Tag 1310: Wandern auf dem Kentyre-Way

von Heiko Gärtner
09.01.2018 20:18 Uhr

23.07.2017

Im Guten wie im Schlechten verabschiedet sich Schottland noch einmal mit einem Feuerwerk an Höhepunkten. So wurde die heutige Tagesetappe noch einmal um ein vielfaches anstrengender als die letzten, dafür aber auch um ein vielfaches schöner.

Direkt hinter unserer Kirche führte eine Straße in den hinteren Bereich des Dorfes, wo der sogenannte „Kentyre-Way“ begann, ein Fernwanderweg, der bis hinunter nach Campeltown führte. Die ersten Meter waren noch entspannt und führten an der alten Burgruine vorbei, von der aus man einen beeindruckenden Blick über den Hafen hatte. Dann jedoch kam der weniger entspannte Part. Auf einer Strecke von nicht einmal eineinhalb Kilometern ging es nun auf holprigen Pfaden mehr als 150 Höhenmeter nach oben. Für einen alleine pro Wagen war das bei weitem zu viel. Wir schafften es gerade einmal mit vereinten Kräften, sie den Berg hinauf zu wuchten. Der Umstand, dass sich aus Heikos leichter Angeschlagenheit eine ausgewachsene

Wandern quer über die Halbinsel Kentyre.

Wandern quer über die Halbinsel Kentyre.

Erkältung mit Niedergeschlagenheitsgefühl und dauerhaft laufender Nase entwickelt hatte, machte die Herausforderung nicht unbedingt leichter. Oben angekommen mussten wir zuänchst einmal unsere Lungen wieder finden. Tropfnass und mit heraushängender Zunge folgten wir nun einem Forstweg, der sich weiterhin den Berg hinauf schraubte. Hier erreichten wir eine weite Heidelandschaft in der es noch ein paar vereinzelte Bäume und hin und wieder ein paar Waldstücke gab. Auch dieses Land war von Menschen gerodet worden, aber es hatte dennoch seinen Reiz. Schließlich mussten wir noch einmal auf einen Pfad abbiegen, der mitten durch die Heide führte. Zu unserem Erstaunen befanden wir uns dabei nach wenigen Metern schon wieder im Moor und das obwohl wir uns auf der Spitze des Hügels befanden. In diesem Land gab es wirklich nichts mehr, das nicht vollkommen unter Wasser stand.

Der Wanderweg hat einige Passagen, die extrem anstrengend sind.

Der Wanderweg hat einige Passagen, die extrem anstrengend sind.

Am Ende unseres Weges erreichten wir ein kleines Nest an der Küste, das an einer Sackgasse lag und nicht einmal mehr 100 Einwohner hatte. Normalerweise hätte es hier nur eine Frage von Sekunden sein dürfen, um einen Platz und etwas zum Essen zu ergattern. Doch es war sogar weitaus komplexer als in den letzten Städten, die wir bereist hatten. Die meisten Häuser standen leer und von den wenigen Menschen, die wir antrafen, fühlte sich niemand wirklich zuständig. Kirche wie Gemeindehalle wurden über Komitees verwaltet, die keine Vorsitzenden hatten. Einen Pfarrer gab es nicht mehr und niemand wollte die Verantwortung übernehmen. Wir waren schon kurz davor weiter zu ziehen und hätten es sicher auch getan, wenn die nächste Etappe nicht 28km betragen hätte. Und im Endeffekt löste sich dann wieder alles wie von selbst, so dass wir uns sogar aussuchen konnten, wo wir übernachten wollten.

Küste von Kentyre Island

Küste von Kentyre Island

Nur mit dem Essen sah es wieder einmal eng aus. Eine alte Dame und eine junge Familie schenkten uns, was sie in ihren Küchen finden konnten. Wie so oft waren es diejenigen, die selbst am wenigsten hatten. Die reichen Nachbarn mit den großen Häusern und den teuren Autos vor den Türen, gaben entweder nichts oder so klein Spenden, dass man fast mehr Energie zum Fragen aufwenden musste, als man durch die Nahrung im Nachhinein zurück bekam. Dabei gab es zwei unterschiedliche Varianten. Die einen hielten sich selbst für großzügig und hatten augenscheinlich wirklich das Gefühl, dass sie einen enormen Beitrag leisteten. „Wir haben und Gedanken darüber gemacht, wie wir euch heute durch den Tag bringen und haben gedacht, dass ihr am Besten mit je einer Banane bedient seit! Die haben viel Energie und ihr könnt sie bequem in die Tasche stecken, bis ihr sie essen wollt. Damit dürftet ihr eigentlich soweit versorgt sein!“ Erschreckender Weise glaubte er das wirklich!

Lustiges Männchen

Lustiges Männchen

Die anderen wussten, dass sie geizig waren und beriefen sich darauf, dass sie leider selbst fast kein Essen besaßen. Dies war die Lieblingsantwort der Menschen in Schottland und teilweise auch schon in England. Vor allem dann, wenn sie reich und wohlhabend waren. Es war schon verrückt! Als wir durch den Balkan wanderten und bei alten Omis klingelten, die irgendwo im Niemandsland lebten und keine 100 Euro im Monat zur Verfügung hatten, hatten wir niemals das Gefühl, ihnen etwas wegzunehmen, wenn wir um eine Essensspende baten. Die Menschen mochten kein Geld haben, doch an Lebensmitteln gab es nie einen Mangel. Im Gegenteil! Wie oft hatten wir das Gefühl, den alten Damen oder Herren den Tag zu erhellen, indem wir mit ihnen gemeinsam durch ihre Gemüsegärten schlenderten, während sie begeistert ihre Schätze mit uns teilten. Hier hingegen hatte man oft das Gefühl, dass man den Menschen noch etwas zu Essen mitbringen sollte, weil sie so arm waren und anscheinend nicht einmal ein Abendessen für sich selbst besaßen.

Ruderboot in Schottland

Ruderboot in Schottland

Klar hatten sie Häuser in denen man eine Fußballweltmeisterschaft hätte veranstalten können und klar standen vier oder fünf Autos in ihren Einfahrten herum, von denen mindestens einer ein Porsche, Ferrari oder Lotus war. Aber das änderte nichts daran, dass man sich nicht trotzdem arm fühlen konnte.

Spruch des Tages: Geld haben allein ist kein Grund, nicht arm zu sein.

Höhenmeter: 320 m

Tagesetappe: 36 km

Gesamtstrecke: 24.728,27 km

Wetter: Sonne, leichte Bewölkung, Wind

Etappenziel: Kloster, Callan, Irland

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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