Tag 1319: Verschiedene Formen von Christentum

von Heiko Gärtner
20.01.2018 04:29 Uhr

29.07.2017

Die Sache mit den Kirchen kommt uns hier trotzdem noch immer spanisch vor. Kamen hier wirklich 300 bis 400 Menschen zur Messe, während die englische Kirche gerade einmal 4 bis 5 Besucher verbuchte? Wenn dem so war, warum waren dann die Gebäude und Parkplätze der englischen bzw. irischen Kirche, die letztlich ein und die selbe waren, dann aber genauso groß, wie die Presberitanischen? Irgendwie wirkte hier alles zu sehr nach Fassade. Es erinnerte uns stark an das, was wir in Bosnien erlebt hatten. Da drei unterschiedliche Religionen auf engstem Raum zusammenlebten, versuchte jeder zu zeigen, dass sein Gott und seine Art des Glaubens besser war, als die der anderen. Deswegen musste die eigene Kirche bzw. Moschee immer noch etwas größer, protziger und auffälliger sein, als die der anderen. Hier in der Region hatte es ebenfalls für lange Zeit einen Krieg gegeben, den man genau wie den im Balkan den Religionen in die Schuhe schob. Und Zack: Schon gab es überall Kirchen die sämtliche Dimensionen sprengten. Der Ort, den wir heute erreichten war sogar noch kleiner, als der von gestern und hatte eine irische Kirche, eine presperitanische und eine reformierte presperitanische. Alle waren so groß, dass man sie nicht füllen konnte, wenn man den ganzen Ort hinein steckte. Und doch waren alle in Betrieb.

Die Church of Ireland ist mit er Church of England verwandt.

Die Church of Ireland ist mit er Church of England verwandt.

Weitaus heftiger war jedoch, dass es hier schwieriger war einen Platz in einem der vielen Säle zu bekommen, als überall sonst auf der Welt an Plätzen wo es fast gar nichts gab. Bei den Presperitanischen Kirchen half nur der Pfarrer. Ohne ihn hatte man keine Chance, selbst wenn man den ganzen Kirchenrat und den Köster vor sich versammelt hatte. Dummerweise waren fast alle Pfarrer mit ihren Familien im Urlaub und somit außer Reichweite. Am Mittag fragten wir in einem kleinen Ort herum und schafften es sogar, den zweithöchsten Mann in der Gemeinde zu sprechen, doch selbst er sah sich nicht in der Lage, uns eine Erlaubnis zu erteilen. Er könne dies nicht alleine entscheiden, sagte er traurig und entschied damit ganz alleine, dass wir weiter gehen mussten. Das heißt, einen Platz in seinem Haus hätte er uns angeboten, so war es nicht. Man konnte nicht behaupten, dass einem die Menschen nicht helfen wollten. Jedenfalls nicht bei den meisten. Es gab nur eine ganz eigensinnige, spießige und verklemmte Struktur, nach der die Dinge hier liefen. Der anglikanischen Kirche wurde hier immer vorgeworfen, dass sie so altmodisch sei und doch hatten wir diese stets als die offenste und unkomplexeste empfunden. Es gab dem Pfarrer und den Gebäudeverwalter und wenn man einen von ihnen erreichte, konnte man sicher sein, dass man eine klare Antwort bekam, die in der Regel positiv war. In Schottland gab es dann das System mit den Kirchenältesten, die nur noch als Rat entscheiden durften, wodurch die Sache schon deutlich komplexer wurde. Wie wir nun erfuhren war die „Church of Scottland“ anders als die „Church of Ireland“ und die „Church of Wales“ auch nicht mit der „Church of England“ sondern mit der presperitanischen Kirche verwandt. Da steige mal einer durch!

Das Innere einer katholischen Kirche in Nordirland.

Das Innere einer katholischen Kirche in Nordirland.

Hier in der presperitanischen Kirche hingegen ist der Pfarrer wieder das einzige Oberhaupt, wobei selbst das nur zum Teil stimmt. Der Pfarrer der reformierten Presperitanischen Kirche, in der wir heute übernachten dürfen, musste nämlich erst einmal sein Kirchenkomitee durch telefonieren, bis es uns eine Antwort geben konnte. Man kann also festhalten: Es ist kompliziert! Und das nicht, weil es kompliziert sein müsste, sondern weil es bewusst kompliziert gehalten wird. Unsere Vermutung war jedoch, dass es hierbei weit mehr um Geld als um Glauben und Demokratie ging. Die Kirchen und ihre Säle waren wie erwähnt beeindruckende Prestige-Tempel die Unmengen an Geld verschluckten. Man konnte es sich als Pfarrer hier also nicht erlauben, es sich mit den Spendern zu überwerfen. Das Motto dahinter schien zu lauten: „Du musst mich bei deinen Entscheidungen nicht einzubeziehen, aber ich muss dir auch kein Geld geben!“

Eine reformierte, presperitanische Kirche.

Eine reformierte, presperitanische Kirche.

Auch wenn die Privateinladung nett gemeint war, beschlossen wir dennoch weiter in den nächsten Ort zu ziehen. Die letzte Nacht die wir zusammengekauert auf dem Boden eines winzigen Wohnzimmers verbracht hatten, während der Hund neben uns auf dem Sofa schlief, hatte uns erst einmal wieder gereicht. Außerdem sahen wir nicht ein, warum wir Notlösungen annehmen sollten, wenn es doch überall leere, unbenutzte Säle gab.

zwischen den katholischen, den irischen, den presperitanischen und den reformiert-presperitanischen Kirchen herrscht in Nordirland noch immer ein Konkurrenzkampf

zwischen den katholischen, den irischen, den presperitanischen und den reformiert-presperitanischen Kirchen herrscht in Nordirland noch immer ein Konkurrenzkampf

Was man aber bei den Menschen, sowohl bei den Pfarrern, wie auch bei den Gläubigen spürte, war eine seltsame Ambivalenz. Die Presperitanische Kirche hatte eine sehr streng auf Jesus ausgerichtete Glaubensphilosophie, die von allen Vertretern die wir bislang kennengelernt hatten zur Not bis auf´s Messer verteidigt wurde. „Wir sind sehr offen und akzeptieren auch alle anderen Glaubensformen!“ beteuerten uns die Leute immer wieder, „so lange klar ist, dass Jesus unser Herr ist, der all unsere Sünden in sich aufgenommen hat, um uns zu erlösen! Jesus ist mein persönlicher Retter, der mich von meinen Sünden befreit, damit ich leben kann!“ Auf diese eine Aussage lief stets alles hinaus und auch wenn uns die Leute nicht ein einziges Detail über sich erzählten, so erzählten sie uns doch stets, dass dies ihr zentraler Glaube war über den sich nichts stellen durfte. Dadurch entstand recht bald der Eindruck, dass die Menschen hier in diesem Bezug seltsam gleichgeschaltet zu sein schienen. Mehr als alle anderen Glaubensgemeinschaften, die wir bislang kennenlernen durften, vermittelte diese den Eindruck eine Sekte zu sein, die eine starke Kontrolle über die Gedanken und Meinungen ihrer Mitglieder ausübte. Das konnte natürlich täuschen, aber der Eindruck drängte sich einem geradezu auf.

Auf der anderen Seite kam aber immer wieder auch das Gefühl durch, dass die Menschen zwar gerne über Jesus sprachen, aber dennoch nicht viel von ihm als Vorbild hielten. Dafür steckte die innere Spießigkeit einfach viel zu tief in den Menschen drin. Die Frage nach einem Sandwich war daher meist schon ein bisschen zu viel. Wenn einem jedoch jemand half, dann waren es vor allem die Farmer, die ihr Leben eher schlicht und pragmatisch als philosophisch hielten.

Kirche mit rotem Dach, Irland

Bei so vielen Kirchen verliert man langsam den Überblick

Nachtrag:

Einige Monate später führte ich ein recht interessantes Gespräch über glauben mit einem muslimischen Dönerbudenbesitzer, der zum Thema Jesus folgende nicht unwichtige Frage aufwarf: „Ich kenne mich mit dem Christentum nicht allzu gut aus“, sagte er, „wenngleich wir Jesus ja auch im Islam als einen wichtigen Propheten ansehen, der in etwa den gleichen Stellenwert hat wie Mohammet. Aber eine Sache frage ich mich immer wieder: Wenn die Christen Jesus einen so hohen Stellenwert als Sohn Gottes beimessen, dann kommt es mir oft so vor, als würden sie am Ende nur noch Jesus anbeten und Gott selbst dabei fast vergessen. Steht das nicht in einem Widerspruch zum ersten Gebot, dass es nur einen Gott gibt und dass neben ihm niemand sonst angebetet werden soll?“

Ein interessanter Gedanke und eine Frage, die man sich auf jeden Fall gefallen lassen sollte, findet ihr nicht?

Spruch des Tages: Wenn zu viele Köche den Brei verderben, verderben dann auch zu viele Religionen den Glauben?

Höhenmeter: 75m

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 24.914,27 km

Wetter: Leicht bewölkt, sommerlich warm

Etappenziel: Zisterzienser-Kloster, Briquebec, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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