Tag 1307: Pannenhilfe

von Franz Bujor
08.01.2018 14:41 Uhr

Fortsetzung von Tag 1306:

Nachdem schließlich doch alles verbrannt war und wir dafür gesorgt hatten, dass nichts Feuer fangen konnte, das keines fangen sollte, machten wir uns wieder auf den Weg. Vor uns lagen nun noch knapp 20 km bis in die nächste Kleinstadt, in der wir das erste Mal nach einem Platz fragen konnten. Der Weg führte an einigen keltischen Monumenten vorbei, von denen man jedoch fast nichts mehr sehen konnte. Dann brachte er uns an einen Kanal, an dem wir auf einer Fahrradstraße weiter gehen konnten. Theoretisch wäre dies wohl der schönste Teil der Strecke gewesen, doch man hatte es verstanden auch diesen wieder so zu bauen, dass man ihn nicht wirklich genießen konnte. Oder besser: Auch hier sollten wir anscheinend wieder lernen, das Leben auch unter unangenehmen Bedingungen zu genießen. Der Weg bestand aus einer Asphaltstraße, auf die man eine dicke Schicht Schotter gekippt hatte, so das jeder Schritt ein lautes Knistern verursachte, das sogar noch den Straßenlärm von der anderen Kanalseite übertönte.

Eines der vielen Binnenmeere in Schottland

Eines der vielen Binnenmeere in Schottland

Nach wenigen hundert Metern wurden wir von einer jungen Radfahrerin angesprochen. Es wirkte, als wollte sie ein Gespräch beginnen, ohne jedoch zu wissen, was sie sagen oder fragen wollte. Schließlich fuhr sie weiter, ohne dass das Gespräch irgendeinen Sinn ergeben hätte. Wenige Minuten später trafen wir sie jedoch erneut. Dieses Mal mit umgedrehtem Rad, über das sie mit verzweifelter Miene gebeugt stand, während sie wild an ihren Pedalen herumschraubte. „Das Gewinde ist kaputt und die eine Pedale ist fast herausgefallen.“ Erklärte sie. Heiko warf einen Blick darauf, erkannte das Problem und schaffte es innerhalb weniger Minuten, die Pedale wieder in die richtige Position zu bringen. „Passt bloß auf, dass ihr nichts kaputt macht!“, sagte die Frau dabei ständig und hätte Heiko am liebsten alles aus der Hand gerissen.

Burgturm

Burgturm

„Keine Sorge!“, meinte dieser nur, „mehr kaputt machen als du es eh schon hast, kann man hier nicht mehr. Entweder es klappt, oder du bleibst beim aktuellen Stand und musst in die nächste Stadt laufen.“

Fernwanderung

Fernwanderung

Sie hatte Glück, denn das Rad war am Ende wieder fahrtüchtig. Doch obwohl sie wusste, dass wir ihr gerade den Hintern gerettet hatten, konnte sie keine Dankbarkeit spüren. Sie hätte es gewollt, aber sie konnte es nicht. Sie war zu steif und zu verkrampft, um überhaupt einen Bezug zu uns herzustellen und dadurch wirkte sie unfreundlich, ablehnend und unsympathisch. Im Nachhinein betrachtet war sie wahrscheinlich der perfekte Spiegel, um zu sehen, wie mich meine Krafttiere wahrnehmen mussten. Aber das erkannte ich in diesem Moment noch nicht.

Auf dem Kanal durch Schottland

Auf dem Kanal durch Schottland

Ein weiterer Mammut-Weg

Eine der größten Herausforderungen, die Schottland an uns stellt, ist der permanente Sprung zwischen den Extremen. Teilweise muss man hier dreißig Kilometer oder mehr wandern, um überhaupt mal wieder an einen Ort mit drei Häusern zu kommen. Dann biegt man um eine Ecke und ist mitten in einer lauten, stressigen Touristenregion, in der so viel los ist, dass man hier auch schon wieder nicht bleiben kann. Die Stadt, in der wir anlanden wollten, hatte vier oder mehr Kirchen und trotzdem war es unmöglich hier einen Platz zu finden.

Wenig Häuser aber viele Autos

Wenig Häuser, aber viele Autos

Gar nicht mal so sehr, weil uns niemand aufgenommen hätte, sondern weil alles so grässlich war, dass man sich keine Minute länger als unbedingt nötig hier aufhalten wollte.

Unser Schlafplatz für die Nacht

Unser Schlafplatz für die Nacht

Wir begnügten uns daher mit einer Currywurst (oder etwas, das dem relativ nahe kam) und machten uns wieder aus dem Staub. Auch die nächste Ortschaft war nicht besser und so zogen wir uns doch wieder ins Hinterland zurück. Alles in allem wurde es dadurch wieder einmal eine Etappe von mehr als 40 km, ohne dass wir wussten, ob wir am Ende überhaupt in einem Ort landen würden. Gegen 20:00 Uhr kamen wir dann aber dennoch in einer Kirche an, in der wir bleiben konnten. Dabei machten wir zum ersten Mal die ernstzunehmende Bekanntschaft mit den berühmt-berüchtigten „Mitches“ vor denen man uns bereits oft gewarnt hatte. Es sind winzige blutsaugende Fliegewesen, die in Schwärmen von Millionen von Tieren auftreten und einen binnen Sekunden vollkommen einkreisen. Ihre Bisse jucken nicht so stark wie die von Mücken, aber aufgrund ihrer Masse treiben sie einen dennoch in den Wahnsinn. Dummerweise brachte ich nach meiner Essensrunde einen ganzen Schwarm mit in die Kirche, den wir erst einmal töten mussten, ehe wir irgendetwas anderes tun konnten. Kaum hatten wir das geschafft, öffnete sich die Tür und zwei Einwohner mit großen Blumenkisten kamen herein. Ihr Besuch hatte keinen Zweck außer dem, dass sie neugierig waren, warum in der Kirche Licht brannte. Damit konnten wir nun natürlich noch einmal von vorne anfangen. Für uns stand jetzt fest, dass unsere Uribags wieder einmal unsere besten Freunde werden würden, denn nach draußen zu gehen wäre von nun an der reinste Selbstmord geworden.

Spruch des Tages: Langsam freuen wir uns wieder auf die Überfahrt und auf ein neues Land.

Höhenmeter: 130 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 24.623,27 km

Wetter: Soniger Sommertag mit viel Wind

Etappenziel: Frühstückspension, Kinnity, Irland

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Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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