Tag 204: Unter Geiern

von Franz Bujor
24.07.2014 15:14 Uhr

 

Noch 1 Tag bis zu Tobias’ 1. Weltreisegeburtstag

 

Bei meinem Artikel über die Sonnencreme von gestern, kam die Würdigung der Geschenke, die wir erhalten haben ein bisschen zu kurz. Deshalb hier noch schnell ein paar Worte dazu. Ana erwies sich als wahrer Engel, die uns im Namen der Kirchengemeinde und des Bürgermeisters von Herrerueda alles ermöglichte, was wir uns von einem Tag in der Steppe niemals hätten erträumen lassen. Wir durften als einzige Gäste im klimatisierten Hotelrestaurant essen gehen und dort bestellen was wir wollten. Die Rechnung übernahm die Kirche. Ebenso übernahm sie die Rechnung für unser Abendessen im Café und unseren Einkauf im Minisupermarkt der Stadt. Lustiger Weise war der Kellner im Restaurant genau der Mann, der mir zuvor mitgeteilt hatte, das wir leider nicht in seinem Hotel übernachten konnten. Zum Arbeiten durften wir dann auch noch seine Terrasse und sein Internet nutzen.

Am Abend verschafften wir uns dann noch etwas Abkühlung im Schwimmbad. Wenn wir hier schon wohnten, dann konnten wir ja schließlich auch die anderen Vorzüge nutzen.

Die Umkleide des Freibades ging auf jeden Fall in unsere Top 10 der abgefahrendsten Schlafplätze dieser Reise ein. Zusammen mit der Nacht in der Kirche und unserer Erfahrung mit der Pilgerherberge des Grauens. Und der Platz im Burgturm in Frankreich natürlich.

Heute gab es wieder 20km zu bewältigen. Wie gestern gab es auch diesmal nur die Nationalstraße und der folgten wir von Anfang bis Ende. Unterwegs gab es nichts als Hitze, Sonne, Steppe und ein paar Olivenbäume. Eine Landschaft wie diese zwingt einen wirklich dazu, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Ablenkungen, Highlights oder dergleichen gibt es einfach nicht. Wären wir jeder für sich alleine und nicht zu zweit, wäre dies sicher der Zeitpunkt, an dem wir verrückt würden. So kann man sich durch Gespräche und Erzählungen alter Erinnerungen und Anekdoten doch immer wieder bei Laune halten. Alleine wäre diese Gegend mehr als nur ein bisschen beängstigend. Die Hitzeflimmern auf der Straße, die einem das Gefühl geben, es könnte jeden Moment, eine Fata Morgana auftauchen, die endlose Weite und das Gefühl, keinen Schritt weiterzukommen, egal wie weit man auch geht, all dies eignet sich hervorragend um einen in den Wahnsinn zu treiben. Und noch immer befinden wir uns im Herzen von Europa. Es ist einfach unvorstellbar. Bei unserem Weg durch Herrerueda hatte uns Ana gestern noch erzählt, dass es im Moment sogar noch verhältnismäßig kühl sei. Es gab durchaus Zeiten, in denen die Temperatur noch einmal um rund 8-10°C anstieg. Uns reichte es so auf jeden Fall.

Wie aus dem Nichts tauchten dann plötzlich doch einige Abwechslungen auf. Ein Knacken im trockenen Gestrüpp neben uns, richtete unsere Aufmerksamkeit nach rechts. Wir trauten unseren Augen nicht. Dort stand tatsächlich eine ganze Wildschweinrotte. Als sie uns sahen, zogen sich die Schweine ins Dickicht zurück.

Kurz darauf kreisten wieder die Geier über unseren Köpfen. Auch dies machte kurzzeitig ein mulmiges Gefühl. Wenn man in wüstengleichen Landschaften von Aasfressern beäugt wird, dann fühlt sich das etwas komisch an. Doch dann überwogen auch schon wieder die Neugier und die Freude darüber, die seltenen Vögel beobachten zu können. Als Heiko die Kamera zückte, zogen sie sich jedoch gleich wieder zurück. Es ist einfach der Wahnsinn, wie schnell sie spüren, dass sie ebenfalls ins Visier genommen werden.

Noch ungewöhnlicher war jedoch das kleine Wesen, dass uns nach einigen weiteren Kilometern fast über die Füße gerannt wäre. Wir überquerten gerade eine Brücke, was in der trockenen Steppe etwas skurril wirkte. Doch im Winter musste es hier wirklich grün sein. Ein kleiner Regenschauer reichte wahrscheinlich aus, um das ganze Land zu überfluten, da der Boden durch die Trockenheit fast wie Beton war und keine Feuchtigkeit mehr aufnehmen konnte. Jetzt jedoch waren die Flussbetten komplett ausgetrocknet. Plötzlich huschte ein rotes Etwas unter der Schnellstraße hindurch und quetschte sich durch einen Maschendrahtzaun. Offensichtlich hat er sich dabei etwas verschätzt, denn er blieb beinahe Stecken. Als er sich freigekämpft hatte, lief er einen Hang hinauf, drehte sich um und schaute uns direkt an. Es war ein Fuchs mit leuchtend rotem Fell und schönen großen Ohren. Er lief weiter, drehte sich noch einmal zu uns um, verharrte einen Moment und verschwand dann zwischen zwei Sträuchern. Heiko uns ich sahen uns an. Die Wildschweine hatten wir schon als ungewöhnlich empfunden, aber ein Fuchs?

„So ein Jäger verpasst einem schon immer auch einen kleinen Adrenalinschub, oder?“ sagte Heiko, „selbst wenn er nur so klein ist.“

Aliseda war in etwa so groß wie Herrerueda. Hier gab es jedoch eine Tankstelle und daher auch einige Truckerrestaurants, so dass es insgesamt etwas belebter wirkte. In einem Altenheim fragten wir nach den Übernachtungsmöglichkeiten, denn das groß ausgezeichnete Hostel hatte zeit Jahrzehnten geschlossen. Der Heimleiter führte ein paar Telefonate und bat uns dann einen Moment zu warten. Es dauerte nicht lange bis eine Frau eintraf, die sich ebenso als Engel entpuppte, wie Ana. Sie war von der Caritas und erzählte uns, dass sich ihre Organisation den Tag über um uns kümmern würde. Eigentlich gab es ein Gästehaus für solche Fälle, doch der Mann, der den Schlüssel bewachte, war zurzeit auf einer Pilgerreise in Deutschland. Daher würde uns die Caritas ein Hotelzimmer bezahlen. Fürs erste sollten wir jedoch das Restaurant Montanila aufsuchen, wo wir von der Caritas zum Mittagessen eingeladen wurden. Da das Hotel erst am Abend öffnete, blieben wir den Nachmittag über im Restaurant auf der Terrasse und nutzten die Zeit zum Arbeiten. Wer hätte gedacht dass es gerade in dieser unwirtlichen Gegend so gut läuft.

Spruch des Tages: Die besten Momente sind die, die man nicht erzählen kann, weil niemand sie verstehen würde.

 

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 4043,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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