Tag 1171: Unterschiedliche Formen von Begegnungen

von Heiko Gärtner
24.04.2017 23:41 Uhr

18.03.2016

Nach einer angenehmen und ereignislosen Wanderung bekamen wir heute wieder schnell und Problemlos einen Platz im Rathaus. Es war ein wahrer Glückstreffer, denn eigentlich war alles geschlossen und die Bürgermeisterin war nur kurz im Büro, um etwas für ein Treffen mit einigen Forstarbeitern abzuholen, das gerade im Festsaal stattfand. Sie nahm uns kurzerhand mit und wir konnten im hinteren Bereich schon einmal unser Lager aufbauen, während im vorderen noch das Treffen mit Kaffee und Kuchen stattfand. Einen Moment lang fühlte es sich etwas komisch an, mit einer Gruppe im gleichen Raum zu sein, ohne dass eine Seite versuchte, einen Kontakt herzustellen oder auch nur ein kurzes Höflichkeitsgespräch zu führen. Spannend dabei war, dass es uns allen genau so recht war, wie es war, denn weder wir noch die anderen hatten große Lust auf irgend ein Geplänkel. Und trotzdem fühlte es sich seltsam an. Warum?

Wir gingen der Frage am Nachmittag noch einmal intensiver nach und stellten fest, dass weit mehr dahinter stand, als wir ursprünglich angenommen hatten. In unserer Gesellschaft und ausgehend von unserer Erziehung und unserem Höflichkeits-Kodex haben wir oft das Gefühl, dass es unhöflich ist, wenn wir keinen Kontakt zu anderen suchen und stattdessen lieber für uns sein wollen. Wir glauben, dass wir den anderen damit ausschließen oder vielleicht sogar beleidigen. Aber stimmt das? Ist ein Reh unhöflich, wenn es einen nicht begrüßt, weil man in den Wald geht? Nein. Das Reh tut was es tut, genau wie der Fuchs, die Maus und man selbst auch. Jeder lässt jeden so sein, wie er gerade sein will und niemand fühlt sich dazu verpflichtet, seine eigene Tätigkeit zu unterbrechen, nur um die des anderen ebenfalls unterbrechen zu können, weil er glaubt, der andere wäre sonst traurig. Einen Kontakt gibt es erst ab dem Moment, ab dem dieser für beide eine Bedeutung hat. Dies ist bei allen natürlich lebenden Wesen so, solange sie wirklich noch in einer harmonischen, intakten Umwelt leben können. Kulturfolger hingegen sind eine Ausnahme, denn sie wollen den Kontakt zum Menschen oder zu anderen Wesen in ihrer Nähe rein des Kontaktes willen. Hunde bellen, kläffen, springen oder wedeln nur um auf sich aufmerksam zu machen, nicht weil sie tatsächlich eine Botschaft haben. Ähnlich ist es mit Spatzen, Hähnen, Gänsen und einigen anderen Tieren. Auffällig ist dabei, dass wir diese Kontaktversuche in der Regel als nervig und störend empfinden. Sie sind außerhalb de Harmonie, da die Tiere nicht aus ihrem Gefühl heraus und nach ihrem Herzen handeln, sondern aufgrund ihrer Sucht nach Aufmerksamkeit.

Genau das gleiche ist es auch mit Menschen. Ein Kontakt aus einem Verpflichtungsgefühl heraus oder rein des Kontaktes wegen, bringt niemandem etwas. Er lenkt ab, verwirrt, kostet Zeit, zertreut und führt dazu, dass alle ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren. Gleichzeitig hinterlässt er auch meist ein ungutes Gefühl in den Beteiligten, da niemand durch den Austausch weiter gekommen ist. Es löst eine innere Unruhe und den Wunsch aus, den Kontakt wieder abzubrechen und sich zurück zu ziehen. Obwohl das Ziel ist, Nähe und Verbindung herzustellen, wird in der Regel genau das Gegenteil erreicht. Im Extremfall kann man auf diese Weise Beziehungen über Jahrzehnte hinweg pflegen, ohne den anderen jemals kennenzulernen. Das Prinzip, das dahinter steht, ist Smalltalk, also letztlich verbaler Durchfall. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass wir einen Nichtkontakt zu unseren Mitmenschen zwar in der Regel als unhöflich empfinden, dass wir uns aber gleichzeitig über die entstehenden Negativkontakte beschweren. Wie kann das sein? Unsere innere Haltung ist, dass sie jeden einladen mit uns zu sprechen und jeden anquatschen wollen, uns dann aber unwohl fühlen, wenn uns dieser Kontakt schadet und Energie raubt. „Ständig werde ich von irgendwelchen Idioten angelabert!“ „Ständig quatscht mich irgendeine Tante zu!“ Die Frage ist aber: „Wer hat den Kontakt zugelassen? Wer hat ihn eingeladen? Wenn Tiere und Pflanzen in der Natur die Verpflichtung spüren würden, zu allem und jedem das Gepräch zu suchen, weil man sie sonst für unhöflich halten könnte, würden sie wahrscheinlich recht bald den Tod finden. Smalltalk-Gespräche dienen der Zerstreuung, also der Defokussierung und sind damit genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich erreichen wollen.

Das gleiche gilt auch, wenn wir unserem Weg in Richtung Erwachen und Heilung folgen wollen. Je öfter wir dabei stehen bleiben, um belanglose Höflichkeitsgespräche zu führen, desto weniger kommen wir voran. Um das zu verhindern ist es wichtig, zu erkennen was andere Menschen oder Wesen wirklich für eine Bedeutung für uns haben. Hier gibt es einige Unterschiede, die man ausfindig machen und erkennen muss, wenn man vorankommen will. Zunächst einmal lässt sich zwischen drei unterschiedlichen Arten von Begegnungen unterscheiden. Die ersten und häufigsten sind diejenigen, die überhaupt nicht hilfreich sind. Es sind begegnungen mit reinen Illusionswesen, die für unser Leben keinerlei Rolle spielen und nur auftauchen um uns zu zerstreuen. Stellt euch vor, ihr wollt euch den neuen James Bond ansehen und anstatt seine Mission zu erfüllen würde 007 nun anfangen, aus einem Höflichkeitsgefühl heraus mit sämtlichen Statisten des Films ein Gespräch anzufangen. Der Film wäre drei Tage lang und am Ende würde die Welt untergehen, weil James Bond vor lauter Smalltalk ganz vergessen hätte, dass er eigentlich im Geheimauftrag ihrer Majestät unterwegs ist. Bei diesem Beispiel kommt uns die Idee lächerlich vor, aber im Leben machen wir häufig genau das. Wir erkennen nicht, wer in unserem Lebensfilm wirklich eine Rolle spielt und wer nur ein Statist ist, der im Hintergrund entlang geht und keine Bedeutung für uns hat. Dies ist wahrscheinlich einer der Hauptgründe, warum bei so vielen von uns so wenig Entwicklung stattfindet. Der Punkt ist der, dass wir nicht darauf vertrauen können, dass der richtige Mensch zur richtigen Zeit zu uns kommen wird. Hilfreiche Menschen sind ein bisschen wie Wegweiser, die uns dabei helfen, auf der richtigen Spur zu bleiben. Sie kommen nicht ununterbrochen auf uns zu, sondern tauchen dann auf, wenn wir sie benötigen. Wir aber fahren kreuz und quer in der Stadt herum, um nach Wegweisern zu suchen mit denen wir uns unterhalten können, ohne überhaupt zu wissen, wo unser Ziel ist. Und dann wundern wir uns, wenn wir dabei nirgendwo ankommen.

Die zweite Art der Begegnungen sind die Gastauftritte. Sie sind die erwähnten Wegweiser und ein bisschen mit der Stimme in einem Navi vergleichbar,, die uns immer wieder in die richtige Richtung lotst. Sie tauchen dort auf, wo man sie braucht, weil der Weg uneindeutig wird und sagen Dinge, die uns dabei helfen, unseren Weg nach links oder rechts fortzusetzen. Dann verschwinden sie wieder, denn ihre Arbeit ist nun getan. Bei James Bond sind dies die Informanten, die kurz auftauchen, drei oder vier Sätze einwerfen, durch die der Held den nächsten Schritt in Richtung Weltrettung gehen kann und die danach keine Rolle mehr spielen. Doch was machen wir? Wir konzentrieren uns nicht darauf, die Botschaft herauszuhören, die sie für uns haben, sondern glauben, dass wir auch sie aus Höflichkeit in ein Gespräch um Nichtigkeiten verwickeln müssen.

Wenn wir die Boten richtig verstehen, sind sie hilfreich und führen uns immer weiter zu unserem Ziel. Was wir jedoch tun ist, dass wir sie vollkommen zweckentfremden. Der Bote sagt: „Hier geht es links!“ und hat seine Aufgabe in unserem Leben damit erfüllt. Doch anstatt ihn ziehen zu lassen bitten wir ihn um ein Date, wollen mit ihm ins Kino oder ihn sogar heiraten. Seine ganze Aufgabe besteht darin, der Postbote für eine wichtige Nachricht zu sein, aber wir wollen das nicht akzeptieren und halten ihn daher fest, wobei wir am Ende vollkommen vergessen, dass es überhaupt eine Botschaft gab.

Und schließlich, aber das sind die wenigsten, gibt es noch Begegnungen mit jenen Menschen oder Wesen, die uns ein Stück weit auf unserem Weg begleiten, weil sie teilweise oder gänzlich in die gleiche Richtung wollen. Dies sind unsere Mentoren, Partner, Freunde, Schüler oder ähnliches, Wesen also, die für eine gewisse Zeit oder auch für die Dauer unseres Lebens eine wichtige Rolle für uns spielen. In unserem James-Bond-Beispiel sind es die weiteren Hauptrollen, die neben 007 den Handlungsverlauf mit tragen: M, Q, Moneypenny und so weiter. Es sind stets Leute, bei denen man die Besonderheit der Begegnung spürt. Dies sind die Wesen, bei denen es sich lohnt, in die Tiefe zu gehen und einen echten Kontakt von Herz zu Herz herzustellen. In der Regel sind es Realpersonen, während es sich bei den anderen zumeist um Illusionen handelt. Es geht also stets vor allem um zwei Punkte: 1.: Die hilfreichen Menschen von den nicht hilfreichen zu unterscheiden und einen Kontakt nur dann aufzunehmen, wenn er zielführend ist. Alle anderen zu ignorieren ist nicht unhöflich, sondern sogar sehr zuvorkommend, weil man so sich selbst und dem anderen viel Zeit und Nerven spart. Außerdem handelt es sich in den meisten Fällen ohnehin um Illusionen.

 

2.: Die hilfreichen Menschen auf eine Art behandeln, die hilfreich ist. Wichtig dabei ist, dass man ihnen keinen Beziehungsstatus aufdrängt, der alles wieder in die Ablenkung verschiebt. Es geht darum, die Botschaften zu erkennen und den anderen wieder ziehen zu lassen, solange man nicht eindeutig spürt, dass es sich um einen Menschen um einen Wegbegleiter handelt.

Spruch des Tages: Man muss nicht immer höflich sein.

Höhenmeter: 90 m Tagesetappe: 18 km Gesamtstrecke: 21.456,27 km Wetter: sonnig und frühlingshaft, teilweise mit kaltem Wind Etappenziel: Gemeindesaal des Rathauses, 72250 Challes, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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