Tag 1122: Inseln im Nebel

von Heiko Gärtner
17.02.2017 00:56 Uhr

25.01.2016

Regen und Ungemütlichkeit schienen erst einmal wieder vorbei zu sein und die Sonne begrüßte uns bereits, als wir unser Haus verließen. Dennoch war es kälter als in den letzten Tagen und später fielen sogar ein paar Schneeflocken. Wir wanderten durch ein weites und äußerst beeindruckendes Hügelland. Im Hintergrund zeichneten sich im Dunst der Wolken die Pyrenäen ab, die über und über mit Schnee bedeckt waren.

Am Mittag erreichten wir das kleine Bergdorf Saint Ybars, in dem wir auch unsere Nacht verbringen wollten. Eine Lösung gab es schnell, wenngleich sie etwas kompliziert und aufwendig war. Bis um 14:00 Uhr konnten wir ein Atelier nutzen, das dann von einigen Rentnern zum Kartenspielen benötigt wurde. Von 14:00 bis 17:30 Uhr wechselten wir dann in den Festsaal, der gerade gestrichen und gereinigt wurde. Wir saßen hier auf der Bühne und schauten neben dem Arbeiten dem bunten Treiben im Saal zu. Der Maler pfiff kontinuierlich eine fröhliche Melodie vor sich hin während die vier Frauen damit beschäftigt waren, alle Stühle, Tische und Bänke von einer Ecke in die andere zu schleifen und dabei immer mal wieder irgendwo ein bisschen herum zu wischen.

Nach knapp drei Stunden Arbeit sah alles wieder genauso aus wie zuvor. Nur dass sich auf dem Boden ein lustiges Muster abzeichnete. Sie hatten beim Wischen des Bodens keinerlei Konzept verfolgt und daher nur hier und da einmal ein paar Flecken erwischt. Um 17:30 Uhr wechselten wir dann wieder ins Atelier zurück, wo wir für die Nacht unser Lager aufbauten. Theoretisch hätten wir auch im Festsaal schlafen können, doch dann wäre unsere Nacht morgen um 7:30 Uhr mit dem Beginn der Frühbetreuung für die Kinder berufstätiger Eltern im Ort vorbei gewesen.

26.01.2017

„Wie klappt es eigentlich mit deinen Visualisierungen?“ fragte Heiko heute morgen nach dem Aufstehen. Ich hatte es in den letzten Tagen immer abends vor dem Einschlafen versucht und hin und wieder auch unterm Wandern oder vor einer aktiven Handlung. Teilweise hatte es recht gut geklappt und seit ich mir abends die Zeit nahm, um einen Schlafplatz für den nächsten Tag zu visualisieren, klappte es bei der Ankunft deutlich besser als zuvor. In der Regel bekamen wir sogar Plätze, die meiner Vorstellung zumindest zu einem Teil ähnlich sahen und die vielen der Anforderungen entsprachen, die ich in meinem Geist ausformuliert hatte. Natürlich ließ ich immer wieder große Bereiche offen, über die ich mir einfach keine Gedanken machte und hier tauchten dann auch jedes Mal wieder Dinge auf, die eher nicht so günstig waren. Aber im Großen und Ganzen funktionierte es für den Anfang schon nicht schlecht. Allerdings gab es einen Aspekt, den ich dabei bisher noch gar nicht beachtet hatte. „Wie oft fühlst du dabei echte und aufrichtige Herzensfreude?“ fragte Heiko.

Ich überlegte. Tatsächlich hatte ich mich so sehr auf die Bilder konzentriert und darauf, nicht permanent abzudriften, dass für Freude nicht viel übrig geblieben war. Nur gestern Abend gab es eine Ausnahme. Ich hatte das Bild von einer wunderschönen Wanderung durch die Natur vor Augen gehabt. Die Sonne strahlte vom Himmel und um uns herum waren mächtige, kraftvolle Bäume und Berge, mit denen wir in einer tiefen Verbundenheit standen. In diesem Moment hatte ich auch eine starke Freude gespürt. Wenn es bei den Visionierungen darum ging, dem eigenen unteren Selbst eine attraktive Vorlage zu geben, die es erschaffen kann, dann war diese Freude natürlich wichtig. Wenn einem jemand einen Vorschlag präsentierte, der davon begeistert war, dann nahm man ihn deutlich lieber an, als wenn er selbst keinerlei Interesse daran zu haben schien.

Der Blick aus dem Fenster war jedoch erst einmal enttäuschend. Draußen herrschte dichter Nebel und durch die breiten Spalten in der Tür zog eine eisige Kälte herein. Es sah nicht aus, als würde es der Tag einer herrlichen Wanderung werden. Doch der Schein trog. Nach etwa zwei Stunden Wanderung in der Nebelsuppe löste die Sonne das dichte grau langsam auf und verzauberte die Welt in ein magisches Wunderland. Die Bäume waren mit feinen, weißen Eiskristallen überzogen und schimmerten anmutig im hellen Licht. Wir wanderten oben auf einem Kamm entlang und konnten so zu beiden Seiten nach unten in die Täler blicken. Diese aber waren noch immer voller Nebel und so wirkten die Hügelkuppen wie kleine Insel in einem Wolkenmeer. Weiter im Hintergrund ragten noch immer die verschneiten Pyrenäen hervor, über die eine dicke Wolkenschicht hinweg quoll, die aussah wie Zuckerwatte. Es war einer der schönsten Momente unserer ganzen Reise. Kurz darauf schritten wir unter zwei majestätischen Eichen hindurch, die ebenfalls über und über mit Eiskristallen bedeckt waren. In diesem Moment fühlte ich die gleiche, starke Verbindung zu den Bäumen und der Natur an sich, die ich auch in meiner Vision gefühlt hatte. Und sofort kam die gleiche, tiefe Freude in mir auf.

Dummerweise bin ich direkt nach diesem Teil meiner Visionierung eingeschlafen und konnte daher keinen Fokus für unseren Ankunftsort mehr setzen. Wir bekamen trotzdem einen tollen Platz in einer kleinen, gut geheizten Wohnung, die wir ganz für uns alleine hatten. Nur der weg dorthin war recht holprig und bürokratisch, aber das war ein kleiner Preis.

Spruch des Tages: Erkenne die Schönheit im Augenblick

Höhenmeter: 430 m Tagesetappe: 20 km Gesamtstrecke: 20.518,27 km Wetter: Sonnig aber kalt Etappenziel: Apartment der Stadt, 31310 Montesquieu-Volvestre, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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