Tag 1255: Lernen aus den Filmen

von Heiko Gärtner
12.10.2017 18:02 Uhr

Wir sind gestern noch auf ein anderes Thema gestoßen, das uns beschäftigt hat. Heiko kam darauf, weil er beim Wandern einen Brachvogel entdeckte, der sofort eine ganze Palette an Erinnerungen in ihm wach rief. Viele Jahre zuvor hatte er auf Island einige Tage damit verbracht, diesen Vogel zu verfolgen, ihn zu studieren und ihn vor die Linse seiner Kamera zu bekommen. Er hatte Stunden im Gebüsch gelegen oder auf Felsen gekauert, nur das Vertrauen des Vogels gewinnen zu können, damit er immer dichter an ihn heran durfte. Der Vogel, den wir heute sahen, verhielt sich vollkommen anders und er gehörte sogar einer anderen Unterart an. Dennoch erkannte Heiko ihn innerhalb von Sekundenbruchteilen. Er hatte die selben typischen Verhaltensgrundmuster wie sein Freund von damals und Heiko konnte förmlich fühlen, dass die beiden entfernte Verwandte waren.

Wir erleben nicht alles in unserem Leben mit der vollen Aufmerksamkeit und im Vollbesitz unserer geistigen Fähigkeiten, so dass wir echte Erfahrungen dabei machen.

Großer Brachvogel in den britischen Pannynes

Diese Begegnung mit dem Brachvogel war damals ein Realerlebnis gewesen, also eine Situation, die Heiko wirklich mit vollem Bewusstsein erlebt und nicht nur in einem Verwirrungsflm gezeigt bekommen hatte. Jetzt, wo er sich an diese Situation von damals erinnerte, spürte er deutlich, wie unterschiedlich eine Realerinnerung und eine Filmerinnerung anfühlten. So ein intensives Gespür für etwas, konnte man mit einem Film niemals erhalten.

Das brachte uns auf die Frage, wann und in wie fern man durch die Filme etwas lernen kann und wann nicht. Das Ergebnis war folgendes:

Alles technisch mechanische, das man auch rein aufgrund eines theoretischen Wissens lernen kann, kann man auch mit Hilfe eines Filmes lernen. Der Film ist dabei ein bisschen wie ein You-Tube-Tutorial, bei dem man die nötigen Informationen gezeigt bekommt und das Gesehene dann aufgrund seiner Beobachtungen nachahmen kann. Heiko hatte einige solcher Situationen im handwerklichen Bereich, beispielsweise beim Bau eines Flippers oder ähnliches.

Sobald es aber darum geht, ein Gefühl für etwas zu entwickeln, ist man mit den Trauminformationen aufgeschmissen. Sofort fiel Heiko eine Situation aus seinen Anfängen als Wildnisexperte ein. In den Filmen über sein Party-Leben hatte er einige Male als DJ gearbeitet und dabei „gelernt“ ein Mischpult zu benutzen. Wenn man davon ausgeht, dass diese Erfahrungen echt waren, hätte er sich mit Mischpulten eigentlich perfekt auskennen müssen. Einige Zeit später bereitete er dann einen Diavortrag über Island vor und wollte dort etwas Musik einblenden, die er mit dem Mischpult zusammenstellte. Es war eine sphärische, meditative Musik ohne komplexe Rhythmen und hätte daher bedeutend leichter sein müssen als alles was er zuvor gemacht hat. Trotzdem wollte es ums verrecken nicht klappen. Er stellte an dem Gerät herum, was das Zeug hielt, doch es wollte sich einfach nicht gut anhören. Damals verstand er die Welt nicht mehr und er konnte nicht glauben, warum er sich so plump dabei anstellte, obwohl es zuvor doch so einwandfrei funktioniert hatte. Jetzt wurde ihm klar, worin das Problem bestanden hatte. Er kannte durch die Filme zwar den technischen Ablauf, hatte aber nie ein Gefühl für das gerät entwickeln können, weil es ja real das erste Mal war, dass er davor stand.

Das gleiche Problem ergibt sich auch in vielen anderen Bereichen. Bei Osteopathie zum Beispiel, wo man sich ja ebenfalls in den Patienten einfühlen muss. Ohne eine reale Erfahrung ist dies unmöglich. Genau wie die tiefe Verbindung mit dem Brachvogel. Um ihn wirklich kennen und verstehen zu lernen, muss man seine innere Medizin erkennen und das geht nur, wenn man den Kontakt wirklich erfährt. Andernfalls kann man lediglich ein theoretisches Wissen anhäufen, das einem aber keine echte Verbindung zu dem Tier ermöglicht.

Ähnlich ist es auch in der Sexualität. Wenn man sie nur in den Filmen wahrgenommen hat, kann man nicht mehr tun, als sie rein von der technischen, mechanischen Seite her zu studieren. Man kann sich den groben Handlungsablauf merken und man kann erkennen, welche Bewegung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu welchem Resultat führt. Doch es bleibt mechanisch. Mann kann kein Gefühl für den anderen entwickeln, nicht auf Feinheiten und Nuancen eingehen, nicht erkennen, welche Mikrogeste einem zeigt, das man weitergehen oder sich lieber zurücknehmen soll. Sex mit einem Filmpartner ist also nicht großartig anders, als sich einen Porno anzuschauen. Man bekommt Informationen, vielleicht sogar Inspirationen, lernt jedoch nicht, wie man sich wirklich miteinander verbindet, wie man eins wird und wie man gemeinsam in der Extase miteinander verschmilzt.

Spruch des Tages: Mit realen Erfahrungen lernt man mehr

Höhenmeter: 670 m Tagesetappe: 34 km Gesamtstrecke: 22.961,27 km Wetter: bewölkt, windig, kalt, wenig sonne Etappenziel: Kirchensaal, Little Musgrave CA17 4PQ, England
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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