Tag 185: Portugals Naturreservat

von Franz Bujor
07.07.2014 23:25 Uhr

Beate und Carlos hatten uns erzählt, dass der Weg nach Fátima ab Coimbra deutlich ausgezeichnet wäre. Leider konnten wir ihren Optimismus nicht ganz teilen. Von unserem Hotel in Coimbra aus überquerten wir die Brücke und waren dann auf uns allein gestellt. Mit Hilfe unserer spärlich beschrifteten Karte suchten wir uns einen Weg in das nächste Dorf, dass wir auch in unserem Wanderführer als Etappenziel fanden. Leider führte uns die gewählte Straße auf direktem Wege wieder auf die nächste Schnellstraße. Es war nicht schön, aber nicht zu ändern und für vier Kilometer blieben wir der Straße treu. Dann fanden wir den ersten blauen Pfeil und von nun an ging es buchstäblich Bergauf. Zum einen, weil wir wirklich ordentlich bergauf mussten und zum anderen, weil wir dabei zum ersten Mal in Portugal durch eine wirklich schöne Naturlandschaft wandern durften. Es war ein Wald mit lauter kleinen Bäumen und Büschen und man konnte bis zum Horizont nur grüne Hügel und Berge sehen. Die Autobahn war nur noch als ganz leises Hintergrundrauschen zu hören, das einen fast überhaupt nicht mehr störte. Auch die Vögel waren hier ruhiger und sangen harmonische Lieder. Zuvor erinnerte uns ihr Pfeifen eher an das Schreien eines Ertrinkenden.

Bevor wir den Wald erreicht hatten, hatten wir zwei Bauern getroffen, die in ihrem Garten gerade dabei waren, Kartoffeln zu pflanzen. Sie hatten uns erlaubt, einige Orangen zu ernten und jetzt, da wir in dem ruhigen Wald saßen, machten wir unsere erste wirklich entspannte Obstpause seit Tagen. Gerade als wir aufbrachen um weiterzugehen, begannen die Grillen um uns herum zu zirpen. Es waren jedoch nicht die Grillen, die wir aus Deutschland kannten. Es war eine Grillenart, die mit einer Penetranz und einer Lautstärke zirpte, die auf der Welt sicher keine zweite Spezies vollbrachte.

Nachdem der Wald in einem kleinen Dorf geendet hatte, entdeckte ich einen dornigen Zweig, der in Heikos rechtem Wagenrad steckte. Als ich ihn herauszog, hörte ich es bereits leise zischen. Er hatte den Reifen also zerstört. Wir warteten nicht, bis er ganz platt sondern tauschten ihn sofort. Dabei kam ein junger Italiener auf uns zu, der den Weg in die andere Richtung pilgerte. Er war alleine von Lissabon nach Santiago aufgebrochen und war noch weitaus frustrierter als wir. Er hatte sich die Reise als eine Reise zu sich selbst vorgestellt, bei der er andere Pilger treffen und sich mit ihnen austauschen konnte und bei der er viel über das Leben in der Natur lernen würde. Doch seit Beginn seiner Reise war er alleine und hatte außer uns nur noch zwei andere Pilger getroffen. Natur hatte er auch so gut wie keine gefunden, das Essen regte ihn auf und die Straßen und Städte empfand er als genauso hässlich wie wir es taten. Er freute sich daher auf Porto, denn dann würden wenigstens andere Pilger das Leid mit ihm teilen und er konnte vielleicht jemanden kennenlernen, den er mochte. Zurzeit war, wie er selbst sagte, sein Wanderführer sein bester und einziger Freund. In Italien studierte er Wirtschaftswissenschaften mit der Motivation, die Wirtschaft zu verändern und humanitärer und sozialer zu gestalten. Es war ein nobles Ziel aber auch ein sehr hartes Brot, das er sich da ausgesucht hatte.

Unsere zweite Pause machten wir auf einem Kinderspielplatz. Dies war ebenfalls etwas besonderes, denn es war der dritte Spielplatz, den wir in Portugal überhaupt gesehen hatten. Der erste befand sich auf einem Betonplatz zwischen einer Baustelle und einer Schnellstraße. Der zweite und auch dieser dritte hier befanden sich an humanen Plätzen, an denen man Kindern das Spielen sogar ohne schlechtes Gewissen erlauben konnte. Auf diesem Spielplatz trafen wir einen einzelnen kleinen Jungen, dem so langweilig war, wie einem Menschen nur sein konnte. Er fuhr mit seinem Fahrrad im Kreis, legte es dann auf den Boden und schaukelte, rutschte drei Mal motivationslos und stieg dann wieder auf sein Rad. Er freute sich riesig darüber, dass heute jemand da war, der ihm zuschaute und fast alles was er tat, präsentierte er uns als eine Art Show. Er suchte immer wieder unseren Blickkontakt und strahlte übers ganze Gesicht, wenn wir ihn erwiderten. Schließlich ging er zu einer Bank neben der unseren, brach eine lose Holzlatte heraus und zerschlug sie am nächsten Baum in kleine Teile. Dann ging er wieder auf den Spielplatz und veranstaltete ein Trommelkonzert mit seinen Händen gegen die Kunststoffrutsche. Als wir schließlich weiterwanderten begleitete er uns noch ein gutes Stück. Es war echt schade, dass der Junge keinen Gefährten hatte, mit dem er spielen konnte, denn es waren genug Möglichkeiten zum entdecken und erforschen in der Gegend vorhanden. Kurz darauf entdeckten wir zwei alte Männer, die an einem Baum saßen und lustlos mit einem Stock das Moos von seiner Rinde klopften, weil sie sonst nichts mit sich anzufangen wussten. Wir fragten uns, warum sich die drei nicht zusammenschlossen. Der Kleine würde sich wahrscheinlich riesig freuen, wenn die Alten ihm zeigen würden, wie man Pfeifen baut, angelt, Echsen jagt oder was auch immer sie in ihrer Jugend gemacht hatten. Und die Herren hätten wahrscheinlich genauso viel Spaß daran, den kleinen Jungen zu unterrichten oder mit ihm zusammen etwas zu erleben. So aber waren beide Parteien gelangweilt und genervt.

Am späten Nachmittag erreichten wir Conimbriga, eine alte, römische Ausgrabungsstätte. Der Italiener hatte uns bereits davon erzählt und wir waren gespannt gewesen, die Tempelanlagen zu sehen. Besonders spannend waren sie dann jedoch nicht, denn es waren tatsächlich nur ein paar Mauern, die den anderen Mauern in Portugal ähnelten, an denen wir schon seit Tagen ununterbrochen entlangliefen. Dafür bekamen wir aber eine kostenlose Suppe vom Museumsrestaurant.

Unser Nachtquartier suchten wir uns in Condeixa a Nova, einem Ort, der direkt neben der Ruinenstätte lag. Hier trafen wir auf ein älteres Pärchen, die uns in ihre Pension einluden. (Residencia e Restaurante CENTRAL AVENIDA, Avenida Visconde de Alverca 89, 3150-120 Condeixa)

Auf unserer Suche nach einem Abendessen kamen wir an einer Bar vorbei, die von der freiwilligen Feuerwehr geführt wurde. Die junge Kellnerin hätte uns gerne etwas zu Essen gegeben, durfte aber nicht, weil die Feuerwehrmänner dagegen waren. Schließlich hatte sie die Schnauze voll und gab uns einige Früchte, die sie selbst mit zur Arbeit gebracht hatte. Das hatte der Italiener am Nachmittag also gemeint als er sagte, dass die Feuerwehrleute hier nicht besonders sozial seien.

Am Abend bekamen wir dann einen Anruf von Heidi, einer Freundin von Heiko aus Neumarkt. Sie war gerade mit einer Freundin in Portugal und wollte uns gerne besuchen. In diesem Augenblick saß sie noch im Zug nach Coimbra. Von dort wollten die beiden dann hier her trampen. Hoffen wir mal, dass sie damit Erfolg haben.

Spruch des Tages: Es gibt also doch Natur in Portugal

 

Höhenmeter: 310 m

Tagesetappe 21 km

Gesamtstrecke: 3674,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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