Tag 1265: Erste Erfahrungen mit dem Poly-Schlafrhythmus

von Heiko Gärtner
30.10.2017 03:58 Uhr

23.06.2017

Es ist nun gut eine Woche her, seit ich meinen Schlafrhythmus umgestellt habe und langsam scheint sich mein Körper an die neue Variante zu gewöhnen. Nicht, dass ich nicht immer noch müde wäre, aber mein Kaffeekonsum ist bereits wieder deutlich gesunken und mein genereller Müdikeitslevel liegt nun nicht mehr viel über dem von Heiko. Dieses Land und vor allem diese Gegend hier, machen einem die Erholung aber auch im allgemeinen so schwer, dass man kaum anders kann, als Müde zu sein. Dafür dass man hier nie wirklich ungestört ist und noch seltener seine Ruhe hat, schlafe ich nun aber bereits sehr schnell ein und nutze fast die ganzen 20 Minuten meiner Schlummerphasen wirklich fürs Schlafen. Nach den anfänglichen Zweifeln wirkt es nun also so, als könnte diese neue Technik langfristig doch einen Erfolg haben und ein Plus an Effektivität und Lebensqualität bringen.

Realitätsverschiebung

Heute Nacht allerdings geriet ich durch oder zumindest in Kombination mit der neuen Schlaftechnik in eine recht verwirrende Situation der Realitätsverschiebung. Ich hatte gerade meine Hauptschlafphase von drei Stunden, als mein Wecker klingelte und mir signalisierte, dass es Zeit zum aufstehen war. Ich konnte aber nicht und war so müde, dass mein Körper einfach nicht reagieren wollte. Also drückte ich auf die Schlummertaste und schlief weiter. Vollkommen erschrocken wachte ich irgendwann erneut auf, mit dem Gefühl, nun endlos verschlafen zu haben. Dennoch fühlte ich ich keinen Deut munterer und das verlassen meines Schlafgemachs wurde zur reinsten Tortour.

Ich schleppte mich ins Bad wie ein nasser Sack, konnte kaum meine Augen offen halten und schlief sogar unterm Pinkeln fast wieder ein. Keine Ladung kaltes Wasser im Gesicht und eine zwanziger Serie Liegestützen zur Kreislaufwiederbelebung machten es auch nicht wirklich besser. Aber es half nichts. Die Umstellung konnte nur erfolgreich stattfinden, wenn man konsequent war. Und außerdem wartete ja noch einiges an Arbeit auf mich. Also Streichhölzer unter die Augenlider und rann an den Schreibtisch. Kaum hatte ich den Bildschirm aufgeklappt, fiel mein Blick auf die Uhr. „01:20 Uhr“ stand dort. Ich blinzelte zwei Mal, weil ich mir sicher war, mich einfach vergugkt zu haben, aber die Zahlen blieben.

Das bedeutete, dass ich nicht verschlafen hatte, sondern gerade einmal gut 40 Minuten im Bett gewesen war. Alles andere, angefangen vom Klingeln des Weckers bis hin zum Drücken der Schlummertaste, dem Einschlafen und erneuten Aufwachen hatte ich also geträumt. Es war jedoch so real gewesen, dass ich mir selbst jetzt noch nicht sicher war, welche der beiden Realitätsvarianten die echte war und welche nicht. Letztlich entschied ich mich aber für die zweite und legte mich noch einmal zwei Stunden schlafen. Viel munterer war ich danach nicht, aber zumindest ein bisschen. Aus irgendeinem Grund ist diese 3-Stündige Hauptschlaf-Phase zurzeit diejenige, aus der ich am wenigsten Erholung schöpfen kann. Irgendwie scheint hier noch eine alte Verknüpfung mit der Aufsteh-Unlust aus Schulzeiten zu sein.

Intensivere Träume

Was man jedoch schon deutlich merkt ist, dass die Träume intensiver werden und dass ich mich nun besser an sie erinnere. Sie sind noch immer wirr und ich kann oft nur wenig damit anfangen, aber sie sind zumindest schonmal wieder in einem Bereich, in dem ich mich erinnern kann, überhaupt zu träumen. Neulich habe ich geträumt, dass wir aus irgendeinem Grund in irgendeiner riesigen englischen Villa zu Gast waren und dass ich mich dort auf die Suche nach der Besitzerin machte, um irgendetwas zu fragen. Dabei gelangte ich durch einen Gang zu einer Hintertür, die in einen Innenhof mit riesigem Pool führte. Und in diesem Pool schwamm ein Krokodil und kam geradewegs auf mich zu. Ich schloss die Tür, merkte dabei aber, dass sie nicht ganz zugehen wollte und dass sie noch immer keine Barriere für ein kräftiges Reptil darstellte. Also wollte ich weglaufen, doch wie so oft in Träumen wollte mir dies nicht gelingen. Ich war zu langsam und konnte nicht gegen den Zeitstrudel des Traumes anlaufen. Sofort kam der Gedanke in mir auf: „Ist ja logisch, wie willst du hier auch rennen, wenn das ein Traum ist?“ Ich merkte also für einen kurzen Moment, dass ich träumte und war dann kurzzeitig in der Lage, meine Traumrealität zu verändern und mich aus der Zeitlupenschlaufe zu lösen. Ich rannte nun in normaler Geschwindigkeit und wachte kurz darauf auf.

Einige Nächte zuvor träumte ich einen sehr realistischen Traum über meinen aktuellen Zustand in der Wachwelt. Im Traum befand ich mich auf einer Weltreise mit Heiko und stellte mich in unterschiedlichen Situationen immer wieder an wie der letzte Trottel. Irgendwann wurde Heiko dabei so wütend, dass er mir eine verpasste. Dabei stellte ich fest, dass ich nahezu nichts fühlen konnte. Es war vollkommen gedämpft, wie durch einen dichten Nebel. Ungefähr das gleiche Gefühl hatte ich auch die Tage zuvor. Es gab also keinen allzu großen unterschied, zwischen dem Traum- und dem Wacherleben.

Dröhnen in den Ohren

Wahrscheinlich ist es wieder einmal kein Zufall, dass wir heute, zwei Tage vor Shanias Ankunft einen der grauenhaftesten Tage unserer ganzen Reise erlebten. Nicht grauenhaft in dem Sinne was uns widerfuhr, aber von der Umgebung her, die wir durchqueren mussten. Bereits gestern Nachmittag waren wir in einem Dorf angekommen, das direkt an einer Hauptstraße lag und in dem es keine einzige Sekunde jemals ruhig wurde. Das krasse hier in England dabei ist, dass es nicht einmal besonders viel Verkehr braucht, um einen solchen Höllenlärm zu erzeugen. Ihr kennt sicher den Asphalt, der in Deutschland als Untergrund für eine neue Straße verwendet wird, bevor dann die eigentliche Asphalt-Decke darauf kommt. Es ist ein steiniges, löchriges Gemisch, das aufgrund der rauen Oberfläche gut 10 bis 20 Mal so viel Lärm erzeugt, wie ein normaler Straßenbelag. Nicht ohne Grund gibt es bei den Baustellen, bei denen man als Autofahrer vorübergehend gezwungen ist, über diesen Asphalt zu fahren, eine strickte Geschwindigkeitsbegrenzung. Hier jedoch ist genau dieser Asphalt der Straßenbelag für die normalen Straßen, vor allem für die Hauptstraßen und Autobahnen.

Während wir auf den Schlüssel für den Gemeindesaal warteten, in dem wir die Nacht verbringen durften, wurden wir von einer Frau eingeladen, in ihrem Garten einen Saft zu trinken. Gemeinsam mit ihrem Mann war sie Besitzerin einer Villa, in der man andernorts eine komplette Schule untergebracht hätte. Neben dem Einkaufs-Auto und dem Ich-fahre-zur-Arbeit-Auto stand in ihrem Hof ein nagelneuer Ferrari. Man konnte also schlussfolgern, dass sie nicht gerade arm waren. Und trotzdem lebten sie hier. Für uns waren bereits fünf Minuten auf der Terrasse so grenzwertig, dass wir ernsthaft überlegten trotz der Zusage weiterzugehen. Hätte die Karte nicht angezeigt, dass es in naher Zukunft hier keinen Deut besser werden würde, hätten wir dies wohl auch getan.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Aller Anfang ist schwer.

Höhenmeter: 150 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 23.229,27 km

Wetter: immer wieder Regen, ansonsten bewölkt

Etappenziel: Privates Wohnhaus, Traquair, Schottland

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare