Männer des Glaubens

von Heiko Gärtner
16.01.2018 08:19 Uhr

28.07.2017

Landschaftlich änderte sich auch heute nichts und so gibt es über unsere Wanderung nicht viel zu berichten. Interessant war lediglich, dass wir heute zwei Männern begegneten, die beide auf ihre Art einen sehr tiefen Glauben besaßen, sich dabei aber unterschieden wie Tag und Nacht. Der erste war ein Farmer, in dessen Hof wir versehentlich stolperten, als wir uns unseren Weg durch das Hinterland bahnten. Er hatte lange Zeit einen industriellen Hof geführt und dabei nur so mit Giftstoffen und künstlichen Präparaten um sich geworfen. Es hatte lange gedauert, doch dann hatte er erkannt, dass er mit jedem Gramm Gift, das er im Außen verteilte, auch sich selbst vergiftete. Sein Körper begann zu streiken und es wurde klar, dass er etwas ändern musste.

Historisches Grabmal im Licht der Morgensonne

Historisches Grabmal im Licht der Morgensonne

So stellte er sein Leben und seine Bewirtschaftungsweise um, was allerdings zur Folge hatte, dass er nun kaum mehr von seinen Erzeugnissen leben konnte. Mehrfach wurde er bereits polizeilich aus seinem Haus geworfen und ins Gefängnis gesperrt, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte. Doch stets hatte er es geschafft wieder hier her zurückzukehren. „Ich weiß nicht wie,“ sagte er, „aber Gott passt auf mich auf und er sorgt stets dafür, dass ich wieder zu meinem Hof zurückkehren kann.“ Er selbst sagte von sich, dass er hier nun seit Jahren das Leben eines Mönchs lebte. In Einsamkeit und Enthaltsamkeit. Tatsächlich hatte er in seinem Haus nicht mehr Platz als ein Mönch in seiner Zelle, wobei dies in erster Linie an seinem Messiverhalten lag, das dafür sorgte, dass alles bis unter die Decke mit unnützem Gerümpel voll gestellt war. Und dennoch. Obwohl der Mann ärmer war als jede Kirchenmaus und obwohl sein Saustall unwirtlicher war als die Gefängnisse, in die man ihn zum Schuldenabbau gesteckt hatte, war dies ein zu Hause. Er war mit diesem Platz verbunden, auch wenn es außer ihm wahrscheinlich niemanden gab, der das nachvollziehen konnte.

Das Rieddach wird neu gedeckt.

Das Rieddach wird neu gedeckt.

Eine knappe halbe Stunde später trafen wir den Pfarrer der Gemeinde. Auch er war tief in seinem eigenen Glauben verankert, wenn auch auf eine vollkommen andere Weise. Er lebte in einer modernen Villa, genoss das Ansehen und den Luxus eines geschätzten und wohlhabenden Mannes und brauchte sich über Geld keinerlei Gedanken zu machen. Anders als der Farmer, der quasi nur aus seinem inneren Kern bestand und auf den äußeren Ausdruck nicht einen Hauch von Wert legte, sorgte der Pfarrer dafür, dass alles darauf ausgerichtet war, den Menschen ein gutes und erhabenes Gefühl zu geben. Seine Kirche war ein modernes, weißes Gebäude mit einer digitalen Informationstafel davor, auf der jeder Vorbeikommende über die kommenden Veranstaltungen aufgeklärt wurde. Und auch sein Haus sagte in jedem Detail aus: „Folge Jesus und auch du kannst in diesem Wohlstand leben!“

Friedhof vor Kirchenruine

Friedhof vor Kirchenruine

Als wir durch das Eingangsportal traten, hörten wir seichte Klaviermusik aus dem Wohnzimmer, die kurz darauf verstummte. „Dies ist meine Frau am Klavier!“, sagte er wie zufällig, kurz bevor sie in der Tür auftauchte, um uns zu begrüßen. Nichts davon war irgendwie unangenehm oder aufdringlich, doch es wirkte wie eine perfekt geplante Inszenierung. Nun erfuhren wir auch, warum die Kirchen hier um so viel größer waren, als in England. Unser Pfarrer gehörte der sogenannten Presperitarischen Kirche an, einem relativ jungen und modernen Zweig des Christentums, der am ehesten mit dem afrikanischen Gospel vergleichbar ist. Wenn seine Aussagen stimmten, dann sorgte dies dafür, dass tatsächlich zwischen 300 und 500 Gläubige in die Messen kamen. Damit war die Presperitarische Kirche die größte und populärste in Nordirland, während die traditionelle irische Kirche, genau wie auch die englische mehr und mehr ausstarben.

Altar

Altar

Und doch waren wir am Ende nicht sicher, welcher der beiden Männer es besser oder schlechter getroffen hatte. Denn so prachtvoll der Platz des Pfarrers auch war, er lebte dennoch direkt neben der Hauptstraße und weder in der Kirche noch in seinem Wohnzimmer konnte man jemals Ruhe finden. Einzig der Gemeindesaal, den wir für die Nacht bekamen, bot einen einzigen Raum, der so sehr von allem abgeschirmt war, dass man darin keine Motorengeräusche hören konnte. In Sachen heiliger Stille war der Farmer also bedeutend besser dran.

Weidende Kuh

Weidende Kuh

Auch stellten wir fest, dass das Verständnis von Gott und Spiritualität, das der Farmer hatte, bedeutend tiefer und fundierter, dabei aber auch offener und flexibler war, als das des Pfarrers, dem es schwerfiel, eine andere Interpretation des Glaubens als seine eigene gelten zu lassen. Und doch ging von beiden eine starke Überzeugungskraft aus, die bewundernswert war. Beide waren Meister darin, andere von ihren Überzeugungen zu begeistern und ihre Werte zu vermitteln.

Spruch des Tages: Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzt, dann der Glaube an die eigene Kraft

Höhenmeter: 160 m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 24.901,27 km

Wetter: Sonnig und warm

Etappenziel: Städtisches Apartment, Brix, Frankreich, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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