Solarstrom

von Heiko Gärtner
16.07.2016 20:50 Uhr

21.05.2016

Kurz nachdem ich unseren Zeltplatz am Abend erreicht hatte, begann es zu regnen. Erst nur ein paar Tropfen, dann jedoch wie aus Eimern und es wollte einfach nicht mehr aufhören. Auch am Morgen prasselten die Tropfen noch immer auf unser Zeltdach. Einen kurzen Moment gab uns der Wettergott Zeit, sodass wir unsere Sachen bei gemäßigtem Nieselregen zusammenpacken konnten. Dann ging es wieder richtig los und hörte auch den Rest des Tages nicht mehr auf. Unser eigentlicher Weg sollte uns an der Hauptstraße entlang führen, da bei Google keine Nebenstraßen mehr eingezeichnet waren. Doch die regennasse Fahrbahn war bei dem immensen Verkehr so unerträglich, dass wir beschlossen uns einfach frei nach Schnauze quer Beet durch die Felder zu schlagen. Abgesehen davon, dass wir auf diese Weise gleich zwei Flüsse durchqueren mussten, funktionierte dies sogar recht gut.

Kurz bevor wir unsere Zielstadt erreichten, kamen wir an einem riesigen Solarfeld vorbei. Es hatte bereits jetzt eine Größe von vier mal vier Quadratkilometern und war erst zur Hälfte fertiggestellt worden. Da wir ewig lange an diesem Feld vorüber wanderten, hatten wir genug Zeit, im Kopf einige Hochrechnungen anzustellen. Wenn man davon ausging, das ein Zaunpfeiler nur 10 € kostete, und ein Meter Zaunfläche mit Maschendraht, Stacheldraht, Beton, Aushub, und Billigarbeitskraft alles in allem rund 60 €, dann kam man allein beim Zaun auf einen Kostenpunkt von 1 Million Euro. Und das war noch sehr gering gerechnet. Wie viel musste dann wohl erst die ganze Anlage gekostet haben? Und wer hatte sie hier aufgestellt? Die bulgarische Regierung kam dafür wohl eher nicht infrage. Da alle Sicherheitshinweise und Beschreibungsetiketten am Zaun und an den Kontrollhäuschen zu aller erst auf Deutsch geschrieben waren, vermuteten wir einen der kleinen Stromanbieter aus unserer Heimat dahinter. Das würde auch zu den großen Villen passen, die wir am nächsten Tag mitten im Wald versteckt fanden. Sie waren hermetisch abgeriegelt und befanden sich in einem Nationalpark, der erst vor kurzen mit Mitteln der EU und einiger privater Spenderfirmen aus dem Ausland errichtet worden war.

Laut Karte sollte es in unserem Zieldorf eigentlich ein Hotel geben, doch wie sich herausstellte, gab es hier einfach nichts. Als gewöhnlicher Reisender, der sich auf die Angaben im Internet verlassen musste, konnte man in diesem Land ganz schön ins Schlamassel geraten. Auch wir hatten uns eigentlich schon auf ein trockenes Hotelzimmer mit Dusche gefreut. Aber so wurde es eben wieder unser mobiles Heim, das wir auf einer Wiese aufstellten. Es regnete noch immer und wurde am Abend sogar wieder stärker. Langsam hatten wir also wieder den Zustand der Nässe erreicht, wegen dem wir im Herbst aus Osteuropa nach Italien geflohen waren.

Spruch des Tages: Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu entdecken, sondern mit neuen Augen zu sehen (Marcel Proust)

Höhenmeter: 280 m Tagesetappe: 23 km Gesamtstrecke: 15.831,27 km Wetter: schwülwarm Etappenziel: Zeltplatz m Straßenrand, kurz hinter 907010 Adamclisi, Rumänien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare