Tag 1103: Kein Verlass

von Heiko Gärtner
23.01.2017 17:48 Uhr

07.01.2016

Theoretisch hätte für heute alles fest geplant sein sollen. Die Bürgermeisterin hatte bereits am Vorabend mit dem Bürgermeister unseres Zielortes telefoniert, ihm angekündigt, dass wir kommen und ausgemacht, dass wir hier einen Schlafplatz bekommen würden. Dementsprechend entspannt starteten wir in den Tag, genossen die Sonne, machten eine ausgedehnte Pause an einem ruhigen Waldrand und durchforsteten den Intermarché nach einer neuen Sitzmatte. Letzteres blieb leider erfolglos, denn obwohl der Supermarkt riesig war, konnte man hier fast nichts Brauchbares finden. Es gab eine Abteilung mit rund vier Regalgängen voller giftiger Wasch- und Putzmittel, eine ebenso große Abteilung mit Süßwaren und eine noch größere Abteilung mit Alkohol. Damit war schon einmal die Hälfte des Ladens ausgefüllt. Im Rest befanden sich Lebensmittel, Haushaltswaren und Bürobedarf. Spannend war, dass es hier zwei Sparten gab. Die eine bestand aus wirklich praktischen und ausgefallenen Innovationen, die man sonst nirgendwo auf der Welt finden konnte und die andere bestand aus lauter unbrauchbarem Klumb, den niemand jemals verwenden konnte. Es war ein ständiges Wechselspiel zwischen Edelboutique und Ramschladen, wobei es teilweise nicht leicht war zu entscheiden, in welchem Bereich man sich gerade befand. Spannend waren auch die extremen Preisunterschiede bei den Lebensmitteln. Man konnte ein Kilo Reis für 75 Cent bekommen, oder ein halbes Kilo der selben Sorte für 4,50€. Je nachdem, ob man eine schlichte oder eine bunte Verpackung haben wollte. Waren Menschen wirklich bereit, das 6fache für das gleiche Produkt auszugeben, nur weil es etwas anders aufbereitet war? Offensichtlich schon.

Am meisten überraschte und aber die geringe Menge der Wahren, die in den Einkaufskörben lag. Es war der einzige Großsupermarkt im Umkreis von 60km, weshalb die meisten Kunden eine enorme Fahrstrecke auf sich nahmen, um hier einkaufen zu können. Und trotzdem kauften sie nicht ihren Wochenbedarf sondern maximal für ein oder zwei Tage. Warum? Der Preis, den man hier für die Existenz des Supermarktes zahlte war, dass nun alle Straßen und seien sie noch so klein, extrem stark befahren waren. Alles strömte zum Intermarché oder von ihm weg und fast jeder fuhr natürlich mit dem Auto. Erst als wir unser Zieldorf erreichten wurde es wieder ruhiger. Hier hätten wir nun einfach nur ankommen, drei Worte mit dem Bürgermeister wechseln und ganz gemütlich in unser Quartier ziehen sollen. Doch so einfach war es nicht. Im Haus des Bürgermeisters erwartete mich kein Monsieu Rembiert wie angekündigt, sondern eine kleine, bissige Hexe, die mir so ganz und gar nicht freundlich gesonnen war. Der Herr Rembiert sei nicht da und wenn ich ihn sprechen wolle, dann müsse ich morgen früh wieder kommen! Ich erzählte ihr wer wir waren und dass es bereits ein festes Arrangement mit besagtem Bürgermeister für einen Schlafplatz hier im Ort gäbe. Doch die Frau blieb vollkommen ungerührt, weigerte sich auch nur einen Finger zu krümmen, um Kontakt mit Herrn Rembiert aufzunehmen und schlug mir schließlich die Tür vor der Nase zu. Auf diese Weise kam ich also nicht weiter und so versuchte ich es noch einmal über einen anderen Weg. Ich klingelte bei einem Nachbarn, der mir weitaus freundlicher öffnete und erzählte ihm von unserem Problem.

„Kein Thema!“ meinte er, „es gibt ja zwei Säle hier im Ort, die vollkommen ungenutzt sind. Ich rufe nur kurz den Mann an, der den Schlüssel hat und zeige euch dann, wo ihr hinmüsst!“ Aber auch das war nicht so einfach, denn der Schlüsselmeister verhielt sich ähnlich wie die Frau Bürgermeisterin und weigerte sich auch nur einen Handschlag zu tun. Hätten wir uns eine Woche zuvor schriftlich angemeldet, wäre es kein Problem gewesen, aber so spontan sei da nun nichts mehr zu machen! Noch einmal hakten wir nach und betonten, dass ja mit dem Bürgermeister bereits alles geklärt sei. Dieses mal ließ er sich dazu überreden, noch einmal mit Herrn Rembiert zu sprechen und nachzufragen, ob unsere Aussage denn wirklich stimmte. Er würde sich dann gleich wieder bei uns melden. Dies war das letzte, das wir von ihm gehört haben. Er rief nicht zurück und ging danach auch nicht mehr ans Telefon. „Macht nichts!“ sagte der Nachbar, der sich uns inzwischen als Gerard vorgestellt hatte, „das Haus hier ist ja groß genug, dann bleibt ihr die Nacht eben hier!“ Wir bekamen ein kleines Zimmer, das bereits seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden war. Und als ob es ein Gesetz wäre, wer einen in diesem Land aufnimmt und wer nicht, stellte sich kurze Zeit später heraus, dass Gerard ein Jäger mit einem leichten Hang zum Messitum war.

Spruch des Tages: Kann man sich den hier auf gar nichts mehr verlassen?

Höhenmeter: 210 m Tagesetappe: 14 km Gesamtstrecke: 20.187,27 km Wetter: kalt aber sonnig Etappenziel: Privates Gästezimmer, 34270 Saint-Jean-de-Cuculles, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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