Saint Paul les Dax

von Franz Bujor
12.04.2014 20:26 Uhr

Im Moment ist wieder einmal so eine Phase, in der uns das Aufstehen täglich schwerer fällt. Bei mir liegt es daran, dass ich morgens immer noch unglaublich müde bin, selbst wenn ich eigentlich genug geschlafen habe. Bei Heiko liegt es eher daran, dass sein Kreuz so steif gelegen ist, dass er sich kaum bewegen kann. Nach hundert Tagen Wanderung ohne größere Pause ist das vielleicht auch kein Wunder. Unsere Körper und auch unsere Psyche müssen sich erst einmal an die neue Lebenssituation gewöhnen und das bringt solche Blessuren wohl mit sich. Auch die neuen Schuhe müssen erst einmal eingelaufen werden und zum ersten Mal seit wir unterwegs sind, habe ich ernstzunehmende Blasen. Ich hoffe, sie verschwinden schnell wieder, denn angenehm ist das Laufen damit ganz und gar nicht. Während bei mir vor allem die Hacken Probleme bereiten, sind es bei Heiko eher die Fußballen, um die er sich Sorgen macht. Füße, sind also offensichtlich nicht gleiche Füße, denn die Schuhe, die wir haben sind, ja identisch.

Unser Pilgerzimmer in Hinx

Unser Pilgerzimmer in Hinx.

 

Irgendwie fällt uns in letzter Zeit immer mehr auf, dass es uns noch immer schwerfällt, das Leben wirklich zu genießen. Es gibt viele Momente, in denen uns das gelingt, aber oft laufen wir auch einfach nur vor uns hin, ohne die Schönheit dieser Welt wirklich wahrzunehmen. Vor allem jetzt, da es Frühling ist und alle Blumen, Büsche, Bäume und Sträucher in ihrer vollen Blütenpracht stehen, wird es besonders deutlich, wie oft mein einfach achtlos an ihnen vorbei schlappt und sich dabei Gedanken über die Zukunft oder die Vergangenheit zu machen. Jetzt wo es im Außen so viel Schönheit und so viel Freiheit gibt, merkt man erst einmal, wie sehr man sich selbst noch einschränkt und wie viel Freude man sich nimmt.

Badezimmer mit Dusche in der Pilgerunterkunft von Hinx.

Badezimmer mit Wanne in der Pilgerunterkunft von Hinx.

 

Dabei hatten wir heute wieder einmal allen Grund zu feiern. Gegen Mittag erreichten wir Dax, eine größere Stadt, auf halbem Weg bis zum Meer. Irgendwie schafften wir es, einen Weg in die Stadt zu finden, der fast vollständig ruhig war und uns nicht mit Autolärm nervte. Dabei hatte es kurz zuvor noch so ausgesehen, als müssten wir an der Nationalstraße entlang wandern, da uns 3 verschiedene Einheimische erzählten, dass es hier keine Alternativstrecke gäbe. Dennoch vertrauten wir lieber unserem Gefühl und wählten einen anderen Weg, der uns tatsächlich ans Ziel führte. Kaum waren wir in der Stadt, kamen wir an einem vietnamesischen Restaurant vorbei. Der junge Kellner, den ich nach etwas zu Essen fragte, holte seinen Chef hinzu und dieser lud uns ein, Platz zu nehmen. Daraufhin bekamen wir ein komplettes Menü, mit Vorspeise, Hauptgericht und einem Eis als Nachtisch. Ohne einen einzigen Cent zahlen zu müssen, erlebten wir einen ganz normalen Restaurantbesuch. Und das mit richtig gutem Essen!

Dax selbst ist eine Stadt, die eigentlich aus zwei Städten besteht. Eine Unterkunft zu bekommen war nicht schwer, aber wie sich herausstellte, handelte es sich dabei wieder einmal um eine Pilgerherberge. Wir hatten den Jakobsweg, der von Vézeley nach Saint Jean Piet de Port führte, zwar verlassen, waren nun aber auf dem Weg, der von Paris über Bordeaux zu den Pyrenäen führte. Als wir an der Herberge eintrafen, war dort bereits ein anderer Jakobspilger. Zwei weitere folgten. Einer von ihnen hatte ebenfalls einen Pilgerwagen dabei. Allerdings eine selbstgebaute Konstruktion mit nur einem Rad, die er vor sich herschob. Sie sah recht abenteuerlich aus, machte aber Eindruck.

Wir verließen unsere Herberge noch einmal, um die Stadt zu erkunden. Um einfach in einem kleinen Zimmerchen zu sitzen, dafür war es zu früh.

Der Jakobsweg in Dichtung Dax

Der Jakobsweg in Dichtung Dax.

 

Auf unserem Rundgang kamen wir an einem kleinen Delikatessenladen vorbei, der von einer jungen Frau betreut wurde, die uns mit ihren Blicken förmlich in den Laden zog. Als ich der Aufforderung nachging und sie um etwas zu Essen bat, lächelte sie freundlich und meinte, dass sie mir eigentlich nichts geben könne, weil sie nicht die Chefin war. Sie schaute auffällig unauffällig nach allen Seiten, so wie man es gerne tut, wenn man im Begriff ist, etwas zu machen, was man nicht machen darf. Dann zog sie sich schnelle ihre Gummihandschuhe über und schnitt kleine unauffällige Stücke von nahezu jedem Käse ab, der in der Theke lag. Jedenfalls wollte sie es so machen, denn dieser dumme Handschuh, glitt einfach nicht über ihre Finger. Sie zerrte und drückte, aber das Ding wollte nicht. Jeder, der einmal solche Einmalhandschuhe anziehen musste, weiß sicher, wie es der jungen Frau in dem Moment ging. Ich versuchte eine lustige Bemerkung zu machen, um sie etwas aufzuheitern, aber dafür reichte unsere Kommunikationsbasis leider wieder einmal nicht aus. Es ist wirklich schade, wie oft coole Situationen nicht entstehen, weil man sich einfach nicht versteht.

Schließlich warf sie den Handschuh zur Seite und nahm einen neuen. Mit dem hatte sie mehr Glück. Dann schnitt sie den Käse ab und wollte ihn in eine Plastiktüte werfen. Im letzten Moment fiel ihr auf, dass man das nicht so einfach machen konnte, weil man so guten Käse schließlich in Papier einwickelte. Doch das Papier war noch widerspenstiger als der Gummihandschuh. Am Ende hielt ich ein riesiges Papierknäuel in den Händen, in dessen Mitte sich irgendwo unser Käse befand. Allein für diese umständliche Art Dinge einzupacken war sie mir sofort sympathisch und ich bedauerte noch mehr, dass ich nicht mit ihr reden konnte. Ich lächelte sie an, bedankte und verabschiedete mich und ging nach draußen.

Als wir wieder an der Herberge eintrafen, erwartete uns bereits der Herbergsbetreuer, um einige Detailfragen abzuklären. Dazu gehörte auch die Gebühr für eine Übernachtung in der Herberge, von der uns weder die Dame in der Touristeninformation noch der Pfarrer, der uns eingelassen hatte, etwas gesagt hatten. „Kein Problem!“, sagten wir entschieden, wenn es etwas kostet, macht es uns nichts aus weiterzuziehen!“. Zum einen war es noch nicht allzu spät, zum anderen war es warm und zum dritten hatten wir auch nichts dagegen, die Nacht irgendwo allein zu verbringen. Doch kaum hatten wir das gesagt, war das Problem auch schon wieder erledigt. Nur zum Arbeiten war es in der Herberge mit so vielen Leuten zu eng und zu laut. Wir schnappten unsere Sachen und gingen in den nächsten Park.

Doch mit dem Abend kam auch die Kälte und schon bald froren uns unsere Finger an der Tastatur fest. Es war also wohl doch ganz gut, dass wir bleiben durften. Um nicht vor Kälte ganz unkreativ zu werden, flüchteten wir in einen Bankenvorraum. Seit unserer Obdachlosentour war diese eine Sache für uns vollkommen klar. So viel Unheil die Banken auf der Welt auch anrichten mochten, ihre Vorräume gaben zu jederzeit einen wohlig warmen und gemütlichen Aufenthaltsort oder Schlafplatz ab.

Spruch des Tages: Auf Gold kann man verzichten, nicht aber auf das Salz. (Cassiodor)

 

Tagesetappe 17,5

Gesamtstrecke: 2065,57 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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