Tag 1135: Bernadette als Machtinstrument der Kirche

von Heiko Gärtner
04.03.2017 04:38 Uhr

Fortsetzung von Tag 1134:

Diese Version der Geschichte hat jedoch einen oder besser gesagt gleich mehrere Haken. Bernadette war, wie bereits erwähnt, ein Mädchen, das niemals eine Schule besucht und daher auch nie lesen und schreiben gelernt hatte. Sie war und blieb Zeit ihres Lebens Analphabetin und war daher vollkommen außer Stande, irgendwelche Briefe zu schreiben. Wer immer die Briefe mit den Protokollen über die Marienbegegnungen auch geschrieben hatte, Bernadette war es nicht. Doch das war noch nicht alles.

Denn zu Zeiten von Bernadette wurde in der Region um Lourdes kein Französisch sondern ein eigentümlicher Dialekt namens Bigourdan gesprochen, der eine Mischung aus Französisch und Spanisch war. Hochfranzösisch war in dieser Region eine Sprache, die nur die gebildeten Leute beherrschten. Bernadette konnte sie weder sprechen noch verstehen. Den Aufzeichnungen und Überlieferungen zufolge sprach Maria jedoch ein ganz normales Französisch und auch die Briefe von Bernadette waren in dieser Sprache gehalten. Und als würde das allein nicht schon ausreichen, enthielt der Satz über die unbefleckte Empfängnis auch noch einen plumpen Grammatikfehler. Maria sagte in der Originalversion übersetzt also so etwas wie „Ich bin das unbefleckten Empfängnis“. Erst nach dem Tod von Bernadette wurde der Fehler in den Dokumenten ausgebessert. Alle später verfassten Berichte enthalten die Worte Marias also im örtlichen Pyrenäen-Dialekt und nicht mehr in Französisch.

Auch die späteren Botschaften von Maria, die über die Kirchenvertreter und die Briefe verbreitet wurden, machen den leichten Anschein, als wären sie direkt vom Vatikan in Auftrag gegeben worden. Bernadette und den gläubigen von Lourdes wurde befohlen, über der Grotte eine Kapelle zu bauen und dort regelmäßige Prozessionen abzuhalten, um so alle Welt auf die Ereignisse in Lourdes aufmerksam zu machen. Die Kirche reagierte sofort und kaufte noch 1862 das gesamte Gelände um die Grotte auf, das heute das Santuario enthält. Wieder war es also Maria höchst persönlich, die dafür sorgte, dass hier der heutige Kirchenkomplex entstand. Ob das wohl wirklich Marias Grund war, sich in der physischen Welt zu materialisieren? „Mh, irgendwie laufen die Dinge auf der Erde ein bisschen aus dem Ruder! Was könnte da wohl helfen, sie wieder zurück auf den rechten Pfad zu führen? Mal sehen... Eine Kirche vielleicht? Davon gibt es ja bislang noch nicht so viele. Höchstens ein oder zwei in jedem Dorf. Bestimmt wird das der Grund sein, warum die Menschen so viel Leid produzieren. Ihnen fehlt es an weiteren Kirchen. Wahrscheinlich sind sie noch nicht darauf gekommen, dass es die Lösung für all ihre Probleme ist, einfach noch ein paar weitere zu bauen. Ich geh nur schnell runter und gebe ihnen Bescheid, damit sie endlich mal auf die richtige Idee kommen!“ Mal ganz ehrlich, gibt es in einer solchen Situation nicht tausende von anderen Botschaften, die man einem jungen, kranken Mädchen als Geistwesen übermitteln würde?

Auffällig ist jedenfalls, dass ähnlich wie in Fátima auch Bernadette mit niemandem über ihre Visionen sprechen durfte, der nicht mindestens der Pfarrer von Lourdes war. Nach der 16. und letzten Vision blieb sie noch einige Zeit in Lourdes und arbeitete hier als Krankenschwester im Hospital. Dann sorgte der Bischof von Tarbes dafür, dass sie keinerlei Gelegenheit mehr hatte, irgendjemandem irgendetwas zu erzählen, von dem er nicht genau wusste, dass er schweigen konnte. Auf sein Geheißen hin trat Bernadette in das Kloster Saint-Gildard in Nevers ein, wo sie fortan unter den Nonnen lebte und sonst niemanden mehr zu Gesicht bekam. Die Mutter Oberin war darüber nicht allzu begeistert und antwortete dem Bischof zähneknirschend: „ Sie wird wohl Stammgast in unserer Krankenabteilung sein“. Als wir selbst vor rund drei Jahren in Nevers waren, hatten wir das Kloster Saint-Gildard ebenfalls besucht und waren mit ähnlicher Herzlichkeit empfangen worden. Die Schwestern waren ihrer Linie seit zweihundert Jahren also offenbar treu geblieben. Tatsächlich aber verschlimmerten sich Bernadettes Krankheiten und sowohl das Asthma als auh die Knochentuberkulose wurde nahezu unerträglich. Der Arzt, der für den Orden zuständig war, gab Bernadette nur noch ein paar Wochen zu leben und drei Mal sah es so schlimm aus, dass man ihre bereits die letzte Ölung verpasste. Doch sie rappelte sich immer wieder auf und lebte noch weitere zehn Jahre. Am 16. April 1879 erbrach sie eine große Menge Blut, an dem sie über einen Zeitraum von vier Stunden langsam und qualvoll erstickte. Zu diesem Zeitpunkt war sie 35 Jahre alt.

Doch die Mysterien, die sich um Bernadette ranken enden nicht mit ihrem Tod. Jetzt, da sie selbst keine Gefahr mehr darstellte und ebenfalls zu einer Legende geworden war, war es an der Zeit, auch sie selbst zu einem Wunder werden zu lassen. Denn das phantastische an Bernadettes sterblichen Überresten ist, dass sie auch knapp 200 Jahre nach ihrem Tod noch immer perfekt erhalten und unverwest sind. So jedenfalls lautet die offizielle Geschichte: „Dieses Gesicht hat die Jungfrau Maria in Lourdes gesehen. Diese Finger haben im Erdreich gewühlt und die wundertätige Quelle hervorspringen lassen. Diese Ohren haben die Botschaften der Mutter Gottes gehört. So, wie sie in Nevers zu sehen ist, starb die heilige Bernadette am 16. April 1879, mit einem letzten Ave Maria auf den Lippen. Als ihr Grab geöffnet wurde, fand man ihren Leichnam ohne die geringste Spur der Verwesung vor.“ Wer es nicht glaubt, kann sich in Nevers mit eigenen Augen von diesem Wunder überzeugen, denn dort liegt die Leiche in einem Glassarg und man kann ihre jugendliche Schönheit und ihre Unversehrtheit noch immer bestaunen. Doch auch hier gibt es schon wieder einen Haken. Das dumme an unserer zivilisierten Gesellschaft ist, dass wir diesen schier ununterdrückbaren Drang haben, alles genau aufzuschreiben. Und aus diesem Grund gibt es bis heute genaue Aufzeichnungen über die Ereignisse, die Bernadette nach ihrem Tod erlebte.

Neun Tage nach ihrem Ableben wurde Bernadette unter der Anwesenheit von mehreren Zeugen, darunter der Friedensrichter Devraine und die Polizeibeamten Saget und Moyen in einem soliden Eichensarg bestattet und in einer Gruft in der Klosterkapelle beigesetzt. Rund dreißig Jahre später sollte Bernadette selig und anschließend heilig gesprochen werden und für diesen Prozess war es notwendig, ihre Leiche noch einmal ans Tageslicht zu befördern und zu untersuchen. Warum das notwendig ist, weiß ich nicht, aber die Regeln der Kirche verlangen eine sogenannte kanonische Identifizierung des Körpers und das bedeutet eben, dass man die Leiche ausbuddelt und untersucht. Im Falle von Bernadette wurden sogar gleich drei Exhumierungen vorgenommen.

Eine 1909, eine 1919 und eine 1925. In allen drei Fällen wurde ein genaues Protokoll über den jeweiligen Zustand der Leiche geschrieben, das bis heute erhalten ist. Dr. Jourdan und Dr. David, die Gerichtsmediziner, die die erste Untersuchung durchführten hielten darin Folgendes fest: „Die Gesichtshaut lag auf den Knochen auf, die Brauen klebten in der Augenhöhle und am Schädel waren noch vereinzelte Haare. Der Körper war braunschwarz gefärbt, pergament-artig starr und klang beim Anschlag hohl wie Karton. Auf den Unterarmen konnte man noch das Muster der Adern erkennen. Hände und Füsse waren wächsern. Während der Untersuchung, die neun Stunden dauerte, schwärzte sich der Leichnam vollständig.“

Selbst für einen Laien klingt das nicht unbedingt nach einem perfekt erhaltenen Leichnam und unter gerichtsmedizinischen Gesichtspunkten bedeutet es nichts anderes als: „Die Leiche sieht genauso aus, wie man es nach 30 Jahren in einem Eichensarg zu erwarten hat.“ Die Protokolle der beiden späteren Untersuchungen bestätigten dieses Ergebnis und beschrieben die üblichen Veränderungen die eintreten, wenn ein Leichnam nach einer Sargöffnung erneut bestattet wird. Hier hieß es: „Der Körper war mumifiziert, wies Stockflecken auf und war mit einer Salzschicht bedeckt.“ Sechs Jahre später vermerkten die Ärzte der dritten Untersuchung: „Der Leichnam war weder verwest noch verfallen. Die wächserne Haut hatte jedoch unter der Feuchtigkeit gelitten, war grau geworden und an einigen Stellen abgeblättert.“

Bernadette lagerte in einer Gruft in einem bleibeschlagenen Eichensarg, was dazu führte, dass sie nicht verfaulte und verweste, sondern vertrocknete und sich selbst gewissermaßen mumifizierte. Nachdem der Sarg einmal geöffnet worden war, wurde der Verfallsprozess natürlich beschleunigt, da nun neue Mikroorganismen eindringen und ein neues Mikroklima erzeugen konnten. Alles verhielt sich also so, wie es zu erwarten gewesen wäre. Jetzt aber geschah das Wunder, das heute noch immer unzählige Pilger nach Nevers lockt um einen Blick auf die unversehrte Heilige zu werfen. Der Papst entschloss sich am 14. Juni 1925 dazu Bernadette vor den Augen der Öffentlichkeit selig zu sprechen und zu diesem Zweck wurde die Leiche der jungen Frau in einen Glassarg umgebettet. Ungünstigerweise war der Anblick ihres verfallenen, mumifizierten Gesichts viel mehr verstörend als anmutig und so fürchtete man, dass es die Leute verschrecken könnte, wenn sie die Leiche in diesem Zustand betrachten sollten.

Um das Problem zu lösen Pierre Imans, der derzeit beste und bekannteste Hersteller von Wachsfiguren beauftragt, ein perfektes Abbild aus Wachs von Bernadettes Händen und Gesicht zu erstellen. So ausgestattet wurde Bernadette dann im Petersdom präsentiert und später zurück nach Nevers gebracht, wo man sie bis heute bewundern kann. In gewisser Weise stimmt es also, wenn man davon ausgeht, dass die jugendliche Unversehrtheit von Bernadette ein Wunder ist. Nur eben kein spirituelles, sondern ein Wunderwerk der Technik. Noch verwunderlicher ist jedoch, dass sich der starke Glaube an die Echtheit der unverwesbaren Leiche so stark hält, obwohl es offizielle Papiere gibt, die das Gegenteil beweisen und die nicht einmal verheimlicht werden.

Vor der Grotte befanden sich einige Kirchenbänke sowie ein rotes Absperrband, das dafür sorgte, dass man nur von einer Seite unter den Felsvorsprung gelangen konnte. Die Quelle, die Bernadette damals auf Geheißen von Maria hin ausgrub, ist heute hinter einer Glaswand verborgen, damit niemand etwas hineinwerfen kann. Das heilende Wasser wird seitlich umgeleitet und kann nun aus einer Reihe von Wasserhähnen abgefüllt werden. Auf der gegenüberliegenden Seite gibt es weitere Wasserhähne über denen in mehreren Sprachen der Schriftzug: „Ich bringe etwas von dem heilenden Wasser aus Lourdes mit nach hause“ steht. Daneben hing ein Zettel, auf dem die Besucher aufgefordert wurden, nur ein kleines bisschen Wasser zu verwenden, nicht mehr als unbedingt nötig sei. Einen Moment fragten wir uns, was man mit dieser Aufforderung erreichen wollte. Immerhin handelte es sich ja um eine Quelle, aus der ohnehin ständig Wasser floss, das dann im Fluss landete. Theoretisch dürfte es also keinen Unterschied machen, ob jemand Wasser mitnahm, oder nicht, denn auf irgendeine Art und Weise landete es am Ende ohnehin im Meer. Später fiel uns jedoch auf, dass das Wasser von den unteren Hähnen ganz anders schmeckte als das in der Nähe der Quelle. Letzteres war stark mineralhaltig und hatte einen frischen, kalkiken Geschmack. Das andere war dumpfer gewesen und schmeckte eher wie das Wasser, das in unserer Herberge aus den Leitungen floss. Ob man hier vielleicht ein klein wenig nachgeholfen hatte? Wenn ja, würde es natürlich auch erklären, warum die Betreiber auf das Wassersparen bedacht waren, denn anders als Quellwasser war Leitungswasser nicht kostenlos.

Später fanden wir heraus, dass auch die Geschichte um die Heilwirkung des Wassers einige Ungereimtheiten aufwies. Denn wie bei ihren anderen Visionen wollte man Bernadette auch in Bezug auf die Quelle zunächst keinen Glauben schenken. Wie gesagt, eine Quelle in den Bergen zu finden, war nicht schwer und für die meisten Menschen war es nichts besonderes. Das änderte sich jedoch spontan, als im April 1858 ein Mann namens Pierre Romain Dozous auf der Bildfläche erschien, der das Wasser der Quelle nutzte um damit tatsächlich einen Blinden zu heilen. Es war nicht Bernadette, sondern der Bericht dieses Mannes, der der Quelle mit einem Schlag ihre Berühmtheit als Heil- und Wunderquelle einbrachte.

Pierre Romain Dozous hatte lange Zeit als Arzt am Spital von Lourdes gearbeitet und war zudem ein enger vertrauter von Abbé Ader, dem früheren Mentor von Bernadette, mit der großen Begeisterung für Marien-Erscheinungen. Diese Verbindung ist sicher kein Zufall und es liegt nahe, dass Abbé Ader der Grund war, warum Dr. Dozous auf das Heilwasser von Bernadettes Quelle aufmerksam wurde. Einige Jahre zuvor hatte Dr. Dozous einiges an Aufsehen erregt, weil er versucht hatte, ein Mineralwasser aus der Gegend als Universalheilmittel gegen mindestens neun Krankheiten, darunter auch Syphilis und Diabetes zu vermarkten. Der Versuch schlug fehl, weil man ihn als Scharlatan entlarfte und er wurde kurzerhand aus dem Spital entlassen. Dass nun eine ähnliche Geschäftsidee auftauchte, die ihm jedoch die Vermarktungsstrategie anbot, die ihm zuvor gefehlt hatte, musste für ihn wie eine göttliche Fügung gewesen sein. Nach einigem Suchen fand er einen blinden Steinmetz, der bereit war, ihm als erster Patient zur Verfügung zu stehen. Und tatsächlich, nach der Behandlung mit dem Wunderwasser aus der heiligen Quelle konnte der Mann plötzlich wieder sehen.

Ganz Frankreich hielt den Atem an! Gab es hier wirklich ein Wunder? War die Grotte von Lourdes am Ende doch etwas besonderes? Die Popularität des Falles weckte auch das Interesse anderer Mediziner und so wurde der Fall des blinden Steinmetzes noch einmal gründlich untersucht. Unglücklicherweise für den Wunderdoktor war dies keine schwere Sache. Denn es gab eine umfassende Krankenakte, des Steinmetzes, die bei der ersten Untersuchung nach seinem Unfall erstellt wurde. Und dies auch noch von Dozous selbst. Hier hatte er vermerkt, dass Bouriette durch eine Explosion mehrere Verbrennungen an den Händen und im Gesicht erlitten hatte, die unter anderem zu einer leichten Verletzung des rechten Auges und einer schwachen Eintrübung der Sehfähigkeit geführt hatten. Das Wunder der Heilung bestand also in erster Linie darin, dass ein Blinder seine Sehkraft zurückerlangte, der sie überhaupt nie verloren hatte. Dass Bouriette nach dem Kontakt mit dem heilenden Wasser sehen konnte lag also daran, dass er es auch davor schon konnte. Es war also nichts weiter als eine Inszenierung, wenngleich eine sehr gelungene, denn nach dem ersten Wunder wollten die Menschen daran glauben und schon bald folgten weitere Heilungen, die Lourdes zu seiner heutigen Berühmtheit verhalfen.

Dass die Kirche selbst etwas mit der Inszenierung zu tun hatte und dass es nicht nur die Idee des Arztes war, liegt nahe, lässt sich aber nicht näher beweisen. Belegt ist nur, dass Dozous nach Anklingen des Erfolges auf die Kirche zuging, die gerade das Land um die Grotte gekauft hatte und von ihr fünf Prozent Provision von allen kommenden Einnahmen durch die Pilger verlangte. Schließlich wäre es ja auch sein Verdienst, dass diese aufgrund seiner Wunderheilung hier her strömten. Ob sich die Kirche auf irgendeine Art von Deal einließ konnte ich aber leider nicht herausfinden. 1862 aber erklärte der Bishof von Lourdes bereits sieben Heilungen als von der Kirche anerkannte Wunder, darunter auch den Fall des nicht ganz so blinden Steinmetzes. Gleichzeitig verkündete er auch, dass eine Kommission aus „weisen und frommen Priestern“ studiert habe und zu der Überzeugung gekommen sei, „ dass die Erscheinungen göttlichen Ursprungs sind und das, was Bernadette sah, die allerheiligste Jungfrau“

Bis heute wurden rund 7.000 Heilungen durch das Wasser von Lourdes bei Bureau Médical gemeldet, von denen 67 von der katholischen Kirche als Wunder anerkannt wurden. Rund 80% davon hatten Tuberkulose, was durchaus nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, das Tuberkulose eigentlich ein Heilungsprozess unseres Körpers ist. Darauf werden wir aber an einer anderen Stelle noch einmal eingehen. Wie heilsam das Wasser von Lourdes nun wirklich ist, mag ich nicht zu beurteilen, aber eine gewisse Heilkraft besitzt es auf jeden Fall. Es ist frisches, klares Bergwasser, das aus einem Felsen mit einer irgendwie besonderen Kraft fließt. Die Idee, dass es einige Orte gibt, die besonders Kraftvoll und Heilsam sind und an denen daher auch das Wasser besonders gut heilt, ist ohnehin ein sehr zivilisierter Gedanke. Jeder Ort hat Kraft und alles aus der Natur heilt. Die Frage ist also nicht, ob etwas eine Heilkraft besitzt, sondern nur, ob es die Kraft und Qualität hat, die man selbst in diesem Moment benötigt um heilen zu können.

Jetzt im Moment machte dies ganz und gar nicht den Anschein, denn dank der Baustelle herrschte hier keine ruhige, heilsame Atmosphäre sondern eher ein verstörender Lärm. Die Pfarrer und die Gläubigen hielt dies jedoch nicht davon ab, trotzdem eine Messe vor der Grotte abzuhalten, bei der der Prediger sich die Lunge aus dem Hals schreien musste, um den Bagger zu übertönen. Wir selbst entschieden uns dafür, dem Santuario erst einmal den Rücken zu kehren und uns den Rest der Stadt anzusehen. Auf einem gegenüberliegen Felsen gab es eine alte Ritterburg, die ebenfalls interessant aussah und von der man einen recht guten Blick auf das Heiligtum ergattern konnte. Jedenfalls glaubten wir dies, denn als wir ankamen mussten wir feststellen, dass man leider nur die große Burgmauer sehen konnte. Dafür gab es hier aber einige Spiele, die an Mittelalterliche Traditionen Angelehnt waren und die Kinder beschäftigen sollten. Wir freuten uns aber auch darüber und verbrachten die nächste halbe Stunde damit, Ringe auf Stäbe zu werfen, was sich als weitaus schwieriger entpuppte, als wir vermutet hatten.

Der Rest von Lourdes bot kaum noch etwas sehenswertes und da es erneut zu Regnen begann, kehrten wir bis zum Abendessen in unsere Herberge zurück. Nach dem gemeinsamen Essen mit Schwester Myriam und zwei weiteren Hausgästen machten wir uns noch einmal zu einer Nachtrunde auf. So wie man es uns erzählt hatte, war die Kirche im Dunkeln festlich beleuchtet und es gab jeden Abend einen Lichtergang mit unzähligen Kerzen, die den Platz erhellten. Zu unserer Enttäuschung mussten wir feststellen, dass dies nur für die Sommermonate galt. Mit Ausnahme von drei jungen Frauen, die dem gleichen Irrtum unterlegen waren wie wir und die mit ihren langen Kerzen vollkommen bedröppelt und verloren im Regen vor dem Kirchenportal standen war das Heiligtum weitgehend leer und Dunkel. Nicht einmal die Scheinwerfer brannten wirklich. Dass hier niemand im Winter ein Geschäft machen konnte war also kein Wunder.

Spruch des Tages: Man kann jede Geschichte so auslegen, dass sie einem etwas nützt.

Höhenmeter: 90 m Tagesetappe: 24 km Gesamtstrecke: 20.771,27 km Wetter: Bewölkt mit einigen Schauern Etappenziel: Private Gästezimmer, 40700 Hagetmau, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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