Tag 1284: Durch den Windpark

von Heiko Gärtner
17.11.2017 03:49 Uhr

04.07.2017

Die Pfarrerin, die uns unseren letzten Schlafplatz sowie ein edles Abendessen mit Lachs und Oliven ermöglicht hatte, versuchte auch uns für den heutigen Abend einen Platz vorzuorganisieren. Je mehr wir uns dem Norden von Schottland und gleichzeitig dem Ende von Shanias Besuchszeit bei uns näherten, desto wichtiger wurde es nun, dass wir ungefähr die Etappen einhielten, die wir uns vorgenommen hatten. Waren wir zu langsam, was dies kein Problem, da wir uns in einer stark besiedelten Region voller Bus- und Bahnverbindungen befanden. Waren wir hingegen zu schnell, würden wir zu früh in die Berge, bzw. die sogenannten „Low-Lands“ kommen, aus denen Shania kaum mehr einen Weg hinaus finden würde.

Wie effektiv ist ein Windrad wirklich?

Wie effektiv ist ein Windrad wirklich?

Unser weg führte uns heute durch einen rund 10km langen Windpark, der angeblich für einen Großteil der Stromversorgung in dieser Region verantwortlich war. Ein Einheimischer erzählte uns später jedoch, dass Schottland seinen Strom vor allem aus Atomenergie bezog, der in mehreren Kernkraftwerken entlang der Küste produziert wurde. Die Windräder selbst waren wie so oft wieder einmal an beeindruckend winzige Kontrollhäuschen angeschlossen, von denen der Strom in geradezu niedlichen Leitungen zu einem kleinen Umspannwerk geleitet wurde.

Windpark in den Highlands

Windpark in den Highlands

Obwohl auch heute ein starker Wind wehte, standen mehr als die Hälfte der Räder still und die meisten anderen drehten sich in einer Geschwindigkeit, bei der man ihnen die Schuhe hätte zubinden können. Räder, die sich wirklich frei und ungebremst drehen durften, um ihr volles Stromerzeugungspotential auszuschöpfen, konnte man an zwei Händen abzählen. Langsam fragten wir uns ernsthaft, ob diese Windenergie wirklich so effektiv war, wenn man sie auf diese Weise betrieb. Teilweise wirkte es fast, als könne man sogar Strom dadurch einsparen, wenn man den Windrädern einfach die Flügel abmontierte, denn dann konnte man sich die Kraft für die Bremsen sparen, mit denen sie permanent verlangsamt oder angehalten wurden. Die sind ja schließlich auch nicht billig, verbrauchen auch Ressourcen, müssen auch mit einem Energieaufwand hergestellt werden und werden schließlich noch elektronisch betrieben, nur um zu verhindern, dass hier zu viel Strom produziert wird. Ob das, was in dem Park am Ende an Strom gewonnen wurde, wohl für mehr reichte, als für die kleinen roten LEDs, die oben auf den Windrädern angebracht waren um Flugzeuge zu warnen? Ganz sicher war man sich da nicht.

Heiko und Franz auf dem Weg durch Schottland

Heiko und Franz auf dem Weg durch Schottland

Der Ort, der unser Tagesziel wurde lag wie so viele andere auch direkt an einer Hauptstraße. Unsere Kirche befand sich jedoch in einem Tal, so dass man hier erstaunlicherweise nichts vom Straßenlärm hören konnte, auch wenn es nur 10 Meter weiter kaum auszuhalten war. Wie sich herausstellte, hatte unsere Pfarrerin Erfolg gehabt und tatsächlich alles für unsere Ankunft planen können. Leider hatte sie der Kösterin nicht gesagt, wann wir ankommen würden und so geriet diese leicht in Panik, weil wir früher vor den Kirchentüren standen, als sie es erwartet hatte. „Oh Gott, ich habe doch noch gar nichts vorbereitet!“ sagte sie immer wieder, „Es ist noch keine Heizung an, ich habe noch keinen Schlüssel und ich müsste eigentlich in meinem Laden sein und an der Kasse stehen! Ich hoffe mein Enkel ist nicht überfordert damit, dass ich ihn einfach alleine dort hab sitzen lassen!“ Bis sie alles geklärt hatte setzen wir uns in die Sakristei um einen kleinen Heizkörper und versuchten unsere ausgekühlten und vom Regen durchnässten Körper wieder etwas aufzuwärmen.

Windraeder in Schottland

Windraeder in Schottland

Tagebuch des Tattoo-Rituals: Tag 9

Zum Stechen des Tattoos war unser Platz auch heute wieder gut geeignet, da es im hinteren Bereich des Saals einen abgetrennten Büroraum gab. Er stank leicht verschimmelt, war ansonsten aber kein schlechter Platz. Vor allem lag er so versteckt, dass Shania und ich hier vollkommen ungestört sein konnten, obwohl alle Paar Minuten Besucher zu uns herein stürmten. Teilweise waren es Mitglieder der Kirchengemeinde, die nur neugierig waren, wer da ihr Dorf besuchte, teilweise waren es Teilnehmer an einem Kurs für kreatives Malen, der in einer angrenzenden Halle stattfand. Das gute daran war, dass Heiko auf diese Weise mehr als genug Nahrung für unser Abendessen auftreiben konnte, ohne dabei auch nur seinen Schlafsack verlassen oder seinen Computer aus der Hand legen zu müssen.

Beim Stechen kamen wir heute recht gut voran und schafften es sogar, alle blauen Bereiche des Tattoos, sowie einen Teil der Roten fertig zu stellen. Morgen sollten wir also mit dem Rest fertig werden können, so dass wir dann noch zwei Tage für Ausbesserungsarbeiten zur Verfügung hatten.

Ohne Geld duch Großbritannien reisen.

Ohne Geld duch Großbritannien reisen.

Heute war auch der Tag, an dem es mir mit Shanias Hilfe gelang, die erneut aufkommende Wut heraus zu lassen. Sie spürte bereits anhand der Art, wie sich mein Rücken verkrampfte, dass sich etwas in mir zusammenbraute und ermunterte mich dazu, die Gefühle einfach aufkommen zu lassen, anstatt sie kontrollieren zu wollen. Es kostete einer Küchenpapierrolle das Leben, die zerfetzt und in ihre Einzelteile zerlegt wurde. Sonst passierte nichts und es war sehr befreien und erleichternd, so dass wir im Anschluss gut weiter machen konnten.

Spruch des Tages: Langsam ergibt es ein Bild.

Höhenmeter: 440 m

Tagesetappe: 41 km

Gesamtstrecke: 23.651,27 km

Wetter: Bewölkt, hin und wieder Regen

Etappenziel: Katholische Kirche, Taynuilt, Schottland

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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