Mülltrennungslüge

von Franz Bujor
01.04.2014 20:37 Uhr

Noch 10 Tage bis zum 100-tägigen Jubiläum unserer Weltreise!

Unser Schlafplatz gestern war eine gemütliche, kleine Pilgerherberge. Zur Hochsaison konnten hier bis zu 6 Pilger übernachten, die sich dann gemeinsam eine einzige Herdplatte teilen mussten. Das wiederum war wahrscheinlich etwas stressig, aber um diese Jahreszeit waren wir die einzigen und somit hatten wir auch kein Problem. Vor dem kleinen Supermarkt baten wir um etwas Geld für ein Abendessen und nach kurzer Zeit hatten wir genug für 1000 Gramm Spagetti mit Tomatensauce. Zu diesem Zeitpunkt rechneten wir noch nicht damit, dass wir wirklich das komplette Kilo in uns hineinspachteln würden, aber wir können mit Stolz und Bauchschmerzen behaupten, dass wir es getan haben. Passenderweise haben wir vor und nach dem Essen die Gliederung für ein Buch mit dem Thema „Grundsanierung des Körpers“ geschrieben, bei dem es unter anderem um gesunde und kräftigende Ernährung geht, die die Selbstheilungskräfte des Körpers anregt. In diesem Punkt sollten wir also vielleicht noch einmal an uns arbeiten.

Ein Blick ins Pilgerbuch ist immer wieder interessant.

Ein Blick ins Pilgerbuch ist immer wieder interessant.

Wie in vielen Pilgerherbergen lag auch hier ein Gästebuch, in dem sich jeder Gast verewigen konnte, der auf seinem Weg nach Santiago hier vorbeigekommen war. Wir schauten die Einträge immer wieder gerne durch, um zu sehen, wer außer uns alles so auf der Reise war. Der erste Eintrag war von 2003. In diesem Jahr und auch in den darauffolgenden gab es nur sehr wenig Pilger. Dann aber gab es einen abrupten Anstieg, und zwar zufälligerweise kurz nach dem Erscheinen von Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg!“ Der Junge hat also anscheinend einige Nachahmer gefunden.

In den letzten Jahren flaute es dann wieder zusehends ab. Für 2014 waren es bisher drei Einträge, was durchaus beachtlich ist. Darunter waren zwei Männer, die am 13. Januar in Deutschland gestartet sind. Sie pilgerten also über Weihnachten und Neujahr hinweg. Aus ihrem Schreiben konnte man vor allem herauslesen, dass sie sich einsam fühlten und Kontakt zu anderen Pilgern wünschten. Dies war vielleicht auch ein Vorteil, wenn man ohne Geld reiste. Man konnte nicht einsam sein, denn um zu überleben musste man ja mit Menschen in Kontakt treten, ob es einem nun passte oder nicht. Und wenn wir an die vergangen 90 Tage zurückdenken, dann waren es vor allem die Begegnungen, die die Reise zu etwas Besonderem machten.

Saint Ferme

Saint Ferme

 

Heute wurde unser Tag eher wieder etwas entspannter. Wir starteten erst kurz vor zehn und machten nach 2 Kilometern die erste Pause. Die zweite Pause folgte in einem Ort namens Saint Ferme, doch bevor ich euch die Geschichte erzähle, muss ich euch etwas Sprachunterricht geben, da sie sonst einfach nicht lustig ist. ‚Ferme’ wird eigentlich ‚Ferm’ ausgesprochen und bedeutet ‚Farm’ oder ‚Hof’. Der eigentliche Name des Ortes lautete also ‚Heiliger Hof’. Wir sprachen den Ortsnamen jedoch immer genauso aus, wie man ihn schrieb, wodurch er eine völlig neue und grammatikalisch völlig falsche Bedeutung bekam: ‚Heilig geschlossen’ oder auch ‚geschlossenes Heiligtum’. So falsch dieser Name auch sein mochte, er wurde Programm: Die Kirche hatte täglich außer Dienstag von 9:00 bis 12:00 Uhr und von 14:00 bis 17:00 geöffnet. Als wir ankamen, war es Dienstag und 13:00. Wir gingen zur Bäckerei an der Ecke, um nach Brot zu fragen, doch sie hatte geschlossen. Die Touristeninformation: Geschlossen! Das Rathaus: Geschlossen!

Da man uns nirgends hineinlassen wollte, setzten wir uns unter einen äußerst abstrakten Baum und aßen unser letztes Baguette. Als wir weitergehen wollten, suchte ich nach einer Mülltonne, um das Brotpapier zu entsorgen. Die einzige, die es gab, befand sich genau auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes.

Als ich wenige Minuten später, mit einem breiten Grinsen im Gesicht und dem Brotpapier in der Hand zurückkam, fing Heiko bereits an zu lachen, bevor ich etwas sagen konnte: „Du glaubst es nicht, aber selbst die Mülltonne ist hier verschlossen.“

Mit der Mülltrennung nahmen es die Franzosen offenbar noch etwas genauer als wir in Deutschland. Für Glas gibt es in den kleinen Ortschaften Plastikkörbe, die man an die Straße stellt. Auch Kunststoff und Papier werden jeweils einzeln abgeholt. Während wir auf der Suche nach einer unverschlossenen Tonne waren, fiel uns ein Gespräch ein, dass wir vor einiger Zeit in Deutschland mit einem Mann geführt hatten, der sein eigenes Recycling-Unternehmen aufbauen wollte. Wir hatten ihn passenderweise in der Sauna getroffen und auch wenn ich nicht mehr weiß, wie wir auf dieses Thema kamen, so weiß ich doch noch, dass er sich damals tierisch aufgeregt hat.

Heiko auf dem Pilgerweg

Heiko auf dem Pilgerweg

Kurz nach seiner Firmengründung war er von einem Unbekannten verklagt worden, weil er keine Genehmigung hatte, ein solches Unternehmen aufzubauen. „Ihr müsst euch das vorstellen!“, hatte er uns damals gesagt, „Man braucht tatsächlich eine extra Genehmigung, wenn man eine Recyclingfirma gründen will. In der Bundesrepublik gibt es eigentlich nur ein Unternehmen mit dem Namen ‚Duales System Deutschland’, dass sich um die Wiederaufbereitung von Abfällen kümmert. Alle Müllsammelunternehmen arbeiten dafür. Als ich versucht habe, Verträge mit ihnen abzuschließen, haben sie mir nicht einmal zugehört. Ich habe natürlich nachgeforscht und herausgefunden, dass das duale System Druck auf sie ausübt und ihnen verbietet, für andere Unternehmen tätig zu sein. Das ganze System hat nicht das Geringste mit Umweltschutz zu tun, es geht lediglich um Profit und diese Recyclingfirma ist das reinste Kartell. Es hatte sogar wirklich einmal ein Verfahren wegen Kartellverdacht am Hals, weil es gleichzeitig der Verkäufer und sein eigener Kunde ist. Ihr müsst euch das einmal vorstellen! Der Chef der größten Müllsammelorganisation ist gleichzeitig Vorsitzender des Bundesverbandes für Entsorgungswirtschaft und Mitglied im Aufsichtsrat des dualen Systems Deutschland.“

„Du meinst also“, fragte Heiko, als der Mann eine Pause machte, „dass unsere komplette Abfallwirtschaft von einer einzigen Stelle aus organisiert wird, die damit den größtmöglichen Profit machen will?“

„Ja, sagte der Mann, „und sie machen ordentlich Profit damit! Das Ganze hat mit der Erfindung des Grünen Punktes und der Gelben Tonne, bzw. dem Gelben Sack angefangen. Das Ganze ist die größte Leuteverarschung überhaupt. Die ganze Mülltrennung in den Haushalten dient nur dazu, die Menschen abzuzocken. Der Müll aus den Gelben Säcken und Tonnen kommt in Müllsortierungsanlagen, die exakt so aufgebaut sind, wie die für den Restmüll. In beiden Fällen wird der Müll in einer Sortiertrommel vorsortiert. Dann werden Metalle mithilfe von Magneten herausgesucht, später die Kunststoffe mit Druckluft. Mit einer Infrarottechnik können sogar mehr als 10 verschiedene Kunststoffsorten unterschieden werden. Kein Mensch könnte das zu Hause vor seinen Mülleimern tun. Die Müllsortierungsanlagen treffen bis zu 300.000 Einzelentscheidungen in der Sekunde. Da frage ich euch noch einmal: Was soll eine Vorsortierung vom Verbraucher da für einen Unterschied machen? Im Gegenteil, es gab sogar einmal eine Studie darüber, dass der unsortierte Hausmüll von der Sortierungsanlage effektiver getrennt werden kann, als der vorsortierte. Für die Umwelt ist die Mülltrennung also absolut nutzlos. Sie macht aber einen gewaltigen Unterschied, wenn es darum geht, Geld für Restmüllsäcke einzutreiben und für jede einzelne Müllart eine Gebühr zu erheben. Wenn eine Müllabfuhrgesellschaft einen gelben Sack stehen lässt, weil dieser ihrer Meinung nach nicht sachgerecht gefüllt war, bekommt sie dafür einen Bonus von 55 € vom dualen System. So kann man sicher gehen, dass jeder Bürger auch brav seinen Müll trennt und damit die Konten des Recyclingkartells füttert. Im Jahr sind das immerhin rund 1,6 Milliarden Euro.

Pilgern entlang der Straße

Pilgern entlang der Straße

Hinzu kommt, dass wir unter Recycling im Allgemeinen etwas ganz anderes verstehen, als es eigentlich ist. Rund 85 % des Mülls in den Gelben Säcken wird nämlich verbrannt. Im Fachjargon heißt, das dann thermische, energetische oder rohstoffliche Wiederverwertung des Wertstoffs. Es zählt also als Recycling, weil es zur Energiegewinnung benutzt wird, aber letztlich bleibt es eine simple Müllverbrennung.“

Wir hatten schon zuvor Zweifel daran, dass die Mülltrennung wirklich einen sinnvollen Nutzen hat, aber nach diesem Gespräch waren wir endgültig desillusioniert. Ob hier in Frankreich wohl das gleiche System herrscht?

Da es inzwischen schon recht spät geworden war und wir uns vorgenommen hatten, heute noch eine kleine Wellnesssession für unsere Wagen einzulegen, beschlossen wir nicht ganz bis zu dem Tagesetappenziel zu wandern, das unser Reiseführer vorgeschlagen hatte. Stattdessen fragten wir im Rathaus eines winzigen Ortes nach einer Unterkunft. Der Ort lag nicht direkt am Jakobsweg und insgesamt wohnten hier wohl nicht mehr als 60 Personen. Beides waren Bedingungen, die dafür sorgten, dass wir ohne jede Schwierigkeit und mit absoluter Selbstverständlichkeit innerhalb von drei Minuten den Gemeindesaal angeboten bekamen. Unter der Bedingung allerdings, dass wir morgen um halb neun wieder weg sind, denn dann beginnt ein Theaterkurs.

Spruch des Tages: Ein grüner Punkt allein macht noch keinen Umweltschutz

 

 

Tagesetappe: 17 km

Gesamtstrecke: 1840,97 km

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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