Tag 189: Es ist Sommer!

von Franz Bujor
09.07.2014 21:58 Uhr

Es wird Sommer! Nicht dass es bisher kalt gewesen wäre, doch jetzt wird es wirklich heiß! Und mit heiß meine ich nicht heiß im Sinne von ‚man beginnt zu schwitzen, wenn man einen Berg hinaufwandert’ oder ‚die Zunge hängt einem bis auf die Straße, sobald man auch nur ein Bild mit einem Eis darauf sieht’. Ich meine wirklich heiß! So heiß, dass sich auf meinem T-Shirt nach nur einem Tag solche Salzränder vom Schweiß abzeichneten, dass man damit eine komplette Portion Pommes hätte würzen können. So heiß, dass das Panzerklebeband an unseren Hüftgurten zu schmelzen beginnt. Ja sogar so heiß, dass sich der Asphalt unter unseren Füßen verflüssigt. Ihr erinnert euch sicher noch an das, was ich vor einiger Zeit über Teer und Asphalt geschrieben habe. Der schwarze Straßenbelag ist einfach nicht für Hitze ausgelegt und beginnt schon bei verhältnismäßig geringen Temperaturen damit an, auszudampfen und seine Form zu verändern. Damals hatte ich auch geschrieben, dass es sich in südlichen Ländern im Sommer sogar soweit verflüssigen kann, dass man mit einem Fahrrad darin einsinkt. Ich hatte es von verschiedenen Seiten gehört und ich hatte auch schon einiges darüber gelesen. Doch mit meinen eigenen Augen gesehen hatte ich es noch nie. Bis heute!

Heute jedoch kamen wir beim Wandern über die Landstraße schließlich an eine Stelle, an der der Bitumen aus dem Straßengemisch nach oben getreten war und als dunkelschwarze Schicht einen Teil der Straße bedeckte. Die letzten Autos, die darüber gefahren waren, hatten deutliche Profilabdrücke hinterlassen. An einigen Stellen glänzte die Schicht sogar so stark, dass sie komplett flüssig wirkte. Neugierig trat Heiko mit seinem rechten Schuh auf die entsprechende Stelle und sank augenblicklich in den Asphalt ein. Als er den Fuß wieder anhob, klebte er am Boden fest. Es sah ein bisschen aus wie der verlaufende Käse in der Pizzawerbung, der sich ewig lang nach oben zieht. Nur dass dieser Käse hier schwarz war und aus giftigem Erdöl bestand. Schließlich gab es ein schmatzendes Geräusch und Heikos Fuß löste sich aus der Gefangenschaft des Straßenbelages. Für die nächsten zehn Meter hinterließ er schwarze Fußabtritte auf der Straße und es dauerte bis zum Abend, bis seine Sohle wieder einigermaßen Sauber war.

Bei dieser Hitze wanderten wir heute rund 6 Stunden ohne ein einziges Mal Schatten abzubekommen. Von unseren Pausen natürlich abgesehen. Da suchten wir uns den kühlsten Platz, den wir finden konnten. Ohne unsere Hüte und ohne die Halstücher wären wir wahrscheinlich nach wenigen Stunden an einem Sonnenbrand draufgegangen. Doch so ließ sich die Hitze eigentlich recht gut aushalten. Es ist beeindruckend, wie sehr sich so ein Körper an veränderte Wetterbedingungen anpasst. Vor einem halben Jahr hätte uns das wahrscheinlich noch nicht passieren dürfen.

Eigentlich war es der Plan, dem Weg unseres Herbergsvaters zu folgen, den er mir gestern mit dem Auto gezeigt hatte. Dummerweise machte ich gleich am Anfang irgendwo einen Fehler, der dazu führte, dass wir hinter einem Sportstadion landeten, das mir vollkommen unbekannt war. Um auf den eigentlichen Weg zurückzukommen fragten wir einige Passanten. Diese schickten uns zwar in Richtung Fátima aber über eine Route, die mir genauso unbekannt war, wie das Sportstadion. Es dauerte ewig, bis wir den ersten gelben Pfeil entdeckten, der uns zeigte, dass wir uns nun wieder auf dem Jakobsweg befanden.

Bis zu unserer ersten Frühstückspause war es uns gelungen einen Salatkopf, Zwiebeln, Gurken und Tomaten aufzutreiben, so dass wir uns einen richtigen Salat machen konnten. Ein neuer Erfolg also in unserem Bestreben, gesund zu leben. Trotzdem spürten wir, wie sehr uns die Sucht nach Weißmehlprodukten verfolgte. Vor allem gestern Abend war es schlimm gewesen. Wir hatten richtig gutes und nahrhaftes und vor allem ausreichendes Essen gehabt und doch gelüstete es uns nach Weißbrot oder Keksen, dass es fast nicht auszuhalten war. Die Sucht danach ist fast noch schlimmer, als die nach Zucker.

Außer zum Essen nutzten wir unsere Pause auch dafür, die Verlage wegen unserem Steinzeitpilgerbuch noch einmal anzurufen. Bereits in der Mitte von Frankreich hatten wir eine Rundmail an gut 100 Verlage geschickt in der wir das Buch über Heikos Steinzeitprojekt angepriesen und vorgestellt haben. Daraufhin haben wir von den meisten nie wieder etwas gehört. Einige wenige haben uns absagen erteilt und noch ein paar weniger haben uns mitgeteilt, dass sie sich das Werk genauer ansehen und uns dann eine Rückmeldung geben werden. Auf diese Rückmeldung warten wir bis heute. Nervig und dreist wie wir sind, warten wir natürlich nicht passiv, sondern fragen in regelmäßigen Abständen bei den Kontaktpersonen nach. Doch seit einem knappen halben Jahr werden wir immer aufs neue Vertröstet, ohne jemals eine konkrete Zu- oder Absage zu erhalten. Die Frage, die sich uns da langsam stellt lautet: Warum? Wenn das Buch schlecht geschrieben wäre, dann müsste eine Absage ja schnell ausgesprochen sein. Ebenso wenn die Geschichte langweilig wäre oder wenn wir bei den Hintergrundinformationen einfach schlecht recherchiert hätten. Doch das ist alles offenbar nicht der Fall. Das Feedback ist, wenn wir direkt danach fragen, immer positiv. Und doch fällt einfach keine Entscheidung. Ob es vielleicht daran liegt, dass wir mit dem Buch so ziemlich jeder großen Organisation auf die Füße treten, die es auf dieser Welt gibt? Angefangen von der Kirche über die Öl- und Pharma-Industrie, die Schulmedizin, die Regierung und die öffentlichen Massenmedien bis hin zu namenhaften Saatgut- und Nahrungsmittelherstellern bleibt darin eigentlich niemand verschont. Es könnte also durchaus sein, dass sich die Verlage daher nicht so ganz trauen, uns eine Zusage zu geben. Trotzdem ist es keine Machart, ständig zu sagen: „Wir rufen Sie dann zurück!“ und sich danach nie wieder zu melden. Wenn, dann kann man schon auch zu seinem Standpunkt stehen, vor allem als Verlagsgesellschaft. Falls also jemand von euch einen Verlag kennt, der wirklich Eier in der Hose hat, sind wir jederzeit für Ideen und Vorschläge offen!

Die zweite Pause, die wir heute auf unserer Wanderung einlegten, war bei einem portugiesischen Altenheim. Eigentlich hatten wir gehofft, dort auch gleich übernachten zu können, doch die Chefin wies diese Bitte erbittert und unumstößlich ab. Daran änderten auch die herzerwärmenden Blicke ihrer Mitarbeiter nichts. Was sie uns jedoch nicht verweigerte, war ein Mittagessen. Wir sollten zunächst im Hof warten und wurden dann direkt in einen Speisesaal geführt, um zu verhindern, dass wir uns irgendetwas in diesem Heim anschauen konnten. Dafür gab es sicher gute Gründe, denn auch das, was wir sahen bereitete uns schon Kopfschmerzen.

Zunächst das Positive: Da das Essen in Portugal im Allgemeinen nicht besonders gut ist, ist das Essen im Altenheim kaum schlechter. Als Bewohner muss man sich hier also nicht großartig umgewöhnen. Die Vorsuppe war genauso gut wie in den meisten Restaurants. Als Hauptspeise gab es einen geschmacksneutralen Brei aus Reis, Erbsen, Karotten und etwas Hühnchenfleisch, der niemanden vom Hocker haute, aber auch niemanden in den Hungerstreik trieb. Wenn man ihn täglich bekam, starb man wahrscheinlich irgendwann an tödlicher Langeweile aber das war in Altenheimen ja nicht unbedingt neu.

Viel mehr als das Essen schockierte uns jedoch der Speisesaal. Es war kalt und klinisch und erinnerte mit den weißen Fliesen an Wänden und Boden eher an ein Schlachthaus als an ein Restaurant. Es war absolut unmöglich, sich hier wohl zu fühlen, weder als Bewohner, noch als Gast, noch als Angestellter. Die Mitarbeiter bewegten sich, als sei es ihnen peinlich, dass sie hier waren. Als es in Richtung Feierabend ging, trugen sie sich hastig aus dem Anwesenheitsbuch aus und verließen den Raum so schnell sie konnten. Draußen atmeten sie dann sichtlich auf.

Noch schlimmer erging es jedoch den Bewohnern. Sie saßen draußen im Hof, alle in einer Reihe an der Wand und starrten vor sich hin. Keiner von Ihnen sagte in der ganzen Zeit, die wir da waren auch nur ein Wort. Keiner zeigte eine Gesichtsregung und nur eine einzige Frau drehte einmal den Kopf leicht zur Seite. Sonst passierte nichts. Man musste kein Magier sein, um zu sehen, dass die alten Herrschaften morgens in der Früh hier hergeschoben und Abends zurück ins Bett gebracht wurden. Und man brauchte auch kein Diplom in Medizin um zu erkennen, das sie so mit Medikamenten vollgepumpt waren, dass sie ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen konnten. In Frankreich, in Deutschland und selbst in Spanien waren die Alten immer neugierig auf uns zugekommen und hatten und sofort als Attraktion des Tages erkannt. Selbst diejenigen, die sich kaum mehr hatten bewegen können, waren doch immer noch in der Lage gewesen, uns kurz zuzulächeln oder winken. Diese Menschen hier jedoch zeigten überhaupt keine Reaktion. Sie grüßten nicht zurück und sie erwiderten auch unser Lächeln nicht. Sie schauten durch uns hindurch, als wären wir überhaupt nicht da. Als wir gingen, kamen gerade die Kinder einer Oma zu besuch. Sie setzten sich direkt vor die alte Dame und sprachen mit ihr, drangen jedoch nicht zu ihr durch.

Später fragten wir uns, was diese Menschen ihren Kindern wohl angetan haben mochten, dass diese sie so sehr hassten, dass sie sie in dieses Heim steckten. Doch wahrscheinlich gab es einfach keine Wahl. Die anderen Heime waren sicher nicht viel besser als dieses hier. Wenn man irgendwo auf der Welt in ein Altenheim kam, bitte nicht in Portugal. Denn die Menschen hier lebten bereits nicht mehr. Es war nichts anderes als eine Aufbewahrungsstation mit einer Warteschlange für den Tod. Sie atmeten noch und sie konnten auch noch Nahrung verdauen, deshalb konnte man sie nicht so einfach ohne weiteres Beerdigen. Doch in diesem Fall wäre es ein Akt der Güte gewesen, ihnen den Gnadenschuss zu geben und sie aus diesem Leid zu erlösen. Oder noch etwas sinnvoller wäre es wahrscheinlich, einfach die betäubenden Medikamente wieder abzusetzen, durch die die Menschen in ihrer Lethargie gefangen gehalten werden.

Schon des Öfteren wurden wir gefragt, ob wir uns denn keine Gedanken über unsere Altersvorsorge machen würden. Jetzt wo wir das noch einmal gesehen haben, kommt uns die Frage wirklich absurd vor. Denn wenn dies das Ergebnis einer Altersvorsorge war, dann stand man ohne wahrscheinlich deutlich besser dar. Jeder Mensch in diesem Heim hatte schließlich sein ganzes Leben lang gearbeitet, um sich einen angenehmen Lebensabend zu verdienen. Und das war das Ergebnis!?!

Als unsere Schatten langsam länger wurden, erreichten wir schließlich Caxarias. Der Ort war winzig, hatte aber eine riesige Feuerwehr, in der man uns einen Raum zum schlafen gab. Es war ein schöner Raum, in dem wir für uns alleine sein konnten und der bis auf einen kleinen Haken absolut ruhig war. Der Haken bestand in einer Quelle, die mitten in unserem Schlafgemach plättscherte. Das ist zwar irgendwie ganz lustig, führt aber bestimmt dazu, dass wir in der Nach etwas häufiger aufs Klo müssen als üblich.

Spruch des Tages: Lebe jetzt und warte nicht damit, bis dein Leben schon fast vorbei ist.

 

Höhenmeter: 190 m

Tagesetappe 26 km

Gesamtstrecke: 3750,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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