Tag 786: Der Mönch vom anderen Ufer

von Heiko Gärtner
23.02.2016 18:25 Uhr

02.02.2016

Nach einer genaueren Überprüfung der Region auf den Satellitenbildern im Internet stand eine Sache fest: Nach Pompei weiterzuwandern war ein Ding der Unmöglichkeit! Die Idee, endlich wieder einmal eine Flachebene zu erreichen, dabei noch einen Vulkan und eine alte, versunkene Römerstadt sehen zu können war zwar schön, aber der Preis war einfach zu hoch. In Italien gibt es nur zwei Optionen, wenn man einigermaßen in Ruhe wandern will. Entweder man verschwindet in die Berge, wo es so unzugänglich ist, dass kaum ein Auto mehr fahren kann, oder man sucht sich eine Flachebene, die so groß ist, dass man auf den landwirtschaftlichen Feldwegen wandern kann. Hier gab es nur die Berge, also bogen wir wieder nach Norden ab und kehrten dorthin zurück. Je weiter wir uns von dem Tal entfernten, desto ruhiger wurde es, wenngleich die Menschen auch hier noch alles daran setzten, um es sich so ungemütlich wie möglich zu machen. Kurz vor einem steilen Berghang erreichten wir ein Dorf, an dessen Spitze ein altes Franziskanerkloster thronte. Nach Angaben des Bürgermeisters lebten hier nur noch zwei Mönche. Es klang also nicht, als würde hier ein großer Tumult entstehen.

Anders als die anderen Klöster, die wir besucht hatten, war dieses richtig gemütlich eingerichtet und wirkte eher wie eine Wohnung als wie ein Kloster. Dies mochte zu einem großen Teil daran liegen, dass mindestens einer der beiden Brüder definiv schwul war und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Rolle der Hausfrau in der kleinen WG zu übernehmen. Fast das gesamte Kloster war unbenutzt und die beiden hatten sich lediglich einen kleinen Gang mit einer Küche, einem Wohnzimmer und einigen Schlafräumen hergerichtet. Bruder Massimo hatte dabei ganze Arbeit geleistet, um diesen Wohnbereich auch wirklich zu einem Wohnbereich zu machen. Er hatte Tischdecken und Kissenbezüge genäht, kleine Gardinen für die Fenster gehäkelt, die Türen und Schränke mit Herzen, Blumen und schönen Sprüchen bemalt und viele andere kleine Details und Dekorationen angebracht. Es war erstaunlich wie viel man mit so kleinen Mitteln erreichen konnte. Gleichzeitig war es aber auch erstaunlich, wie viele homosexuelle Pfarrer und Mönche wir in letzter Zeit getroffen hatten. Zuvor war uns das nie so aufgefallen, doch allein in der letzten Woche hatten wir mindestens vier oder fünf Kirchenmänner getroffen, die ihren Weg der Enthaltsamkeit vor allem deswegen eingeschlagen hatten, weil sie nicht zu ihrer Sexualität stehen konnten. Für die Familie war es hier bedeutend leichter zu akzeptieren, dass ihr Sohn in ein Kloster ging, als dass er sich als schwul outete. Letzteres verursachte nur Getuschel im Dorf, während einem ersteres durchaus eine Menge Anerkennung einbringen konnte. Für die Kirche war das kein schlechter Deal, denn zum einen konnte sie so eine Zielgruppe abgreifen, mit der sie ihre verwaisten Kloster wieder füllen konnte und zum anderen war es erstaunlich was gerade die schwulen Pfarrer auf die Beine stellen konnten. Dem Kloster hier tat die Anwesenheit von Don Massimo auf jeden Fall sehr gut und vielen anderen hätte sie auch nicht geschadet.

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03.02.2016

Mit dem Frühling ist es wohl erst einmal wieder vorbei. Heute nieselte es und nach dem Aufstieg in die Berge verschwanden wir plötzlich in einer dicken Wolke, durch die man kaum noch hindurchsehen konnte. Dafür wurde es nun wieder angenehm ruhig. Fast konnte man es nicht mehr glauben, dass die Lärmhölle der letzten zwei Tage kaum 20km von uns entfernt lag. Gegen Mittag erreichten wir unser Ziel und bekamen auch hier wieder einen ruhigen wenn auch kalten Schlafplatz in einem Gemeindehaus der Kirche.

04.02.2016

Soviel zum Thema Frühling! Heute hat es sogar wieder geschneit. Wie es aussieht wird dies wirklich der härteste Winter unserer bisherigen Reise und das obwohl wir uns südlicher befinden, als je zuvor. Seltsamerweise finden es die Italiener fast nie besonders witzig, wenn man sich über ihr Wetter und das Klischee vom sonnigen Italien lustig macht. Vielleicht wissen sie gar nicht, was Nordeuropäer von ihrem Land denken.

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Nach 12km Wanderung bei der wir die Hälfte der Zeit wieder von einer Autobahn begleitet wurden, kamen wir in eine Kleinstadt, die noch ungemütlicher war als das Wetter. Irgendwie haben die Menschen hier wirklich ein Talent dafür, ihr Zuhause so unangenehm wie möglich zu machen. Warum schaffen es eigentlich andere Kulturen Kleinstädte zu errichten, die nicht komplett grässlich sind? Heiko hat am Nachmittag einige alte Bilder von Island durchgeschaut und obwohl es dort bitter kalt aussah waren wir schon ein bisschen sehnsüchtig auf die verschlafenen Dörfer mit den bunten Holzhäusern mitten im grünen Niemandsland. Aber diese Regionen erwarten uns ja auch noch. Erst einmal machten wir es uns in einem Pfadfinderheim gemütlich. Zum ersten Mal waren wir in Italien zu Gast bei unchristlichen Pfadfindern. Damit meine ich nicht, dass sie sich benehmen wie die Sau, das tun hier ohnehin alle. Ich meine viel mehr, dass es eine Pfadfindergruppe ist, die unabhängig von der Kirche agiert und deswegen sogar ein bisschen was mit Natur am Hut hat. Ihr Heim jedenfalls haben sie sich wirklich schön eingerichtet. Jeder Raum hat ein eigenes Motto und war entweder wie ein Dschungel, eine Festung oder ein Pfadfinderlager gestaltet. Lustigerweise hatten sie auf so praktische Dinge wie Toiletten, Türen oder Fenster weniger Wert gelegt. Aber wer brauchte das auch schon, wenn es nett aussah?

Seit einigen Wochen wackelte mein linkes Wagenrad und wir konnten es nicht reparieren. Was wir auch versuchten, es wollte nicht besser werden. Die einzige Idee, die wir noch hatten war, dass das Kugellager ausgeschlagen war, doch bislang hatten wir keine Möglichkeit gefunden, es zu wechseln. Die Pfadfinder, die auf italienisch übrigens den niedlichen Namen "Scauti" haben, besaßen in ihren Räumlichkeiten verteilt jedoch genau das Werkzeug das wir brauchten. Heimarbeit war eigentlich ganz einfach. Man brauchte nicht mehr als einen alten Küchentisch, ein rostiges Gestell für einen Gaskocher, einen dicken Schraubenzieher und einen Fleischklopfer, mit dem man normalerweise sein Steak weich prügelte und fertig ist die Pilgerwagenwerkstatt. Heiko legte mein lädiertes Wagenrad auf das Gaskochergestell, steckte den Schraubenzieher in die Achsöffnung und schlug ein paar Mal mit dem Fleischhammer darauf. Langsam bewegte sich das Kugellager und mit einem Plumps fiel es zu Boden. Jetzt mussten wir nur noch das neue Kugellager wieder einsetzen. Dazu brauchten wir noch einen Wanderstock der Scautis und wieder einmal den Griff zum Fleischerhammer. Vier fünf Schläge und eine kleine Korrektur der Schieflage später war das Rad wieder wie neu. Im ersten Moment waren wir enttäuscht, denn das neue Kugellager fühlte sich kein bisschen anders an, als das alte. Doch als ich es fertig eingebaut hatte, war der Effekt frappierend. Das Rad bewegte sich keinen Milimeter mehr. Offensichtlich halten diese Kugellager auch nicht ewig. Nach 13.000km geben sie wohl irgendwann einmal nach. Wir werden uns demnächst wohl wieder einmal ein paar Ersatzteile besorgen müssen. Falls jemand von euch zufällig ein paar Kugellager zu Hause herumliegen hat, die er schon lange einmal loswerden wollte, würden wir uns darüber freuen.

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05.02.2016

Er ist zurück! Heute hatten wir das herrlichste Frühlingswetter. Es war noch immer etwa kalt und windig, dafür aber schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel und wir konnten sogar mal wieder eine kleine Picknickspause einlegen und einfach nur die Wärme auf unserer Haut genießen. Wie sehr wir das vermisst hatten! So schön und angenehm wie um diese Jahreszeit ist die Sonne nur selten. Der Frühling ist die Zeit des Neubeginns, des Aufbruchs, der Wiedergeburt. Wenn man so an eine Mauer gelehnt in der seichten Sonne sitzt, dann versteht man, warum ihm diese Qualitäten zugesprochen werden.

Leider merkt man den Einfluss von Salerno und Napoli auch hier im Hinterland noch immer. Die Berge sind großartig und immer wieder ragen faszinierende Felsnasen und Klippen aus dem Boden hervor, doch fast jeder Hang ist mit Häusern übersäht. Es wird wohl noch ein oder zwei Tage dauern, bis wir wieder soweit im Landesinneren sind, dass die gewohnte Gebirgsruhe wieder eintritt.

Spruch des Tages: Es geht doch nichts über ein bisschen weiblichen Touch in einem Mönchskloster

Höhenmeter: 20 m

Tagesetappe: 11 km

Gesamtstrecke: 14.011,27 km

Wetter: bewölkt aber schwül-warm

Etappenziel: Rathaus, 71040 Ordona , Italien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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