Tag 1107: Konsumverzicht auf Kuba

von Heiko Gärtner
04.02.2017 02:40 Uhr

11.01.2017

Heute war ein sonniger Tag, mit einer entspannten Wanderung durch ein nicht unanstrengendes Hügelland. Gegen Mittag erreichten wir unser Etappenziel, gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Siesta. Als wir das Rathaus betraten wurden wir bereits erwartet, da der Bürgermeister von gestern und schon angekündigt hatte. Die Bürgermeisterin, die selbst bereits zwei Mal eine Pilgerreise unternommen hatte, brachte uns ein kleines Mittagessen und gab uns zunächst einen Raum für den Nachmittag. Vom Grundprinzip her wäre der erste Raum nicht schlecht gewesen, wäre da nicht schon wieder diese Lüftung, die ein permanentes, kopfschmerzerzeugendes Rauschen verursachte und die extrem dünnen Fenster gewesen, durch die der kalte Wind buchstäblich hindurch fegte und durch die man draußen auf der Straße eine Stecknadel fallen hören konnte. Theoretisch zumindest, den praktisch war da ja noch die Lüftung, die alles andere übertönte.

Der Raum, den wir danach bekamen war angenehm ruhig, hatte dafür aber kein Klo. Theoretisch hätte es hier eine Außentoilette geben sollen, aber praktisch gab es dafür keinen Schlüssel. Unsere erste Amtshandlung an diesem Nachmittag war also ein Ortsspaziergang mit dem Ziel, irgendwo eine öffentliche Toilette zu finden. Leider ohne Erfolg. Unsere Gastgeberin erzählte uns auf dem Weg zu unserem Schlafraum, dass sie nicht nur nach Santiago gepilgert war, sondern auch einige andere spannende Reisen unternommen hatte. So war sie unter anderem in Indonesien gewesen. Das Indonesien eine Inselregion ist, war mir bekannt, aber wusstet ihr, dass es aus rund 17.000 einzelnen Inseln besteht? Das zu bereisen wird noch einmal eine ganz andere Herausforderung und ist wohl eher was für eine Boots-Tour als für eine Wanderreise. Doch selbst wenn man mit einem Boot unterwegs ist und jeden Tag nicht in einem neuen Ort sondern auf einer neuen Insel ankommt ist es unmöglich, alle zu bereisen. Man würde 17.000 Tage brauchen, das wären rund 46einhalb Jahre nur für Indonesien. Weitaus spannender aber waren ihre Erzählungen über Kuba. Das Kuba noch immer ein kommunistisches Land ist wusste ich zwar, aber ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, was dies ganz praktisch für Auswirkungen haben könnte. So ist Kuba eines von sehr wenigen Ländern auf der Welt, in denen es keine bewusst geplante Obsoleszenz gibt. Falls ihr mit dem Begriff gerade nichts anfangen könnt, Obsoleszenz ist der Verfall einer Ware. Eine natürliche Obsoleszenz ist also der natürliche Verschleiß eines Autos, Handys, Kühlschrank oder anderen Produktes, der dazu führt, dass es irgendwann einmal kaputt geht. Künstliche Obsoleszenz hingegen ist ein bewusst eingebauter Mechanismus der dafür sorgt, dass ein Produkt ganz gezielt innerhalb eines bestimmten Zeitraums seinen Geist aufgibt. Vor allem im technischen Bereich ist dies heute eine gängige Praxis um den Konsum anzukurbeln. Drucker haben dafür extra eingebaute Chips bekommen, die dafür sorgen, dass sie nach einer bestimmten Anzahl an Druckaufträgen nicht mehr funktionieren und ausgetauscht werden müssen, obwohl ihnen rein faktisch nichts fehlt. Bei anderen Produkten ist es weniger offensichtlich. Es gibt bestimmte Kabel die verbaut werden, damit sie nach einer bestimmten Zeit brechen oder Wackelkontakte bekommen, Kunststoffe, die bewusst ausdampfen und dann spröde werden und vieles mehr. Heutzutage findet man kaum noch ein Produkt, dass nicht bewusst so gebaut wurde, dass es kurz nach Ablauf der Garantiezeit erste Störungen bekommt, durch die Reparaturen oder ein Neukauf anstehen. Jedenfalls nicht außerhalb von Kuba. Hier nämlich werden die Produkte noch ganz bewusst auf Stabilität und Langlebigkeit hin gebaut, so dass möglichst wenig kaputt geht und damit auch nur wenig erneuert werden muss. Der Grund dafür ist, dass viele Alltagsprodukte, die bei uns gleichzeitig auch Symbole unseres individuellen Status sind, in Kuba der Allgemeinheit bzw. dem Staat gehören. Rund 50% aller kubanischen Autofahrer besitzen kein eigenes Auto, sondern fahren eines vom Staat. Dieser ist natürlich nicht daran interessiert, ständig neue kaufen zu müssen und rät seinen Bürgern daher zum pflegsamen Umgang mit dem Allgemeingut. Aber nicht nur das. Als Fahrer eines staatlichen KFZs ist man auch dazu verpflichtet, dieses mit anderen zu teilen, in dem man Mitfahrer mitnimmt, wenn man noch Platz im Wagen hat. Es gibt sogar Listen und Organisationspläne, anhand derer man erkennen kann, wann wer wohin fährt, so dass jeder stets eine Mitfahrgelegenheit finden kann. Auf diese Weise werden auch die Fahrten so ressourcensparend wie möglich gestaltet. Bei uns hingegen wird man eher schief angesehen, wenn man mal einen Anhalter mitnimmt, da dieser ja ein Verbrecher sein könnte. Unser System ist darauf ausgelegt, so viele Autos wie möglich auf die Straße zu schicken und diese auch so schnell wie möglich wieder auszutauschen. Denn jedes Auto, das sich im Besitz von irgendjemandem befindet bringt dem Staat, der Wirtschaft und den Versicherungen bares Geld. Im Schnitt zahlen deutsche Autofahrer für jeden PKW über 500€ im Monat. Nicht einmal ein Viertel davon machen die Benzinkosten aus. Der Rest setzt sich aus der Anmeldung des Wagens aus den Versicherungen, dem TÜV, den Steuern, den Mautgebühren und wiederkehrenden Wartungs- und Reparaturkosten zusammen. Alles in allem zahlt ein durchschnittlicher Deutscher in seinem Leben so rund 330.000€ nur für sein KFZ. Weniger als 80.000€ davon beziehen sich auf die Spritkosten. Diese Zahlen wurden jedoch mit einem einfachen Kleinwagen gerechnet. Bei größeren Autos läppern sich die monatlichen Kosten schnell auf über 1000€ zusammen, was natürlich auch die lebenslangen Gesamtausgaben verdoppelt. Könnt ihr euch das vorstellen? Wir geben jeden Monat mehr als 500€ aus, nur damit wir mit einem Auto von A nach B fahren können. Meistens sogar an Orte, die wir nicht einmal mögen! Das sind knapp 17€ pro Tag, also mehr als die meisten für Essen oder ihre Wohnung bezahlen. Falls ihr euch einen groben Überblick machen wollt, wie viel ihr selbst jeden Monat für euer Auto ausgebt, könnt ihr als Faustformel eure monatlichen Benzinkosten vervierfachen. Das Ergebnis dürfte dann ungefähr bei den tatsächlichen Gesamtkosten liegen.

Aber der Konsum bezieht sich natürlich nicht nur auf Autos. Egal wohin wir heute blicken, überall lacht uns die bunte, Aufmerksamkeit erregende Werbung entgegen, die uns zum Kauf von noch mehr Produkten animieren soll. Im Fernsehen, auf jeder Internetseite, im Radio, an jeder Bushaltestelle, in Bars, Cafés an Hauswänden, auf großen Plakaten am Straßenrand. Überall werden wir mir Werbung konfrontiert, die ständig sagt: „Kauf mich! Kauf mich!“ Sogar wenn man hier durch Frankreich einfach nur einen einsamen Feldweg entlang wandert, kommt man kaum zehn Meter weit, ohne dass sich der Blick an einer im Graben liegenden McDonnalds-Tüte oder einer weggeworfenen Cola-Dose verfängt. Es ist nichts als Müll und trotzdem macht es noch immer Werbung für ein Produkt und weckt einen Wunsch des Haben-Wollens in einem. Vor allem, wenn man wie hier in Frankreich ständig mit leeren Bäuchen umher wandert. Jahr für Jahr werden auf diese Weise weltweit insgesamt 500 Milliarden US-Dollar für Werbung ausgegeben. 500 Milliarden Euro! Könnt ihr euch das vorstellen? Man muss allerdings zugeben, dass diese Summe, obwohl sie unvorstellbar groß ist, gerade einmal ein drittel der weltweiten Kosten ausmacht, die jährlich für die Rüstungsindustrie entstehen. Nur um noch einmal zu verstehen, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist: Jedes einzelne Jahr geben wir auf der Welt 1,5 Billiarden Dollar für Waffen und 500 Milliarden Dollar für Werbung aus! Eine Statistik darüber, ob und in welchem Maße diese Werbekosten unser Kaufverhalten anregen gibt es offiziell nicht. Hier hüllt man sich gerne in Schweigen. Aber es gibt dennoch einige Anhaltspunkte, die das Ausmaß zumindest erahnen lassen. So kaufen wir weltweit jedes Jahr fast 1,9 Milliarden Mobiltelefone und mehr als 20 Milliarden Paar Schuhe. Das heißt, der Durchschnittsweltbürger kauft drei Paar Schuhe im Jahr! Und das obwohl wir in Europa im Schnitt nicht mehr als 800m am Tag zu Fuß gehen. Ist das nicht absurd? Fast jeder vierte Mensch kauft sich pro Jahr ein neues Handy und das obwohl er in den meisten Fällen bereits ein funktionierendes Telefon besitzt. Weltweit werden pro Jahr 350 Millionen Computer produziert. Das bedeutet, dass sich einer von 20 Menschen auf der ganzen Welt jedes Jahr einen neuen Computer kauft. Wenn man nun bedenkt, wie viele Menschen ohne Stromanbindung oder unter Bedingungen leben, die den Kauf eines Computers nicht zulassen und wie viele zu alt oder zu jung für die Benutzung eines Computers sind, bedeutet dies, dass praktische jede Familie in der westlichen Welt wenigstens einen neuen Computer pro Jahr kauft. Noch spannender ist jedoch, dass 90% dieser Computer in China produziert werden. Die übrigen 10%, die fast zu vernachlässigen sind, stammen größtenteils aus anderen asiatischen Ländern wie Indien, Bangladesch oder Vietnam. Was heute noch Europa und in den USA produziert wird beläuft sich größtenteils auf Prototypen, wobei auch hier natürlich viele Bestandteile in China hergestellt werden. Könnt ihr euch also vorstellen, wie viele Billiarden wir jedes Jahr für Konsumgüter ausgeben müssen? Dass wir durch all die Werbung permanent zum Kaufen angeregt werden, ist für uns bereits vollkommen normal geworden. Man kann sich kaum mehr vorstellen, dass dies irgendwo nicht so sein sollte. Doch Kuba stellt hier tatsächlich eine Ausnahme dar. Es gibt keine Werbeplakate an den Straßen und auch keine Fernseher mit Werbespots über den Kassen, die einen bereits beim Bezahlen schon wieder auf den nächsten Einkauf trimmen. Das einzige, was man hier in dieser Richtung findet sind gelegentliche Plakate mit schlauen Sprüchen von Ché Guevara oder mit ernst gemeinter Anti-Konsum-Werbung, wie beispielsweise „Kaufen Sie nur das, was Sie auch wirklich brauchen!“ oder „Seien Sie sparsam mit den Ressourcen, wir haben nur einen Planeten!“ Hättet ihr gedacht, dass es so etwas heute noch gibt? Wie lange das noch so sein wird, ist natürlich fraglich, denn der westliche Kapitalismus greift mit seiner Werbung natürlich in alle Richtungen um sich. Nicht nur das, was wir als direkte Werbung erkennen, macht uns Lust aufs Konsumieren, sondern auch die Art und Weise, wie unser Leben in Filmen und Geschichten präsentiert wird. Gerade für Menschen aus anderen Kulturkreisen sieht es hier stets so aus, als wäre das moderne, kapitalistische Wirtschaftssystem ein Weg um in einem Land Milch und Honig fließen zu lassen. Der „Amarican Way of Life“ ist zu einem weltweiten Idealbild dessen geworden, was einen im Leben glücklich machen kann und so streben immer mehr Menschen dahin, sich genau diesen Stil ebenfalls zu ermöglichen. In China hat dies dazu geführt, dass die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten jedes Jahr um rund 10% angewachsen ist. Eine Verbesserung der Lebensweise hat sich dabei allerdings nur sehr bedingt eingestellt. Natürlich gibt es nun mehr Menschen, die lesen und schreiben können als zuvor und auch deutlich mehr, die einen Zugang zu Strom und fließend Wasser haben. Aber ist dies wirklich das Maß für ein erfüllenderes Leben? Durch die vielen Billiglohnjobs, die in China aufgrund der Massenproduktion für unsere Computer, Handys, etc. entstanden sind, wurden viele Menschen, die früher einfach aber ohne echte Armut auf dem Land gelebt haben zu modernen Stadtsklaven. Sie arbeiten unter übelsten Bedingungen für einen Hungerlohn und haben Arbeitszeiten, die es ihnen kaum noch ermöglichen auch nur einen Sonnenstrahl zu sehen. Rund 50 Millionen Kinder wachsen aufgrund dieses Arbeitssystems allein in China praktisch als Waisenkinder auf, da sich ihre Eltern fast permanent auf der Arbeit befinden. Wie viele Kinder von reichen Eltern das gleiche Schicksal trifft, lässt sich nur vermuten. Ohne die modernen Arbeitersklaven könnten wir unser derzeitiges System jedoch nicht am Laufen halten. Unsere gesamte Produktionskette ist darauf ausgelegt, dass wesentliche Arbeitsschritte durch Billiglohnkräfte ausgeführt werden, die man bis aufs letzte ausbeuten kann. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft beschäftigt daher im Schnitt rund 15 Sklaven, die über den Umweg der Großkonzerne permanent für ihn arbeiten.

Dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann, ist selbstverständlich. Wenn man in der Geschichte ein bisschen nach hinten schaut, stellt man fest, dass Europa und die USA im Laufe ihrer Entwicklung zu modernen Industrieregionen für mehr als 70% der Abgase, Umweltgifte und Schadstoffe verantwortlich sind, die unseren Planeten heutzutage belasten. Macht man hingegen eine Momentaufnahme des jetzigen Zeitpunktes, erkennt man, dass China die USA und Europa nun in der jährlichen Giftproduktion bei weitem übertrifft. Wenn die Entwicklung so weiter geht, brauchen wir also nicht mehr lange, bis China die Erde noch einmal genauso stark mit Giftstoffen belastet hat, wie zuvor Europa und die USA. Das Problem dabei ist natürlich, dass die Schadstoffe nicht direkt wieder verschwinden, sondern sich in der Atmosphäre, im Boden, im Wasser und in der Luft anreichern. Ein klein wenig kritisch sah sie ihre eigene Backpackerzeit aber auch. Wie bei Backpackern üblich hatte sie stets versucht, so billig wie möglich zu leben. Um sich in Indonesien ein Moped auszuleihen hatte sie umgerechnet 2€ bezahlen müssen. Ein Zimmer im Hotel hatte im Schnitt 1,5€ bis 3€ gekostet. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie deswegen kein normaler Tourist war, sondern viel mehr ein Öko-Reisender, der ja wenig konsumierte und daher auch nur wenig Schaden anrichtete. Heute sah sie das etwas anders. Hatte sie nicht gerade dadurch, dass sie bewusst die billigsten Länder ausgewählt und dort auf die günstigste weise gelebt hatte zur Ausbeutung der Menschen und der Natur beigetragen? Hatte sie nicht gerade dadurch ein System unterstützt, das sie nicht unterstützen wollte und das sie als ungerecht und lebensfeindlich empfand?

Spruch des Tages: Es muss nicht immer darum gehen, noch mehr und noch mehr zu bekommen.

Höhenmeter: 120 m Tagesetappe: 13 km Gesamtstrecke: 20.258,27 km Wetter: kalt aber sonnig Etappenziel: Gruppenraum der Kirche, 34290 Alignan-du-Vent, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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