Tag 1280: Frustrationstoleranz

von Franz Bujor
15.11.2017 17:41 Uhr

Lektion 14: Frustrationstoleranz

Nicht immer läuft das Tätowieren glatt.

Nicht immer läuft das Tätowieren glatt.

Nachdem wir das Thema mit der offenen Rechnung erkannt hatten, kehrten wir zu unserem Platz zurück, um mit dem Tätowieren fortzufahren. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich eine erneute Sinnkrise bekam, da noch immer keine Farbe haften bleiben wollte. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie und wieso ich mich noch immer nicht dafür öffnen konnte. Wieder strömten die Tränen aus mir heraus und ich heulte wie ein Schlosshund. Dieses Mal ging es jedoch nicht darum, dass etwas geklärt oder aufgelöst werden sollte, sondern darum, dass ich den Prozess nicht annehmen konnte, wie er war. In meinem Kopf spukte noch immer der Gedanke herum, dass es das wichtigste war, das Ritual möglichst schnell abzuschließen. Aber warum sollte dies so sein? Es war ein Entwicklungsprozess, genau wie das Leben ein Entwicklungsprozess ist. Und ein solcher Prozess dauert so lange wie er eben dauert. Das Tätowieren war ein Symbol für das Leben selbst und es sprach nichts dagegen, dass es auch ein leben lang dauern konnte, wenn dies der Fall sein sollte. Es muss nicht in fünf Minuten fertig werden, auch nicht heute, morgen oder diese Woche. Wenn es dreißig Jahre dauert ist das genauso in Ordnung, wie wen es in 10 Minuten oder 100 Jahren fertig wird. Es geht ja auch beim Leben schließlich nicht darum, es möglichst schnell abzuschließen und hinter sich zu bringen. Doch genau dieses Gefühl trug ich in mir. Der Weg ist das, worum es geht, nicht das ankommen. Das sollte mir als Dauerwanderer eigentlich bewusst sein und doch wollte ich nie den Weg gehen, sondern immer gleich am Ziel ankommen. Daher rührte auch meine geringe Frustrationstoleranz, die bei rund 0% lag. Sobald irgendetwas nicht klappte, gab ich auf und kehrte zum Alten zurück. Dummerweise klappte ja in der Regel auch das schon nicht, so dass mir nichts blieb als meine altbekannte Selbstverurteilung. Ich gestand mit nicht ein, dass es ok war, Dinge nicht zu können, sondern erst lernen zu müssen. Auf einem neuen Weg in eine Sackgasse zu geraten war für mich sofort ein Zeichen versagt zu haben, auch wenn es in Wahrheit eine wichtige Lernchance war, die für da Vorankommen dringend benötigt wurde.

In diesem Fall lag in der Weigerung meines Rückens, die Farbe anzunehmen, die Chance, mehr Kontrolle über meinen Körper zu gewinnen und eine tiefere Verbindung zu ihm aufzubauen. Damit dies gelingen konnte, begann ich heute beim Stechen mit einem Mantra, dass ich mir in der kommenden Zeit immer wieder aufsagte. Die erste Formulierung lautete: Ich öffne meine Poren und die Farbe fließt in meine Haut. Später wurde der Satz noch einmal genauer und einprägsamer: „Ich nehme die Farbe in Liebe an!“

Und tatsächlich, mit diesem Mantra begannen sich meine Poren zu öffnen und es blieb deutlich mehr Farbe haften, als zuvor.

Spruch des Tages: „Ich nehme die Farbe in Liebe an!“

Höhenmeter: 220 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 23.569,27 km

Wetter: Sonne, Sturm, Wolken, abends Starkregen

Etappenziel: Wohnwagen, Rannoch Station, Pitlochry PH17 2QA, Schottland

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Titelbild: Designed by Kues / Freepik
Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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