Moderne Schulen – Sicherheit oder Entmündigung

von Heiko Gärtner
03.03.2020 16:11 Uhr
 

Seit wir selbst die Schulbank gedrückt haben ist nun bereits eine ganze Weile her. Dass sich seitdem offenbar verändert hat, war uns bewusst. Wie arg diese Veränderungen sind, durften wir jedoch heute einmal aus nächster Nähe betrachten. Eine Erfahrung, bei der uns ein wenig die Spucke wegblieb, da wir kaum mehr fassen konnten, was wir sahen. Inwiefern einen die Schule früher aufs „echte Leben“ vorbereitet hat, darüber lässt sich sicher streiten.

Freude am Lernen: Das ist es, was eine Grundschule eigentlich darstellen sollte.

Freude am Lernen: Das ist es, was eine Grundschule eigentlich darstellen sollte.

Die moderne Schule von heute

Die moderne Schule von heute

Aber die moderne Schule von heute scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, die Kinder in einer Art verantwortungsfreien Seifenblasenwelt großzuziehen um ihnen jede Möglichkeit der Selbstbestimmung und des Wachstums zu nehmen. So jedenfalls empfanden wir es. Ein anderer würde vielleicht sagen, dass man heute einfach deutlich bessere Sicherheitsvorkehrungen trifft, sodass unseren Kindern nichts passieren kann. Aber unsere Frage dabei ist, ist das wirklich sinnvoll? Sollte man ein Kind, das gerade laufen lernt, wirklich daran hindern, hin und wieder hinzufallen? Denn genau das ist es, was wir hier versuchen.

Digitales Lernen ist in modernen Schulen längst an der Tagesordnung

Digitales Lernen ist in modernen Schulen längst an der Tagesordnung

Hochsicherheitstrakt Grundschule

So ist das moderne Schulgebäude in jeder einzelnen Eigenschaft darauf ausgelegt, dass die Kinder auch nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr Acht geben müssen. Ich weiß noch genau, dass mir meine Eltern als kleines Kind immer wieder eingebläut haben, dass ich meine Finger nicht in den Spalt zwischen Tür und Türrahmen stecken darf, wenn mir etwas an ihnen liegt. Ein anschauliches Beispiel, was mit einem Strohhalm passiert, den man in der Tür einquetscht, reicht dabei normalerweise aus, um einem Kind deutlich zu machen, dass es hier die Finger weglassen möchte.

Wie viel kindliche Freude opfern wir unserem Sicherheitsfanatismus?

Wie viel kindliche Freude opfern wir unserem Sicherheitsfanatismus?

Heute ist dies nicht mehr nötig. Denn jede einzelne Tür unserer Grundschule hatte einen Schutzrahmen, der verhinderte, dass man mit den Fingern in die Tür geraten konnte. Diese Gefahr war also schon einmal gebannt. Tatsächlich hätten wir uns das auch eingehen lassen, wäre es nicht der Anfang einer schier unendlichen Palette an Vorsichtsmaßnahmen gewesen. Schließlich waren wir uns nicht mehr sicher, warum man die Kinder nicht einfach in große Kissenbezüge einnähte und intravenös ernährte, damit sie sich nicht verschlucken konnten.

Kaum eine Berufsgruppe leidet so häufig unter Burnout wie Lehrer. Ist unsere moderne Schule also wirklich sicherer geworden?

Kaum eine Berufsgruppe leidet so häufig unter Burnout wie Lehrer. Ist unsere moderne Schule also wirklich sicherer geworden?

In einer modernen Schule läuft alles automatisch

So gab es beispielsweise keine einzige Tür mehr, die sich nicht automatisch von selbst wieder verschloss, wenn man sie einmal geöffnet hatte. So etwas wie „Achte bitte darauf, dass du die Tür geschlossen hältst!“ war nun unnötig geworden. Weiter ging es im Bad, in dem es keine echten Spültaster mehr gab, sondern nur noch Bewegungsmelder, die einen automatischen Spülvorgang auslösten um kleine und große Geschäfte sicher zu entfernen. Dass Wasserhähne von selbst wieder ausgehen, ist ja seit langem keine Neuerung mehr. Auch nicht, dass man in Fluren und zum Teil in öffentlichen Toiletten Bewegungsmelder anbringt, sodass das Licht nicht unnötig brennt.

Nur weil es digital ist, muss es nicht besser sein.

Nur weil es digital ist, muss es nicht besser sein.

Dass es diese Bewegungsmelder aber auch in den Klassenräumen gibt, war uns dann schon neu! Man hatte zwar noch Lichtschalter und konnte diese auch noch betätigen, doch kam man auch vollkommen ohne aus. Wenn man einen Raum betrat, ohne den Schalter zu drücken, ging das Licht trotzdem an. Bewegte man sich zu lange nicht, ging es aus, ohne dass jemand den Schalter drückte. Ob dies für ein Klassenzimmer wirklich sinnvoll ist, in dem die Schüler ja eigentlich still sitzen und lesen oder schreiben sollen, ist tatsächlich eine Frage. Was würde man nur ohne die ADHSler und ihren Bewegungsdrang machen?

Bis wann sind Sicherheitsvorkehrungen hilfreich und ab wann stören sie die Kinder beim Lernen?

Bis wann sind Sicherheitsvorkehrungen hilfreich und ab wann stören sie die Kinder beim Lernen?

Es gibt nichts, das man nicht automatisieren könnte

Und noch immer waren wir nicht am Ende. Die Heizung stellte sich automatisch ein und aus, ohne dass man hierauf noch Zugriff gehabt hätte. Gleiches galt für die Rollos: Man konnte sie zwar rauf und runter fahren, doch wenn sie das Licht, dass durch die Fenster in einen Raum fiel, für zu hell empfanden, dunkelten sie automatisch ab. Ebenso fuhren sie wieder hoch, sobald es draußen dunkler wurde.

Verschwindet mit den Tafeln auch die Weisheit?

Verschwindet mit den Tafeln auch die Weisheit?

Aber auch das war noch nicht alles! Anstelle von Tafeln, auf die man mit Kreide schrieb und die man mit Schwamm und Wasser wieder reinigte, gab es nun „Digital White Boards“ die über den Computer gesteuert wurden. Antippen reichte aus, um Flächen auszumalen oder die ganze „Tafel“ wieder zu reinigen.

Schulbücher werden immer mehr durch moderne Medien ersetzt.

Schulbücher werden immer mehr durch moderne Medien ersetzt.

Macht es das wirklich sicherer?

Wie soll man in so einer Umgebung noch irgendetwas lernen? Abgesehen davon, dass es vollkommen egal ist, was man tut, da nichts eine Konsequenz mehr zu haben scheint. Nur wird dies ein böses Erwachen, wenn man eines Tages auf die Straße tritt und merkt, dass die Autos nicht automatisch ausweichen, wenn man unachtsam über die Fahrbahn läuft.

Was passiert mit unserem Gehirn?

Unser Gehirn entwickelt sich erwiesenermaßen mit den Aufgaben, die es zu bewältigen hat. Was also passiert, wenn wir ihm keine Herausforderungen mehr bieten?

Weisheit des Tages: So viel Sicherheit ist ganz schön verunsichernd. Tagesetappe: 14 km Höhenmeter: 135 m Etappenziel: Grundschule, Sommepy-Tahure, Frankreich
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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