Tag 1001: Fast wie daheim

von Heiko Gärtner
27.09.2016 22:52 Uhr

15.09.2016

Die ersten Erfahrungen in Österreich von gestern Abend hatten gezeigt, dass wir uns hier erst einmal wieder völlig neu eingewöhnen mussten. Bislang war es für fast zwei Jahre vollkommen egal gewesen, wie wir aussahen oder auftraten, doch nun waren wir wieder in einem Land, in dem die Menschen aufmerksam waren und auf viele Dinge achteten. Die Österreicher halfen gerne und unterstützten einen nach Leibeskräften, aber eben nur dann, wenn sie das Gefühl hatten, dass man unterstützenswert war. Dies war ja auch vollkommen verständlich, aber gleichzeitig war es für uns natürlich schwer zu bewerkstelligen, ein geplfegtes Auftreten an den tag zu legen, wo wir materialtechnisch gewissermaßen auf dem Zahnfleisch ins Land gekrochen waren. Wir besaßen keine einzige Unterhose mehr, die sich noch soweit reinigen ließ, dass sie als sauber hätte durchgehen können und die genügend Spannkraft besaß, um die Dinge am rechten Fleck zu behalten. Das merkte außer uns natürlich keiner, aber mit unseren T-Shirts, Hosen und Jacken sah es ja nicht viel besser aus. Von meinem komplett zerlöcherten Lederhut einmal ganz zu schweigen. Wenn wir uns das Leben also nicht drei Mal so schwer machen wollten, wie es nötig war, dann mussten wir an unserem Grundsystem etwas ändern. Und der erste Schritt dafür führte uns heute in der Früh in einen NKD, wo wir uns mit ein paar geschenkten Euro mit neuen Unterhosen eindeckten. Für Heiko fanden wir außerdem ein neues T-Shirt, auf dem ein Minion abgebildet war, über dem der Spruch "Just the right amount of wrong!" stand, was übersetzt soviel bedeutet wie "Es geht nur darum, das richtige Maß an Falschheit zu finden" bedeutet. Ein Spruch in dem ich mich im Moment vollkommen wiederfinden konnte. In gewisser Weise fühlte ich mich dem Minion gar nicht mal so unähnlich, abgesehen von der gelben Gesichtsfarbe und der Latzhose natürlich.

Weniger erfolgreich waren wir bei dem Versuch, meine Brille polieren und reinigen zu lassen. Die Optikerin, die wir hier um Rat baten, gab den Fall sofort als hoffnungslos auf, ohne sich großartig Gedanken darüber zu machen. Ich denke, dass wir uns dennoch erst einmal eine zweite Meinung einholen werden. Mit unseren Beutezügen für Nahrung sah es jedoch auch in der Früh nicht viel besser aus, was zum einen daran liegen mochte, dass wir uns in einem absoluten Touristenort befanden, zum anderen aber auch daran, dass ich noch immer im Modus "Standartsatz-Runterleihern" war und es mir noch nicht richtig gelang, auf die Menschen einzugehen. Lange Zeit war dies ja auch nicht nötig und möglich gewesen, doch hier war es wieder etwas anderes. Das war für unsere Kleidung und für unser Auftreten galt, galt natürlich auch für die Konversation. Man unterstützt niemanden, weil er ein Robotter ist, der einen Satz runterleihert. Man unterstützte jemanden, weil man ihn sympathisch und seine Sache unterstützenswert findet. Daran darf ich wohl noch etwas arbeiten. Zu unserer Überraschung war der Greenway in Österreich nicht mehr als solcher ausgeschildert. Hier hielt er sich an die Regionalen Radwege und war kurrioser Weise als Veltiner-Weg markiert, also als Radweg, der durch eine Biermarke gesponsort wurde. Zumindest für die ersten Kilometer lief er außerdem mit dem "Iron-Courtain-Trail" zusammen, einem Radweg, der entland der Linie des eisernen Vorhangs verlief. Auch hier waren die Wege selbst wieder ein absoluter Traum und wir können eine Wanderung oder Radreise durch das österreichische Weinviertel nur jedem empfehlen.

Was unsere Schlafplatzsuche anbelangte, waren wir hier nun wieder auf dem Stand, der uns auch damals in Deutschland so begeistert hatte. Innerhalb von wenigen Minuten war alles geklärt. Der Pfarrer, den ich in seinem Pfarrhaus antraf wirkte auf den ersten Blick etwas grummelig, legte seine Skepsis dann aber sofort ab und entpuppte sich als lustiger und herzlicher Geselle, den man einfach gern haben musste. "Joa, an Gemeindesaal hamwa scho!" meinte er, stellte sich als Günther vor und führte mich sofort in ein großes und frisch renoviertes Gemeindehaus. Es war erst vor wenigen Jahren gemeinsam mit der Ortsgemeinde errichtet worden und hatte gut eine halbe Million Euro gekostet. Damit war es sowohl der ganze Stolz des Pfarrers, als auch sein größtes Sorgenkind, denn es lag nun an ihm dafür zu sorgen, dass es sich trug und abfinanzierte. Nachdem wir uns häuslich eingerichtet hatten, kümmerten wir uns weiter um die Organisation der nächsten Tage. Es gab noch immer einiges an Material, das besorgt werden musste und zudem wollten wir die Zeit in Österreich und Deutschland nutzen, um unsere Medienpräsenz wieder etwas auszubauen. Wie sich herausstellte waren die Journalisten der hiesigen Zeitungen durchweg tiefenentspannte Leute. Die Antwort, die ich fast immer bekam lautete: "Hört sich gut an! Meldet euch, wenn ihr hier seit, dann machen wir einen Termin aus!" Am Abend kam der Pfarrer noch einmal zu uns herüber und lud uns in ein Restaurant zum Essen ein, während er im Nachbarsort die Messe hielt. Es gab Schweinelendensteaks mit Kroketten in einer Pfeffersauce, in die man sich hätte hineinlegen können. Groß war die Portion nicht, aber dafür umso leckerer. Als Günther seine Messe beendet hatte, besuchte er uns erneut. Eigentlich hatte er gehofft uns noch im Restaurant anzutreffen, um gemeinsam mit uns einen Wein trinken zu können. Immerhin befanden wir uns ja im Weinviertel. Als er erfuhr, dass wir keinen Alkohol tranken, war er fast schockiert und meinte schwerzhaft: "Na euch kann ich ni gebrauchen! Ihr seits ja komische Leut!" Zu seiner tiefen Bestützung hatte er außer Wasser nichts antialkoholiches im Haus, doch einfach mit einem Glas Wasser anzustoßen kam für ihn nicht in Frage. So versuchte er verzweifelt einen Ersatz aufzutreiben und organisierte schließlich zwei Flaschen mit großartigem, selbstgemachten Apfelsaft, die von der Tochter der Wirtin des Gasthauses vorbeigebracht wurden.

Bis tief in die Nacht hinein saßen wir noch zusammen und unterhielten uns. Irgendwo tief in sich spürte Günther, dass es auch sein Weg wäre, alles hinter sich zu lassen und durch die Welt zu ziehen. Doch die Verpflichtungen waren zu groß und auch das Gefühl, dafür zu viel aufgeben zu müssen, hielt ihn davon ab. "Es ist schon seltsam", meinte er, "In den Messen predige ich immer wieder, dass man etwas loslassen muss, wenn man etwas neues erhalten will, gerade, wenn es dabei um den Weg zu Gott geht. Doch selber merke ich, wie unglaublich schwer das ist und ich weiß, dass ich es nicht kann. Dafür bin ich einfach zu bodenständig und zu sehr in diesen Ort integriert."

Spruch des Tages: Pass auf, die Leute können dich hier wieder verstehen!

Höhenmeter: 70 m Tagesetappe: 12 km Gesamtstrecke: 18.270,27 km Wetter: sonnig und warm, zeitweise bewölkt Etappenziel: Gemeindesaal des Pfarrhofs, 3620 Spitz, Österreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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