Tag 1516 bis 1519: Stirbt die Kirche in Europa?

von Heiko Gärtner
22.05.2018 00:48 Uhr

01.12.2017

Nach einer anstrengenden aber schönen Wanderung im Schnee haben wir heute ein Kloster erreicht, in dem wir die Nacht verbringen dürfen. Ein richtiges Klosterleben gibt es hier zwar nicht mehr, denn es ist eher ein Seminarbetrieb für Kirchliche Veranstaltungen, dies war wohl der Grund, dass das Kloster überhaupt noch existierte. Wenn man der aktuellen Tendenz folgte, die wir überall in Europa wahrnahmen, dann dürfte es bald wirklich schwierig werden, noch aktive Klöster zu finden. In Italien gab es kaum mehr eine Franziskanerkongregation, die noch aus mehr als drei Personen bestehen, von denen der jüngste um die 60 ist. In Irland ist das Zisterzienserklroster, das wir besucht haben innerhalb der letzten 20 Jahre von 150 Mitgliedern auf 12 geschrumpft. Und wenn man wie hier in Deutschland ein altes Klostergebäude entdeckte, dann diente es fast immer einem anderen als seinem ursprünglichen Zweck.

Bleiben die Kirchen bald vollkommen leer?

Bleiben die Kirchen bald vollkommen leer?

Doch das Kloster selbst war hier nicht das einzige, dass in uns die Frage weckte, ob die Kirche in Europa gerade am Aussterben war.

Beim Abendessen saßen wir mir einem Pfarrer m Tisch, der uns einiges über die äußerst Besorgnis erregende Situation de Kirche in Deutschland mitteilte. Er selbst war hier, weil er sich von etwas erholte, das er als permanente Erschöpfung und Überlastung beschrieb und das man heute allgemein als Burnout bezeichnen würde. Dass die Kirche in Luxemburg wie auch in Frankreich vollkommen irre Wege eingeschlagen hatte, so dass ein einzelner Pfarrer nun teilweise mehr als 70 verschiedene Gemeinden betreuen musste und dabei nicht einmal ein anständiges Gehalt bekam, das war uns ja bereits bewusst gewesen. Doch nun hatte sich diese Entwicklung offenbar auch in Deutschland prächtig fortgesetzt. Schon als wir vor vier Jahren das erste Mal durch diese Region gekommen waren, hatte man die ersten Gemeinden zusammengelegt. Uns war jedoch nicht bewusst gewesen, in welch rasantem Tempo und in welch extremen Ausmaß diese Entwicklung stattfand. Tatsächlich galt der Bischof von Trier, der für die Eifel und Teile des Saarlandes zuständig war als ein innovativer Vorreiter, was die Neustrukturierung der katholischen Kirche anbelangte. Obwohl der Pfarrer sichtlich unter dieser Änderung litt versuchte er sie sich selbst und uns noch immer als etwas Positives zu verkaufen. Doch faktisch war es nichts anderes als eine blindwütige Zerstörung, die hier stattfand.

Eine Kirche in der Eifel

Eine Kirche in der Eifel

Blick ins Innere der Kirche

Blick ins Innere der Kirche

Noch vor 50 Jahren hatte es im Bistum Trier 980 eigenständige Gemeinden gegeben. Diese waren dann schrittweise zunächst auf 150 und nun auf gerade einmal 35 Gemeinden reduziert und zusammengelegt worden. Wie man es schaffte, diese Entwicklung als etwas innovatives, positives und erstrebenswertes darzustellen war uns ein Rätsel. Denn die mag zwar der Kirche als Institution dienen, die nun deutlich weniger Personalkosten bei gleichen Einnahmen hat, aber für alle direkt beteiligten ist sie die Hölle. Auf der einen Seite sind da die Gläubigen, die ja noch immer die gleiche Kirchensteuer zahlen, dafür aber nahezu nichts mehr geboten bekommen. Früher gab es für die Monatlichen Abgaben einen persönlichen Seelsorger im Ort, dem man sich anvertrauen und bei dem man beichten konnte. Heute gibt es noch mit etwas Glück einmal im Monat eine schnell dahingerotzte Messe, die ein vollkommen überarbeiteter Pfarrer zwischen Tür und Angel entwirft, weil er schon wieder auf dem Weg zum nächsten Termin ist.

Früher war die Kirche das Zentrum jedes Dorfes

Früher war die Kirche das Zentrum jedes Dorfes

Unser Gesprächspartner beispielsweise hatte das Problem, dass er inzwischen nahezu Täglich ein bis drei Beerdigungen abhalten musste, die natürlich niemals hintereinander im gleichen Ort stattfanden. Es war also ein reines Abreißen von Terminen und noch ehe der Verstorbene zu Grabe getragen wurde, musste er eigentlich schon wieder weiter zum nächsten Düsen. Dies stresste ihn so sehr, dass er sich vor einigen Tagen, den wohl größten Patzer erlaubte, der einem als Pfarrer auf einer Beerdigung passieren kann. Andächtig trat er an das Rednerpult und las die Zeilen vor, die er zuvor mit den Hinterbliebenen ausgearbeitet hatte und ging dann auf die bewegende Lebensgeschichte des verstorbenen Herrn Müller ein. An sich wäre es ein großartiger Aussegnungsgottesdienst geworden, wäre da nicht dieses kleine Detail gewesen, dass der Mann im Sarg nicht Herr Müller, sondern Herr Schulz war, auf den die vorgetragene Lebensgeschichte leider ganz und gar nicht passen wollte. Als ihm dies bewusst wurde, war die Situation kaum noch zu retten gewesen. In diesem Moment hatte er beschlossen, dass er eine Auszeit brauchte und war hier in dieses Retreatcenter gekommen. Die Ruhe tat ihm gut, aber allein der Gedanke in ein paar Tagen zurück in die Gemeinde zu müssen, ließ seinen Puls schon wieder schneller schlagen.

Blick auf Kyllburg

Blick auf Kyllburg

Einige Tage später fanden wir heraus, dass das Sparkonzept des Trierer Bischofs bei seinen Kollegen anders als bei uns keine Alarmglocken sondern Begeisterung auslöste. Irgendwie schien es allen der richtige Schritt zu sein, um auf den zunehmenden Mangel an jungen Pfarrern zu reagieren. Auf die Idee, Werbung für den Beruf zu machen und dafür zu sorgen, dass wieder neue Pfarrer nachkamen, schien hingegen niemand zu kommen. Eine ganze Weile fragten wir uns, warum dies so ist. Denn dass der Glaube verloren geht oder das nach 2000 Jahren Kirchengeschichte plötzlich niemand mehr Pfarrer werden will, halte ich für ausgeschlossen. Warum sollte dies so sein? Außerdem trafen wir überall unzählige Menschen, die nach einem spirituellen Weg suchten und gerne den des Priesters oder Pfarrers eingeschlagen hätten, wenn sie auf diese Idee gekommen wären. Außerdem gab es den gleichen Stellenabbau auch in der protestantischen und in der anglikanischen Kirche, obwohl es hier überhaupt keinen Mangel an Pastoren und Pastorinnen gab. Hier war es reine Rationalisierung.

Wohin wird uns dieser Weg, den wir eingeschlagen haben wohl führen?

Wohin wird uns dieser Weg, den wir eingeschlagen haben wohl führen?

Erst als wir nach Schweden kamen, wo es nahezu überhaupt keine katholische Kirche dafür aber ein großes Interesse an ihr gibt kam uns der Gedanke, dass der Anschein des Aussterbens vielleicht auch gewollt sein könnte. In Schweden funktioniert es nämlich ganz hervorragend, dass das Vakuum der Religionen plötzlich wieder Menschen anzieht, obwohl die Kirche eigentlich nichts dafür tut.

Spruch des Tages: Was passiert mit dem Glauben, wenn die Kirche stirbt?

 

Höhenmeter 68m / 75m / 230m / 180m

Tagesetappe: 18km / 15km / 25km / 27km

Gesamtstrecke: 28.395,27km

Wetter: Kalt und Windig, Schnee

Etappenziel 1: Gemeindehaus der Kirche, Slangerup, Dänemark

Etappenziel 2: Gemeindehaus der Kirche, Lilleröd, Dänemark

Etappenziel 3: Nonnenkloster, Birkeröd, Dänemark

Etappenziel 4: Pfarrhaus, Helsingör, Dänemarka

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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