Tag 1262: Selbstkontrolle lernen

von Heiko Gärtner
28.10.2017 03:35 Uhr

Heute habe ich einen weiteren wichtigen Punkt kennengelernt, der mich davon abhält, zu lernen, zu wachsen, zu erschaffen und hilfreich zu sein. Eigentlich also ein Punkt, der mich von allem abhält: Meine fehlende Selbstkontrolle.

Fremdbestimmung oder Selbstkontrolle?

Was ich nun an mir selbst beobachten konnte war, dass es zwei Arten von Kontrollmechanismen gibt. Die eine ist eine interne, und die andere eine externe. Die Interne besteht darin, dass man selbst bestimmte Ziele im Leben sowie einen gewissen anspruch an sich hat, nachdem man selbst seine Handlungen einschätzt. In der Natur ist das ganz einfach: Stell dich nicht dumm beim Jagen an, dann musst du auch nicht hungern. Wenn du zu blöd bist, gibts halt nichts zu futtern. Ziel: Satt werden. Anspruch: gute, nahrhafte Beute mit wenig Energieaufwand finden. Kontrolle: Satt oder nicht satt.

Fehlende Selbstdisziplin: Jede Abwechslung ist als Ausrede zum Nicht-Arbeiten

Fehlende Selbstdisziplin: Jede Abwechslung ist als Ausrede zum Nicht-Arbeiten

Bei uns Menschen ist es natürlich etwas komplexer.

Externe Kontrolle bedeutet, dass jemand anderes unsere Ziele vorgibt, einen bestimmten Anspruch an uns hat und uns danach beurteilt. In den meisten Fällen haben wir eine Mischung aus beidem, doch es kommt auch vor (wie bei mir) dass man nahezu keine innere Kontrolle hat und rein nach der äußeren lebt. Bei mir war es so, dass ich stets gemacht habe, was meine Mutter von mir wollte. Der zentrale Glaubenssatz dahinter war und ist: Ich darf keinerlei äußere Entscheidungen treffen sondern nur in mir selbst, weil jede Fehlentscheidung bedeutet, dass ich nicht mehr geliebt werde. Meine Strategie war und ist also: Reagiere automatisiert auf jeden Befehl von außen, nimm selbst am besten nichts wahr, was dich irritieren oder davon wegbringen könnte und funktioniere wie ein Robotter. Da dies aber keine Lösung war und innere Entscheidungen möglich sind, entschied ich mich dazu, alles im Außen zu blockieren und meine Mutter zu sabotieren wo es nur ging. Die Idee: Eines Tages wird sie mich verstoßen und dann bin ich endlich frei. Sobald ich also mal nicht kontrolliert wurde, rebellierte ich gegen alles und machte am besten gar nichts mehr.

Genau das ist nun mein Problem: Jetzt bin ich frei und laufe wie ein gestörter Hund im Kreis meinem eigenen Schwanz hinterher, weil ich permanent auf eine Kontrolle von außen warte, die es nicht mehr gibt. Wenn ich also irgendwie wieder in eine Produktivität kommen und aufhören will, mir selbst und allen anderen um mich herum permanent zu schaden, dann muss ich nun lernen, mich selbst zu kontrollieren.

Die Frage ist nur: Wie stelle ich das an?

Aufmerksamkeits- und Konzentrationstraining

Das erste Problem ist, dass ich mir ja nicht einmal bewusst darüber bin, was ich mache oder nicht. Ich schaue mich selbst nicht einmal an und ich schaue mich auch nicht um. Ich habe so eine Angst davor, zu erkennen, dass ich vielleicht einen Fehler machen könnte (Fehler = nicht mehr geliebt werden), dass ich bewusst alles um mich herum ausblende. Darum vielleicht auch die Kurzsichtigkeit. Wenn ich aber nicht weiß, was ich mache, kann ich auch nichts lernen. Ich sehe ja nicht, was funktioniert und was nicht und somit erkenne ich auch keine Fehler. Stattdessen aber gebe ich mir selbst das diffuse Gefühl, alles falsch zu machen.

Fehler erkennen und eingestehen

Diszipliniert arbeiten in allen Lebenslagen

Diszipliniert arbeiten in allen Lebenslagen

Der zweite Schritt besteht darin, mir selbst einzugestehen, dass ich dumm, unproduktiv und voller Fehler bin. Ob ich sie nun sehen will oder nicht, sie sind da. Und trotzdem bin ich noch hier. Dummheit und Nichtwissen bedeutet ja nur, dass hier ein Vakuum ist, das Wissen anziehen kann. Es ist wie ein leeres Gefäß, das bereit ist, gefüllt zu werden. Ich aber halte ständig meine Hand drauf und tue so, als wäre es schon voll. Das ist eher wenig hilfreich. Keine Fehler machen zu wollen führt dazu, dass ich gar nichts mache und das wiederum führt zu nichts. Einen Fehler zu machen und zu erkennen bedeutet auch, daraus lernen zu können. Das aber bedeutet, man muss bereit sein die Konsequenzen zu tragen und davor hab ich dann schon wieder Angst. Dies ist wohl der erste große Punkt, den es zu knacken gilt: Warum ist diese Angst da? Was braucht sie um gehen zu können?

Eine klare Absicht setzen

Das ist wohl der Punkt in dem ich am schlechtesten bin. Ich bekomme eine Aufgabe und renne los, ohne mir Gedanken zu machen, was ich eigentlich will. Worauf will ich hinaus? Was möchte ich erreichen? Die Fragen stelle ich mir nie! Ich tue einfach, weil ich glaube dass es jetzt dran ist, das zu tun was ich tue. Und wenn irgendetwas anderes dazwischen kommt, das wichtiger erscheint, werfe ich das alte weg. Ein typisches Verhalten für Kleinkinder, fällt mir gerade auf.

Visualisieren: Das Ziel vor Augen haben

Um einen wirklich klaren Fokus zu bekommen und um etwas lebendig werden zu lassen braucht man ein geistiges Bild davon, das man dann beschreiben kann. Ohne dieses Blid bleibt alles Weitere ein totes, leeres Konstrukt. Doch genaus das fehlt mir. Ich habe meist ein abstruses Gedankenkonstrukt im Kopf oder ich hangle mich an den Gedanken anderer entlang. Doch ein eigenes lebendiges Bild in mir habe ich selten. Es fehlt das Gefühl. Ich nehme mir nicht die Zeit, mich in das Thema einzufühlen, mich in andere Perspektiven zu versetzen, mich zu fragen, was gerade gebraucht wird. Wenn ich einen Impuls oder eine Aufgabe bekomme, dann handle ich sofort, ohne mir die Zeit zu nehmen, um mich einen Moment zurück zu lehnen und erst einmal alles in Ruhe zu betrachten. Dadurch fehlt mir der Überblick, so dass ich keine Zusammenhänge erkennen kann. Und es fehlt die Lebendigkeit, die Klarheit, der logische Aufbau.

Erst denken, dann handeln

Nur wenn die Absicht klar ist, kann man motiviert an einer Sache bleiben.

Nur wenn die Absicht klar ist, kann man motiviert an einer Sache bleiben.

Heute zum beispiel beim Auftreiben eines Schlafplatzes. Der Startschuss fiel, also bin ich sofort los gelaufen um die Beute im Sinne der Elaubnis für die Nutzung der Kirche zu schlagen. Hätte ich mir einen Moment Zeit genommen, um alles auf mich wirken zu lassen, hätte ich bemerkt, dass die Telefonnummern der Kirchenverwalter auf einem Infobrett am Eingangstor standen. Und ich hätte mich daran erinnert, dass wir die Pastorin kurz zuvor im Auto an uns vorbeifahren gesehen hatten, was hieß, dass sie definitiv nicht zuhause war. Ich hätte außerdem ihre Nummer und die Nummer der Sekretärin auf einem weiteren Bord entdeckt. So aber rannte ich erst 200m in die Eine Richtung um nach Adressen zu fragen, dann 500 in die andere zum Haus der Pastorin, wo mir bewusst wurde, dass sie ja nicht da sein konnte. Dann wieder zurück zum Haus eines Verwalters und erst dann wählte ich die Nummern, um festzustellen, dass niemand da war. Erst nach weiterer Überlegungs- und Wartezeit kam ich auf die Idee, die Sekretärin anzurufen, die mir berichtete, dass heute Nachmittag Messe in dieser Kirche ist, was bedeutete, dass wir hier ohnehin nicht bleiben wollten. Durch das Übereillte brauchte ich also gut eineinhalb Stunden für etwas, das ich auch in 3 Minuten hätte herausfinden können. Hätte ich mich hingegen zurückgelegt und mir kurz einige Fragen gestellt, die vor meinem geistigen Auge lebendig werden durften, hätte ich alle Informationen sofort zusammen gehabt.

Das Projekt entstehen lassen

Ich habe meist das Gefühl, dass ich von Anfang an zu 100% wissen mus, wohin mich etwas führen soll. Hier ist wieder die Angst vor den Fehlern aktiv. Wenn ich mich verlaufe, mag man mich nicht mehr und ich muss sterben. Also brauche ich von Anfang an ein 100%iges, hieb und stichfestes Konzept, das ich ja aber nicht haben kann, da ich mir weder die Zeit zum Beobachten noch zum Visualisieren nehme. Der Erfolg ist, dass ich erst einmal einen Blackout bekomme, gar nicht weiß, wie ich etwas angehen soll und dann aus einem Zeitmangelgefühl heraus einfach irgendetwas mache. Aber ein Projekt darf sich entwickeln. Und das geht am besten, wenn man sich einen Moment zeit nimmt, um zu sammeln, wo man gerade steht. Was weiß ich bereits? Wo finde ich Informationen? Was ist wirklich wichtig? Was kann ich beobachten? Welche Rückschlüsse kann ich Ziehen? Was wird benötigt? Es ist wie bei der Spurensuche: Am Anfang steht man ahnungslos im Wald und hat keine Ahnung welche Tiere einen umgeben und wohin sie wollten. Dann sieht man ein Zeichen, und hangelt sich von dort zum nächsten, bis man schließlich beim Bau des Tieres ist oder sogar direkt vor ihm steht.

Selbstdisziplin und regelmäßige Selbstkontrolle

Wenn es dann an den eigentlichen Arbeitsprozess geht, braucht es natürlich eine regelmäßige Kontrolle, um herauszufinden, wo man gerade steht, ob man sich verlaufen oder verfranzt hat oder ob man planmäßig aufs Zielgebiet zusteuert. Diese Kontrollen müssen so stattfinden, dass sie einem auf der einen Seite nicht zu viel Zeit kosten und einene aus dem Fluss bringen, man auf der anderen Seite aber auch nicht zu weit abkommt ohne es zu merken. Wie groß die Abstände sind kann sich dabei von Aufgabe zu Aufgabe sehr stark unterscheiden. Bei Alltagsaufgaben sind es bei mir z.B. 60 Sekunden, bei Artikeln eine Stunde und bei Tagesberichten einmal Wöchentlich.

Klare, unmittelbare und spürbare Konsequenzen

Meine größte Schwäche. Kontrollieren bringt natürlich nur dann etwas, wenn man daraus auch eine Konsequenz zieht. Bislang habe ich es so gehalten, dass zwar überprüft habe, wie weit ich mit einer Aufgabe in einer bestimmten Zeit bin, mit dieser Information aber nichts angefangen habe. “Oh, ich habe doppelt so lange für den Tagesbericht gebraucht, wie ich mir vorgenommen habe.” Das war meine ganze Reaktion. Wo soll also in mir die Absicht aufkommen, hier etwas zu verändern? Die Konsequenz kommt dann aber natürlich kurze Zeit später, wenn mir die Zeit davon läuft und ich merke, dass ich einfach nicht hinter her komme. Es muss also eine konkrete, sofortige Strafe geben, für jede Nichteinhaltung und natürlich auch eine Belohnung, wenn man sein Ziel erreicht hat. Irgendetwas auf das man sich freuen kann und das enen motiviert.

Selbstmotivation: Feier deine Erfolge

Und schließlich müssen Erfolge natürlich gefeiert werden, denn sonst weiß man ja gar nicht, warum man überhaupt irgendetwas macht. Doch hierfür nehme ich mir auch schon wieder nicht die Zeit. Eine Aufgabe erledigt zu haben bedeutet nur, dass 10 weitere in der Schlange stehen und erledigt werden wollen. Das ist natürlich deprimierend und führt definitiv nicht dazu, dass man Zielstrebig und Effektiv wird. Damit etwas entstehen kann, muss man es auch genießen, wenn es fertig ist und man muss wissen, dass man es genießen wird, sobald es fertig ist. Nur dann kann auch eine Begeisterung für die Arbeit selbst aufkommen.

Wichtig dabei ist natürlich die Frage, was überhaupt Begeisterung in einem auslöst. Gerade ist mir das ebenfalls nicht klar und will beantwortet werden. Was ist wirklich mein Ding? Was gibt mir Kraft? Was beflügelt mich?

Spruch des Tages: Irgendjemand kontrolliert uns ohnehin, da ist es doch am besten, wenn wir es selber tun.

Höhenmeter: 60 m

Tagesetappe: 27 km

Gesamtstrecke: 23.109,27 km

Wetter: bewölkt

Etappenziel: Village-Hall, Brydekirk, Schottland

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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