich das Problem von ihr schildern ließ. Sie schimpfte und fluchte und verschreckte damit nicht nur den Polizisten sondern auch alle anderen Gäste im Restaurant, die sich pikiert zu ihr umsahen. Bevor wir das Restaurant betreten hatten, war es vollkommen leer gewesen. Doch durch unsere Anwesenheit hatten wir weitere Gäste angelockt, die das Lokal inzwischen gut gefüllt hatten. Bis zu diesem Moment hatten wir also einen durchaus geschäftsfördernden Einfluss auf ihr Etablissement gehabt. Durch ihr Auftreten machte sie diesen jetzt jedoch komplett zunichte und verschreckte die anwesenden Gäste wahrscheinlich für immer.

Schließlich durften auch wir mit dem Polizisten sprechen. Er sprach Spanisch und ein bisschen Englisch und hörte sich unsere Geschichte in Ruhe an. Dann weiß er uns darauf hin, dass es hier nicht möglich sei, umsonst zu essen und dass das Restaurant nun mal seine Preise hatte. Noch vor Eintreffen des Beamten hatte uns der Kellner, der das Missverständnis ausgelöst hatte bereits gesagt, dass er die Rechnung für uns übernehmen würde. Immerhin hatte er uns ja auch eingeladen, wenngleich es keine Absicht gewesen war. Leider hatte er nicht das Rückgrat, diese Zusage auch gegenüber dem Polizisten oder seiner Chefin zu machen und so half sie uns wenig. Es dauerte insgesamt gut eine halbe Stunde, in der nur auf der Stelle geredet wurde, bis die Sache schließlich voranging. Der Polizist hatte uns ein paar Mal aufgefordert, bei anderen Restaurants im Zentrum nach Essen zu fragen. Zunächst hatten wir nicht verstanden, warum er das sagte, doch schließlich ging uns auf, dass er noch immer nicht wusste, worum es hier eigentlich ging.

Die Restaurantbetreiberin hatte so wild auf ihn eingeredet, dass er nichts von dem Problem verstanden hatte. Er glaubte, dass wir hier waren, weil wir etwas zu essen von ihr wollten, sie uns aber keines geben wollte. Dass es in Wirklichkeit um Nahrung ging, die bereits verzehrt war, verstand er erst, als wir ihm jetzt noch einmal alles von Anfang an erzählten. Um die Situation zu entspannen, begannen wir die Passanten im Zentrum zu fragen, ob sie uns mit ein paar Euro aus der misslichen Lage helfen konnten. Zwanzig Menschen die jeweils einen Euro gegeben hätten, hätten ja ausgereicht um das Essen zu bezahlen. Doch in der Zwischenzeit hatte der Polizist mit seinen neuen Informationen noch einmal mit der Chefin gesprochen und ihr klar gemacht, dass sie wegen ein paar Euro nicht so einen Aufstand machen solle. Es sei schließlich ein Missverständnis gewesen, das uns Leid täte, das wir aber leider nicht mehr Rückgängig machen konnten. Selbst wenn, dann wolle sie die Nahrung jetzt sicher nicht wieder haben, da sie sie im derzeitigen Zustand wohl kaum noch verkaufen könne. Die gute Frau gab sich schließlich geschlagen und erließ uns die Rechnung. Als wir noch einmal zu ihr gingen um uns bei ihr zu bedanken, blickte sie uns nur angewidert an und wich zurück. Heikos ausgestreckte Hand als Zeichen des Friedensangebotes konnte sie jedoch trotzdem nicht ausschlagen. Der Kellner meinte nur, wir sollen beim nächsten Mal besser aufpassen, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Aus seinem Mund kam die Botschaft etwas gehässig herüber und wirkte irgendwie fehl am Platz, wenngleich er natürlich Recht hatte. Es hatte wirklich einen kurzen Moment gegeben in dem wir das ungute Gefühl hatten, dass er uns vielleicht nicht richtig Verstanden hatte. Es war nur ein kurzes Bauchgefühl das sich in vielen Situationen in der Vergangenheit als völlig unbegründet herausgestellt hatte, doch es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, noch einmal nachzufragen. In Zukunft werden wir mehr auf diese Gefühle achten und auch danach handeln.

Die ganze Aktion hatte uns so viel Zeit gekostet, dass wir nun nicht mehr motiviert waren, noch große Strecken zurückzulegen. Wir wanderten die fünf Kilometer bis nach Entroncamento und suchten uns dort eine Unterkunft. Die Stadt war wie gesagt nicht unbedingt ein Highlight. Auf der Suche nach einem Hotel traf ich einen alten Mann, der so stark verkrunschelte, entzündete und aufgeschwollene Finger hatte, dass er damit kaum noch in der Lage war, die Zigaretten aus der Verpackung zu ziehen.

Im Hotel Dom João war der Chef von unserem Projekt so begeistert, dass er uns sofort ein Zimmer zur Verfügung stellte. Wie gesagt, es ist hier wirklich leichter, in einem 4-Sterne-Hotel zu leben, als in einem Raum der Kirche.

Spruch des Tages: Steh zu deinen Aussagen, dann klappt’s auch mit den Kunden.

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 7 km

Gesamtstrecke: 3814,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare