Tag 1283: Zu viel Besiedelung ist auch wieder nichts

von Heiko Gärtner
15.11.2017 19:12 Uhr

03.07.2017

Schottisches Kriegsdenkmal

Schottisches Kriegsdenkmal

Auch heute legte ich einen Fastentag ein, um den Fokus beim Ritual halten zu können und mich nicht vom Essen ablenken zu lassen. Ich würde mal sagen, es funktionierte bedingt, denn so richtig im Fließen waren wir auch heute wieder nicht. Der Vorteil war, dass ich die erste Picknick-Pause, in der es sich Heiko und Shania in der Sonne auf einer Bank gemütlich machten, gleich zum befragen der ersten Ortschaft nutzen konnte. Der Nachteil war, dass dies leider nicht das geringste nutzte. Im Nachhinein betrachtet war dies aber auch klar gewesen. Denn der Grund dafür, dass ich mir einredete, dass es hier eigentlich klappen müsste, war nicht der, dass ich hier wirklich ein gutes Gefühl hatte, sondern meine Angst vor dem nächsten Ort. Dieser war bedeutend zu groß für meinen Geschmack und lag außerdem als langgestreckte Wurst an einer Hauptstraße. Die Chancen dort standen also schlecht, aber die nächste Möglichkeit war mehr als 15km entfernt. Es musste hier also etwas klappen und das setzte mich innerlich unter Druck.

Schottischer Fluss

Schottischer Fluss

Tatsächlich präsentierte sich der nächste Ort genauso grausam, wie ich es befürchtet hatte. Und die Kirche lag natürlich wie immer am lautesten und hässlichsten Punkt. Es schien nicht einmal möglich, hier eine längere Pause einzulegen, um überhaupt Zeit zum Fragen zu haben. Wir waren also schon fast wieder auf dem Weg nach draußen, als wir schließlich doch noch einen kleinen Park entdeckten, in dem man es einigermaßen aushalten konnte. Mit der Sonne, die nun auftauchte war es hier an einigen wenigen Punkten sogar so angenehm, dass Shania und Heiko auf der Wiese einschliefen und so nicht einmal merkten, wie lange ich für die Organisation des Schlafplatzes brauchte.

Einsamer Baum in Schottland

Einsamer Baum in Schottland

So wie es aussah, gab es hier fünf Optionen. Die Kirche im Ort, eine Kirche außerhalb, ein Gospelzentrum, eine Bowlinghalle und ein Tageszentrum für Krebspatienten. Die Kirche außerhalb, die meine erste Wahl gewesen wäre, hatte man wieder einmal in ein Privathaus umgebaut. Das Krebspatienten-Unterhaltungs-Zentrum wurde laut Empfangsdame von einem Mann geleitet, der seine Mitarbeiter bereits kündigte, wenn es ihnen nicht gelang, die Gäste innerhalb von 5 Minuten nach Betriebsschluss auf die Straße zu werfen. Ob er Übernachtungsgäste aufnahm traute sie sich nicht einmal zu fragen. Das Bowlingzentrum schien ebenfalls nicht allzu erfolgversprechend, allein schon aus dem Grund, dass es ein Bowlingzentrum war. Blieben also noch die Kirche und die Gospelhalle und für diese irrte ich drei Mal von einem Ende des Ortes zum anderen und zurück, ohne eine konkrete Antwort zu bekommen. Am Ende kam die Antwort dann direkt zu uns. Eine ältere Dame die ich auf dem Kirchenplatz getroffen hatte und die mir zunächst keine Antwort hatte geben können, erschien im Park und teilte Heiko und Shania die frohe Botschaft mit, noch ehe ich von meinem letzten Trip zurückgekehrt war.

Schottisches Dorf

Schottisches Dorf

Der Raum den wir dann bekamen war für die äußeren Umstände dann wieder erstaunlich gut und ruhig. Er bot außerdem wieder eine geräumige Behindertentoilette, die wie geschaffen fürs Stechen des Tattoos war. Schon lustig, wie normal es inzwischen geworden war, dass wir unsere Nachmittage auf dem Behinderten-Klo verbrachten.

Tagebuch des Tattoo-Rituals: Tag 8

Hotel Elpinestone

Hotel Elpinestone

Heiko fand heraus, dass es eine Möglichkeit gab, wie ich meine Konzentration und damit auch den Fokus auf das voranbringen des Rituals noch weiter steigern konnte. Die Position im Knien, die zunächst als Sanktion gedacht war, hatte ich bereits in den letzten Tagen immer wieder eingenommen, da sie sich als sehr effektiv und vorteilhaft erwiesen hatte. Ohne dass es beabsichtigt war, war dies auch die Position, die christliche Mönche aber häufig zum Beten und als Ausdruck ihrer Demut einnehmen. Zum ersten Mal verstand ich auch warum, denn ähnlich wie der Schneidersitz, in dem die Buddhisten Meditierten, half diese Körperhaltung erstaunlich stark dabei, einen Fokus zu halten. Heute steigerte ich diesen Effekt noch einmal dadurch, dass ich mich dabei auf meine Hände kniete. Ich hielt es nicht die ganze Zeit durch, aber in der Zeit, in der ich es tat kamen wir mit dem Tätowieren noch einmal bedeutend schneller voran, als normalerweise.

Schottischer Yachthafen

Schottischer Yachthafen

Erst gegen Ende kamen wir wieder an einen Punkt, an dem ich mich so sehr in den Schmerz hinein steigerte, dass ich kurz vor dem Durchdrehen war. Ich wusste, dass die Schmerzen rein mental waren und nur von meiner Angst herrührten, aber ich konnte trotzdem nichts dagegen tun. Ich steigerte mich so sehr hinein, das Shania keine zwei Stiche in Folge machen konnte, ehe ich sie verzweifelt unterbrach. So kamen wir natürlich nicht voran. Und doch war klar, dass es gerade deswegen jetzt an der Zeit war, weiter zu machen. Denn ich stand nun an einem Punkt, an dem ich zum ersten Mal wirklich etwas über die Kontrolle meines Geistes über meinen Körper lernen konnte. Es dauerte etwa eine halbe Stunde und ein intensives Coaching von Heiko, doch dann gelang es mir, mich so stark auf einen nicht schmerzenden Punkt in meinem Körper zu konzentrieren, dass der Schmerz auf meinem Rücken vollkommen verblasste. Er kehrte zu einem leichten Kratzen zurück, dass ich ignorieren konnte. Es war noch immer stark genug, um den Fokus wieder an sich reißen und den Schmerz von neuem aufflackern zu lassen, wenn ich es zu ließ. Aber es gelang mir, meine Konzentration so lange aufrecht zu erhalten, bis Shania die Bereiche des Tattoos fertiggestellt hatte, die es für heute fertigzustellen galt. Die Einzelheiten, über die mentale Kontrolle über das Schmerzempfinden habe ich ja bereits im Artikel „mentale Schmerzüberwindung“ beschrieben.

Schottischer Marktplatz

Schottischer Marktplatz

Höhenmeter: 330 m Tagesetappe: 36 km Gesamtstrecke: 23.610,27 km Wetter: Sturm, leichter Regen Etappenziel: Kirche, Achnacairn, Schottland

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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