Tag 201: Wie im wilden Westen

von Franz Bujor
21.07.2014 18:34 Uhr

 

Noch 4 Tage bis zu Tobias’ 1. Weltreisegeburtstag

Mit Erschrecken mussten wir feststellen, dass uns der Grenzübertritt eine Stunde Zeit gekostet hatte. Die Uhr wurde wieder vorgestellt und plötzlich war es bereits 18:00Uhr obwohl wir so schön pünktlich um fünf angekommen sind. Es war fast wie ein Symbol für Spanien, das uns im weiteren Verlauf noch viel Zeit kosten sollte und wahrscheinlich auch noch kosten wird.

Auf Portugal schauten wir mit gemischten Gefühlen zurück. Die Reise durch das Land war oft sehr anstrengend gewesen und hatte uns viel abverlangt. Wir hatten viele Momente, in denen wir es wirklich verflucht haben und nur allzu oft haben wir uns an einen anderen Ort gewünscht. Gleichzeitig war es aber auch ein sehr mystisches Land, in dem wir viele magische Begegnungen und Erlebnisse hatten. Mit Tieren, mit Fátima und auch mit Menschen. Und wir haben viele Geschenke bekommen, hatten tolle Schlafplätze, durften in Luxushotels wohnen und im Swimmingpool baden. Dort, wo die Natur noch nahezu unberührt war, war es ein wunderschönes Land. An vielen anderen Orten war es vor Lärm und Dreck kaum auszuhalten. Wir sind Um- und Irrwege gelaufen, waren viele male kurz vor’m Verzweifeln und haben genauso oft lernen dürfen, dass es immer einen Ausweg gibt.

Der Empfang in Spanien hätte besser kaum sein können. Nicht nur, dass wir eine komplette Wohnung für uns hatten, wir hatten auch noch eine Wellnessdusche mit integriertem Dampfbad. Auch wenn es durch die Zeitumstellung schon wieder viel später war als geplant, ließen wir uns diesen Genuss natürlich nicht nehmen. Da saßen wir nun, zur Feier unseres 200. Weltreisetages, im hintersten Winkel von Spanien und ließen uns in der Dampfsauna brutzeln. Unsere verspannten Muskeln jubelten fast vor Freude.

Heute folgte dann eine entspanntere Tagesetappe. Bis nach San Vicente de Alcántara waren es laut Google und laut Auskunft der Einheimischen nur zwölf Kilometer. Die Informationen stimmten auch mit den Straßenschildern überein, nur mit unserem eigenen Gefühl nicht. Ein Blick auf den Tacho an meinem Wagen gab uns Recht. Die Strecke betrug 16km. Die Schilder waren also offenbar geschätzt worden und die Anwohner orientierten sich natürlich daran. Für einen Autofahrer war er ja schließlich auch egal, ob es vier Kilometer mehr oder weniger waren und zu Fuß ging hier eh niemand.

Im Zentrum der Stadt fanden wir einen Wochenmarkt, auf dem wir uns mit einem ganzen Eimer an Birnen versorgen konnten. Das reichte für die Strecke durch das karge Land. Kaum hatten wir Valencia hinter uns gelassen, hatten wir auch schon den ersten Platten. Nach drei Tagen ohne Probleme, fing es nun also wieder an. Hoffen wir mal, dass das nicht zur Regel wird.

Die Landschaft hier war nun endgültig eine Prärie, wie man sie aus alten Western kennt. Hätte man die Winnetou-Filme hier gedreht, hätte niemand gemerkt, dass sie nicht wirklich im Wilden Westen spielen. Außer trockenen Sträuchern und Gräsern gab es hier nur ein paar Felsen und einige knorrige Bäume, die der Hitze trotzten. Es waren fast immer Korkeichen und die Korkproduktion war auch ganz offensichtlich die Hauptindustrie in dieser Region. Ganze LKWs voll beladen mit der sonderbaren Rinde fuhren an uns vorbei. Ein einziger Transporter hatte bestimmt 2000 Rindenplatten geladen. Pro Baum konnte man zwei gewinnen, was bedeutet, dass rund 1000 Eichen für nur einen LKW geschält wurden. Das beeindruckende ist, dass die kompletten Stämme entrindet werden, der Baum dadurch aber nicht stirbt. Er bildet einfach eine neue Rinde aus. Kurz vor San Vicente de Alcántara kamen wir an den ersten Korkfabriken und Lagerhallen vorbei. Die Menge an Korkrinde hier war unvorstellbar. Die gebogene Rinde wurde dann gepresst, so dass gerade Platten entstanden, aus denen man dann Bodenbeläge und allerlei andere Dinge herstellen konnten. Die Bruchstücke wurden zu Korken verarbeitet, wobei es hier zwei unterschiedliche Varianten gab. Hochwertige Korken für gute Weine werden direkt aus den Rindenstücken herausgestanzt. Billigere hingegen werden aus den letzten Resten hergestellt, die dann wieder zusammengeklebt werden. Ihr kennt sicher Sekt- oder Weinkorken, bei denen man eine Linie sieht, die verrät, dass zwei unterschiedliche Korkschichten aufeinander geklebt wurden. Dies sind solche Reststückkorken. Wie gesund der Kleber ist, mit dem dabei gearbeitet wird, konnten wir leider nicht herausfinden.

San Vicente de Alcántara war genauso groß wie Valencia, hatte zu seiner Blütezeit jedoch gut 15.000 Einwohner beherbergt. Heute waren es gerade noch 5000. Ebenso verlassen wirkte auch die Stadt. Zwei von drei Häusern stehen leer und das einzige Hotel, dass es hier einmal gab, hat schon seit langem seine Pforten geschlossen. Dennoch schien es zunächst so, als hätten wir unverschämtes Glück. Ein Mann erzählte mir von einer kleinen Pension mit Apartments, die irgendwo hinter dem Stadtzentrum liegen sollte. Auf dem Weg dorthin fragte ich einen zweiten Mann. Er kannte nicht nur die Pension, sondern auch ihren Besitzer und war mit ihm befreundet. Er rief den guten Mann an und ich erklärte im unser Anliegen. Da ich die Antwort nicht zu hundert Prozent verstand gab ich das Telefon an meinen Gegenüber zurück und bat ihn, noch einmal mit seinem Freund zu sprechen. Er wiederholte meine Worte um sicher zu gehen, dass der Pensionsbesitzer alles richtig verstand und teilte mir dann das Ergebnis mit. Der Mann der lustiger Weise Santiago hieß hatte zugesagt. Um 16:00 Uhr sollten wir uns mit ihm vor dem Supermarkt treffen. Die Pension lag im Stockwerk darüber.

Die Zeit bis zu unserem Meeting nutzen wir um uns einen Salat zuzubereiten und um in einem Süßigkeitenladen unser Handyguthaben wieder aufzuladen. Warum man hier Handykarten ausgerechnet in Süßwarenläden bekommt ist mir ein Rätsel. Beim zweiten Zuckergeschäft hatte ich Glück. Der Mann verkaufte auch Karten von blau.de. Doch ich hatte mich etwas zu früh gefreut, denn aus irgendeinem Grund wollte es mit der Aufladung nicht klappen. Irgendwie brauchen wir dafür noch eine Lösung, denn mit den 87Cent kommen wir wohl nicht mehr weit. Vor allem in einer Steppe wie dieser hier, macht das irgendwie kein gutes Gefühl.

Pünktlich um kurz nach 16:00 Uhr trafen wir am Supermarkt ein und begegneten dort nicht nur Santiago sondern auch seiner Tochter. Leider stellte sich heraus, dass uns der gute Mann auch nach zweimaliger Erklärung doch nicht verstanden hatte. Ein Apartment gegen Werbung oder eine andere Leistung kam nicht in Frage. Bargeld oder nichts. Seine Tochter überredete ihn schließlich dazu, uns wenigstens einen anderen Schlafraum anzubieten. Nach einer gut halbstündigen Diskussion brachte sie mich im Auto zu einer rund 150m entfernten Seitenstraße. Dort hatten sie einen leeren Raum, der gerade renoviert wurde. Es gab keine Lampen und der Boden war voll von weißem Staub, den man von den Wänden abgeschliffen hatte. Abschließen konnten wir ihn nicht und der einzige Luxus war eine Toilette ohne Klobrille.

Um zurück zum Supermarkt zu kommen, musste die gute Frau nun einmal um die komplette Stadt herum fahren, da es überall nur Einbahnstraßen gab. Zu Fuß hätten wir uns also ordentlich Zeit gespart. Anschließend wurde dann noch eine Weile überlegt, ob es nicht noch Alternativlösungen gab, doch außer verplemperter Zeit kam nicht viel dabei herum. Wir beschlossen also den Staublungenraum anzunehmen. Es war besser als nichts. Der Tochter war es sichtlich peinlich, dass sie uns hier zurücklassen musste, obwohl ihr Vater außer den Pensionen noch drei weitere Häuser besaß, in denen es geeignete und angenehmere Räume gegeben hätte. Diese Schlafplazgeschichte und der anschließende Versuch, irgendwo einen Platz mit Internet zu finden, nahm fast den ganzen Nachmittag in Anspruch. Zeit, in der ich gerne weiter am Sonnencremartikel gearbeitet hätte und in der sich Heiko eigentlich um die Recherchen über heilende Lebensmittel kümmern wollte. Es ist wie verhext. Irgendwie ist uns das im Moment nicht vergönnt.

Spruch des Tages: Jede Perfektion scheitert letztlich immer am Mangel von Zeit.

 

Höhenmeter: 70 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 3993,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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