Noch mehr Reparaturen

von Franz Bujor
04.05.2014 08:16 Uhr

Unser Zimmer bei den Franziskanern war schön und hatte einen deutlich höheren Standard, als die meisten unserer vorherigen Schlafplätze. Das einzige Problem war, dass man wieder einmal keine Privatsphäre hatte. Unser Zimmer teilten wir mit zwei französischen Pilgern, einem Vater und seinem Sohn. Der Sohn lag zunächst auf seinem Bett und spielte ein Ballerspiel auf seinem Handy, wobei er die Musik auf laut eingestellt hatte. Später spielte er Gitarre. Das hätte angenehm sein können, war es aber leider nicht. Er selbst hatte die Kopfhörer von seinem mp3-Player in den Ohren, was auch nicht dafür sprach, dass er von seinem spielerischen Können überzeugt war. Höflichkeitsregeln wie etwa das Begrüßen seiner Zimmermitbewohner oder die Frage ob es ok sei, in einem Mehrbettzimmer das Gitarrespielen zu üben, waren den beiden offensichtlich unbekannt. Wir zogen uns daher in ein Aufenthaltszimmer zurück, in dem es jedoch auch nicht viel ruhiger war.

In der Nacht war es der Vater, der durch sein lautes Schnarchen dafür sorgte, dass wir heute nicht so ausgeschlafen waren wie wir es gerne gewesen wären. Auch das laute Pfurzen, das durch den ganzen Raum hallte, machte es nicht besser.

Um sieben in der Früh klingelte ihr Wecker und die nächste halbe Stunde waren sie mit packen beschäftigt. Danach hatten wir immerhin noch eine knappe Stunde Ruhe für uns. So wenig Komfort wir in den Gemeinderäumen der Pfarrer auch hatten, dort waren wir immerhin unter uns gewesen und konnten so lange schlafen, wie wir wollten. Alles hatte eben seine vor und Nachteile.

Heute führte uns unser Weg zunächst einmal fünf Kilometer an der geisterhaften, verfallenen Strandpromenade von Laredo entlang. Dabei trafen wir zunächst auf den Obdachlosen Pilger von gestern. Wir wollten ihm etwas Obst schenken, weil wir zu viel davon hatten, aber er war selbst reichlich damit versorgt worden. Er war ein wirklich angenehmer Zeitgenosse und es machte Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. Eine Erfahrung, die wir in Spanien immer mehr vermissten. Er erzählte uns, dass er als Straßenkünstler Portraits von Menschen zeichnete um so seine Reise zu finanzieren. Der Erfolg war mittelmäßig, obwohl seine Bilder sehr gut waren. Das Problem lag eher darin, dass er sich selbst nicht als gut wahrnahm. Es war ihm peinlich, dass er auf der Straße malte und dadurch strahlte er das Gefühl, das seine Bilder nicht gut waren auch nach außen. Somit verbaute er sich selbst seinen eigenen Erfolg. Ein Gedankenmuster, dass ich nur allzu gut kannte.

Zum Abschied meinte Heiko scherzhaft, dass er uns malen müsse, wenn wir uns das nächste Mal trafen. Er nickte erst, dann lachte er und meinte mit einem Zwinkern: „Ich weiß nicht Jungs, ihr habt leider kein Geld!“

Kurze Zeit später kam uns der Sohn entgegen, der am Vorabend Gitarre gespielt hatte. Er hatte in der Früh im Dunkeln seinen mp3-Player vergessen. Als wir ihn sahen, winkten wir ihm schon von weitem zu und gaben ihm den Player zurück. Wir hatten ihn mitgenommen, da wir uns schon irgendwie gedacht hatten, ihn später zu treffen. Lustig war nur, dass er durch dieses Vergessen locker auch hätte ausschlafen können, denn nun war er genauso weit wie wir.

Der Rest des Tages wurde leider nicht ganz so lustig. Es gab wieder einmal Probleme mit meinem Wagen. An sich war es keine große Sache, doch weil es mir erst so spät aufgefallen ist, hätte es beinahe in einer Katastrophe enden können. Meine Reifen hatten sich bis auf das Gewebe heruntergefahren und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie platzten. Da war es wieder, das alte Thema mit der Aufmerksamkeit. Immer wenn ich glaubte, langsam besser zu werden, gab es irgendetwas großes, dass ich übersah. Wenn wir keinen Ersatz auftreiben konnten und uns der Reifen irgendwo im Niemandsland platzte, dann waren wir mit unserem Gepäck verloren. Wie sollten wir es weiter transportieren? Die Stimmung wurde dick. Heiko ärgerte sich darüber, dass ich immer und immer wieder die gleichen Fehler machte. Und ich ärgerte mich darüber gleich noch mehr. Es war immer das gleiche Prinzip. Es gab eindeutige Anzeichen dafür, dass sich ein Problem anbahnen würde, die ich zwar irgendwie mitbekam, jedoch nicht bewusst wahrnahm. Manchmal blendete ich sie auch bewusst aus, oder ich redete mir ein, dass sie nicht existieren würden. Dadurch ließ ich die Zeit verstreichen, in der man locker etwas hätte verändern können. Schließlich wurde das Problem akut und es musste Hals über Kopf eine Lösung her, wenn nicht alles scheitern sollte. Und dann war ich meist so verzweifelt, dass ich keinen Lösungsweg mehr sehen konnte. Stattdessen ärgerte ich mich über mich selbst und wartete weiter, bis jemand anderes eine Lösung fand. Auf unserer Reise war dieser jemand meistens Heiko, der verständlicher Weise nicht besonders erfreut darüber war.

Noch bevor wir eine Lösung für das Reifenproblem fanden, tauchte ein weiteres Problem auf. Auch dieses war durch eine typische Angewohnheit von mit aufgetreten, die mir immer und immer wieder passierte, ohne dass es mir gelang, sie zu durchbrechen. Diese Angewohnheit bestand darin, in wichtigen Momenten, die Verantwortung abzugeben, in dem blinden Vertrauen, dass andere Menschen schon wissen würden, was sie taten. Auch hier war das zentrale Thema also wieder die Aufmerksamkeit. Als wir unsere Achsen zur Stabilisierung hatten schweißen lassen, hatte ich meinen Wagen den fähigen Händen des Mechanikers übergeben, ohne selbst zu überlegen, ob es gerade sinnvoll war, was er tat oder nicht. Ich hatte zwar die ganze Zeit daneben gestanden, hatte mir aber keine Gedanken darüber gemacht, was mit der Achse passieren würde, wenn diese zu heiß würde. Das war mir erst im Nachhinein eingefallen. Dann nämlich, als ich feststellte, dass sie sich um einen knappen Zentimeter verbogen hatte, so dass die Räder nun einen Spagat machten. Zunächst schien es, als wäre das kein großes Problem, doch im Laufe eines Tages gerieten die Räder oben immer weiter an die Metallkonstruktion des Wagens heran und die Bremsscheiben begannen an der Außenverkleidung zu schleifen. Das war zum einen dreimal so anstrengend wie normal und zum anderen zerstörte es auf Dauer die Bremsscheiben. Noch mehr besorgte mich jedoch die Frage, ob es lediglich die Steckachsen waren, die sich innerhalb ihres Gehäuses leicht nach außen drückten, oder ob sich die gesamte Achse mit der Zeit immer weiter durchbog. Wenn letzteres der Fall war, bestand das Risiko, dass die Achse irgendwann brechen würde. Und das war noch einmal deutlich dramatischer, als ein kaputter Mantel. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie sehr mir diese Sache zu schaffen machte. Dennoch gab es vorerst nichts, was ich tun konnte. Um herauszufinden, was mit meinem Wagen los war, brauchten wir einen ruhigen Platz, Werkzeug und Zeit. Wir mussten also wohl oder übel warten, bis wir einen Schlafplatz gefunden hatten.

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Zunächst allerdings mussten wir mit einem kleinen, wackeligen Boot von Laredo nach Santoña übersetzen. Der Jakobsweg endete mitten auf einem Sandstrand. Hier legte das Fährboot an und fuhr eine klapprige Metallplanke aus, die etwa halb so breit war, wie unsere Wagen. Uns blieb also nichts anderes übrig, als die beiden Karren einzeln die Rampe hochzutragen und zu hoffen, dass wir dabei nicht ins Wasser fielen.

Die Überfahrt dauerte keine fünf Minuten. Dann legten wir in Santoña an einem Steg an. Hier mussten wir die Pilgerwagen ohne Planke hoch auf die Holzbalken heben, während die anderen Fahrgäste unstrukturiert um uns herumwuselten. In Santoña fanden wir zu unserem Glück einen Fahrradladen, der Mäntel in der passenden Größe verkaufte. Damit war zumindest das erste Problem vom Tisch.

Der Pfarrer in Castro hatte uns die Adresse eines Franziskanerklosters gegeben, dass in einem Moorgebiet kurz hinter Santoña lag. Für heute hatten wir uns dieses als Anlaufstelle ausgesucht. Um zum Kloster zu gelangen, mussten wir eine schmale, aber viel befahrene Straße entlangwandern, die mitten durch das schlickige Gebiet führte. Es war kein Sumpf im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Art Wattenmeer. Bei Flut war es eine weite Seenlandschaft und bei Ebbe zog sich das Wasser bis auf einige kleine Bäche und Tümpel zurück. Diese waren voller Fische und Muscheln, jedoch auch voller Öl und anderer Schadstoffe. Es war zugleich eine faszinierende und eine trostlose Gegend. Sobald das Wasser weg war, gab es den Blick auf alles frei, was unter seiner Oberfläche verborgen lag. Weitläufige Wiesen aus Algen erstreckten sich bis zum Horizont. Hin und wieder standen Angler an der Straße, die jedoch aus irgend einem Grund immer dort fischten, wo es am wenigsten Fische gab. Sie standen dort, ohne einen einzigen Fang und nur hundert Meter weiter hätte man sich einen der zappelnden Wasserbewohner mit der Hand schnappen können.

Viele Male wurden wir von Autofahrern angehupt oder angebrüllt. Das war nicht negativ gemeint, sondern war durchaus eine freundliche Geste, denn die Fahrer riefen stehts so etwas wie „Buen Camino!“ („Gute Reise!“) oder „Viel Glück!“ Dennoch hatten wir jedes Mal das Gefühl, das wir angeschnauzt wurden.

Das Franziskanerkloster stand etwas abseits der Straße auf einer kleinen Anhöhe, so dass die Mönche auch bei Flut keine nassen Füße bekamen. Als ich an die Tür klopfte öffnete mir ein Bruder in einer traditionellen Kutte. Ich bat ihn um einen Schlafplatz und gegen jede Erwartung reagierte er darauf äußerst skeptisch. Es sei bereits eine Gruppe im Haus und er könne uns nicht so ohne weiteres aufnehmen. Ein Schlafplatz sei schon möglich, aber erst ab 20:30Uhr. So lange müssten wir im Freien warten. Oder wir müssten eben später noch einmal wiederkommen.

Endtäuscht über diesen unfreundlichen Empfang kehrte ich in den Klosterhof zurück. Wir überlegten eine Weile, ob wir das Angebot annehmen und wirklich bis um 20:30Uhr hier warten sollten. Doch was machten wir mit der Zeit? Wenn es ein schöner platz gewesen wäre, an dem nicht ununterbrochen der Autolärm zu hören war, dann wäre es vielleicht keine schlechte Option gewesen. Aber es gab hier weder Bänke noch Sonne, noch Ruhe, noch sonst etwas, dass uns hätte hierhalten können. Wir beschlossen daher weiterzuziehen. Zunächst mussten wir ein gute Stück an der Straße entlang zurückgehen, dann bogen wir links in eine kleine Ortschaft ein. Auf dem Weg dorthin reflektierten wir noch einmal das Gespräch mit dem Ordensbruder.

„Hast du ihm eigentlich gesagt, dass wir seit über 2400 Kilometern auf dem Weg sind?“ fragte Heiko.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, darauf bin ich in dem Moment nicht gekommen.“

„Schade,“ sagte er, „das hätte ihm vielleicht geholfen, zu verstehen, worum es uns geht. Hast du ihn gefragt, warum er einen Bettelmönch auf einer Wanderschaft, der genau auf die Art lebt, wie er selbst eigentlich leben sollte, nicht etwas respektvoller empfängt?“

„Nein!“ sagte ich niedergeschlagen.

„Ich glaube,“ fuhr Heiko fort, „dass du auch in diesem Bereich immer wieder in die gleiche Falle tappst. Du bist nichts anderes als ein Verkäufer. Ich habe früher Versicherungen unter die Leute gebracht, du verkaufst ihnen die Möglichkeit uns als Wanderer zu helfen und dabei gleichzeitig auch etwas für sich selbst mitzunehmen. Wir wissen beide, dass es möglich ist, jedem Menschen auf dieser Welt ein Stück scheiße zu verkaufen, wenn man es richtig angeht. JEDEM! Das heißt, dass es auch möglich ist, ihnen etwas Gutes zu vermitteln, vor allem dann, wenn es sie nicht einmal wirklich etwas kostet. Die Frage ist also, warum klappt es bei einigen und bei anderen nicht? Klar, hier in Spanien ist es deutlich schwieriger, weil die Menschen hier eine viel misstrauischere Grundhaltung haben, als in Frankreich. Aber das heißt ja nicht, dass du nicht trotzdem lernen kannst, ihr Vertrauen zu wecken. Doch sobald auch nur der Hauch eines Mistrauens da ist, lässt du dich abwimmeln. Dein Problem dabei ist, dass du deine Chancen nicht erkennst. Du redest manchmal endlos mit den Menschen und fängst an zu diskutieren was das Zeug hält, obwohl von der ersten Sekunde an klar ist, dass es keinen Erfolg erzielen wird. Und dann gibt es Situationen, wie diese gerade, in denen hast du alle Trümpfe in der Hand, spielst aber keinen aus. Überleg dir einmal. Du lebst ohne Geld und wanderst um die Welt um Wissen zusammenzutragen, das sonst vielleicht verloren gehen würde. Du hast dich für dieses Leben entschieden, um dein Urvertrauen in Gott und in die Schöpfung zu stärken und um eine direkte Verbindung zu beiden zu bekommen. Wie erfolgreich wir damit sind spielt in diesem Moment keine Rolle. Es geht darum, dass dies genau das ist, wofür auch der Franziskanerorden steht, doch der Mann begegnet dir weder mit Mitgefühl, noch mit Vertrauen, noch mit Wertschätzung. Dazu lebt er in einem festen Haus, dass ihn von der Schöpfung abgrenzt. All dies sind Knackpunkte, an denen du ihn hättest packen können. Wahrscheinlich hätte eine einzige Frage gereicht, um in ihm ein Gefühl zu wecken und ihn auftauen zu lassen. Aber du hast in diesen Gesprächen das gleiche Programm, wie sonst auch so oft. Du gehst ohne eine Struktur hinein und hast keinen Plan, was du sagen willst. Dann musst du in dem Moment improvisieren und bist damit so beschäftigt, dass du alle Zeichen, die dein Gegenüber aussendet übersiehst. Und anstatt zurückzugehen, tief einzuatmen und dir ein Konzept zu überlegen, gerätst du ins trudeln und sagst das erstbeste was dir einfällt. Dann gibst du wieder die Verantwortung an den anderen ab und denkst dir, er wird schon ja sagen, wenn er will. Du musst dich aber fragen, was er braucht, um überhaupt ja sagen zu können. Er braucht ja einen Grund von dir. Irgendeinen Profit, der für ihn rausspringt.“

Das Gespräch löste einen längeren und ziemlich intensiven inneren Dialog bei mir aus. Mein Trotz-Ich protestierte sofort und wollte von all dieser Kritik nichts hören. „Ich bin halt kein Verkäufer und kann den Scheiß einfach nicht! Wie auch, ich habs halt nie gelernt. Na und! Es kann eben nicht jeder alles können!“

Sofort protestierte mein Lern-Ich dagegen: „Jetzt hör aber mal auf! Das ist doch ne super Gelegenheit. Nimm diese Ratschläge doch einfach mal an und fang endlich an zu lernen! Er hat ja Recht, da steckt ein fettes Lebensthema von dir drin und wann willst du das angehen, wenn nicht jetzt?“

„Oh Gott!“ jammerte mein Selbstzweifel-Ich, „Ich werds doch eh nie lernen! Wie oft habe ich schon gedacht, dass ich es geschafft habe und jedes mal komme ich wieder an die selben Punkte! Am besten ich gebe einfach auf und mache gar nichts mehr. Vielleicht ist es doch gut, wenn der Wagen kaputt geht, dann kann ich einfach nach Hause gehen und in aller Ruhe deprimiert sein.“

Jetzt schaltete sich jedoch mein Abenteuer-Ich ein und war kurz vor der Explosion: „Ich glaube ich hör nicht richtig! Ich lebe hier gerade genau das Leben, dass ich mir immer erträumt habe und nur weil einmal eine Kleinigkeit auftaucht, die nicht ganz so glatt läuft, willst du gleich die Flinte ins Korn werfen? Geht’s noch? Was hast du denn erwartet? Dass du spazieren gehst und ab diesem Moment immer Glücklich bist? Es ist doch der Hammer, was hier alles an Entwicklungschancen kommt und wenn du nicht jedes Mal sobald auch nur der kleinste Kratzer in dein Traumbild gelangt, zu heulen anfangen würdest, dann würde es uns allen hier insgesamt deutlich besser gehen! Und jetzt haltet die Klappe und schaut mal wieder auf den Weg. Das ist nämlich ne verdammt geile Landschaft, durch die wir hier wandern!“

„Deine Stimmung ist auch noch nicht auf dem Höhepunkt oder?“ fragte Heiko und lenkte meine Aufmerksamkeit damit wieder auf die äußere Welt.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das ganze geht mir noch ganz schön nach!“

„Das mit dem Gespräch beim Kloster oder das mit deinem Wagen?“ fragte er.

„Beides!“ antwortete ich.

Die Landschaft hatte sich seit der Bootsüberfahrt wirklich deutlich verändert. Zunächst waren wir im Wattenmeer gewesen und nun kamen wir wieder ins Bergland. Dies war jedoch deutlich flacher und weitläufiger als zuvor. Anstrengend war es aber noch immer. Es gab keine krassen Steigungen mehr, doch der Weg führte über viele Kilometer hinweg immer seicht Bergauf. Es dauerte nicht mehr lange und wir waren komplett durchgeschwitzt. Bis zur nächsten Herberge waren es noch gute eineinhalb Stunden und es war unsicher, ob überhaupt noch etwas frei sein würde, wenn wir dort ankamen. Daher beschlossen wir, auf der geraden Strecke weiterzulaufen und im nächsten Ort bei der Kirche zu fragen. Eine gute Entscheidung, denn hier gab es einen freundlichen Pfarrer, der uns auch ohne große Überredungskünste begeistert aufnahm. Er gab uns ein Gästezimmer in seinem Haus und wir durften die Küche und sein Werkzeug benutzen. Als wir gerade zu dritt in seinem Büro zusammensaßen, kam eine Frau herein, die den Geistlichen sprechen wollte. Sie hielt ihm ein Foto von einem zerfallenen Haus hin und redete auf ihn ein, dass er ihr Geld geben solle, für die arme Familie die in dieser Baracke hause. Es sei ihre Familie und alle leiden sehr. Sie hätten Hunger und bräuchten einen Haufen Dinge.

Man musste kein Profiler sein, um zu erkennen, dass die Frau eine hanebüchene Story auftischte. Später erzählte uns der Pfarrer, dass so etwas ständig passierte und dass es hier eine Art organisierte Bettelmafia gab, die auf diese Weise Geld verdiente. Die Frau war äußerst hartnäckig und ließ sich vom Pfarrer erst abwimmeln, als dieser laut wurde und ihr androhte, sie aus seinem Haus zu werden. Plötzlich verstanden wir, warum so viele Menschen so ablehnend reagierten, wenn wir sie um Unterstützung baten. Wie sollte jemand Mitgefühl empfinden können, wenn er ständig mit Menschen konfrontiert wurde, die genau dieses ausnutzen wollten? Es war kein Wunder, dass hier Argwohn und Misstrauen entstand.

Als die Frau wieder verschwunden war, machte ich mich an die Reparatur meines Wagens. Heiko unterstütze mich dabei und wenn es nichts zu unterstützen gab, dann trainierte er mit der Kristallkugel. Bei letzterer macht er bereits große Fortschritte und wenn es so weiter geht, dann wird bald eine echte Show daraus.

Was den Wagen betrifft, so konnten wir einen Achsbruch vorerst ausschließen. Das zumindest ist schon einmal beruhigend. Insgesamt haben wir die Achse jetzt etwas verdreht und mit Hilfe einer Bohrmaschine vom Nachbarn und einigen Schrauben neu fixiert. Zumindest im Moment habe ich ein gutes Gefühl, dass es jetzt erst einmal keine weiteren Probleme geben dürfte. Dennoch bin ich bei den Reparaturen wieder in die gleiche bekannte Falle getappt. Der Nachbar hatte keinen Passenden Bohrer für unsere Schrauben und gab mir deshalb einen Steinbohrer. Die Stahlplatte damit zu durchbohren war unmöglich gewesen und obwohl mir das recht schnell klar wurde, versuchte ich es so lange weiter, bis mir der Bohrer abbrach. Erst dann kam ich auf die Idee dünnere Schrauben zu verwenden. Zum Glück war der Nachbar nicht böse über seinen kaputten Bohrer. Doch verlorene Zeit war es trotzdem.

Spruch des Tages: Man braucht eine Ordnung im Kopf, wenn man eine Ordnung in seinem Leben schaffen will.

 

Höhenmeter: 320m

Tagesetappe 24 km

Gesamtstrecke: 2488,97 km

 

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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