Tag 1234: Wandern für Fortgeschrittene

von Heiko Gärtner
31.08.2017 07:12 Uhr

20.05.2017

Großbritannien ist definitiv mit Abstand das anstrengendste Land, das wir je bereist haben. Eine Etappe mit 12km macht uns hier genauso fertig wie andernorts eine mit 30. Und sie kostet hier auch in etwa genauso viel Zeit. Die Landschaft ist zweifellos schön und sehenswert, vor allem die knorrigen, alten Bäume, unter denen die Schafe am Gras knabbern, auf denen die Eichhörnchen herumtollen und über denen die Milane ihre Kreise ziehen. Das Problem ist nur, dass sich die Briten in Sachen Straßenbau nicht die geringste Mühe gegeben haben. Es wurde auf keine Landmarke und keine geografische Eigenschaft geachtet, sondern einfach wild drauflos gebaut.

Montenegro war bei weitem bergiger und hügeliger als diese Gegend hier und dennoch nicht einmal im Ansatz so anstrengend. Warum? Wenn es irgendwo einen Fluss gab, dann hat man die Straßen parallel entlang gelegt, so dass man weitgehend eben durch die Berge wandern konnte. Hier verlaufen die Straßen nahezu nie parallel zu irgendeinem Fluss oder einem natürlichen Talverlauf und wenn sie et tun, dann schaffen sie es trotzdem dabei wie eine Wellenlinie auf und ab zu hüpfen. Im Balkan gab es Tage, an denen wir Berge oder Klippen erklimmen mussten, die mehrere hundert Höhenmeter hoch waren. Hier starten wir meist auf 100 Metern über dem Meeresspiegel, kommen auf der selben Höhe an und haben uns dazwischen nicht mehr als 50 Meter von dieser Marke entfernt. Dennoch haben wir insgesamt vier-, fünf- oder sechshundert Höhenmeter gemacht, weil es auf der ganzen Strecke kein einziges, ebenes Stück gibt. Das allein wäre aber noch in Ordnung, wenn die Straßen dabei nicht auch noch so steil verlaufen würden. Teilweise hat man das Gefühl, man stürzt sich wirklich im freien Fall ins Tal hinunter. Durch die Bremsen an unseren Wägen, die uns ein bisschen nach hinten halten, fühlt es sich hin und wieder wie House-Running an. Houserunnning ist eine Extremsportart, bei der man ein Seil umgebunden bekommt und dann von einem Hochhaus oder einem hohen Turm abgeseilt wird, währen man mit dem Gesicht nach unten an der Fassade entlang läuft. Die Aufstiege als Gegenstück dazu fühlen sich dann ein bisschen wie Freeclimbing an, nur dass man einen 60kg schweren Wagen mit nach oben schleift.

Unser Ziel fanden wir heute in einer winzigen Ortschaft mit einer alten, steinernen Kirche. Aus irgendeinem Grund waren die meisten Menschen in diesem Ort sogar noch ängstlicher und verschlossener als wir es von den letzten Wochen gewohnt waren. Eine ältere Dame traute sich nicht einmal, mir die Adresse der Kirchenverwalterin zu geben, weil sie fürchtete, diese könne sauer werden, wenn man ihre Adresse einfach so an einen Fremden verriet.

Die einzigen, die wirklich entspannt waren, war ein Messi-Pärchen, die in einer winzigen Hütte lebten, in der man kaum ein Bein auf den Boden bekam. In ihrem Garten häuften sich Wraks und Einzelteile von Autos, Kleinbussen und allerlei Gerümpel. Und doch waren sie die einzigen, die sich hier wirklich wohl fühlten.

„Es ist ein bisschen wie der Garten Eden,“ meinte der Mann, als wir gemeinsam über das endlos weite Tal blickten, „Nur mit mehr Regen!“

Spannend dabei war, dass der Mann hier tatsächlich der einzige war, der es wirklich genoss hier zu leben und der seinen Garten nicht nur aus Prestige-Gründen hatte.

Spruch des Tages: Darf's noch ein bisschen hügeliger sein?

Höhenmeter: 390 m

Tagesetappe: 11 km

Gesamtstrecke: 22.608,27 km

Wetter: bewölkt und regnerisch

Etappenziel: Kirche, SY21 0AG Llanllugan, Wales

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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