Wie kommt man kostenlos nach Amerika?

von Heiko Gärtner
07.02.2017 01:42 Uhr

17.01.2017

Der eiskalte Wind blies uns nun bereits den vierten Tag mit voller Kraft entgegen. Es war wirklich schade, wie sehr er verhinderte, dass wir die Wanderungen entlang des Kanals genießen konnten. Doch so wie es aussah, war er nicht ungewöhnlich für diese Gegend. Unsere Gastgeberin aus Berlin hatte uns erzählt, dass die genaue Übersetzung ihres Ortsnamens „Wind des Ostens“ bedeutete. Es gab Zeiten im Sommer, in denen er auch hier so stark war, dass er den Sand aus Afrika mitbrachte und dann alles rot färbte. Ungewöhnlich war meines Erachtens nur, dass wir in Richtung Westen gingen und uns der Wind trotzdem entgegen wehte. Lag Afrika nicht eigentlich in der anderen Richtung? Gegen Mittag erreichten wir eine kleine Ortschaft, an die wir uns spontan erinnern konnten. Vor zwei Jahren hatten wir hier einen kleinen Saal mit lauter Instrumenten darin bekommen. Der Saal an sich war nichts besonderes, doch die Umstände, unter denen wir damals hier angekommen waren schon. Denn wir waren nicht zu zweit sondern zu dritt gewesen. Axél, eine Junge Frau, die wir einen Tag zuvor kennengelernt hatten, hatte uns hier her begleitet. Gemeinsam mit ihr hatten wir im Rathaus nach einem Platz gefragt und später noch lange mit den beiden Sekretärinnen gequatscht.

Als ich das Rathaus nun betrat, strahlte mir die Dame am Empfang sofort entgegen. „Hey, ich kenn dich doch! Du gehörst doch zu den Wanderern, die schon mal hier waren!“ Ich strahlte zurück und erzählte ein bisschen von dem, was seit unserem letzten Besuch alles passiert war. Eine wirklich kurze Zusammenfassung natürlich nur, denn sonst wäre Heiko draußen bei unseren Wagen erfroren. Als ich fragte, ob wir noch einmal eine Nacht bleiben könnten, verblasste ihr Lächeln jedoch. „Ich bin nicht ganz sicher!“ meinte sie etwas trübe, „unser alter Bürgermeister ist gestorben und die neue ist – naja, wie soll ich sagen – anders... Ich rufe sie aber mal an und schaue, ob sie sich überreden lässt.“ Um sich vorsorglich immun gegenüber den Überredungskünsten der jungen Frau zu machen, ging die Bürgermeisterin nicht einmal ans Telefon. Doch aufgeben wollte unsere Fürsprecherin nicht und so dauerte es nur ein paar Minuten, bis sie eine andere Option erarbeitet hatte. Nicht weit vom Rathaus entfernt wohnte ein Ehepaar, das hin und wieder Jakobspilger in einer kleinen, separaten Wohnung beherbergte. Hier durften auch wir für die Nacht bleiben.

Am Nachmittag beschäftigten wir uns schon einmal ein bisschen mit der Frage, wie wir unsere Überfahrt nach Amerika gestalten wollten. Klar, es sind noch immer rund zwei Jahre, bis es akut wird, aber die vergehen wahrscheinlich schneller, als man so denkt. Da Fliegen in unseren Augen keine wirkliche Option ist, haben wir uns bei den Überlegungen zunächst einmal auf die Möglichkeiten per Schiff konzentriert. Eine Option, die anscheinend relativ gut funktionieren muss, wenn man kostenlos über den Atlantik reisen will, ist das Mitfahren in Trucks. Wenn LKWs mit einer Fracht per Fähre auf den amerikanischen Kontinent übersetzen, zahlen sie in der Regel Gebühren für die Ladung, das Fahrzeug und den Fahrer, nicht aber für einen eventuellen Beifahrer. Wenn es einem an einem Hafen also gelingt, einen oder in unserem Fall eher drei LKW-Fahrer zu überreden, einen als Passagier mitzunehmen, kann man auf diese Weise relativ gut und kostenfrei übersetzen. Die Sache hat nur ein paar kleine Haken. 1. Die Informationen über diese Truck-Frachter-Tramper-Methode, die wir bekommen haben, sind nicht mehr ganz aktuell, sondern bereits ein paar Jahre alt. In vielen anderen Bereichen wäre das kein Problem, aber gerade was das Trampen mit LKWs und dann auch noch mit Schiffen anbelangt, ändern sich die Dinge sehr schnell. Als ich vor einigen Jahren zur Uni getrampt bin, war es Anfangs noch kein Problem, mit LKWs mitzufahren. Kurze Zeit später gab es aber kaum noch einen Truck-Fahrer, der einen mitgenommen hat, nicht weil er nicht wollte, sondern einfach, weil sich die Versicherungsgesetze geändert hatten und er es nun nicht mehr durfte. In der Fuhrparkversicherung eines Speditionsunternehmens waren nun nur noch Fahrer, Fahrzeug und Ladung enthalten. Ein Beifahrer war unversichert und so durfte man offiziell nicht einmal seine Frau oder einen Arbeitskollegen mitnehmen. Viele sahen das nicht so eng und fuhren nach dem Motte: „Wird schon gut gehen!“, aber es erschwerte die ganze Angelegenheit trotzdem. Die Frage war also, ob man auch heute noch auf diese Weise reisen konnte und wenn ja, wie gut die Chancen standen, dass man dabei wirklich drei Fahrer auf dem gleichen Schiff fand.

Der zweite Haken bestand darin, dass man sich bei dieser Methode sehr lange auf einem großen, lauten Frachtschiff befand, das einen ähnlichen Komfort bot, wie unsere Fähre von Igoumenitsa nach Brindisi. Die Fahrt hier hatte gerade einmal acht Stunden gedauert und war für uns bereits die Hölle gewesen. Wie also würden wir eine Fahrt verkraften, die mehrere Tage oder gar Wochen dauerte? Der dritte Haken bestand in der Organisationszeit. Denn diese Art des Reisens ließ sich nicht vorher planen. Man musste direkt an Ort und Stelle sein und die Truckfahrer direkt ansprechen. Dies bedeutete aber, dass man sich je nach Erfolg mehrere Tage oder Wochen in einer Hafenstadt aufhalten musste und dabei täglich stundenlang mitten im Industriehafen herumstand. Solche Städte hatten uns bereits beim Durchwandern fertig gemacht und wir waren jedes Mal froh gewesen, nicht direkt wieder hinein zu müssen. War es also wirklich unser Ziel, hier eine Bleibe für mehrere tage zu suchen? Und wenn ja, wie stellten wir das an, denn auch diese sollte ja möglichst kostenfrei sein, gleichzeitig aber einen gewissen Erholungswert haben, um nicht vollständig durchzudrehen. Die zweite Variante, die uns noch immer wesentlich besser gefiel, war es auf einem Kreuzfahrtschiff wie der AIDA anzuheuern und dort als Saunaaufgießer zu arbeiten. Dies erschien uns entspannter und luxuriöser, wenngleich es natürlich voraussetzte, dass sich die AIDA oder das entsprechende andere Kreuzfahrt-Unternehmen auf den Deal einließ. Aus ökologischer Sicht ist diese Variante allerdings ebenfalls nicht ganz unbedenklich. Denn bei unseren Recherchen fanden wir heraus, dass ein durchschnittliches Kreuzfahrtschiff rund 250.000l Schweröl am Tag verbraucht.

Am Tag! Ist das nicht unglaublich? Selbst wenn man nun einmal von dem immensen Ressourcenverbrauch absieht, den das bedeutet, ist allein schon der Schadstoffausstoß untragbar. Ein Kreuzfahrtschiff bläst etwa genauso viel Schadstoffe in den Himmel, wie fünf Millionen Autos, die die gleiche Strecke zurück legen. Für die gleiche Umweltbelastung, die ein Kreuzfahrtschiff produziert, könnte man also theoretisch 25.000 Menschen einmal quer über einen Kontinent fahren. Selbst wenn jedes Auto nur mit einer einzigen Person besetzt wäre, wären es noch immer 5 Millionen Fahrer. Selbst wenn also ganz Berlin mit Umland und Potsdam auf die Idee kommen würde, gleichzeitig mit dem Auto bis nach Syrien zu fahren und dabei jedes Auto nur mit einer einzigen Person zu besetzen, wäre dies noch immer nicht so Umweltschädlich, wie eine Kreuzfahrt über den Atlantik. Oder anders gerechnet: Wenn es sich bei allen Fahrzeugen um Mittelklasse-Wagen handelt, dann bringen sie gemeinsam ein Stauvolumen von 5 Milliarden Litern auf die Beine, das man nutzen könnte, ohne damit mehr Schadstoffe auszustoßen als ein Kreuzfahrtschiff. Und da sag noch einer, dass der Schiffsverkehr eine ökologische Transportvariante ist!

Die dritte Option ist es, auf einem Segelschiff anzuheuern und als Leichtmatrosen überzusetzen. Diese Variante gefällt mir noch immer am besten. Heiko hingegen ist auch dabei etwas skeptisch, und das wohl nicht ohne Grund. Bei seinen Recherchen stieß er auf einige junge Reisende, die eine solche Überfahrt gemacht haben. Die Überbrückung der 4.100km von Europa nach Amerika dauerte rund einen Monat. Dabei fuhren sie mit einer Geschwindigkeit von 15-25 Knoten, also im Schnitt rund 20km/h am Tag und 9-13km/h in der Nacht. Obwohl die Gelegenheitsmatrosen normalerweise keine Probleme mit Seekrankheit hatten, hingen sie die meiste Zeit über der Reling. Für Heiko, dem das Meer seit einer Erfahrung in Thailand, bei der er mit einem Schiff untergegangen war, nicht mehr so ganz geheuer war, machte dies besonders große Bedenken. Ein weiteres Manko war auch, dass auf der Überfahrt trotz des Segels rund 600l Diesel verbraucht wurden. Je nach Windbeschaffenheit war es nötig gewesen, einen Zusatzmotor laufen zu lassen und dies hatte hatte sich am Ende ganz schön summiert. Unser Fazit: So ganz überzeugend ist das alles noch nicht. Gut, dass wir noch immer zwei Jahre Zeit haben, um unsere Ideallösung zu finden.

Spruch des Tages: Eine Seefahrt die ist lustig eine Seefahrt die ist schön..

Höhenmeter: 40 m Tagesetappe: 10 km Gesamtstrecke: 20.371,27 km Wetter: Sonne und starker, kalter Gegenwind Etappenziel: Private Wohnung, 11800 Marseillette, Frankreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare