Tag 1281: Sturm, Regen oder beides

von Heiko Gärtner
15.11.2017 17:56 Uhr

01.07.2017

Franz hat eine neue Mütze

Franz hat eine neue Mütze

Langsam hatten wir das Spektrum, das das Wetter hier in Schottland drauf hatte, durchschaut. Es gab genau drei verschiedene Wetterlagen, zwischen denen gewechselt wurde: Regen, Sturm oder beides zusammen. Das war's! Heute hatten wir die Variante „Sturm“, was bedeutete, dass die Sonne schien, es relativ warm war und man ununterbrochen heftigen Wind ins Gesicht bekam. Wie es dieser Wind schaffte dabei immer von vorne zu kommen, egal in welche Richtung wir gingen, war noch immer ein ungelöstes Mysterium. Teilweise wechselten wir unsere Marschrichtung drei oder vier Mal am Tag um 90° und hatten dennoch immer Gegenwind. Gut das Shania extra für solche Anlässe unsere neuste Entdeckung aus Deutschland mitgebracht hatte. Es nannte sich Windfree und war eine Art Ohrenwärmer oder Kopfhörer, der jedoch die Aufgabe hatte die Windgeräusche herauszufiltern, sonstigen Schall aber durchzulassen. Er funktionierte ähnlich wie die „Katze“ die man über ein Mikrofon stülpt, wenn der Wind zu stark ist. Vom ersten Eindruck waren wir bereits sehr überzeugt, aber die genauen Details könnt ihr demnächst in unserem Testbericht nachlesen.

Im Vergleich zu Regen hatte Sturm jedoch den Vorteil, dass man mit etwas Glück ein geschütztes Plätzchen finden konnte, an dem es möglich war, die Sonne zu genießen und ein Picknick zu machen. Das taten wir heute zelebrierten damit unser erstes gemeinsames Entspannungspicknick mit Shania.

Wenig später erreichten wir einen kleinen Ort an einem Fluss, in dem wir in der Gemeindehalle übernachten durften.

Tagebuch des Tattoo-Rituals: Tag 6

Heiko und Franz auf dem Medizine Walk

Heiko und Franz auf dem Medizine Walk

In den letzten Tagen hatte Heiko des Öfteren angemerkt, dass wir das Ritual noch immer nicht in vollem Umfang ernst nahmen. Bislang hatte ich das nie so richtig verstanden, da ich der Meinung war, durchaus mit der nötigen Ernsthaftigkeit bei der Sache zu sein. Heute jedoch begriff ich zum ersten Mal die volle Tragweite dessen, was dieses Ritual für uns an sich darstellen sollte. Es war nicht einfach nur eine Aneinanderreihung von Tattoo-Sitzungen, es war unsere Form der Visionssuche. Heiko hatte für seine Visionssuche eine komplette Woche alleine und ohne Nahrung an einem Baum gesessen, so dass all seine Lebensthemen hatten auftauchen und betrachtet werden können, damit er sich auf diese Weise immer klarer selbst erkennen konnte. Weder Shania noch ich hatten eine solche Visionssuche in diesem Sinne durchlebt. In kleinen Ansätze ja aber nie in diesem Umfang. Aufgrund der Art und Weise auf die wir gerade leben, ist es auch unwahrscheinlich, dass wir in nächster Zeit die Gelegenheit bekommen, dies in der traditionellen Form nachzuholen. Daher begegnete sie uns nun auf eine andere Weise, mit deren Hilfe wir die gleichen Erkenntnisse über uns selbst bekommen. Deswegen galt auch die Regel, dass ich während des Stechens nichts essen durfte und dass das Ritual überwiegend schweigend abgehalten werden sollte. Durch den Schmerz und die Aufgabe, präzise aber zeiteffektiv zu arbeiten, kamen die entsprechenden Themen schneller und kompakter auf uns zu, so dass wir die gleichen Prozesse auch wähend der Reise in der Herde durchleben konnten.

Lektion 15: ein göttlicher Kanal werden

Shanias aktuell größtes Thema war es, dass sie noch immer das Gefühl hatte selbst bewusst etwas tun zu müssen, anstatt ein Kanal zu werden, der nur das entstehen lies, das entstehen sollte. Es gab noch immer Blockaden in ihr, die es ihr unmöglich machten auf den göttlichen Prozess zu vertrauen. Auf der einen Seite hatte sie Angst davor, etwas falsch zu machen und damit zum einen etwas zu zerstören und zum anderen uns zu verärgern, so dass sie das Recht, ein Teil unserer Herde zu sein verlor. Auf der anderen Seite glaubte sie aber noch immer, die Kontrolle behalten zu müssen, da sie Einflüsse von außen größtenteils als negativ erfahren hatte. So wie ich die Farbe blockierte, blockierte sie also den Prozess des Stechens, wodurch wir gemeinsam dafür sorgten, dass wir ein vielfaches an Zeit benötigten, als eigentlich nötig war. Um diesen Prozess zu durchbrechen und die Blockaden aufzulösen oder zumindest vorübergehend auszuschalten, bekam nun jeder von uns ein Mantra, das er für den Rest des Abends im Stillen aufsagte. Meines lautete „Ich nehme die Farbe in Liebe an!“ und Shanias „Ich vertraue blind!“

Weite Wiesen in Schottland

Weite Wiesen in Schottland

Und in der Tat! Durch den Fokus auf diese beiden Triggerpunkte kamen wir bedeutend mehr ins Fließen, als wir es bislang jemals geschafft hatten. Noch immer dauerte es bis um 2:30 Uhr in der Nacht, bis wir den Teil fertiggestellt hatten, der für heute vorgesehen war. Ohne den erweiterten Fokus hätten wir jedoch sicher noch um 6:00 Uhr in der Früh daran gesessen.

Lektion 16: Ins Fühlen kommen
Nachdem ich nun begriffen hatte, dass ich nicht einfach nur ein paar Tage lang Nadelstiche im Rücken aushalten musste, sondern mich auf einer Visionssuche befand, die gleichzeitig auch ein Initiationsritual für mich war, kamen auch meine Gefühle stärker ins fließen. Gestern war der Tag des Heulens gewesen. Heute hingegen kam nach einiger Zeit eine Wut und ein Hass in mir auf, die ich mir nicht erklären konnte. Es gelang mir noch immer nicht, diese Gefühle auch auszuleben und ihnen den Raum zu geben, den sie benötigten, aber ich nahm sie zumindest schon einmal wahr. Um ihnen Luft zu geben, brauchte ich noch zwei weitere Tage.
Schottisches Radrennen

Schottisches Radrennen

Höhenmeter: 180 m

Tagesetappe: 45 km

Gesamtstrecke: 23.569,27 km

Wetter: Sonne, Wolken, Regen, Sturm

Etappenziel: Gemeindesaal der Kirche, Glencoe, Schottland

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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